einfühlsamer Roman zu wichtigem Thema
Da, wo ich dich sehen kannSobald ich ein Buch in die Hand nehme oder das Cover auf einer Internetseite sehe, entsteht ein Gefühl in mir: Neugier, Spannung, Interesse, Vorfreude… und wenn ich dann mit dem Lesen beginne, müssen sich ...
Sobald ich ein Buch in die Hand nehme oder das Cover auf einer Internetseite sehe, entsteht ein Gefühl in mir: Neugier, Spannung, Interesse, Vorfreude… und wenn ich dann mit dem Lesen beginne, müssen sich diese Gefühle beweisen. Vertraue ich dem Autor/der Autorin? Kann ich mich in den Roman vertiefen? Glaube ich den Figuren? Fühle ich mich gut unterhalten?
Im Roman „Da wo ich dich sehen kann“ hat meine Erwartungen erfüllt, sehr sogar.
Der Roman handelt von einem Femizid und davon, wie die Menschen, die zurückbleiben, damit weiterleben. Es ist eine intensive Geschichte über die neunjährige Maja, deren Vater ihre Mutter umgebracht hat, nachdem er sie schon jahrelang unterdrückt und kleingemacht hat. Maja vergöttert ihren Vater und muss nun nicht nur mit dem Verlust der Mutter sondern auch noch mit diversen Schuldgefühlen zurechtkommen, zusätzlich zur neuen Lebensumgebung bei ihren Großeltern mütterlicherseits, einer neuen Klasse und großen Verlustängsten. Aber nicht nur in ihre Welt hat der gewaltsame Tod der Mutter ein tiefes Loch gerissen, auch ihre Eltern und ihre beste Freundin Liv sind traumatisiert. Der Roman wird anschaulich aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was mir sehr gut gefallen hat, da er aufzeigt, wie unterschiedlich Betroffene mit dem Schmerz umgehen.
Auch die inhaltliche Gestaltung ist bemerkenswert: Neben den inhaltlichen Kapiteln wird das Buch durch den Obduktionsbericht, Gerichtsprotokollen, diverse Zeitungsartikel aber auch „Was-wäre-wenn“ Kapiteln, die das Leseerlebnis noch realistischer und grausamer machen.
Ich bin begeistert von dem Buch und habe es geradezu verschlungen. Ich habe den Schmerz und die Ängste der Betroffenen geradezu gefühlt. Ich war noch nie in einer derartigen Situation und konnte mich dennoch sofort hineinversetzen und doch eine gewisse Distanz zu den Figuren bewahren, die das Ganze ertragbar macht. Ausgenommen davon ist das Kapitel um Cloés Tod, diese Situation habe ich tatsächlich auch selbst schon erlebt und deshalb intensiv mitgefühlt und ein bisschen geweint.
Auch wenn es sich hier um eine fiktionale Geschichte handelt, sollten wir uns bewusst sein, dass diese Gewalt real existiert! Ohne dass wir es merken, werden jeden Tag Frauen nur aufgrund ihres Frau-seins von Männern misshandelt oder sogar getötet. Und das nicht irgendwo am Ende der Welt (was schlimm genug ist) sondern direkt in unserer Nachbarschaft. Dieses Wissen ist erschreckend und wird lange in mir nachhallen.