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Veröffentlicht am 23.03.2025

Eindringlich!

Körper aus Licht
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KÖRPER AUS LICHT
Jennifer Down

TW: Sexueller Übergriffe an Kindern, Drogenmissbrauch

„Ich habe keine Fotos von mir, begann ich. Das ist es gar nicht unbedingt. Aber es ist, als hätte ich keinen Beweis, ...

KÖRPER AUS LICHT
Jennifer Down

TW: Sexueller Übergriffe an Kindern, Drogenmissbrauch

„Ich habe keine Fotos von mir, begann ich. Das ist es gar nicht unbedingt. Aber es ist, als hätte ich keinen Beweis, dass ich außerhalb von jetzt jemals wirklich existiert habe. Ich kann nie sagen: Weißt du noch, als wir das gemacht haben, weil es niemanden gibt, zu dem ich das sagen könnte.“ (S. 297)
Maggies Leben ist von Verlust und Vernachlässigung gezeichnet. Mit nur zwei Jahren stirbt ihre Mutter an einer Überdosis – der Beginn eines unaufhaltsamen Abwärtssogs. Zwei Jahre später widerfährt ihr das Unfassbare: der erste Missbrauch. Mit fünf Jahren wird ihrem heroinsüchtigen Vater das Sorgerecht entzogen und Maggie kommt ins Kinderheim. Doch anstatt Schutz zu finden, beginnt hier ihre verhängnisvolle Reise durch das australische Fürsorgesystem. Ein endloser Kreislauf aus Heimen und Pflegefamilien fügt ihr Narben zu, die niemals verheilen werden. Die Behörden versagen vollständig. Trotz eindeutiger Anzeichen von Missbrauch bleibt ihre Not ungehört. Niemand hilft ihr.

Diese Kindheit – ein Wort, das kaum zutreffend erscheint – hinterlässt tiefe Spuren. Als Erwachsene sucht Maggie nach Halt und geht Bindungen ein, doch wahre Nähe bleibt für sie kaum erträglich. Zwischen Sehnsucht nach Zugehörigkeit und der Angst vor emotionaler Enge schwankt sie ein Leben lang. Ohne festen Anker treibt sie durch die Jahre. Nur wenige Menschen haben ihr Momente des Lichts geschenkt – so selten und kostbar, dass sie kaum ins Gewicht fallen.

Körper aus Licht ist ein schmerzhaft intensiver Coming-of-Age-Roman, der lange nachhallt. Jennifer Downs Schreibstil ist fließend, roh und trifft mitten ins Herz. Er passt perfekt zu Maggie – einer Protagonistin, die sich nach Liebe sehnt und doch stets mit ihr ringt.

Für empfindsame Leser ist dieses Buch eine Herausforderung. Doch wer Demon Copperhead und Ein wenig Leben liebt, findet hier ein literarisches Meisterwerk. Dieses Buch hat mich zutiefst bewegt – und deshalb möchte ich es uneingeschränkt empfehlen.
5/5

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Veröffentlicht am 23.03.2025

Ein ganz schönes Vorlesebuch!

Kleine und große Wunder der Meere
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KLEINE UND GROßE WUNDER DER MEERE
Gabby Dawnay

Wusstest du, dass die Seeanemone und der Clownfisch in einer Symbiose zusammenleben? Das bedeutet, dass beide voneinander profitieren. Die Tentakel der Anemone ...

KLEINE UND GROßE WUNDER DER MEERE
Gabby Dawnay

Wusstest du, dass die Seeanemone und der Clownfisch in einer Symbiose zusammenleben? Das bedeutet, dass beide voneinander profitieren. Die Tentakel der Anemone sind giftig – doch nicht für den Clownfisch. Ihm kann das Gift nichts anhaben, sodass er zwischen den Tentakeln bestens vor seinen Fressfeinden geschützt ist. Im Gegenzug hält der Clownfisch die Anemone sauber und düngt sie mit seinem Kot.
Oder wusstest du, dass das Gebiss eines weißen Hais aus 300 Zähnen besteht und wie ein Förderband funktioniert? Seine Zähne sind – ähnlich wie Katzenkrallen – ein- und ausfahrbar. Mit einem einzigen Biss kann er bis zu 13 kg Fleisch abreißen!

Oder dass Buckelwale in tiefen Tonfolgen singend miteinander kommunizieren? Doch nur die Männchen sind in der Lage, Informationen zwischen verschiedenen Populationen auszutauschen.

Das sind nur drei von vielen faszinierenden Fakten, die dieses liebevoll gestaltete Buch vermittelt. Insgesamt enthält es neun kurze Vorlesegeschichten. Am Ende jeder Geschichte gibt es zusätzlich spannendes Fachwissen.

Du wirst noch viele weitere Meeresbewohner kennenlernen – darunter die unsterbliche Qualle, den magischen Aal, einen gestaltwandelnden Oktopus, ein tanzendes Seepferdchen, kuschelnde Pinguine und eine Meeresschildkröte mit salzigen Tränen.

Besonders hervorheben möchte ich die wunderschönen Illustrationen von Mona K. Mit viel Liebe zum Detail bringt sie unseren Kindern die faszinierende Wasserwelt näher.

Fazit:
Ein weiteres wunderschönes Buch aus dem Hause Carlsen-Verlag.
Große Leseempfehlung für alle Kinder ab 4 Jahren.
(5/5)

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Veröffentlicht am 18.03.2025

Das Leben einer Terroristin

Ich dachte, bis dahin bin ich tot
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ICH DACHTE, BIS DAHIN BIN ICH TOT
Meine Zeit als RAF-Terroristin und mein Leben danach
Silke Maier-Witt
André Groenewoud

Ich war das Kind, das in jeder Bank oder Post vor dem großen Plakat der RAF-Gesuchten ...

ICH DACHTE, BIS DAHIN BIN ICH TOT
Meine Zeit als RAF-Terroristin und mein Leben danach
Silke Maier-Witt
André Groenewoud

Ich war das Kind, das in jeder Bank oder Post vor dem großen Plakat der RAF-Gesuchten stand, während meine Mutter am Schalter ihre Angelegenheiten erledigte. Jedes Mal glaubte ich, gerade eine dieser Personen gerade gesehen zu haben. Doch meine Mutter tat es als Hirngespinst ab - ohne zu ahnen, dass nur 300 Meter Luftlinie entfernt von der Post am Poppenbüttler Wentzelplatz, wo wir gerade standen, eine konspirative Wohnung der RAF lag. Hamburg war damals voller Polizeikontrollen; ohne Papiere fuhren meine Eltern nie los.
Eine dieser Terroristinnen war Silke Maier-Witt. Sie gehörte zur zweiten Generation der RAF. Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Ulrike Meinhof saßen bereits in Stammheim ein - die verbliebenen RAF-Mitglieder versuchten die Inhaftierten freizupressen.

Wie gerät man in eine anarchistische Gruppe wie diese?

Silkes Kindheit war schwierig. Ihre Mutter starb früh, der Vater zeigte kaum Interesse an ihr und ihrer Schwester, schickte sie zu den Großeltern und später übernahm die Stiefmutter die Erziehung.
Trotz dieser unbeständigen Kindheit war Silke eine ausgezeichnete Schülerin. Das Gymnasium meisterte sie spielend. Als sie später erste Kontakte zur linken Szene knüpfte, brach sie ihr Medizinstudium ab. 1977, als sich ihr die Möglichkeit bot, der RAF beizutreten, beendete sie ihr Psychologiestudium, obwohl sie bereits an ihrer Diplomarbeit schrieb.

Zweieinhalb Jahre lebte sie im Untergrund, erledigte Botengänge, mietete konspirative Wohnungen in Deutschland und den Nachbarländern an und war schließlich an der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer beteiligt.

Als Schleyer nach der gescheiterten Flugzeugentführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ von der RAF erschossen wurde, „war unsere Daseinsberechtigung weggebrochen“ (S. 90).
Die RAF versuchte sich neu zu formieren, doch Silke Maier-Witt fühlte sich nicht mehr zugehörig und wurde von „den Illegalen“ verstoßen.

Die DDR nahm sie auf, gab ihr eine neue Identität und half ihr, sich einzugliedern - was ihr bis zum Mauerfall auch einigermaßen gelang.
Was danach geschah und ob Silke Maier-Witt je wieder ein normales Leben führen konnte, müsst ihr selbst nachlesen.

Fazit:
Das Buch war für mich eine Achterbahnfahrt. Die RAF hat mich schon immer interessiert, doch ich konnte nie verstehen, wie man bereit sein kann, für eine Ideologie so viel Gewalt zu rechtfertigen. Nicht immer konnte mich das Buch fesseln, einige Passagen haben mich schlicht gelangweilt, dann wieder gab es Abschnitte, wo ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Einige seltene Male konnte ich mit Silke Maier-Witt mitfühlen, an anderen Stellen wiederum dachte ich, dass sie ihre gerechte Strafe bekommen hat.

Stefan Austs Buch über die RAF habe ich damals verschlungen, und auch dieses Werk kann ich allen empfehlen, die ein Stück deutsche Geschichte aufgrund ihres Alters nicht selbst erlebt haben oder sich für die Geschichte der RAF interessieren.
3½/5

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Veröffentlicht am 12.03.2025

Eine Familiengeschichte

Die Fletchers von Long Island
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DIE FLETCHERS VON LONG ISLAND
Taffy Brodesser-Akner

Der Fabrikbesitzer Carl Fletcher wird in den 1980er-Jahren direkt vor seiner Haustür entführt. Nachdem seine Familie ein hohes Lösegeld zahlt, lassen ...

DIE FLETCHERS VON LONG ISLAND
Taffy Brodesser-Akner

Der Fabrikbesitzer Carl Fletcher wird in den 1980er-Jahren direkt vor seiner Haustür entführt. Nachdem seine Familie ein hohes Lösegeld zahlt, lassen ihn die Entführer nach einer Woche frei.
Doch Carl erholt sich nie wieder vollständig von den körperlichen und seelischen Qualen. Seine beiden Söhne sind zum Zeitpunkt der Entführung noch Kinder, seine Tochter wurde noch nicht einmal geboren - und doch hinterlässt das Verbrechen auch bei ihnen Spuren. Sie wachsen mit einem Vater auf, der zwar physisch anwesend ist, aber innerlich oft unerreichbar bleibt.

Als Erwachsene schlagen sich die drei Geschwister mehr schlecht als recht durchs Leben. Trotz ihres privilegierten Aufwachsens gelingt es keinem, wirklich Fuß zu fassen. Die erfolgreiche Styropor-Fabrik der Familie will keiner übernehmen - obwohl ihr jüdischer Großvater Zelig Fletcher, der 1940 vor den Nationalsozialisten in die USA floh, das Unternehmen mit Fleiß, Mut und einer geheimen Formel, die ihm ein verstorbener Mann vermachte, aufgebaut hat.

Taffy Brodesser-Akner erzählt die bewegende Geschichte einer wohlhabenden Familie aus Long Island mit all ihren Sorgen und Nöten. Inspiriert wurde sie dabei von der Entführung Jack Teichs im Jahr 1974.
Der Roman ist oft bunt erzählt, und es gab Momente, in denen ich regelrecht an den Seiten klebte. Dennoch konnte mich das Buch nicht durchgehend fesseln. Mein Leseerlebnis war ein ständiges Auf und Ab - mehr als einmal war ich kurz davor, es zur Seite zu legen. Nicht alle Figuren waren mir sympathisch, manche blieben blass. Ob es an den langen Kapiteln lag oder am detailverliebten, oft wechselnden Schreibstil, kann ich nicht genau sagen.

Insgesamt war es für mich nur ein mittelmäßiges Buch.
3/5

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Veröffentlicht am 08.03.2025

So toll!

Viktor
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„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, Niederlande, und studiert dort Jura.
Ihre jüdischen ...

„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, Niederlande, und studiert dort Jura.
Ihre jüdischen Eltern und Großeltern flohen 1939 aus Wien nach Belgien, mussten sich dort jedoch bald vor den Nazis verstecken. Nach dem Krieg emigrierten sie in die Niederlande. Doch inzwischen ist die gesamte Familie katholisch, und sie bemüht sich, jegliche Spuren ihrer jüdischen Herkunft zu verwischen.

Sobald Geertje Themen wie „Religion“ oder „Flucht vor den Nazis“ anspricht, reagiert ihre Familie mit Schweigen. Nur wenn sie besonders vorlaut ist, murmelt ihr Großvater: „Das muss sie von Viktor haben!“
Viktor - so viel hat Geertje herausgefunden - war der Bruder ihres Großvaters. Ein Betrüger, der sein Leben mit Glücksspiel, Pferdewetten und gefälschten Ausweisen verbrachte, ein Mann, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen scherte.


Die Autorin schreibt ihr Buch auf zwei Zeitebenen:

- 1994: Geertje versucht, die Vergangenheit ihrer Familie zu ergründen und sich gleichzeitig bewusst zum Judentum zu bekennen.

- 1914: Die Familie Rosenbaum wird durch die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs begleitet, wobei Viktor im Mittelpunkt steht. Als „schwarzes Schaf“ der Familie muss er sich ständig die Vorwürfe seines Vaters anhören.

Viktor ist ein fesselndes und äußerst lesenswertes Buch. Besonders beeindruckend sind die Dialoge zwischen Viktor und seinem Vater sowie seiner Schwester. Auch die Darstellung des jüdischen Lebens in Wien zur Zeit des Anschlusses an das Nazi-Deutschland - per Volksentscheid (!) - ist sehr aufschlussreich.
Dank des Stammbaumes auf den ersten Seiten fällt der Einstieg in die Geschichte leicht.
Judith Fanto erzählt hier nicht nur eindrucksvoll, sondern auch auf literarisch hohem Niveau ihre eigene Familiengeschichte - ein weiteres ergreifendes Schicksal aus der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte.

Große Leseempfehlung!
4½/5

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