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Veröffentlicht am 26.04.2024

Highlight!

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Michael Magee

Obwohl der 22-jährige Sean einen Bachelor in englischer Literatur hat, findet er keine Arbeit. Er wäre schon mit einem Job in einem Café zufrieden, doch der Arbeitsmarkt in ...

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Michael Magee

Obwohl der 22-jährige Sean einen Bachelor in englischer Literatur hat, findet er keine Arbeit. Er wäre schon mit einem Job in einem Café zufrieden, doch der Arbeitsmarkt in Nordirland ist tot. Und so hängt er ab - wohnt in einer verschimmelten Wohnung, die eh bald zwangsgeräumt wird, zieht sich Koks-Linien rein und besäuft sich mit seinen Kumpels fast täglich.
Das ganze eskaliert, als er einen jungen Mann bewusstlos und krankenhausreif prügelt und vor Gericht kommt.

Die Nachwirkungen des Nordirlandkonflikts sind in Belfast allgegenwärtig: Väter und Mütter sind seit Jahren arbeitslos, die häusliche Gewalt und der Alkoholmissbrauch sind enorm. Selbst die junge Generation, die den Konflikt wenn überhaupt nur am Rande miterlebt hat, ist ohne Perspektive. Schlecht bezahlte Aushilfsjobs ohne Krankenversicherung und Urlaubsanspruch, Drogenexzesse und Kneipeneskalationen sind an der Tagesordnung.

„Ich hatte es selbst gesehen, aber ich hätte niemals vor irgendwem ein Wort darüber verloren, selbst wenn er es wüsste oder genauso gesehen hätte. Denn wenn man über die Ma oder den Da von jemanden redet und von den Nöten, die sie oder er mit sich rumträgt, dann redet man über sie alle, und meistens auch über die eigenen, und schlimmer, als den Da von irgendwem an der Ecke vor dem Schnapsladen rumlungern zu sehen, wo er auf jemanden wartet, der für ihn reingeht, weil er Hausverbot hat, oder die Ma von jemanden um drei Uhr nachmittags hinten in einen aufgemotzten Supra steigen und ein paar Stunden später so wiederkommen zu sehen, dass sie kaum noch stehen kann, ist nur, es als das zu hinzunehmen, was es ist, und nicht als etwas, was man hin und wieder aus dem Augenwinkel sieht und ignoriert, so gut es geht“. (S. 195)

Es geht um das trostlose Leben in Nordirland, wo nicht nur Arm und Reich die Gesellschaft spalten, sondern auch die Nachwirkung mit all seinen Traumata, die die IRA mit dem Nordirlandkonflikt hinterlassen hat, und um den Weg, den man finden muss, um dort herauszukommen.

Ob Sean den Weg findet, müsst ihr selbst herausfinden.

Wow, was für ein weiteres großartiges Buch aus dem Hause Eichborn. Ich muss es ja zugeben, aber das Cover hat mich abgeschreckt. Niemals hätte ich vermutet, dass sich ein Highlight hinter diesem Gebiss verbirgt.
Michael Magee hat ein erschütterndes und eindringliches Debüt geschrieben. Dabei hat er die Charaktere und das Set so gnadenlos ehrlich gezeichnet, dass ich gefühlt auf jeder Party dabei war.
Für mich hätte das Buch noch gerne 500 Seiten mehr haben dürfen, zu gerne hätte ich Sean weiter begleitet.

Supergroße Leseempfehlung von mir! Und alle, die Shuggie Bain geliebt haben, werden dieses Buch verschlingen.
5+/ 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.04.2024

Ein Buch zum Nachdenken

Tiere, vor denen man Angst haben muss
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TIERE VOR DENEN MAN ANGST HABEN MUSS
Alina Herbig


Madeleine zog als 6-Jährige mit ihrer Familie von Lübeck in die mecklenburgische Provinz. Die Mauer war gerade gefallen und ihre Mutter wollte vor dem ...

TIERE VOR DENEN MAN ANGST HABEN MUSS
Alina Herbig


Madeleine zog als 6-Jährige mit ihrer Familie von Lübeck in die mecklenburgische Provinz. Die Mauer war gerade gefallen und ihre Mutter wollte vor dem westlichen Kapitalismus fliehen.
Ihr Vater, einst Grüne-Vorsitzender in Lübeck, hatte nichts dagegen, war aber auch nicht dafür.
Sie kauften einen baufälligen Hof ohne fließend Wasser. Die Küche bestand aus einem alten Ofen und im Garten gab es ein Plumpsklo.
Für eine Renovierung fehlte das Geld, doch das störte nicht, denn Mutter fand die vier Kinder eh zu verwöhnt. Regenwasser könne man ja auch abkochen und trinken.
Ein Jahr später verschwand erst der Vater, dann die Brüder - zurück blieben nur sie, Mutter und ihre jüngere Schwester Ronja ...

Heute hatte sich die Wohnsituation nicht verändert, außer dass im Laufe der Jahre Tiere eingezogen waren. Im „Katzenzimmer“ leben Wildkatzen und die alte Auslegware stinkt unerträglich nach Urin. Diverse Hunde findet man im ganzen Haus - auf dem Tisch, im Bett der Mutter oder auf der Fensterbank, wo sie die Scheiben zerkratzen. Außerdem gibt es Ziegen, Wildschweine, Ratten und Hunderte von Mäusen, die die Holzbalken der Scheune anknabbern.
Während das vernachlässigte Haus nicht beheizt wird, die Mädchen frieren und nichts zu Essen haben, kümmert sich die Mutter liebevoll und aufopferungsvoll um alle Tiere. Wegen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bei einer Tierorganisation ist sie selten zu Hause und überlässt die Mädchen sich selbst.
Doch statt sich aufzulehnen und sich über die Vernachlässigung zu beschweren, halten die Mädchen zusammen und übernehmen Verantwortung.

Ganz wunderbar hat es Alina Herbig verstanden, Charaktere und einen Lebensumstand zu beschreiben, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellen. Ich hatte das Gefühl, vor Ort zu sein. Sah den Hof direkt vor mir, konnte den Katzenurin förmlich riechen. Die Kälte war so eindringlich beschrieben, dass ich mir hier im 36 Grad warmen Thailand fast eine Wärmflasche gemacht hätte. Ganz wunderbar.
Außerdem habe ich den lieben Ton zwischen den Geschwistern geschätzt. Nur das Ende hätte ich mir anders gewünscht.

Fazit:
Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und ich sehr gerne gelesen habe.
4/ 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.04.2024

Feinste Kriminalliteratur

Allmen und Herr Weynfeldt
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ALLMEN UND HERR WEYNFELDT
Martin Suter

Johann Friedrich von Allmen, kurz Allmen genannt, ist ein charmanter Lebemann, der einst ein Vermögen besaß, eine Villa bewohnte und nie auf Geld achtete.
Zu Allmens ...


ALLMEN UND HERR WEYNFELDT
Martin Suter

Johann Friedrich von Allmen, kurz Allmen genannt, ist ein charmanter Lebemann, der einst ein Vermögen besaß, eine Villa bewohnte und nie auf Geld achtete.
Zu Allmens Leidwesen ist von seinem Vermögen nichts geblieben - alles ist verbraucht - was ihm im übrigen nicht daran hindert, das mittlerweile geliehene Geld mit vollen Händen auszugeben - da kann eine Flasche Wein schon einmal 1000 Franken kosten …
Zum Glück darf er in Restaurants anschreiben und ihm fallen einige Tricks ein, wie man Leute dazu bringt, ihn einzuladen. Der sympathische Allmen ist so gewandt, dass zu guter Letzt immer ein warmer Regen kommt, der ihm Geld in die Taschen spült.
In diesem Roman lernt er Herrn Adrian Weynfeldt kennen. Ein aparter Herr, der die gleichen Dinge wertschätzt, wie er selbst und zum Glück steinreich ist.
Einige Tage später, nach einer Dinnerparty, wird Herrn Weynfeldt ein Gemälde eines großen Meisters gestohlen. Da trifft es sich hervorragend, dass Allmen mit seinen Latino-Hausangestellten Maria und Ehemann Carlos eine Firma betreibt, die sich "Allmen Int. Inquiries" nennt.
Gerne nimmt Allmen die Untersuchung auf, um das gestohlene Gemälde zu finden, doch leider steht der engste Freundeskreis von Herrn Weynfeldt im Fokus seiner Ermittlungen, was wiederum Herr Weynfeldt nicht besonders wertschätzt ...

Wenn Martin Suter einen Krimi schreibt, kann dieser nur elegant, charmant und sehr fein sein.
Das ganze Buch lebt von dem geschmeidigen Charakter Allmens, der sich so gar nicht um seine Finanzen und seine veränderte Lebenssituation kümmert. Ein Genussmensch durch und durch, der einen eloquenten Geschmack für einen guten Tropfen besitzt und das macht ihn in meinen Augen noch sympathischer.
Wer allerdings Spannung sucht, der ist hier falsch. Einen Spannungsbogen gab es nicht und für meinen Geschmack kam auch das Ende ein wenig zu schnell.
Dennoch feinste Kriminalliteratur.
4/ 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.04.2024

Großartiges Buch!

Was das Meer verspricht
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WAS DAS MEER VERSPRICHT
Alexandra Blöchl

Vida lebt mit ihren Eltern auf der kleinen Insel N. Ihr Bruder Zander kehrte der Insel vor Jahren den Rücken, ihm war die kleine Insel zu eng geworden; jeder kannte ...

WAS DAS MEER VERSPRICHT
Alexandra Blöchl

Vida lebt mit ihren Eltern auf der kleinen Insel N. Ihr Bruder Zander kehrte der Insel vor Jahren den Rücken, ihm war die kleine Insel zu eng geworden; jeder kannte jeden. Geheimnisse wurden mit der ganzen Insel geteilt.
„Es war schwer, ein Geheimnis zu bewahren. Man musste es sehr tief vergraben, damit es kein anderer fand.“ (S. 39)
Aber Vida war anders als ihr Bruder. Die Enge der Insel störte sie nicht und sie hatte auch keine Geheimnisse. Vida war angepasst, lief immer nur auf den ausgetretenen Wegen der anderen und war seit der Schulzeit mit ihrem Jugendfreund Jannis zusammen. Im kommenden Sommer wollen sie heiraten.

Doch Vidas strukturiertes Leben ändert sich abrupt, als Marie in das Nachbarhaus einzieht. Zum ersten Mal in ihrem Leben steht dieses Kopf - ihr Körper und Geist verselbstständigen sich und ihre Gedanken wandern immer wieder zu dieser interessanten Frau, die im Meer mit einem Meerjungfrau Kostüm schwimmt und so ganz frei und unabhängig wirkt. Vida stellt ihr ganzes Leben infrage und tut Dinge, die sie sich nie hätte vorstellen können. Sie erlebt die schönsten Tage ihres Lebens.
Doch dann kehrt Zander auf die Insel zurück und bringt Vidas Leben erneut völlig aus dem Gleichgewicht …
„Wie viel Macht der Schmerz über uns hat. Er bringt uns dazu, uns nur noch auf diesen einen Punkt zu konzentrieren, nichts anderes mehr fühlen, und wenn doch, dann ist es eingehüllt von seinem Schwarz. Er dezimiert uns. Er macht uns zu dem, was wir nie sein wollten." (S. 197)

Was für ein schönes Buch!
Während der Beginn des Buches seicht und langsam plätscherte und mich noch der Geruch des Salzwassers beschäftigte, zog mich Alexandra Blöchl in eine fesselnde Geschichte hinein, von der ich zwei Tage nicht mehr auftauchen wollte.
Das Setting, die Stimmung, das klare Meer, die salzgeschwängerte Luft - all das konnte ich erleben und genießen.
Der Schreibstil ist klar und flüssig, das Ende heftig, denn "Liebe und Hass liegen nah beieinander. So nah, sie könnten Liebende sein.“ (S. 210)

Dieser Roman ist meine Leseempfehlung für euren Urlaub!
5/ 5

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.04.2024

Geruch nach Sonne und me(e/h)r

Treibgut
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TREIBGUT
Adrienne Brodeur

Die Familie Gardner besitzt ein kleines Haus am in Cape Cod. Abby und Ken sind dort aufgewachsen und waren einer der wenigen, die nicht nur für die Sommermonate kamen.
Jetzt ...

TREIBGUT
Adrienne Brodeur

Die Familie Gardner besitzt ein kleines Haus am in Cape Cod. Abby und Ken sind dort aufgewachsen und waren einer der wenigen, die nicht nur für die Sommermonate kamen.
Jetzt lebt Familienoberhaupt und Meeresbiologe Adam dort alleine. Seine Liebe des Lebens, die Künstlerin und Mutter seiner zwei Kinder starb bereits vor 40 Jahren. Er selbst wird bald seinen 70. Geburtstag feiern und da er auch an diesem Tag seine Pension antreten wird, ist es sein größter Wunsch seiner Nachwelt noch eine weitere Entdeckung zu hinterlassen. Zu diesem Zweck setzt er seine Medikamente ab, die seine bipolare Störung normalerweise eindämmen.

Sohn Ken ist ein Paradebeispiel für Amerikas glückliche Familie: Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der eine politische Karriere anstrebt. Seine Frau ist ein Organisationstalent und übertrifft ihre Dinnerparties von Mal zu Mal. Ihre Eltern sind reich und unterstützen den Schwiegersohn gerne. Doch auch in dieser heilen Familie gibt es so einige Geheimnisse.

Abby ist Künstlerin und hat das Talent ihrer verstorbenen Mutter geerbt - leider jedoch nicht ihr Atelier. Das ganze Erbe ging an Sohn Ken, und so ist sie noch immer auf die Gnade ihres Bruders angewiesen. Ihre Beziehung zu Bruder Ken war einst sehr intensiv, bis der große Bruch kam. Ihr neuestes Bild stellt ein Trauma der Kindheit dar.

Und dann ist da noch eine Frau auf der Suche nach ihrem biologischen Vater, die andauernd im Dunstkreis der Familie Gardner auftaucht.

Adrienne Brodeur lässt all diese Familienmitglieder und andere Freunde nacheinander zu Worte kommen. Ganz langsam heizt sich die Stimmung auf, bis es am Geburtstag von Adam zu einem großen Eklat kommt.

Ein wirklich gutes Buch, das ich sehr gerne gelesen habe. Die gute Struktur des Buches hat mich über ein paar Klischees hinweggetragen.
4/ 5

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