Knackige geschichtliche Aufarbeitung
Am Anfang wieder die NachtMarcel knallt die Bierkisten aufeinander. Glas splittert, es riecht hefig. So langsam steigen ihm die Probleme mit seinem Club Koma zu Kopfe. Die Anwohner beschweren sich wegen der Lärmbelästigung, die ...
Marcel knallt die Bierkisten aufeinander. Glas splittert, es riecht hefig. So langsam steigen ihm die Probleme mit seinem Club Koma zu Kopfe. Die Anwohner beschweren sich wegen der Lärmbelästigung, die Stadtverwaltung brummt ihm Lärmschutzauflagen auf. Die Müllentsorgung wird immer schwieriger und die Subventionsquellen für die Künstler*innen versiegen. Österreich, das Land mit der höchsten Lebensqualität, drauf geschissen. Während Marcel der Frust beutelt, denkt Karla an Nico und an die Silvesternacht neunzehnneunundneunzig. Ihre beste Freundin Judit und Nico trafen sich dauernd im Keller von Nicos Freund und kamen sich näher.
Jetzt war aber Nicos Stiefvater, der echte hatte sich frühzeitig aus dem Staub gemacht, Betriebsrat im Dannemann-Werk, dort wo Judits Vater Geschäftsführer war. Warum der da Geschäftsführer war? Weil sein Vater sich im Dritten Reich so gut gestellt hat mit den Nazis, dass der eigentliche Dannemann enteignet wurde. Der hatte die Firma so gut wie möglich durch die Wirtschaftskrise geführt und musste dann die Koffer packen und nicht nur das. Judits Großvater bekam zum Dank die Villa. Nach dem Krieg funktionierte das mit der Entnazifizierung doch nicht richtig, denn man brauchte Fachkräfte für den Wiederaufbau und so schacherten alle wieder erfolgreich und gleichsam unbescholten um ihre Pöstchen. Nicos Stiefvater aber hat das nicht vergessen und deshalb darf der Nico auch nicht mit der Judit.
In der Nacht der Jahrhundertwende dann, war die Karla mit dem Nico unterwegs und half ihm beim Austicken. Zuerst fällte Nico mit der Motorsäge die große Tanne im Garten von Judits Vater, später zogen sie dann zu den Dannemann-Werken, das eine oder andere Bierchen war auch mit dabei, diverse Spraydosen und ausreichende Lust an der Zerstörung.
Fazit: Martin Mader hat eine geschichtliche Aufarbeitung zelebriert, die bis in die österreichische Jetztzeit reicht, das kapitalistische System in all seinen Schwächen beleuchtet und das Erstarken rechter Parteien begründet. Im Vordergrund stehen drei junge Menschen, die diese Silvesternacht und ihre Beziehungen zueinander zu ergründen suchen. Der Autor lässt seine Darsteller kapitelweise auf diese Zeit zurückblicken. Die Geschichte entblättert sich vom Anfang bis zur letzten Seite nur Stück für Stück. Gekonnt lässt er immer mal kurze Szenen aufblitzen, die mein unfertiges Bild allmählich vervollständigen. Die Stimmfarbe ist österreichisch, obwohl ohne Dialekt, spüre ich beim Lesen den typischen Singsang. Was mich von Anfang an irritiert hat, ist der Erzählstil, der von seinen Wortwiederholungen lebt:
Eine gefaltete Luftmatratze wallt sich gerade auf, bekommt Luft, Luft in den Bauch, atmet aus dem Bauch, aus dem Bauch aus dem Mund heraus.
Ich muss gestehen, dass der Stil des Autors mir alles an Konzentration abverlangt hat, was ich zu bieten hatte. Auch dass ich etwa 25 x das Handtuch werfen wollte, möchte ich nicht verschweigen. Letztlich bin ich allerdings froh, dass ich mich bis zum bitteren Ende eingelassen habe, weil das Thema unheimlich interessant ist. Ganz wertfrei betrachtet, war es für mich ein Buch, dessen Inhalt ich mir mühevoll erarbeiten musste.