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Veröffentlicht am 29.01.2024

Unbedingte Freundschaft in schrecklichen Zeiten

Sturmmädchen
1

Es ist ein herrlicher Frühlingstag, ein Sonntag im Mai des Jahres 1933 - die drei Freundinnen Elli, Margot und Käthe verbringen unbeschwerte Stunden am Perlenbach. Bald jedoch ist es vorbei mit ihren sorglosen ...

Es ist ein herrlicher Frühlingstag, ein Sonntag im Mai des Jahres 1933 - die drei Freundinnen Elli, Margot und Käthe verbringen unbeschwerte Stunden am Perlenbach. Bald jedoch ist es vorbei mit ihren sorglosen Tagen, die Nationalsozialisten bekommen immer mehr Zulauf. Für Margot und ihrer jüdischen Familie wird es zunehmend gefährlicher, auch wird Elli durch ihre Gehbehinderung kritisch beäugt und Käthe schließt sich den Braunhemden an, die einstige Mädchenfreundschaft droht zu zerbrechen.

Mit „Sturmmädchen“ führt Lilly Bernstein dann ins Jahr 1938, direkt hinein in eine Zeit, die wir hoffentlich nie wieder erleben müssen. Margot entstammt einer wohlhabenden Familie. Ihr einziges „Vergehen“ ist ihr Glaube. Die Juden müssen ausgerottet werden, wir wissen es alle und doch wissen wir viel zu wenig. Direkt aus den Judenhäusern wurden sie weiter in die Vernichtungslager deportiert, die Autorin gibt Einblicke in menschenverachtende Foltermethoden. Auch wenn im Buch alle Personen und Geschehnisse fiktiv sind, so beruht dieser gut recherchierte, im deutsch-belgischen Grenzgebiet angesiedelte Roman, doch auf wahren Begebenheiten.

Ellis Mutter Alma ist als Hebamme viel unterwegs, sie kennt hier alle Pfade, auch die uralten Schmugglerwege sind ihr wohl vertraut. Sie ist eine zupackende Frau, die vieles durchschaut, auch hält sie ihre beschützende Hand stets über ihre Tochter, deren rechtes Bein durch einen unglücklichen Sturz nicht gut mitwächst. So ist sie das Hinkemädchen, immer eine wenig abseits stehend, was sie aber nicht daran hindert, anderen zu helfen. Und Margot braucht ihre Unterstützung in Zeiten höchster Not, denn Käthe hat sich abgesondert, sie hat sich der NS-Frauenschaft angeschlossen. Auch hier, in diesen Reihen, spürt man nur zu deutlich, was aus einer Dorfgemeinschaft wird, welch Feindseligkeit den Andersdenkenden entgegengebracht wird, ganz zu schweigen vom Hass gegen das Judenpack. Neben den Verbrechen der strammen Nationalsozialisten und deren Mitläufern gibt es auch die anderen, die trotz aller Gefahren für ihr eigenes Leben ganz einfach helfen.

Die Autorin spart nichts aus, sie zeigt einmal mehr deutlich auf, was aus einst friedlich zusammenlebenden Nachbarn und Freunden wird, wie schnell sich so mancher aufstacheln lässt. Obwohl ich schon vieles über diese Zeit gelesen habe, so habe ich hier von Foltermethoden erfahren, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ihre Protagonisten – ob gut oder böse gesinnt – sind lebendig und gut nachvollziehbar gezeichnet. Durch ihren so einnehmenden Schreibstil mochte ich das Buch gar nicht weglegen, ich musste einfach wissen, wie es Margot mitsamt ihrer Familie ergehen wird. Wie Elli, die ich sosehr ins Herz geschlossen habe, mit all dem zurechtkommen mag und auch, was Käthe zu ihrem Handeln letztendlich getrieben hat.

„Sturmmädchen“ erzählt von einer schrecklichen Zeit, geprägt von Menschenverachtung schlimmsten Ausmaßes, aber auch von unbedingter Freundschaft, von Liebe, voller Wärme und nie verlorener Mitmenschlichkeit. Es ist ein Buch, das ich nicht missen möchte, ein Buch, das lange nachhallt.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Chani und die Welt der orthodoxen Juden

Die Hoffnung der Chani Kaufman
2

„Die Hoffnung der Chani Kaufman“ ist der Nachfolgeband der „Hochzeit der Chani Kaufman“. Die 19jährige Chani hat den angehenden Rabbiner Baruch Levy geheiratet und nun leben die zwei glücklich miteinander, ...

„Die Hoffnung der Chani Kaufman“ ist der Nachfolgeband der „Hochzeit der Chani Kaufman“. Die 19jährige Chani hat den angehenden Rabbiner Baruch Levy geheiratet und nun leben die zwei glücklich miteinander, denn Chani hat den Mann geheiratet, den sie auch wirklich liebt. Was beileibe nicht selbstverständlich ist, denn sie leben nach den Regeln des orthodoxen Judentums. Eine Ehe wird arrangiert, danach hat ein junges Ehepaar Kinder in die Welt zu setzen. Bei Chani und Baruch mag letzteres nicht klappen. Vor allem die Schwiegermutter sieht in Chani die Schuldige, sie schickt sie in eine Fruchtbarkeitsklinik und sucht im Verborgenen schon nach einer neuen Schwiegertochter.

Auch Rivka war eine religiöse Jüdin, sie ist mit Chaim verheiratet. Nachdem sie es nicht mehr aushält, verlässt sie ihren Mann. Ein folgenschwerer Schritt, denn die drei gemeinsamen Kinder bleiben bei ihrem Vater, der Kontakt bricht folgedessen ab. Lediglich mit Avromi, ihrem Ältesten, der in Jerusalem lebt, telefoniert sie ab und zu, ihre Tochter Michal lehnt die Mutter und ihr nichtjüdisches Leben von Grund auf ab und Michal ist es auch, die jeglichen Kontakt zu Moishe, dem Jüngsten, zur Mutter verhindert.

Die Erzählung spielt hauptsächlich in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde in London. Eve Harris gibt tiefe Einblicke in diese für Frauen viel zu beengten Welt. Den Gesetzen der Tora – von Männern vorgegeben – haben sie sich zu unterwerfen. Die daraus folgenden Probleme für Chani und Rivka, deren Lebenswege sich voneinander doch sehr unterscheiden, haben letztendlich doch einen gemeinsamen Kern - beide sind der Intoleranz der jüdischen Gemeinschaft ausgesetzt.

Mit den Gegebenheiten dieser Religion bin ich so gar nicht vertraut und doch ist es der Autorin gelungen, dass ich in diese für mich so fremde Welt eintauchen konnte. Dabei hat sie mich sofort abgeholt, die Beschreibungen sowohl der religiösen Seite als auch die Charakterisierung der Figuren waren ein so kurzweiliger wie unterhaltsamer Einblick in eine strenge Gemeinschaft, bestehend aus Ritualen, Zwängen und festen Vorgaben. Und ganz zum Schluss bietet das Glossar den nötigen Durchblick durch all die Begrifflichkeiten. Kurz: Ein wunderbares, ein sehr lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 20.01.2024

Brutal

Inkubus
1

„Eins… zwei… drei… vier… fünf… sechs… sieben… acht… und neun.“ Ja, er war neun Jahre alt und er schämte sich nicht, Frauendinge zu tun. Zu nähen etwa. Die Paketschnur fädelt er in das Nadelöhr dieser dicken ...

„Eins… zwei… drei… vier… fünf… sechs… sieben… acht… und neun.“ Ja, er war neun Jahre alt und er schämte sich nicht, Frauendinge zu tun. Zu nähen etwa. Die Paketschnur fädelt er in das Nadelöhr dieser dicken Nadel – und dann näht er…

Es geht so brutal wie verwirrend los. In allen Einzelheiten schildert Luca di Fulvio, wie ER vorbereitet wird. Und ja, man weiß sofort, um was es sich hier handelt, auch wenn man sich das Endergebnis so gar nicht vorstellen mag. Und doch wollte ich wissen, was dieses erste Opfer Schreckliches getan hat.

Kurz zusammengefasst sind Giacomo Amaldi und seine Kollegen einem bestialischen Serienmörder auf der Spur. Besser gesagt, sie hinken mit ihren Ermittlungen eher hintendran. Denn der Täter weiß genau, was er tut, seine Ritualmorde gleichen einander und sind doch jeder für sich einzigartig.

Man braucht schon starke Nerven und auch ein gewisses Durchhaltevermögen, denn die abrupten Szenenwechsel sind sperrig, die Charaktere zutiefst verstörend, all dies erschwert zumindest anfangs das Lesen. Es ist ein detailliert beschriebener, langer Albtraum voller Gewalt, Brutalität und Perversion. Das Warum kristallisiert sich mehr und mehr heraus, der Grund, der Ursprung dieser Morde, liegt lange zurück.

Luca di Fulvio kenne ich von seinen Historischen Romanen, die ich alle gelesen habe, die mir alle so viel bedeuten. Mit „Inkubus“ habe ich eine ganz andere Seite von ihm kennengelernt, auch ist der Schreibstil dieses Thrillers beileibe nicht so gefällig, wenngleich er etwa in seinem “Jungen, der Träume schenkte“ durchaus Gewalt gegen Frauen und mehr thematisiert, so spart er hier so gar nichts aus. Neben „Inkubus“ gibt es noch zwei weitere Thriller von ihm, 2008 und 2009 in deutscher Übersetzung erschienen, die ich in nächster Zeit lesen werde. Leider ist dieser wunderbare Autor von uns gegangen, ich hätte gerne noch so viel mehr von ihm gelesen.

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Veröffentlicht am 16.01.2024

Das Böse in Perfektion

Vöglein schweigt
1

„Mein Handwerk ist Wiedervergeltung – Rache ist mein Gewerbe.“

„Vöglein schweigt“ ist der zweite Teil der Grimm-Thriller-Trilogie und steht dem ersten Band „Rotkäppchen lügt“ in nichts nach. Über drei ...

„Mein Handwerk ist Wiedervergeltung – Rache ist mein Gewerbe.“

„Vöglein schweigt“ ist der zweite Teil der Grimm-Thriller-Trilogie und steht dem ersten Band „Rotkäppchen lügt“ in nichts nach. Über drei Bücher erzählt Elias Haller eine vielschichtige, ineinander greifende Kriminalgeschichte. Jedes Buch endet mit einer Auflösung, dennoch entwickelt sich die gesamte Story über drei Bände und erst mit dem finalen dritten Teil werden alle bis dahin noch offenen Verbrechen aufgeklärt sein, erst dann wird die ganze Tragweite der menschenverachtenden Taten und deren Täter in Gänze sichtbar.

Aber noch sind wir mittendrin und nicht nur für Nora Rothmann, die Sonderermittlerin beim LKA Berlin, stellt sich die Frage, welch abartige Wesen für die toten „Vögel“, die durch Zufall gefunden werden, verantwortlich sind. Nora lässt nicht locker, sie hängt sich in ihre Fälle ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit. Sie geht an ihre Grenzen und darüber hinaus, ihr Hang zu Alleingängen und ihr fein ausgeprägter Spürsinn lassen ihr gar keine andere Wahl. Neben den aktuellen Ermittlungen ist sie immer noch mit ihrer Vergangenheit beschäftigt, denn die Morde an ihrer Familie sind nicht aufgeklärt. Dabei ist ihr Vorgesetzter vom LKA 34 ihr eine große Stütze und auch mit Konrad König vom Dezernat 11, KK genannt, klappt die Zusammenarbeit besser, seit sie ihn im allerletzten Moment aus einer prekären Situation gerettet hat.

Junge Frauen verschwinden, Spuren führen ins Darknet, Abgründe der schlimmsten Art tun sich auf und zwischendurch erscheint Noras Jugendfreundin Fiona. Der Autor gibt Einblicke in ein geheimes Bündnis, das sich Grimm nennt, ihre Vorbilder sind die Originalmärchen, die von ihnen angewendeten Foltermethoden sind an Grausamkeiten nicht zu überbieten. Und wenn man meint, nun einigermaßen den Durchblick zu haben, die nicht nur auf den ersten Blick Harmlosen von den anderen, den allzu gefährlichen, hinterhältigen Individuen zu erkennen, irrt man gewaltig. Elias Haller versteht es bestens, durch seine so geschickt und glaubhaft ausgelegten Fährten seine Leser komplett in die Irre zu führen.

Nur zu gerne hätte ich weitergelesen, die beiden ersten Teile habe ich sozusagen am Stück konsumiert und nun heißt es erst mal warten auf „Schneeweisschen stirbt“, den finalen dritten Band.

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Veröffentlicht am 13.01.2024

Das Dorf der Hexen

Die Hexen von Cleftwater
1

East Anglia bezeichnet eine Gegend im Osten Englands. Hier liegt das kleine (fiktive) Dorf Cleftwater, in dem Martha Hallybread als Hebamme, als Heilerin und Dienerin seit Jahrzehnten lebt. Sie ist stumm, ...

East Anglia bezeichnet eine Gegend im Osten Englands. Hier liegt das kleine (fiktive) Dorf Cleftwater, in dem Martha Hallybread als Hebamme, als Heilerin und Dienerin seit Jahrzehnten lebt. Sie ist stumm, kann sich aber gut mit Zeichen verständigen. Einst war sie die Amme von Kit, der sie später dann in seinem Haus behalten hat. Auch hat die junge Prissy hier ihr Auskommen, beide Frauen helfen mit, das erste Kind von Marion Archer, einer Dorfbewohnerin, zur Welt zu bringen. Das Neugeborene kommt gezeichnet zur Welt und stirbt bald nach der Geburt. Als der Hexenjäger Silas Makepeace in Cleftwater nach Hexen fahndet, wird Prissy als diejenige ausgemacht, den Tod des Kindes verschuldet zu haben. Sie wird der Hexerei angeklagt, ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Frauen im Dorf teilt.

Es ist die Zeit der Hexenverfolgung, die sogenannten Hexenjäger oder auch Hexenkenner treiben in East Anglia 1645 bis 1647 ihr Unwesen - Margaret Meyer hat diesen Zeitraum auf das Jahr 1645 verdichtet. Diese Herren, die sich anmaßten, Hexen schon am äußeren Schein zu erkennen, brachten viel Leid. Helferinnen nahmen die Frauen in Augenschein, mit einfachen Mitteln meinten sie, verräterische Zeichen, sogenannte Hexenmale, ausmachen zu können und diese dann als Hexe abzustempeln. Auch Martha wird geholt, dem Hexenkenner unterstützend zur Seite zu stehen. Die Frauen – einmal verdächtigt – waren wehrlose Opfer, die so lange gefoltert wurden, bis sie geständig waren.

Neben der Hexenverfolgung ist das Hebammenwesen dieser Zeit gut beschrieben, auch spielt die Naturheilkunde und die heilbringende Verwendung von Pflanzen und Kräutern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Marthas Mutter hat ihr einst den Atzmann, eine magische Puppe aus Wachs, hinterlassen. Er soll Martha beschützen, soll Kraft verleihen und Unglück fern halten. Eigentlich ist es ein grob geformter Wachsklumpen, der benutzt wird, um Macht zu beschwören. Dies kann Segen oder Fluch sein, der Aberglaube treibt mitunter seltsame Blüten.

Trotz der Düsternis sind „Die Hexen von Cleftwater“ ein dicht erzählter Roman, der in eine finstere Zeit entführt. Gegen die Hexenkenner war keiner gefeit, es konnte jeden treffen. Die Umsetzung dessen ist gelungen und zeigt deutlich auf, dass ein Entkommen – einmal in den Fängen dieser Hexenjäger – schier unmöglich war. Je länger diese Hexenjagd andauerte, desto mehr kehrte Angst und Schrecken ein.

Das Cover bleibt im Thema, es zeigt die Blaue Distel, deren Heilwirkung seit jeher bei Hauterkrankungen, bei Husten und Infektionen seine Anwendung findet, es stimmt in die Thematik direkt ein und auch das Stilmittel, Marthas Gedanken in kursiver Schrift darzustellen, ist ebenfalls gut umgesetzt. „Die Hexen von Cleftwater“ sind ein dunkles Zeugnis einer von Männern dominierten Gesellschaft, die ohne echte Anhaltspunkte willkürlich anklagt und aufs Grausamste foltert und verurteilt. Auch wenn alle Charaktere eher unnahbar sind, so ist der Roman gut nachvollziehbar erzählt. Ein lesenswertes Buch über eine vergangene Zeit voller Aberglauben und Willkür.

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