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Veröffentlicht am 21.09.2023

Pageturner

Unter Wasser Nacht
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UNTER WASSER NACHT
Kristina Hauff

Aaron ist tot. Seine Leiche wurde vor 13 Monaten im Elbwasser gefunden. Die Umstände seines Todes wurden nicht geklärt.
Seine Eltern Sophie und Thies trauern seitdem ...

UNTER WASSER NACHT
Kristina Hauff

Aaron ist tot. Seine Leiche wurde vor 13 Monaten im Elbwasser gefunden. Die Umstände seines Todes wurden nicht geklärt.
Seine Eltern Sophie und Thies trauern seitdem - allerdings auf ganz unterschiedliche Weise: Thies, Gymnasiallehrer, schweigt und setzt seit dem Tode seines Sohnes keinen Fuß mehr in ein Klassenzimmer, während die Biologin Sophie sich mit Arbeit ablenkt.
Gemeinsam machen sie nichts mehr - das tägliche Miteinander fällt schwer und Zärtlichkeiten fallen ganz weg. Doch nicht nur die Ehe der beiden scheint zu zerbrechen, sondern auch die enge Freundschaft zu Inga und Bodo, die mit ihren Kindern auf demselben Hof im Wendland leben und sich Garten und Scheune teilen.
Beide Paare kennen sich schon ewig, alle vier wohnten während ihrer Studienzeit in einer WG auf der Schanze und gemeinsam protestierten sie in Gorleben gegen die Atommüll-Transporte. Doch jetzt, nach Aarons Tod, können die traumatisierten Eltern den Freunden nicht mal mehr in die Augen schauen.

Doch alles bekommt eine unerwartete Wendung, als ganz plötzlich eine fremde Frau im Wendland auftaucht. Sie gibt vor, jemanden im Ort zu suchen. Scheinbar und ganz zufällig freundet sie sich mit den Paaren an und was das alles mit dem toten Aaron zu tun hat, müsst ihr selber herausfinden.

Kristina Hauff lässt sechs Personen zu Wort kommen. Alle haben zu den Geschehnissen unterschiedliche Perspektiven und Erlebnisse. Ganz langsam und mit viel Geschick führt uns die Autorin zu dem Tag zurück, als ein 11-jähriger Junge in der Elbe ertrank.

Da ich erst kürzlich den neuesten Roman von Kristina Hauff „In blaukalter Tiefe“ verschlungen habe, wollte ich unbedingt das vorherige Buch der Autorin lesen.
Der Schreibstil ist auch hier wieder wunderbar bildlich. Ich konnte förmlich den Hof und das malerische Wendland vor mir sehen und dennoch spürte ich von Beginn an eine kleine unterschwellige Bedrohung, die sich zu einer spannenden Geschichte entwickelte.

Fazit:
Ich konnte den Roman kaum aus der Hand legen und ich kann es kaum erwarten, bis ihr nächstes Buch erscheint.
5/ 5

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Veröffentlicht am 17.09.2023

Meisterwerk

Das achte Leben (Für Brilka)
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DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA)
Nino Haratischwili

Chronologisch erzählt Niza ihre Familiengeschichte für Brilka:
Angefangen beim Ururgroßvater, dem Mann, der einst ein Geheimrezept aus dem Westen mit nach ...

DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA)
Nino Haratischwili

Chronologisch erzählt Niza ihre Familiengeschichte für Brilka:
Angefangen beim Ururgroßvater, dem Mann, der einst ein Geheimrezept aus dem Westen mit nach Georgien brachte. Er konnte die beste heiße Schokolade der Welt zubereiten. Doch die Schokolade war verflucht und so bot er sie damals in seiner florierenden Konfiserie nicht an. Er war ein reicher Mann - nur mit den männlichen Nachkommen wollte es nicht klappen. Er bekam „nur“ drei Mädchen (ein Phänomen, das sich durch alle weiteren Generationen durchziehen sollte).
Als der Zar in Russland gestürzt wurde und die Bolschewiken ihm, dem reichen Schokoladenfabrikanten, seine Konfiserie wegnahmen, ging es bergab mit den glücklichen Tagen und dem Leben, an denen nie etwas fehlte.
Wir begleiten seine Nachkommen - weitere fünf Generationen, die fast alle weiblich sind, sich fast immer in den falschen Mann verlieben und einen Hang zum Trinken haben. Aber das Ungewöhnlichste an ihnen war die Neigung, immer „anders zu sein“ und das konnte Mutter Russland nur schlecht ignorieren.

Nino Haratischwili nimmt uns mit ins 20. Jahrhundert, führt uns schonungslos durch Demonstrationen, Revolutionen und zwei Weltkriege. Dabei gibt sie uns einen tiefen Einblick in die Geschichte Georgiens, gekoppelt an die Macht der Sowjetunion.

Was für ein Buch! Haratischwili ist Meisterin im Geschichtenerzählen. Geschickt verwebt sie unterschiedlichste Geschichten miteinander, greift Erzählstränge auf, die erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst werden, und zwischendurch kommt sie ins Hier und Jetzt zurück. Dabei vergisst sie nie und zu keinem Zeitpunkt einzelne Personen, die auf einmal in den Hintergrund gerutscht waren. Jeder dieser Person bekommt seine Lebensgeschichte zu Ende erzählt. Großartig! Als ich das Buch zuschlug, hatte ich Gänsehaut.

Fazit:
Großes Kino auf 1279 Seiten und unbedingt viel Schokolade fürs Lesen bereithalten.
5+/ 5

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Veröffentlicht am 15.09.2023

Wenn das Unausgesprochene ausgesprochen wird.

Geschwister im Gegenlicht
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GESCHWISTER IM GEGENLICHT
Sabine Bode

… ist die Geschichte des ungleichen Geschwisterpaars Sonja und Rolf - beide in der Nachkriegszeit geboren, doch während der Ältere der Liebling der Mutter war, wurde ...

GESCHWISTER IM GEGENLICHT
Sabine Bode

… ist die Geschichte des ungleichen Geschwisterpaars Sonja und Rolf - beide in der Nachkriegszeit geboren, doch während der Ältere der Liebling der Mutter war, wurde Sonja von ihrer Mutter geschlagen und gequält.
Als Sonja erwachsen wurde, brach sie deshalb den Kontakt zu ihrer Mutter ab.
Mit ihrem 3 Jahre älteren Bruder hatte sie nie ein inniges Verhältnis, deshalb schrieben sie sich lediglich zu den Geburtstagen und Weihnachten Karten mit guten Wünschen. Seine drei Töchter, ihre Nichten, hatte sie nie richtig kennengelernt.
Sonja und ihr Mann Karl wollten selber keine eigenen Kinder. Sie hatten sich Kindeserziehung nie zugetraut und Sonja wollte die Fehler ihrer Mutter auf keinen Fall wiederholen.

Jetzt, nachdem Karl verstorben ist, mietet sich Sonja an der Ostsee ein kleines Apartment, um mal wieder ein wenig durchzuatmen.
Doch ihre ersehnte Ruhe wird gestört, indem sich ihr Bruder Rolf mit seiner jüngsten Tochter Nina für einen Besuch anmeldet.
Mit diesem Besuch beginnen die lang überfälligen Annäherungen der Geschwister und die Aufarbeitung der Vergangenheit.
Beide Geschwister haben unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweisen auf ihre Erziehung, Eltern und ihrer verbrachten Kindheit. Das eine oder andere ist dem Geschwisterkind sogar entgangen und blieb komplett unbemerkt.
Ganz langsam stellen sie sich der Tatsache, dass ihre Eltern aktive und stolze Nazis im 2. Weltkrieg waren.
Doch diese erschreckende Tatsache ist nicht die Einzige, die endlich angesprochen wird.

In dieser Geschichte steckt viel mehr, als man zu Beginn vermutet. Es ist ein Buch, was aufzeigt, wie Unausgesprochenes zu Missinterpretationen und Vorurteilen führen kann.

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen und die Sprecherin des Hörbuchs, Helma Michel, hat dem Buch eine wundervolle Stimme gegeben.
Sehr hörenswert!
4/ 5

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Veröffentlicht am 11.09.2023

Gewaltige Geschichte!

Das Ende ist nah
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DAS ENDE IST NAH
Amir Gudarzi

Im Mittelpunkt der Geschichte steht A., der 2009 aus dem Iran floh, um politisches Asyl in Kanada zu suchen. So weit kam er jedoch nicht: A. fand sich in Österreich wieder ...

DAS ENDE IST NAH
Amir Gudarzi

Im Mittelpunkt der Geschichte steht A., der 2009 aus dem Iran floh, um politisches Asyl in Kanada zu suchen. So weit kam er jedoch nicht: A. fand sich in Österreich wieder - von den Schleppern betrogen.
A. studierte in Teheran Szenisches Schreiben und hatte im zarten Alter von 19 Jahren die ersten Aufträge erhalten. Damals hatte er bereits eine Verwarnung für ein anti-islamisches Bühnenstück erhalten, schlug diese aber in den Wind. Später schrieb er für das Fernsehen ein weiteres religiöses Werk, das erneut gegen das Mullah-Regime aufwiegelte. A. blieb nichts anderes übrig, als Teheran zu verlassen.

In Österreich beantragt er politisches Asyl. Die ersten Monate verbringt er im Auffanglager Traiskirchen. Sein stetiger Begleiter sind Hunger, Langeweile und Gewalt unter den Asylbewerbern. Mit seinen Landsmännern will er deshalb nichts zu tun haben.

In Rückblicken erzählt er von seiner Kindheit, Jugend und dem Erwachsenwerden, geprägt von Demütigungen durch männliche Erwachsene und Familienmitgliedern.
Vergewaltigungen an Jungs waren an der Tagesordnung, die Frauen wurden gesteinigt und ausgepeitscht.

Doch auch im nächsten Asylantenheim fühlt A. sich nicht besser aufgehoben: Diebstahl, Ablehnung, Vorurteile anderen Nationalitäten gegenüber innerhalb des Asylantenheims und die permanente Gewaltbereitschaft untereinander sind auch hier an der Tagesordnung. Hinzu kommt, dass die Einwohner des Dorfes die Flüchtlinge ablehnen und geringschätzig behandeln.
Mit wenig Geld in der Tasche versucht A. sich so oft wie möglich nach Wien abzusetzen. Dort lernt er die deutsche Sarah, die auch Farsi spricht, kennen. Sie hilft ihm, indem sie dolmetscht, ihn nach Hause einlädt und ihm Geld gibt.
Doch die Beziehung zu Sarah gestaltet sich als schwierig:

„Ich will ihre Nähe, einen Platz zum Schlafen, ihre Hilfe und manchmal nur etwas zu essen. Sie hingegen will Zuneigung, Liebe, eine Beziehung. Wir leben in zwei Welten nebeneinander, nur haben wir es lange nicht gemerkt.“

Als dann der Asylantrag abgelehnt wird, muss A. für sich eine Entscheidung treffen.

Ein Buch, das mich mit gemischten Gefühlen zurücklässt:
Diese Geschichte muss erzählt werden. Ich konnte die Verzweiflung von A. sehen und spüren und habe mit ihm gelitten. Diese Gewalt im Iran hat mich wahnsinnig erschreckt, erst hatte ich das Gefühl, das Buch abbrechen zu müssen.
Wie schwer muss es sein, mit so wenig Geld und ständigen Hunger zurechtzukommen und warum wird kein keinen Deutschunterricht angeboten?!
Trotzdem konnte ich auch Reaktionen anderer Menschen im Buch nachempfinden. Nähkästchen auf: Ich nehme auch keine fremden Männer in meinem Auto mit, die am Wegesrand stehen (Nähkästchen zu). Und wenn ER schon Angst vor seinen eigenen Mitbewohnern hat, wie soll die Frau im Auto wissen, ob da jetzt der nette A. steht, der mitgenommen werden will und keiner Fliege etwas zuleide tut oder ob er böse Absichten verfolgt?
Während ich zu Beginn von der Brutalität abgeschreckt war, so störte mich zum Schluss die aufdringliche Sarah.

Fazit:
Eine wichtige Geschichte, in einer wunderbaren Sprache erzählt, die ich aber wegen der großen Gewalt nur semi-gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 08.09.2023

Nachkriegsgeschichte

Glückskinder
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GLÜCKSKINDER
Teresa Simon

April 1945:

Die Holländerin Griet van Mook kämpfte im Widerstand gegen die Nazis und wurde gefasst. Man deportierte sie in ein Konzentrationslager, einige Male wurde sie verlegt. ...

GLÜCKSKINDER
Teresa Simon

April 1945:

Die Holländerin Griet van Mook kämpfte im Widerstand gegen die Nazis und wurde gefasst. Man deportierte sie in ein Konzentrationslager, einige Male wurde sie verlegt. Jetzt befindet sie sich auf dem letzten Gewaltmarsch vom KZ-Außenlager Giesing nach Wolfratshausen. Keiner weiß, ob sie diesen Marsch überleben werden, Gerüchte über Todesmärsche hatten bereits die Runde gemacht.
Nach mehreren Tagen ohne Essen und Wasser erreichen sie hungrig, abgemagert und vollkommen entkräftet Wolfratshausen. Nur ein paar Tage später werden sie von den amerikanischen Soldaten befreit.
Der amerikanische Captain Dan hat es Griet besonders angetan. Er rettet ihre schwer erkrankte Freundin und versorgt diese mit Medizin.
Als Dan nach München versetzt wird, beschließt Griet nicht in ihre Heimat zurückzukehren, sondern auch nach München umzusiedeln. Doch Wohnungen und Jobs sind fast keine mehr vorhanden. Nur Captain Dan ist es zu verdanken, dass sie eine Arbeits- und Wohnbescheinigung bekommt.

Tonis Familie würde auf der Straße stehen, wenn Großtante Vev sie nicht aufgenommen hätte. Ihr Vater kämpfte in Russland und gilt als vermisst, ihr Bruder ist noch in französischer Kriegsgefangenschaft.
Die Enge der Wohnung setzt der Familie zu, zumal auch noch ihre Tante mit deren erwachsenen Sohn bei der Großtante Vev lebt.
Die Familie hat nichts zu Essen und kämpft ums Überleben, als zu allem Unglück auch noch Amerikaner vor der Tür stehen und ein Zimmer für eine fremde Frau zum Wohnen beschlagnahmen.

Glückskinder sind die Überlebenden im Krieg.
Auch als der Krieg vorbei war, fehlte es an allem. Der tägliche Hunger zermürbte ganz Deutschland. Die Schwarzmärkte boomten. So auch der in der Münchener Möhlstrasse. Ein Kilo Bohnenkaffee kostete 1946 zwischen 450 und 600 Mark.
Teresa Simon hat es außerordentlich gut verstanden, die großen Entbehrungen nach dem Krieg zu schildern. Der Hunger war allgegenwärtig im Buch.

Ein Buch, das man in die Hand nimmt und gar nicht zur Seite legen kann, bis es dann ausgelesen ist. Das Ende war mir ein wenig zu „Happy End“.
Eine Geschichte über zwei starke Frauen in der Nachkriegszeit. Sehr zu empfehlen.
4½/ 5

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