Und nun?
My BodyDas Buch beginnt mit einem Zitat aus John Bergers „Sehen“, in dem er die Absurdität beschreibt, mit der wir eine nackte Frau für ihre sündige Eitelkeit verurteilen, gleichzeitig sie aber auch selbst anschauen. ...
Das Buch beginnt mit einem Zitat aus John Bergers „Sehen“, in dem er die Absurdität beschreibt, mit der wir eine nackte Frau für ihre sündige Eitelkeit verurteilen, gleichzeitig sie aber auch selbst anschauen. Ohne das Original-Buch ist es schwer festzulegen, um welches Gemälde es sich handelt, es könnte jedoch von Hans Melming stammen. Melmings „Eitelkeit“ ist Teil der Vorderseite des „Triptychon der Irdischen Eitelkeit und der Himmlischen Erlösung“ von 1485, welches die nackte Frau einrahmt von einer tanzenden Leiche und dem tanzenden Teufel zeigt. Eine Metapher für das gesamte Buch? Wie die Frau in dem Gemälde wirft Emily Ratajkowski uns einen leicht genervten, herausfordernden Blick zu, da wir sie als Model auf ihren Körper reduzieren, während sich in Wahrheit links und rechts Abgründe aus sexuellen Übergriffen, Erniedrigungen und Respektlosigkeiten auftun – und die Täter unbescholten weitertanzen.
Nach dem langen Aufbau aus manchmal schwer zu verdauenden Geschichten, die noch viel schlimmer zu erleben gewesen sein müssen (Trigger-Warnung) und bis zur Dissoziation ihres eigenen Körpers führen, hatte ich fest damit gerechnet, dass ein body-positives Argument aufgemacht wird, so wie es bereits auf Seite 2 in der Einleitung heißt: „Warum sollten wir uns anpassen, uns für unsere Körper entschuldigen und sie verhüllen? Ich hatte keine Lust mehr, mich schuldig zu fühlen, wie ich mich auf eine bestimmte Weise präsentierte.“, eine Rechtfertigung wie Gleichberechtigung und die Körperlichkeit des Modelbusiness zusammengehen. Für mich ist es dabei kein Problem, dass dieses Argument nicht weiter angesprochen wurde, sondern viel mehr, dass gar kein Argument angeführt wurde. Auf den 250 wirklich gut geschrieben Seiten (auf Details fokussiert, die nicht von einem guten Lektorat oder Schreibkursen, sondern von Talent herrühren müssen) wird leider bis zum Schluss nicht klar, worin die Kernaussage des Buches liegt. Selbst bei dem großartigen vorletzten Kapitel, in dem ich dachte, mit all ihrer Wut, allem Frust und aller Selbstermächtigung holt sie jetzt zum großen Schlag nicht nur gegen eine einzelne Person, sondern gegen ein ganzes System aus, blieb ich nach dem Lesen zurück und fragte mich „und jetzt?“.
Das ist die Frage, welche mich während und nach dem Lesens und auch in den Tagen danach immer noch begleitet. Wieso hat sie all das aufgeschrieben? Als Therapie? Als Anklage? Oder als Streitschrift, deren Argument ich einfach nicht erkannt hat? Und das ist unglaublich Schade, da zwischen den Zeilen (und manchmal sogar in den Zeilen) so wichtige Aussagen zu finden sind, dass sie sich zum Ende hin eigentlich zu einer Aufforderung, einer Warnung, einer Handlungsanweisung an die Lesenden hätten verdichten müssen. Oder ist genau dies das Ziel? Dass die Lesenden mit einer Frage zurückbleiben, die auffordert, selbst weiterzudenken, sich zu informieren und selbst nach Handlungen zu suchen: und nun?