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Veröffentlicht am 26.05.2025

Sehr lebendige Geschichte über Verlust

Durch das Raue zu den Sternen
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Arkadia Fink ist dreizehn. Vor acht Monaten und drei Wochen ging ihre Mutter kurz weg. Sie kommt gut ohne sie klar. Ihr Vater nicht so. Er sagt, dass sie ruhig traurig sein darf und dann sieht er sie enttäuscht ...

Arkadia Fink ist dreizehn. Vor acht Monaten und drei Wochen ging ihre Mutter kurz weg. Sie kommt gut ohne sie klar. Ihr Vater nicht so. Er sagt, dass sie ruhig traurig sein darf und dann sieht er sie enttäuscht an, weil sie nicht flennt. Er geht runter in seine Schreinerei und wenn er die Kreissäge anmacht, zerteilt sie sein Schluchzen. Seit acht Monaten und drei Wochen ist er nicht mehr er selbst, hat nichts mehr geschreinert. Die Rechnungen stapeln sich auf der Kommode im Flur.

Bernhardina, ihre beste Freundin ist noch sie selbst. Sie lebt im Seniorendomizil Phoenix. Früher war sie Musiklehrerin in Namibia. Sie teilt ihre Medikamente mit ihrer Mutter, weil kein Arzt ihr welche verschreiben wollte. Wenn sie an einem rauen Februartag im Bett liegt und nicht aufstehen kann, nimmt sie eine Bernhardinawunderpille, steht auf und hört bis tief in die Nacht Frau Beethoven. „Frau“ Beethoven, weil ihre Mutter ganz genau weiß, dass die größte Tondichterin aller Zeiten eine Frau in Männerkleidung war.

Arkadia muss Bernhardina jeden Abend anrufen und sich vergewissern, dass sie noch lebt, obwohl sie von Pflegepersonal umgeben ist. Manchmal ist sie zu spät dran, dann ruft Bernhardina sie an:

Dieser Klingelton wurmt sich in deinen Kopf und klingt wie erbrochene Akustik. S. 53

Arkadia weiß, dass sie zu Höherem geboren ist, denn sie kann singen. Damit ihre Mutter zurückkommt, wird sie im berühmtesten Knabenchor Deutschlands singen. Sie wird Solistin und tritt mit dem Chor im Fernsehen auf und dann wird ihre Mutter sie sehen.

Fazit: Christopher Kloeble hat eine Erzählung geschaffen, die voller Musik steckt. Seine Protagonistin ist eine willens- und charakterstarke Persönlichkeit, die sich in den Kopf gesetzt hat, als einziges Mädchen, als Solistin in einem Knabenchor zu singen. Der Weg ist steinig und hart. Die Kinder werden gedrillt und die Jungs, die in den Stimmbruch kommen, dürfen sich mit einer Urkunde verabschieden. Das kluge Mädchen mit der großen Klappe muss sich zügeln aber gleichzeitig lernen, sich durchzusetzen. Interessant ist, wie der Autor zeigt, dass der Verlust der Mutter nur scheinbar an ihr vorbeizieht. Arkadia dissoziiert und die tatsächlichen Ereignisse lösen sich erst zum Schluss auf, als Arkadia klar wird, was wirklich passiert ist. Das Ende ist so tragisch, dass ich aufrichtig schockiert bin. Eine einnehmende, tiefgreifende Geschichte über Verlust. Der Autor erzählt bildreich und authentisch. Ja, die Heldin Arkadia könnte es so gegeben haben. Eine Jeanne d´Arc der klassischen Musik. Meine absolute Leseempfehlung für diese gefühlvolle, lebendige Geschichte.

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Veröffentlicht am 23.05.2025

Eine überaus versierte Geschichte

Gespensterfische
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Die Neunzigerjahre

Laura hatte die Gesichter in der Uni nicht mehr ausgehalten, wenn sie plötzlich im Mittelpunkt stand. Sie interpretierte die Mimik immer falsch. Erst in der Klinik verstand sie, dass ...

Die Neunzigerjahre

Laura hatte die Gesichter in der Uni nicht mehr ausgehalten, wenn sie plötzlich im Mittelpunkt stand. Sie interpretierte die Mimik immer falsch. Erst in der Klinik verstand sie, dass ein Blick, der sie trifft, sie nicht zwangsläufig sieht. Sie besorgte sich ein Diktiergerät und nahm fortan alle Gespräche heimlich auf. Nicht der Inhalt interessierte sie, sondern die Diskrepanz zwischen ihrer Wahrnehmung und der Wirklichkeit. Lukas, gerade einmal zwanzig, war Pfleger in der Janssen-Klinik. Laura sprach gern mit ihm und wenn sie sich nachts unter der Bettdecke ihre aufgenommenen Gespräche mit ihm anhörte, war da kein Unterschied. Es war genauso, wie sie ihn wahrgenommen hatte.

Die Nullerjahre

Lukas wollte Meeresbiologie studieren und hatte eine Zusage aus Husum. Dann war seine Mutter gestürzt, ausgerechnet über seine Schuhe. Sie lag den ganzen Nachmittag im Flur, bis er wieder heimkam. Der Arzt, der sie untesuchte sagte es sei bloß gut, dass nichts passiert war, die Rettung würde die Mutter wohl kaum durch die Türe transportiert bekommen. Lukas war nicht bewusst gewesen, dass seine Mutter nicht mehr durch die Tür passte, ihr schon. Eigentlich wollte er aus dem Sozialbau Hudekamp, den er mit ihr bewohnte, aussteigen, doch dann zerriss er die Zusage aus Husum in kleine Fetzen.

Die Achtzigerjahre

Als der neue Arzt das Haldol bei Olga Rehfeld absetzte, das ihre Nerven jahrzehntelang torpediert hatte, begannen die Zuckungen, das Schmatzen und Züngeln. Noll hatte ihr die Literatur zurückgebracht, als Olga wieder denken konnte. Wenn die Neuzugänge kamen, sortierte sie ihr Besteck sechsunddreißig Mal hin und her. Sie musste hierbleiben. Mit dieser Situation hatte sie sich arrangiert, im betreuten Wohnen würde sie untergehen, das wusste sie.

Fazit: Svealena Kutschke hat überaus versiert eine Geschichte zusammengetragen, die am Ende das Bild einer Psychiatrie im Laufe von hundert Jahren zeigt. Mit großer Beobachtungsgabe hat sie Ärzte, eine Psychologin, Pflegekräfte, Patientinnen und deren Angehörige porträtiert. Ihre Kapitel sind unterteilt in die Jahrzehnte und die Person, die gezeigt wird. Die Kapitel springen scheinbar unwillkürlich hin und her und das, was ich erfahre, macht die Geschichte am Ende rund. Alle Mitwirkenden sind emotional versehrt. An jeder Ecke lauert der Tod (Thanatos lässt grüßen) und dann fällt die Tatsache, dass ein Leben tatsächlich endet vom Himmel wie die Klinge der Guillotine und trifft mich wie ein Schlag. Die Autorin zeigt sehr genau, wie ein psychisch kranker Mensch sich in seinem Zustand fühlt, wie er es erlebt. Aber nicht nur das, sie bindet auch ganz leicht, wie zufällig die Geschichte der Psychiatrie ein. Von der Euthanasie und „Wir wussten nicht, wohin die Menschen deportiert wurden“ über heute umstrittene Behandlungsmethoden und Medikamententestungen noch nicht zugelassener Arzneimittel. Und dann hat Svealena Kutschke auch noch Platz gelassen für viele unglaublich kluge Lebensweisheiten: „Empathie als Überlebensstrategie“ oder auch „Die Wirklichkeit ist nur eine Vereinbarung“. Das liest sich spannend und macht nachdenklich. Sie hat mich von der ersten bis zur letzten Seite mitgerissen.

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Veröffentlicht am 22.05.2025

Feinfühlig und melancholisch

Was ich von dir weiß
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Kairo 1961-2001

Tarek ist zwölf, als sein Vater ihn fragt, was er denn einmal werden möchte. Tarek beobachtet seine Schwester Nesrine, die auf diese Frage mit nahezu zwanzig Ideen antwortet. Tarek schweigt. ...

Kairo 1961-2001

Tarek ist zwölf, als sein Vater ihn fragt, was er denn einmal werden möchte. Tarek beobachtet seine Schwester Nesrine, die auf diese Frage mit nahezu zwanzig Ideen antwortet. Tarek schweigt. Dabei ist sein Lebensplan schon vergeben, er wird in die Fußspuren seines Vaters treten und die gut situierte Praxis des angesehenen Arztes übernehmen, wenn es soweit ist. Der Vater möchte, dass Tarek selbst darauf kommt, deshalb wird er ihm diese Frage immer wieder stellen.

Tarek schaut den Erwachsenen gebannt zu. Die lachenden Männer, worüber lachen sie? Die Frauen, die den Männern entrüstete Blicke zuwerfen und auf die Kinder zeigen. Damals wusste er noch nicht, dass er sich vor diesen Männern mit weißen Haaren und Hang zu Alkohol, die Dinge behaupteten, als wüssten sie es, sich vor Fremden fürchteten und eigentlich Kinder geblieben waren, fürchten sollte.

Die Mutter wollte den Vater nicht wecken und sich seinen Zorn zuziehen. Sie stieg leise aus dem Bett und ging ins Bad. Als sie zurückkam, schlief er immer noch, ganz untypisch für ihn. Sie wägte ab, ob seine Vorwürfe schlimmer wären, weil sie ihn weckte, oder weil sie es nicht tat. Als sie um das Bett schlich und seine Schulter sanft bewegte, traf sie seine Leblosigkeit wie ein Stein.

Die Kondolenzbesuche waren gespickt mit pflichtschuldigen Floskeln. Seine Hände wurden geschüttelt, die seiner Mutter, seiner Schwester. Erst als er nach Tagen auf seinem Zimmer allein war, weinte er. Vor allem aber um sich, weil der Druck der Verantwortung, die die Lücke, die sein Vater in ihrer Gemeinschaft hinterließ, auf ihm lastete. Er fühlte sich wie ein Heuchler, der den Vater um die wohlverdienten Tränen brachte.

Fazit: Éric Chacour hat zehn Jahre an seinem Debüt gearbeitet und das hat sich absolut gelohnt. Er schickt seinen Protagonisten in eine behütende, traditionsreiche Familie mit bewegter Vergangenheit. Seine Eltern waren aus Damaskus geflüchtet, und obwohl sie „nur ägyptisiert“ waren, bauten sie sich in Kairo eine gesicherte Zukunft auf. Die Rollenverteilung ist klar vergeben. Die manipulative, dominante Mutter kümmert sich im Hintergrund um Haus und Familie. Der patriarchale Vater um seine Patienten, die Tochter wird heiraten und der Sohn das Imperium weiterführen. Doch der Sohn folgt zuerst unfreiwillig anderen Regeln, schlittert in eine ganz andere Lebenswirklichkeit und das Drama beginnt eine Entwicklung, die sowohl gefährlich als auch unvorhersehbar ist. Der Autor hat sich in großen Teilen für die ungewöhnliche Du-Form entschieden und lässt mich ihm lauschen, als erzähle er mir aus meinem eigenen Leben. Zum Ende wird klar, warum diese Form so gut passt. Die Stimmfarbe finde ich sehr besonders. Darin schwingt Zartheit und Feinfühligkeit, aber auch Melancholie. Gut herausgearbeitet finde ich auch die Scham und die Selbstzweifel, die so niederdrückend sind. Eine ganz und gar runde, gelungene Geschichte, die mich tief berührt hat. Chapeau!

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Veröffentlicht am 19.05.2025

Sehnsucht nach Normalität

Hunchback
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Shaka ist vierundvierzig. Mit vierzehn hat sie in der 8 b das Bewusstsein verloren. Ihre Muskulatur konnte die normale Sauerstoffsättigung nicht mehr aufrechterhalten. Ein genetischer Defekt. Seitdem lebt ...

Shaka ist vierundvierzig. Mit vierzehn hat sie in der 8 b das Bewusstsein verloren. Ihre Muskulatur konnte die normale Sauerstoffsättigung nicht mehr aufrechterhalten. Ein genetischer Defekt. Seitdem lebt sie im Nirwana. In einem sechzehn Quadratmeter Appartement in der Wohngemeinschaft Ingleside. Hier lebt sie, bis sie stirbt.

Finanzielle Sorgen kennt sie nicht, das Ingleside gehört ihr, nebst einiger vermieteter Eigentumswohnungen. Nach ihrem Tod wird das von ihren Eltern mühsam beschaffte Vermögen an den Staat übergehen. Natürlich hat sie keine Kinder. Die Deformation ihrer Wirbelsäule hat ihr den rechten Lungenflügel zerquetscht. Ein Beatmungsgerät pumpt ihr die nötige Luft in die Lunge und die Verschleimungen, die sich mehrmals am Tag ansammeln, saugt sie mit einem Schlauch, den sie in den Tubus unter ihrem Kehlkopf schiebt, ab. Sie hangelt sich von Uni zu Uni und schreibt pornografische Artikel für einen Verlag. Diese zusätzlichen 3.000 Yen schenkt sie den Mädchenschutzhäusern und der Tafel.

Die einzigen sozialen Kontakte hat sie im Chat mit der Fernuni, Social Media, dem Pflegepersonal und im Speisesaal, wo sie regelmäßig ihr Abendessen einnimmt. Die unverhohlene Verachtung ihres Pflegers, Herr Tanaka, muss sie in Kauf nehmen. Es ist immer noch besser als gar keine Beachtung. Sie würde gerne einmal etwas „Normales“ erleben, so wie andere Frauen auch. Eine normale Schwangerschaft würde ihr gefallen und dann eine Abtreibung, etwas, das ja naturgemäß nicht normal ist. Dieses Paradox findet sie unterhaltsam.

Fazit: Saou Ichikawa, selbst an myotubulärer Myopathie erkrankt, hat diese völlig abgefahrene Geschichte geschrieben. Ihre Protagonistin hat alles und nichts. Ihr Körper erlitt wegen einer genetischen Disposition einen Totalschaden. Ihr Verstand ist wachsam, zynisch und messerscharf. Finanziell ist sie bestens aufgestellt, aber das bringt sie nicht weiter. Shakas Sehnsucht nach einer „Normalität“ ist riesig. Ich habe selten eine Geschichte gelesen, die so körperlich ist. Die viel mehr erfasst als die dahinsiechende Hülle, die mit diversen Gebrechen um ihr Überleben kämpft, sondern auch die Interaktion zwischen Shaka und ihrem Kontrahenten, Herrn Tanaka. Alles strotzt vor Sinnlichkeit, weil Shaka mit ihren ausgeprägten Sinnen jede Nuance im Zwischenmenschlichen wahrnimmt. Und es ist verstörend, stört mich in meiner Wahrnehmungskompfortzone. Denn warum sollten Menschen mit starken körperlichen oder geistigen Einschränkungen keine Bedürfnisse nach Körperkontakt oder Sexualität haben, wie könnte ich ihnen ihre Fantasie absprechen? Und hier öffnet sich auch der Blick auf die Gesellschaft mit ihren Fruchtwasseruntersuchungen, um die Bevölkerung vor Menschen mit zum Beispiel „Down Syndrom“ zu bewahren. Gerade in Zeiten der Selbstoptimierung stören wir uns an allem, das anders ist als wir, die wir uns geißeln, im Kampf gegen Fettleibigkeit, Krankheit und Schwäche. Alles, was wir tabuisieren und wegsperren, wird niemals an unsere Güte und unser Mitgefühl appellieren können. Nie ein Teil von uns werden können. Ihr seht, dieses Buch hat echten Tiefgang, getragen von Humor und kreativer Wortwahl. Ein Pageturner sondergleichen.

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Veröffentlicht am 13.05.2025

Der Versuch, das Unfassbare zu verstehen

Perlen
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Marianne will Binsen schneiden. Es ist „Wakes“ und heute gedenkt man den Toten. Der Pfarrer wird alle Namen verlesen, die in der Gemeinde begraben liegen. Ihre Mutter wird wieder nicht dabei sein. Sie ...

Marianne will Binsen schneiden. Es ist „Wakes“ und heute gedenkt man den Toten. Der Pfarrer wird alle Namen verlesen, die in der Gemeinde begraben liegen. Ihre Mutter wird wieder nicht dabei sein. Sie hat kein Grab, denn sie verschwand, als Marianne acht und Joe noch ganz klein war. Sie ging durch die Tür und kam nie zurück. Später kamen Polizisten und schrieben etwas in Notizblöcke. Sie sahen Marianne an, als würden sie in ihrem Dasein den Grund für das Verschwinden der Mutter finden. Tatsächlich glaubte Marianne auch bald, dass es nur ihre Schuld sein konnte. Denn was wäre gewesen, wenn sie der Mutter nachgelaufen wäre und sie aufgehalten, ihr ein paar Worte zugerufen oder ein Lied gesungen hätte? Sie hätte sich sicher umgedreht und wäre zurückgekommen, aber Marianne hatte am Küchentisch gebastelt und gar nicht bemerkt, wie Mutter durch die Tür verschwand.

Mariannes dreizehnjährige Tochter Susannah sitzt auf dem Rücksitz des Wagens und lässt sich heute bitten. Dann jedoch steigt sie seufzend aus und hilft ihr, die Binsen zu kleinen Sträußen zu binden und auf den Gräbern zu verteilen. Als sie Susannah geboren hat, vermisste sie ihre Mutter mehr denn je. Marianne sammelt Geschichten von Verlust, Verlassenwerden und Scham, saugt sie förmlich auf und ergötzt sich an ihnen. Susannahs Vater war der erste, der ihr eine Präsentable liefern konnte, denn seine Mutter verschwand auch.

Ihre Mutter hatte vor allem Angst. Hatte Engel gesehen und den Teufel mit Salz in Schach gehalten. Sie hatte Marianne Zuhause unterrichtet und ihr aus der Bibel vorgelesen. Mariannes Erinnerungen decken sich nicht mit denen des Vaters.

Fazit: Siân Hughes ist eine fiktionale Geschichte im Stil eines Memoirs gelungen. Sie schickt ihre Ich-Erzählerin auf den Weg, ihren Schmerz zu erkunden und das Unfassbare zu verstehen. Ich erfahre von einer glücklichen Kindheit mit einer enorm liebevollen und kreativen Mutter voller Fantasie. Als sie spurlos verschwindet, gibt es keine Erklärung. Dem Vater obliegt die Aufgabe, den Verlust, seinen Beruf, Haushalt und Kinderbetreuung zu stemmen. Kindermädchen helfen dabei, aber Marianne bleibt mit ihrer Trauer allein. Sie dissoziiert den Kummer, der während ihrer Jugend aus ihr herausbricht und sie den falschen Menschen vertrauen lässt. Als junge Erwachsene ist sie so weit, sich emotional den Ereignissen von Damals zu stellen. Wie ein Puzzle setzt sie über viele Jahre ihre Erinnerungen zusammen, bis sie ein passendes Bild ergeben, das sie glauben kann. Der Prozess ist lang und lässt sie verschiedene Phasen durchlaufen: Schuld, Scham, Wut und Trauer. Am Ende erlebt sie das heilsame Verstehen und Loslassen. Die Geschichte ist ruhig und vollkommen unaufdringlich erzählt. So als würde ich einem alten Menschen in seine Vergangenheit folgen. Es ist kein Buch, das mich zu Tränen gerührt hat, sondern eins, dem ich so sehr gerne zugehört habe, das mich tief berührt hat.

Mir gefällt auch gut, dass jedes Kapitel von einem Vers eingeleitet wird.

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