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Veröffentlicht am 28.04.2021

Der Donnerstagsmordclub ermittelt - köstlicher britischer Krimi mit Suchtfaktor!

Der Donnerstagsmordclub (Die Mordclub-Serie 1)
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Coopers Chase – ehemaliges Nonnenkloster, jetzt Seniorenwohnanlage, oder eher eine Wohlfühloase mit Swimmingpool, Fitnessraum und Restaurant „mit gehobenem, zeitgemäßem Ambiente“ inmitten der sanften Hügel ...

Coopers Chase – ehemaliges Nonnenkloster, jetzt Seniorenwohnanlage, oder eher eine Wohlfühloase mit Swimmingpool, Fitnessraum und Restaurant „mit gehobenem, zeitgemäßem Ambiente“ inmitten der sanften Hügel Kents, idyllisch, ruhig, abgeschieden, nicht von dieser Welt. Denkste. Als die ehemalige Krankenschwester Joyce einzieht, stellt sie sich auf einen ruhigen Lebensabend ein. Die Anlage bietet viele Annehmlichkeiten zur Freizeitgestaltung, aber am liebsten sind ihr die Donnerstagabende, da tagt der allwöchentliche Donnerstagsmordclub unter der Ägide von Elizabeth und außerdem mit Ron, ehemaliger Gewerkschaftsführer, und Ibrahim, pensionierter Psychiater, die sich mit ungeklärten Verbrechen befassen. Unruhig wird es, als der Besitzer von Coopers Chase, Ian Ventham, ein neues Bauprojekt durchdrücken will, wofür der Friedhof der Nonnen samt Gebeinen verlegt werden soll. Das ruft nicht nur die Bewohner zum Widerstand auf, sondern auch andere mehr oder weniger verdächtige Gestalten auf den Plan, die das verhindern wollen. Dann geschieht ein Mord, und der Donnerstagsmordclub hat auf einmal einen richtigen Fall…

Gruselig, beängstigend, erschütternd – und vor allem totkomisch, das ist Coopers Chase und der Donnerstagsmordclub. Voller verzwickter Irrungen und überraschender Wendungen, voller Geheimnisse, voll schräger und vor allem zwielichtiger Typen, falscher Verdächtigungen und knallharter Ermittlungsarbeit – das ist diese Geschichte, dazu noch ein richtig guter Krimi und ein Appell, nie, wirklich NIEMALS ältere, vermeintlich friedfertige und scheinbar tatterige Mitmenschen zu unterschätzen. Die Sache fängt recht harmlos an, in verschiedenen Erzählsträngen lernen wir die Bewohner von Coopers Chase kennen, dies hauptsächlich anhand von Joyce‘ Tagebuch, dann deren Gegenspieler Ian Ventham und Tony Curran und auch die hiesige Polizei in Person von Donna und Chris. Daneben wird aber auch aus der Perspektive von vielen (vermeintlichen) Nebenfiguren erzählt, zum Beispiel Pater Mackie. Dies muss man erst einmal alles zusammenkriegen, die schnellen Wechsel überrumpeln mitunter und man muss sich erst wieder in die andere Perspektive hineinfinden. Die Geschichte wird jedoch chronologisch und nahtlos erzählt, das hilft, und man erfährt das Geschehen aus unterschiedlichen Sichtweisen, die nach und nach die Sachlage erhellen. Oder sagen wir: scheinbar erhellen, denn der Autor, dieser hinterhältige Kerl, versteht es meisterhaft, einen ständig auf falsche Fährten zu locken, so dass man alle möglichen und unmöglichen Leute verdächtigt (ich habe sogar zeitweise welche aus dem Donnerstagsmordclub selbst verdächtigt – ist das zu glauben?) und ständig Erkenntnisse preiszugeben, die einen alles über Bord werfen lassen und zu völlig neuen Ansätzen führen. Man sollte wirklich alles genau lesen, nichts überlesen und muss sich mächtig konzentrieren, dass einem kein Hinweis entgeht. Aber zur Beruhigung: Es lässt sich dank des immens flüssigen Schreibstils wunderbar lesen und am Ende fügt sich wirklich alles aufs Trefflichste zusammen.

Mit dem ersten Mord nimmt die Geschichte, die so harmlos-idyllisch angefangen hat, richtig Fahrt auf und bald überschlagen sich die Ereignisse geradezu. Je weiter das Ganze voranschreitet, desto mehr erfährt der Leser über die Hintergründe, die weit in die Vergangenheit reichen, und auch über die Bewohner und ihre Geschichte. Der Autor versteht es meisterhaft, subtil Spannung aufzubauen, das tut er in einer augenzwinkernden und sehr charmanten Manier im Stil der guten alten britischen Krimitradition. Dementsprechend angelegt sind auch seine Charaktere, allen voran Joyce, die mich mit ihrer scharfen Beobachtungs- und Kombinationsgabe frappierend an Miss Marple erinnert, und Elizabeth, die pensionierte Geheimagentin, gegen die Mister Bond wie ein eher langweiliger Waisenknabe wirkt und die mit ihrer Gerissenheit geradezu furchteinflößend ist. Joyce und Elizabeth sind ein echtes Dreamteam, und mit Ibrahim, dem Psychiater, und Ron, dem kämpferischen, durchsetzungsstarken, Ex-Gewerkschaftler, haben sie hingebungsvolle Helfer. Kein Wunder, dass die vier der Polizei immer einen Schritt voraus sind. Sehr schön fand ich, dass auch die anderen Figuren facettenreich und vielschichtig gezeichnet sind, jede hat ihre Eigenheiten, sie sind eben nicht krampfhaft skurril, sondern menschlich und authentisch, das macht sie unglaublich liebenswert.

Fazit: Für mich ein großartiges Buch, tolle Geschichte, spannender Krimi, herrliche Charaktere – was will man mehr. Das Buch hält, was das Cover verspricht, perfekte britische Erzähltradition. Hut ab übrigens auch vor der Übersetzerin, der ironische und hintergründige Witz kommt wirklich hervorragend rüber. Man sollte den britischen Humor, viele Figuren und Erzählstränge mögen, dann wird das Buch zu einem wahren Lesevergnügen. Das Ende lässt auf mehr Fälle für den rüstigen und umtriebigen Donnerstagsmordclub hoffen – ich kann es kaum erwarten!

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Historischer Kriminalroman vom Allerfeinsten

Die Toten vom Gare d’Austerlitz
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Am 14. Juni 1940 überschlagen sich in Frankreich die Ereignisse: Die Nazis marschieren in Paris ein, die französische Regierung hat sich zurückgezogen und überlässt die Hauptstadt der Franzosen den Besatzern. ...

Am 14. Juni 1940 überschlagen sich in Frankreich die Ereignisse: Die Nazis marschieren in Paris ein, die französische Regierung hat sich zurückgezogen und überlässt die Hauptstadt der Franzosen den Besatzern. Viele tausend Menschen sind auf der Flucht. In der menschenleeren Stadt untersucht Inspektor Édouard Giral, Kriegsveteran mit Hang zur Selbstzerstörung, den Tod von vier Unbekannten am Gare D’Austerlitz und einen vermeintlichen Selbstmord. Einzige Übereinstimmung: die Stadt Bydgoszcz in Polen. Nicht nur muss Giral seine Vorgesetzten überzeugen, dass ein Zusammenhang besteht, und sich mit Nazi-treuen Mitarbeitern herumschlagen, er bekommt es zu allem Überfluss mit der Gestapo, der Wehrmacht, dem deutschen Geheimdienst und Major Hochstetter von der Abwehr zu tun, der, offiziell als Mittler eingesetzt, seine eigenen undurchsichtigen Strippen zieht. Dann taucht auch noch Girals Sohn Jean-Luc auf, und in seinem Versuch, seinen Sohn zu beschützen, die Morde aufzuklären und am Leben zu bleiben, gerät Giral vollends zwischen alle Fronten.

Dieser historische Kriminalroman ist herausragend und lässt einen über weite Teile sprachlos und erschüttert zurück. Er liefert ein authentisches Bild der Ereignisse in Paris am Tag des Einzugs der deutschen Besatzer und in den Tagen unmittelbar danach, gibt tiefe Einblicke in das zerstörte Seelenleben des Kriegsveteranen Édouard „Eddie“ Giral und bohrt skrupellos in den Wunden einer zutiefst verstörten Stadt. Das normale und öffentliche Leben steht weitgehend still, Verordnungen gelten für Franzosen, nicht aber für Deutsche, die Besatzer überwachen jeden Schritt und der physische und psychische Druck auf die Einheimischen lässt viele straucheln und zusammenbrechen. Der Rest kämpft darum nicht aufzufallen. In einem Umfeld der Angst und des Misstrauens nun soll Giral, selbst traumatisiert und selbstmordgefährdet, nun Morde an Menschen aufdecken, die sowohl Deutschen als auch Franzosen herzlich egal sind. Wer sind schon ein paar Polen, die auf der Flucht getötet wurden, und ein weiterer, der sich mit seinem kleinen Sohn vom Balkon gestürzt hat, wenn in Paris gerade alles den Bach hinuntergeht?

Giral indessen kämpft gegen seine eigenen Dämonen. Schwer traumatisiert von seinen eigenen Kriegserlebnissen, hat er seine Familie verlassen und lebt als einsamer Wolf, unberechenbar in seiner Wut und in seinem Wüten. Er verliert sich häufig in der Vergangenheit, taucht ein in die Schützengräben des Ersten Weltkrieges und in die Ereignisse im Jahr 1925, holt diese Ereignisse sukzessive ans Tageslicht, bis sie auch in der Gegenwart eine Rolle spielen. Eines kann er aber nicht lassen: die Wahrheit zu finden, egal was es kostet. Meines Erachtens lenkt ihn die Spurensuche und Recherche auch zu einem nicht unerheblichen Teil von seinen eigenen Kümmernissen ab, und mitunter scheint er die Repressalien der Deutschen, egal aus welchem Lager, gar zu genießen. Er scheint zu glauben, dass er dies verdient habe, dass es eine Art Buße darstellt.

Giral ist ein äußerst zwiespältiger Charakter, er ist sowohl stark als auch schwach, er polarisiert mit seinen Äußerungen und seinem Handeln. Er tritt Besatzern, Vorgesetzten und Mitarbeitern gleichermaßen schnoddrig gegenüber, ihm scheint alles egal, er provoziert und steht seinem eigenen Dasein scheinbar gleichgültig gegenüber. Dann wieder erweist er sich als wahrer Menschenfreund, nicht nur in seinen Bemühungen die Wahrheit zu finden und den Getöteten gerecht zu werden, sondern auch in seinen Versuchen, den Gestrandeten und Flüchtlingen zu helfen und natürlich in seinem absoluten Wunsch seinen Sohn zu beschützen. Er versucht auf vielerlei Weise seine Schuld zu sühnen. Seine herausragende Intelligenz lässt ihn manch brenzlige Situation meistern, und sein Instinkt lässt ihn oft das richtige tun, dann wieder vergisst er sich derart, dass er um seine Handlungen nicht mehr weiß. Interessanterweise trifft dies dann aber meist die Richtigen.

Leicht liest er sich nicht, dieser Kriminalroman, was aber nicht an dem gehobenen und eingängigen Schreibstil des Autors liegt. Man muss sich auf die Zeit und auf die zwiespältigen Figuren einlassen, die Ungerechtigkeit ertragen, und auch die Lösung ist alles andere als regelkonform und befriedigend. Es ist eben kein Nullachtfünfzehn-Buch, auch kein „historischer Krimi“ nach genrebekannter Machart. Der Fall selbst und seine Aufklärung tritt zwischendurch in den Hintergrund, zu sehr ist Giral damit beschäftigt, zwischen seinem Sohn, seiner Vergangenheit, den Menschen, denen er helfen will und denen, die er am liebsten töten würde, hin und her zu springen. Die eher sperrigen Charaktere sind nicht alle nur gut oder nur böse, aber alle sind undurchsichtig und nicht nur Hochstetter ist „enigmatisch“, wie es der Klappentext treffend beschreibt. Trauen kann man eigentlich niemanden, und durchaus deprimierend an der ganzen Sache ist, dass die wahrhaft Schuldigen davonkommen. Kleine Siege gibt es aber dennoch, und die sind es, die zählen.

Fazit: Großartiger, tief bewegender und überaus fesselnder Kriminalroman, der lange nachhallt. Meines Wissens von Chris Lloyd das erste Buch, das auf Deutsch erscheint, aber hoffentlich nicht das letzte. Ein Protagonist, der zwar kein hundertprozentiger Sympathieträger ist, dessen Stärke und Schwäche, Loyalität und Gerechtigkeitssinn einen aber zutiefst bewegt. Ein Autor, der Ereignisse und die Abgründe der menschlichen Seele schockierend und bildhaft darzustellen vermag und den man sich unbedingt merken sollte!

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Veröffentlicht am 31.03.2021

Wunderbare Geschichte zweier Frauen auf zwei Zeitebenen

Die Roseninsel
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Liv ist Ärztin an der Charité in Berlin. Nach einem traumatischen Erlebnis, über das sie nicht hinwegkommt, beschließt sie spontan, eine vierwöchige Stelle als Verwalterin auf der Roseninsel im Starnberger ...

Liv ist Ärztin an der Charité in Berlin. Nach einem traumatischen Erlebnis, über das sie nicht hinwegkommt, beschließt sie spontan, eine vierwöchige Stelle als Verwalterin auf der Roseninsel im Starnberger See in Bayern, weit weg von allem, anzunehmen. Einzige Verbindung zur Außenwelt ist Johannes, der Lebensmittel und die Post bringt. Durch ein Missgeschick Livs stürzt eine Gipsbüste auf die Holzveranda der historischen Villa und reißt ein Loch, im Hohlraum darunter findet Liv ein Büchlein, das sich als Tagebuch einer längst vergessenen Bewohnerin der Roseninsel aus dem Jahr 1890 entpuppt. Liv beginnt zu lesen und taucht mehr und mehr ein in ein fremdes Leben...

Wunderschöne Geschichte auf zwei Zeitebenen, die von der ersten Zeile an fesselt und die sich hervorragend herunterlesen lässt. Dies liegt zum einen an dem sehr eingängigen, gut zu lesenden Schreibstil, der bei aller Bildhaftigkeit nie platt oder simpel daherkommt, zum anderen an den sympathischen und fesselnden Frauenfiguren der Liv und der Magdalena und zum dritten natürlich an der einfach nur schönen Geschichte. Es sind nicht die große Action, die aufregenden Abenteuer oder das herzzerreißende Drama, die hier erzählt werden, dennoch passiert immer etwas und es wird nie langweilig. Die Autorin versteht es, Bilder vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, und in ihren detailreichen Beschreibungen spiegelt sich ihre Liebe zur Roseninsel wider. Besonders die historische Zeitebene lässt sie authentisch aufleben, ihre Charaktere sind lebendig und vielschichtig und die Beschreibung der Menschen, deren Leben und ihre Lebenswelt überzeugen, so dass man das Gefühl hat, man ist mittendrin. Beide Frauen, Liv und Magdalena, wurden mir innerhalb kürzester Zeit so vertraut, als würde ich sie gut kennen, und die Geschichte lebt natürlich hauptsächlich von ihnen. Über ihre intimsten Gefühle und Gedanken erfährt der Leser am meisten, und auch wenn die weiteren Figuren, gerade im historischen Teil, ebenfalls sehr gut beschrieben sind und eine wichtige Rolle spielen, so dreht sich doch alles um die beiden Frauen und mit ihnen lebt man intensiv mit. Interessant in dem Zusammenhang fand ich, dass sich die Erlebnisse der beiden zu überschneiden scheinen - erlebt zum Beispiel Magdalena die Liebe, erlebt Liv sie ebenfalls, hat Magdalena einen Durchhänger, hat ihn auch Liv. Auch wenn sie über Jahrzehnte voneinander getrennt leben und ganz klar Kinder ihrer Zeit sind, bleiben sie doch stark miteinander verbunden. Beide haben eine schwierige Zeit, verarbeiten traumatische Erlebnisse, treffen ungewöhnliche Entscheidungen, finden zu sich selbst und schließlich ihr Glück. Beides sind starke, intelligente Persönlichkeiten, die von Selbstzweifeln geplagt viele Regeln hinterfragen.
Bei den Nebenfiguren fand ich besonders die Baronin Zeiss herrlich beschrieben, diese habe ich direkt vor mir gesehen in ihrem Krähen-Outfit und mit stocksteifem Rücken! Johannes war einfach nur nett, seine Oma Rosa hingegen wieder eine originelle Figur und eine lebendige Verbindung zur Vergangenheit.

Fazit: Wunderbares Buch zum Abtauchen in eine andere Welt, das Lust macht mehr über diese geheimnisvolle Insel und ihre Geschichte zu erfahren. Keine hochgeistige, aber eine sehr fesselnde Geschichte mit faszinierenden Frauenfiguren, deren beider Leben auf wundersame Weise verwoben werden und über die man gerne mehr erfahren würde. Sehr gelungen übrigens auch das Nachwort, das dem Leser die historischen Tatsachen näher bringt und den Bezug zur Geschichte herstellt. Wärmstens empfohlen für alle, die gerne in eine Epoche abtauchen und sich mit interessanten Frauenfiguren identifizieren können. 

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Wien-Krimi mit ungewöhnlichem Detektivduo

Lockvogel
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Bei Schauspielschülerin Toni – von Antonia – Lorenz läuft es schlecht: Ihr Freund Felix ist mit dem gesamten Ersparnissen und dem Schmuck ihrer Großmutter abgehauen, so dass sie deren Heimplatz nicht mehr ...

Bei Schauspielschülerin Toni – von Antonia – Lorenz läuft es schlecht: Ihr Freund Felix ist mit dem gesamten Ersparnissen und dem Schmuck ihrer Großmutter abgehauen, so dass sie deren Heimplatz nicht mehr bezahlen kann, ihr droht der Rausschmiss auf der Schauspielschule und zu allem Überfluss fühlt sie sich auch noch verfolgt. Sie beschließt den Detektiv Edgar Brehm zu engagieren, der ihr zwar eher abgehalftert vorkommt, ihr aber als einigermaßen preiswert empfohlen wurde. Brehm bekommt zeitgleich einen neuen und sehr lukrativen Auftrag von der Gattin des bekannten und reichen Regisseurs Steiner: Er soll die Herkunft und den Wahrheitsgehalt eines mysteriösen Tagebuchs aufdecken. Da Toni Brehm nicht bezahlen kann und er wiederum einen Lockvogel braucht, gehen die beiden einen ungewöhnlichen Handel ein…

Der neue Krimi von Theresa Prammer hält wieder alles, was der Klappentext verspricht und erfüllt die Erwartungen vollkommen. Nach Abschluss der Reihe rund um das großartige Ermittlerduo Lotta Fiore und Konrad Fürst mussten Fans einen Augenblick länger warten, bis sie wieder einen Wien-Krimi zu lesen bekamen, doch das Warten hat sich gelohnt. Die Autorin bleibt ihrem Stil treu. Auch diese Geschichte besticht durch viel Lokalkolorit, mitunter bissigem Humor, einen verworrenen Fall mit verschiedenen Handlungssträngen, jede Menge Verdächtiger und nicht zuletzt durch ein sehr unkonventionelles, liebenswertes und teilweise skurriles Ermittlerduo, das einen fasziniert und mit dem man in jeder Hinsicht mitlebt. Die Geschichte fesselt von der ersten Zeile an, was zum einen an dem unheimlich gut zu lesenden eingängigen Schreibstil der Autorin liegt, zum anderen – und das zum größeren Teil – von den Figuren, die jede einzelne als sehr gut herausgearbeitete Persönlichkeit daherkommt. In verschiedenen Perspektiven erzählt, entspinnt sich dabei ein undurchsichtiges Geflecht um Liebe, Verrat und um Macht und deren Missbrauch in einem Milieu, in dem sich die Autorin bestens auskennt. Die verschiedenen Handlungsstränge und Perspektiven geben tiefe Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten, zeigen deren Ängste und Zwänge und fügen sich dennoch aufs Trefflichste zusammen. Der Fokus liegt hierbei stark im zwischenmenschlichen Bereich, die Interaktion der Figuren miteinander, ihre eigenen Geheimnisse und ihre Stärken und Schwächen. Die Emotionalität ergibt sich natürlich schon aufgrund des brisanten Themas, der #MeToo-Debatte, hinter der der eigentliche Mordfall teilweise in den Hintergrund gedrängt wird. Die sukzessive Aufklärung, die unkonventionellen Ermittlungsmethoden und das letztlich sich ergebende „Große Ganze“ machen den Fall aber dennoch sehr spannend.
Die Geschichte lebt meines Erachtens stark von den Hauptfiguren Toni Lorenz und Edgar Brehm, beides eigenwillige Persönlichkeiten, und deren Zusammenarbeit, die oftmals überschattet wird von ihren eigenen Problemen. Ihr Seelenleben wird am stärksten betrachtet, ihre Erlebnisse gehen zu Herzen und ihr Zusammenraufen ist einfach rührend mitzuerleben. Zunächst nur eine Zweckgemeinschaft, die mehr als einmal zu scheitern droht, beginnen sie doch eine Sympathie füreinander zu hegen, sie sorgen sich umeinander und können sich schließlich bestens aufeinander verlassen. Dank Tonis Schauspieltalent und Brehms Erfahrung, ihrer beider Verbissenheit, ihre originellen Ideen und der Drang die Wahrheit herauszufinden wird schließlich alles umfassend aufgeklärt.

Fazit: Wunderbarer Wien-Krimi der bestens bewanderten Autorin, die hiermit wieder einen Treffer landet. Gerne folgt man dem spannenden Fall und dem herrlichen neuen Detektivgespann, das man so auch noch nicht gesehen hat. Für alle Fans der subtilen Spannung und des Schauspiel-/ Theatermilieus ein Muss. Der Schluss macht Lust und Hoffnung auf weitere Fälle des Duos!

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Veröffentlicht am 08.02.2021

Mehr davon! Superspannender Schweden-Thriller

Der andere Sohn
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Nach einem missglückten Undercover-Einsatz liegt FBI-Agent John schwerverletzt im Krankenhaus neben seinem vermeintlichen Henker, der sich als ein ebenfalls geheim eingeschleuster Agent entpuppt. Beide ...

Nach einem missglückten Undercover-Einsatz liegt FBI-Agent John schwerverletzt im Krankenhaus neben seinem vermeintlichen Henker, der sich als ein ebenfalls geheim eingeschleuster Agent entpuppt. Beide sollen gegen den durch sie aufgeflogenen Drogenring aussagen und danach ins Zeugenschutzprogramm. John erwirkt, dass er mit neuer Identität in seine Heimatstadt Karlstad in Schweden versetzt wird, die er als 12jähriger mit seinem Vater verlassen hat. Seitdem hat er seine Mutter und seinen Halbbruder, die noch immer dort leben, nicht mehr gesehen. Er hat sehr private Gründe dorthin zurückzukehren: Der alte Fall eines verschwundenen Mädchens aus der Oberschicht der Stadt wird neu aufgerollt, und sein Bruder, der schon damals verdächtigt wurde, wird erneut verhört. Indem John in seine alte Heimat zurückkehrt, begibt er sich in große Gefahr und lebt in ständiger Angst, dass seine Identität von weitaus gefährlicheren Gegnern als seinen Kollegen aufgedeckt wird…

Superspannender, mitunter etwas reißerischer Thriller, der unter die Haut geht und einen nicht mehr loslässt. Der Schreibstil ist extrem eingängig und die Geschichte einfach dermaßen fesselnd, dass man kaum aufhören kann zu lesen. Die Autoren folgen dabei einer soliden und bewährten Vorgehensweise des Genres. In vier größeren Teilen, unterteilt in einzelne Kapitel, und aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt, entspinnt sich ein komplexer Kriminalfall mit überraschenden Wendungen. Der Fokus hierbei liegt klar bei Ex-FBI-Agent und Neu-Polizist John, der eine durchaus zwiespältige Persönlichkeit hat. Aber auch Heimer, der Vater des Mädchens, verhilft dem Leser zu tiefen Einblicken in das Leben und die letzten Stunden der verschwundenen Emelie und vor allem in das kaputte Konstrukt seiner Ehe. Beide Figuren umkreisen einander und ihre Perspektiven verknüpfen sich aufs Hervorragendste zu einem großen Ganzen.
Johns erster Undercover-Einsatz verläuft alles andere als rund und er trägt ein schweres Trauma davon, dass ihn mehr als einmal bei seinen Ermittlungen in Schweden behindert und in Lebensgefahr bringt. Einerseits erweist er sich als intelligenter, vorausschauender und effizienter Ermittler, der die Wahrheit ans Licht bringen will, andererseits jedoch kann er seine persönliche Betroffenheit nicht ausknipsen. Er ist keineswegs der sympathische Superbulle, sondern kämpft mit den Dämonen seiner Vergangenheit, tut sich schwer mit den Gepflogenheiten seiner alten Heimat, hält nichts von Teamgeist und bringt sich und andere durch seine Alleingänge und unorthodoxen Methoden in Gefahr. Auch die anderen Charaktere sind hervorragend herausgearbeitet und erweisen sich als komplizierte Persönlichkeiten mit Geheimnissen, die nur sehr schleppend ans Licht kommen. Mir hat sehr gut gefallen, dass es nicht nur vom Kriminalfall her spannend war, sondern dass auch der psychologische Aspekt, wie zum Beispiel die Zerrissenheit, die Motive, das Zwischenmenschliche, eine große Rolle spielten. Die Entscheidungen und daraus resultierenden Handlungen aller Agierenden sind immer sehr gut nachvollziehbar und authentisch und geben nach und nach das Bild darauf frei, was Emelie für ein Mensch war, wie sie lebte und was mit ihr geschah.

Fazit: Durch und durch gelungener Auftakt einer neuen Krimireihe mit interessamten Figuren und Plot, der von der ersten Zeile an fesselt, einen bis zum komplexen Finale in Atem hält und mit dem offen gehaltenen Ende Lust auf Mehr macht. Allen Fans des Genres wärmstens empfohlen, aber auch Einsteigern, die keine Angst vor verwesten Leichen und menschliche Abgründe haben!

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