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Veröffentlicht am 16.10.2025

Eindringlicher Roman

Die Schrecken der anderen
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„Bei undurchsichtigen Geschichten geht es oft um Ausdauer. Und um die richtigen Handlungsträger. Es braucht immer einen Helfer wie auch einen (…) Helden.“

Was sich auf den ersten Seiten (ohne den Klappentext ...

„Bei undurchsichtigen Geschichten geht es oft um Ausdauer. Und um die richtigen Handlungsträger. Es braucht immer einen Helfer wie auch einen (…) Helden.“

Was sich auf den ersten Seiten (ohne den Klappentext zu beachten) als ein klassischer Kriminalfall darstellt, taucht bald tief in die Vergangenheit ein und fragt nach Schuld, versucht das Dunkel der Geschichte zu beleuchten und schlägt einen erschreckenden und wahren Bogen in unsere Zeit.

Ein Junge findet in einem Schweizer Örtchen einen Toten im Eis. Der eilig herbeigerufene Archivar, der die Echtheit der Leiche bestätigen soll, wird von den Ereignissen verschlungen. Rosa, eine Seniorin aus dem Wohnwagen in der Nähe, schließt sich mit ihm zusammen und ermittelt. Da ist Kern, der in einer gescheiterten Ehe lebt und obendrein seine beinahe 100jährige Mutter zuhause hat - bettlägerig und trotzdem die Spinne im Netz von weitreichenden Ereignissen.

Sobald man die erste Schicht des Krimis vom Roman abgekratzt hat, offenbart sich ein düsteres Stück der Vergangenheit - Clavadetscher hat über die Nazikonten geschrieben, über die Rolle der Schweiz in diesem Geldtransfer und über deren Nachfahren. Und über das Heute. Und darüber, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben.

Das Duo aus dem unter Angstzuständen leidenden Archivar Schibig und Rosa muss man einfach gern haben. Sie sind ein schrulliges Duo, doch insbesondere hinter Rosa steckt mehr als der Lesende zunächst vermutet. Ich mochte die Kapitel mit den beiden sehr - werden sie doch von einem anfänglich geteiltem Kaffee zu Freunden über das Buch hinweg, was beide eigentlich schon lange gebraucht haben, aber besonders Schibig sich nie eingestehen wollte. Die Gespräche zwischen den beiden waren für mich ein Highlight des Buches - auch der Stil, in der zB. Rückblenden von ihm gehalten waren. Man merkt, dass die Autorin da einen besonderen Kunstgriff angewandt hat um, das Stück der Geschichte noch mal besonders hervorzuheben.

Kern habe ich immer als eine Figur am Rande des Abgrunds empfunden. Es war ein Drahtseilakt zwischen seiner psychotischen Mutter, dem unerfüllten Kinderwunsch von Hanna und ihm und der Traurigkeit, die anstelle ihrer Liebe getreten ist. Kern lieferte einen wichtigen Baustein - er hatte Zugang zur oberen Bevölkerungsschicht und die Erkenntnisse haben mir einen Schauer über den Rücken laufen lassen.

Ckavadetscher stellt immer die Frage in den Vordergrund, ob wir weiter Wegschauen wollen. Ob wir stumm dulden wollen, was vor unseren Augen geschieht. Ob wir nicht aus dem Schrecken der anderen gelernt haben - das ist die eindringlichste Frage, die „Die Schrecken der Anderen“ an uns stellt.

Dass man so ein Werk nicht ohne ein solides Konstrukt erzählen kann, ist mir klar. Trotzdem haben für mich die Verstrebungen und Anker an manchen Stellen zu sehr durchgeschimmert, insbesondere an den Punkten, an denen sich die beiden Erzählperspektiven verschränken, auch im Bezug auf die Vergangenheit.

Clavadetscher hat einen eindringlichen und besonderen sprachlichen Stil, den ich teilweise sehr gelungen fand, manchmal auch sehr passend zur jeweiligen Situation und Figur. Doch richtig gebrannt habe ich für ihren Stil nur an wenigen Stellen.

Ein eindringlicher Roman, der eine beklemmende Atmosphäre webt und uns immer wieder daran erinnert, das Wegschauen auch Schuld gebiert. Die Themen sind historisch und aktuell wie nie, auch wenn der Roman für mich kein Highlight war, nehme ich trotzdem einiges daraus mit.

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Veröffentlicht am 16.10.2025

Ein Epos geschrieben mit Blut

Kreuzfahrer
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„Ein Epos, geschrieben mit Blut.“ - das waren die Kreuzzüge. Eindrucksvoll, grausam und unglaublich unterhaltsam wohlgemerkt zusammengefasst von Dan Jones - der schon zahllose Sachbücher über das Mittelalter ...

„Ein Epos, geschrieben mit Blut.“ - das waren die Kreuzzüge. Eindrucksvoll, grausam und unglaublich unterhaltsam wohlgemerkt zusammengefasst von Dan Jones - der schon zahllose Sachbücher über das Mittelalter und einige Romane geschrieben hat. Einige habe ich gelesen - natürlich durfte dieses Werk, in dem er sich mit den Kriegen um Macht, Land, Religion und dem Einfluss von den christlichen, päpstlich sanktionierten Heeren gegen die vermeintlichen Feinde Christi im Heiligen Land widmet.

Ich habe zugegeben schon viele Romane über die Kreuzzüge gelesen, einige (romantisierte) Filme gesehen - und mich köstlich unterhalten. Über ein Sachbuch hatte ich mir jedoch noch keinen Zugang zu diesem Thema verschafft. Da ich Dan Jones’ Stil Wissen zu vermitteln sehr schätze, habe ich mich gerne auf die lange Reise begeben.

Das Buch teilt sich auf in drei große Abschnitte: Der erste Abschnitt behandelt die Zeit, in der sich viele Denkweisen, Aktivitäten und Kriegstechniken, die die Kreuzzüge maßgeblich beeinflussten, entwickelten und gipfelt im Fall Jerusalems. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit dem Wachstum und der Entwicklung der Kreuzfahrerstaaten im 12. Jahrhundert und der Ausdehnung mit den Konflikten auf der spanischen Halbinsel und der Ostseeküste. Der dritte Abschnitt beschreibt schließlich den verzweifelten Versuch, die Kreuzfahrerstaaten zurückzuerobern und ihren letztendlichen Zerfall. Besonders spannend war für mich das Nachwort. Was bleibt von den Kreuzzügen? Wird der Kreuzzugsgedanke noch immer in der Sprache gebraucht? Wie mächtig, wie gefährlich sind die Verklärungen, die die Kreuzzüge erfahren haben, in unserer heutigen Moderne?

Wie schon erwähnt mag ich Jones Art zu erzählen und uns Sachverhalte näher zu bringen, die oft sperrig erscheinen mögen. Sachbücher sind oft als staubige Lektüre verschrien, doch hier kann ich eine ganz klare Empfehlung aussprechen. Dan Jones legt großen Wert darauf, uns zu unterhalten und das Wissen nebenbei zu vermitteln, ohne dass es beliebig erscheint. Er beschreibt uns historische Persönlichkeiten, Märtyrer oder Helden, Schurken und Heilige und erklärt an ihnen die Besonderheiten der Kreuzzüge, die Entwicklung der Kriegsmaschinerie und die Lebensweise und Gründe, die die Menschen dafür hatten, um den unglaublichen Weg ins Heilige Land auf sich zu nehmen. Dadurch bleibt unser Blick auf die Kreuzzüge nicht eindimensional, sondern hat viele Facetten.

Viele Karten, historische Bilder und Aufnahmen der Grabeskirche zum Beispiel und Personenregister illustrieren das Buch zusätzlich und machen begreifbar, was für Anstrengungen die Menschen auf sich genommen haben um Erlösung von ihren Sünden zu erlangen.

Eines wird überdeutlich in diesem Buch: Die Kreuzzüge wurden bestimmt von Leid und Hass, von Gier und Verzweiflung und dem Sehnen nach Erlösung.

Ich habe dieses Buch über weite Strecken gehört - vertont wurde es herausragend von Stefan Kaminsky

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Veröffentlicht am 11.10.2025

Jetzt sind wir endlich eine richtige Familie!

Wild Strawberry 01
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„Jetzt sind wir endlich eine richtige Familie.“

Die Thematik von „Wild Strawberry“ ist nicht neu. Ein Virus überzieht die Welt, Pflanzen verschlingen die Zivilisation und erobern zudem die Körper der ...

„Jetzt sind wir endlich eine richtige Familie.“

Die Thematik von „Wild Strawberry“ ist nicht neu. Ein Virus überzieht die Welt, Pflanzen verschlingen die Zivilisation und erobern zudem die Körper der Menschen. Doch das besondere an diesem Manga sind eindeutig die beiden Protagonisten Kingo und Kayano. Die beiden schlagen sich durch ein von Pflanzen überwuchertes Tokio. Kingo hält immer eine schützende Hand über die jüngere Kingo. Diese birgt ein Geheimnis, das nur Kingo kennt. In ihr wächst eine Jinka, ein parasitärer Organismus, der sich von den Nährstoffen des Wirtes nährt. Irgendwann wird sie erblühen - und der Wirtskörper wird das Erblühen nicht überleben.

Die Geschwisterbeziehung von Kingo und Kayano hatte mich vin den ersten paar Seiten an. Die beiden, im Waisenhaus aufgewachsen, halten zusammen wie Pech und Schwefel und Kingo will seine kleine Schwester immer nur beschützen. Dieses starke Band besteht durch den gesamten ersten Band hindurch und hat mich berührt. Der Gedanke, seine kleine Schwester zu retten, steht immer im Raum.

Das Erblühen der Pflanzen und der Schutz der Bevölkerung ist keine unblutige Angelegenheit. Die „Flower Funeral Force“ hat sich in anarchischen Strukturen bemächtigt und löscht alles aus, was auch nur entfernt zu blühen versucht. Sie hinterlassen eine Spur aus Blut und Vernichtung. Dieser starke Gegensatz zwischen Blut und Vernichtung und der starken Beziehung begleitet mich durch den Manga und fasziniert mich.

Die Zeichnungen sind atemberaubend detailgetreu. Vor manchen Vollformatzeichnungen saß ich minutenlang und habe sie angestarrt, da ich immer etwas neues darauf entdecken konnte. In den Zeichnungen erkennt man wirklich jeden Strich - und den Stil mag ich sehr.

Ein toller Auftakt, der mich hungrig auf mehr macht. Ich freue mich schon auf den zweiten Teil.

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Veröffentlicht am 08.10.2025

Herzzerreißender Spiegel auf Amerika

Der Kaiser der Freude
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„Aber hab keine Angst vor dem Leben. Das Leben ist gut, wenn wir einander Gutes tun.“

„Der Kaiser der Freude“ ist ein Buch voller Ohnmacht und Alltäglichkeit, von den Schwierigkeiten und Freuden des ...

„Aber hab keine Angst vor dem Leben. Das Leben ist gut, wenn wir einander Gutes tun.“

„Der Kaiser der Freude“ ist ein Buch voller Ohnmacht und Alltäglichkeit, von den Schwierigkeiten und Freuden des Alltags. Von Freundschaft - ganz egal in welcher Form und dem Fünkchen Licht, das in jeder Dunkelheit existiert. Genauso ist es ein Roman ohne erkennbares Ziel. Es fühlt sich so an, als würden wir Hai, selbstmordgefährdet und medikamentenabhängig, fürsorglich und warmherzig, nur ein Stück auf seinem Weg begleiten. Und das schmerzt - gerade weil sein Schicksal so prekär wie offen ist.

Hai lebt in einer heruntergekommenen Kleinstadt in New England - und sein Leben liegt in Scherben bis ihn Grazina, eine alternde immigrierte Überlebende aus dem 2. Weltkrieg, deren eigene Geister in ihrem Kopf immer stärker werden, vor dem Freitod rettet. Er zieht bei ihr ein, wird der Pfleger der an Demenz erkrankten Damen und beginnt in einem Diner zu arbeiten. Nicht dass Grazina alle Scherben wieder zusammenpuzzlen wird, nein, dass nicht. Aber sie zeigt die Schönheit im eines einzelnen Bruchstücks

Mich hat die wachsende Beziehung zwischen dem jungen Hai und der über 80 Jährigen sehr berührt. Mit jeder Seite, voller Gesprächen der beiden, mal vollkommen klar, mal überlagert von Grazinas Erinnerungen aus dem 2. Weltkrieg, die sich immer mehr in den Alltag schleichen, sind sie mir mehr ans Herz gewachsen. Ihre wachsende Freundschaft, ihr Lernen voneinander, fand ich sehr eindringlich beschrieben. Für mich sind die beiden und ihre kleinen Abenteuer das Herz des Romans.

Die Erzählung zentriert sich auf Hai, seine Depression und seine Tablettenabhängigkeit, seine Trauerbewältigung, seine Fehlschläge und sein eigenes Schuldbewusstsein für so viele Dinge, an denen er nur zum Teil die Schuld trägt. Manchmal ist das für den Lesenden selbst schwer zu ertragen.

Der zweite zentrale Aspekt ist Hais Job im Diner, sein Verhältnis zu seinen Kollegen und die sich hier entwickelnde Freundschaft. Das war das Gegengewicht zu seiner Beziehung zu Grazina, obwohl sich zwischen Grillhähnchen und Fertigkartoffelpüree auch eine feste Gemeinschaft entwickelt - sogar mit Spinatmissbrauch. Trotzdem hat mich das Diner nicht ganz so gefesselt - die Erzählung mäanderte vor sich hin (ich bin mir bewusst, dass das von Ocean Vuong gewollt war!). Trotzdem hat es mich ab und an verloren.

Alles in allem ein Roman, der grandiose Momente, weise Sätze und plastische Gedankenbilder in sich vereint - zu einem Plädoyer an das Leben und warum es wert ist, nicht aufzugeben.

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Veröffentlicht am 22.09.2025

Ausflug in die Geschichte Koreas

Die Kinder des Kaiserreichs 01
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Ich hatte die erste Dilogie, die in deutscher Sprache erhältlich war, von Yudori schon verschlungen und war ziemlich fasziniert. Da musste ich natürlich auch in ihre andere Reihe reinschnuppern - und dieses ...

Ich hatte die erste Dilogie, die in deutscher Sprache erhältlich war, von Yudori schon verschlungen und war ziemlich fasziniert. Da musste ich natürlich auch in ihre andere Reihe reinschnuppern - und dieses Mal geht es nach Korea in die ausgehenden 1920er Jahre. Eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit, in der Korea unter japanischer Herrschaft steht und immer mehr unter westlichen Einfluss gerät. Koreanische Sprache und Kultur werden unterdrückt. Eine spannende, brisante Zeit also! Und mitten drin folgen wir zwei Jugendlichen: Jun ist der Sohn eines gefallenen Landadligen, der gemeinsam mit seiner Mutter Zuflucht bei einem aufstrebenden Kaufmann in der Stadt gefunden hat. Dessen Tochter ist der Inbegriff einer modernen jungen Frau, die viele neidische Blicke auf sich zieht. Westlich gekleidet, westlich geschminkt, westliches Gebaren. Das sorgt dafür, dass sie nicht viele Freunde an der Schule hat.

Jun hat nur eines im Kopf. Wenn er den Schulabschluss hat, will er etwas erreichen. Dafür fokussiert er sich aufs Lernen. Da die beiden unter einem Dach wohnen, bekommt Jun unweigerlich viel von Arisas Lebensweise mit. Einerseits findet er ihr Verhalten erschreckend, andererseits ist er fasziniert. Die Anziehungskraft zwischen den beiden ist spürbar.

Deutlich merkt man den zentralen Konflikt, der sich sowohl durch die Beziehung der beiden Protagonisten zieht als auch durch das gesamte Korea. Die Spaltung zwischen Tradition und Moderne, zwischen westlichem Fortschritt und uralten Bräuchen wächst immer mehr und die Einwohner werden entweder in die eine oder andere Richtung gedrängt. Wut auf das Andersartige. Missgunst. Wir erleben Kinosäle, französische Küche und westliche Bildung, traditionelle Mode und die bittere Armut und Verzweiflung der Landbevölkerung auf der anderen Seite, nur um einige Beispiele zu nennen.

Diese Spaltung ist packend geschrieben, spiegelt sie sich doch in den beiden Protagonisten wieder. Ich war praktisch hautnah bei ihnen.

Yudori hat am Ende jedes Kapitels eine Skizzenseite eingeschoben, in der sie die damalige Mode oder die unterschiedlichen Stände noch einmal näher erklärt - für mich war das insbesondere spannend, da ich in der koreanischen Geschichte und Gebräuchen nicht so bewandert bin.

Ein toller erster (vollfarbiger) Band, der eine historische Etappe von Korea beleuchtet, von der ich bisher nur am Rande etwas gehört hatte.

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