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Veröffentlicht am 12.09.2025

Freigeist, Mäzenin, Femme fatale

Peggy Guggenheim
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„Die Kunsthistorikerin Mona Horncastle porträtiert Guggenheim frei von Klischees und Klatsch“ – so steht es auf der Rückseite dieses wunderbar gestalteten Buches. Und so ist es.

In ihrem Nachwort erläutert ...

„Die Kunsthistorikerin Mona Horncastle porträtiert Guggenheim frei von Klischees und Klatsch“ – so steht es auf der Rückseite dieses wunderbar gestalteten Buches. Und so ist es.

In ihrem Nachwort erläutert Mona Horncastle, welche Fragestellungen sie beim Schreiben der Biografie dieser bemerkenswerten Frau leiteten. Berühmte und bekannte Frauen und ihre Taten und Handlungen werden immer anders bewertet als die berühmter und bekannter Männer.

Peggy Guggenheim begann bereits früh, ihr Vermögen zur Förderung junger Künstlerinnen und Künstler einzusetzen und sie hatte ein gutes Gespür dafür. Sie sammelte deren Kunst nicht nur, sie unterstützte sie auch mit Stipendien oder Ausstellungen. Auch ihre Sammlung wurde der Öffentlichkeit zugänglich, lange bevor sie in Venedig sesshaft wurde.
Natürlich macht auch ihr Liebesleben, ihre Ehen, ihre zahlreichen Affären einen Teil des Buches aus, weil sie natürlich zu ihrem Leben dazu gehören. Und auch Peggys Leben kannte Höhen und Tiefen, ihre Trennungen oder der frühe Tod ihrer Tochter. Mona Horncastle verzichtet bewusst auf Bewertungen, sowohl was das Liebesleben als auch das Verhältnis zu ihren Kindern und Enkelkindern anbelangt.
Mehr jedoch hat mich tatsächlich die Mäzenin interessiert. Faszinierend die vielen Aufzählungen berühmter Künstlerinnen und Künstler, die bei Peggy Guggenheim ein- und ausgingen sowie die Tatsache, dass sie etlichen Frauen die Möglichkeit bot, ihre Werke auszustellen. Etwas, was weder im letzten Jahrhundert noch heute selbstverständlich ist. Noch immer sind bildende Künstlerinnen in Sammlungen unterrepräsentiert. Auch etliche Schriftsteller verbrachten eine Zeit in einem ihrer Häuser und schrieben dort an ihren Werken. Das Personenregister am Ende des Buches ist lang, ebenso die Verzeichnisse der Anmerkungen und der verwendeten Literatur.

Das Buch ist in seiner besonderen Farbgestaltung und vielen Fotos etwas Besonderes. Es ist im Molden-Verlag in der Reihe „Reihenweise kluge Frauen“ erschienen.

Mona Horncastle schreibt überwiegend nüchtern, aber nicht emotionslos. Eine Vielzahl von Details lässt die Mäzenin und Kunstförderin Peggy Guggenheim lebendig werden. Mal abgesehen von einem Besuch des Guggenheim-Museums in Venedig habe ich mich nicht sehr viel mit dieser interessanten und exzentrischen Frau beschäftigt und deshalb sehr viel Neues erfahren. Das Buch hat mich neugierig gemacht, mich nicht nur mit ihr, sondern auch mit einigen der Künstlerinnen und Künstler zu beschäftigen, die sie entdeckt und gefördert hat.

Fazit: eine sehr lesenswerte Biografie einer starken und mutigen Frau

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Veröffentlicht am 09.09.2025

Lesehighlight

Dr. No
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Es ist mein erster Roman von Percival Everett und ich bin restlos begeistert. Der Autor schreibt mit großer Erzählkunst über Wala Kitu, der ein ruhiges und zurückgezogenes Leben führt. Er ist Mathematik-Professor ...

Es ist mein erster Roman von Percival Everett und ich bin restlos begeistert. Der Autor schreibt mit großer Erzählkunst über Wala Kitu, der ein ruhiges und zurückgezogenes Leben führt. Er ist Mathematik-Professor und Experte für das Nichts. Als der schwarze Milliardär John Sill ihn um Unterstützung bittet, ist es mit dem ruhigen Leben vorbei. Das Trio wird von der autistischen Mathematikerin Eigen Vector vervollständigt.

Percival Everett ist ein großartiger Erzähler. Grandioser Wortwitz, intelligente Wortspiele, Ausflüge in die Philosophie zeichnen diesen satirischen Spionageroman aus. Macht und Machtmissbrauch und Diskriminierung sind die Themen seines Romans. Natürlich sind weder Titel noch die Namen zufällig gewählt. Sicher ist mir die eine oder andere Anspielung entgangen, denn einige Vorkenntnisse sind für die Lektüre dieses anspruchsvollen Romans von Vorteil. So wäre es nicht schlecht, zu wissen, dass „Nichts“ nicht die Abwesenheit von etwas ist, wie schon Otto von Guericke beschrieben hat.

Der Roman mit Tiefgang ist äußerst amüsant zu lesen, macht jedoch auch nachdenklich.

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Veröffentlicht am 02.09.2025

Der Wunsch nach dem Gesehen-Werden

Im Kopf des Bösen – Der Happy Face Killer
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Die Profilerin Sophie Kaiser und ihr Kollege Leonhard Michels vom BKA werden von der Bremer Polizei um Unterstützung gebeten. Bereits vier Frauenleichen wurden gefunden, hinzu kommt eine fünfte, als Sophie ...

Die Profilerin Sophie Kaiser und ihr Kollege Leonhard Michels vom BKA werden von der Bremer Polizei um Unterstützung gebeten. Bereits vier Frauenleichen wurden gefunden, hinzu kommt eine fünfte, als Sophie und Leonhard gerade in der Hansestadt eingetroffen sind.

Spannend und lebendig beschreiben Axel Petermann und Petra Mattfeldt die Arbeit von Sophie und Leonhard, die die volle Unterstützung der örtlichen Polizei bekommen. Dies ist durchaus nicht selbstverständlich, wie wir aus den vorangegangenen Bänden wissen. Als Sophie von einem Journalisten, der einen persönlichen Hass auf sie hat, in seiner Kolumne niedergemacht wird, bringt der Bremer Kollege Nils Sophies Kompetenzen klar und schnörkellos auf den Punkt, ohne auf ihre Eigenheiten einzugehen, die dort umstandslos akzeptiert werden. Diese Passage hat mir besonders gefallen. Die autistische Sophie hat dazu gelernt. Sie weiß um ihre Schwächen mit Empathie und Freundlichkeit und überlässt in solchen Situationen Leonhard die Gesprächsführung. Leonhard bemüht sich mehr als kollegial, Sophie zu schützen, vor anderen, aber auch vor sich selbst. Zwischen den Zeilen lassen sich tiefere Gefühle herauslesen, aber ist Sophie überhaupt in der Lage, sich auf eine Beziehung einzulassen? Außerdem scheint es, als ob jemand etwa dagegen hätte. Der Epilog ist ein toller Cliffhanger und erhöht die Vorfreude auf einen Folgeband.

Sehr gut nachvollziehbar sind die Schlüsse, die vor allem Sophie aus den ihr vorliegenden Akten zieht. Dies bedeutet akribisches Aktenstudium, wobei Sophies fotografisches Gedächtnis hervorragende Dienste leistet. Sie zieht auch die richtigen Schlüsse, allerdings steht ihr auch ein ebenso hervorragendes Team zur Seite, denn ein eher unscheinbares Detail verrät letztendlich den Täter.

Der Fall beruht, wie auch die Vorgängerbände, auf einem wahren Fall, der sich allerdings nicht in Deutschland zugetragen hat. Ausführlich erläutern die beiden Autoren die Hintergründe dazu in einem Nachwort.

Fazit: ein sehr lesenswerter spannender Krimi mit einer besonderen Ermittlerin

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Veröffentlicht am 30.08.2025

Norwegisch-deutsche Geschichte

Als Großmutter im Regen tanzte
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Juni flüchtet vor ihrem gewalttätigen Ehemann in das Haus ihrer verstorbenen Großeltern, das zuletzt von ihrer ebenfalls verstorbenen Mutter bewohnt wurde. Die Erinnerungen, vor allem an ihre geliebte ...

Juni flüchtet vor ihrem gewalttätigen Ehemann in das Haus ihrer verstorbenen Großeltern, das zuletzt von ihrer ebenfalls verstorbenen Mutter bewohnt wurde. Die Erinnerungen, vor allem an ihre geliebte Großmutter Thekla und den nicht minder geliebten Großvater werden lebendig. Als Juni beim Sortieren und Aufräumen die Geburtsurkunde ihrer Mutter Lilla findet, stellt sie fest, dass diese vor der Eheschließung ihrer Eltern bzw. Großeltern geboren wurde. Neugierig geworden versucht sie, hinter das Geheimnis zu kommen.

In einem flüssigen und gut lesbaren Stil wechselt Trude Teige die Perspektiven zwischen den Geschehnissen in den Jahren 45/46 und der Gegenwart, gut erkennbar an unterschiedlichen Schriftarten. Thekla erzählt von ihrer großen Liebe zu dem deutschen Soldaten Otto, der sie heiratet und mit in seine Heimat nimmt. Es ist nicht viel übriggeblieben, zwar steht das Herrenhaus in Demmin noch, aber die russischen Soldaten haben fürchterlich gewütet. Im Gegensatz zu Theklas fiktiver Geschichte nimmt Trude Teige hier die historischen Ereignisse in Demmin auf, die jahrzehntelang totgeschwiegen wurden. Juni gelingt es mithilfe ihres neuen Nachbarn und Freund Georg, Theklas Geschichte zu rekonstruieren, während sie mit ihren eigenen Problemen kämpft.

Die Protagonisten werden lebendig und authentisch beschrieben, so ist z.B. die Liebe zwischen Thekla und Otto zu spüren, aber eben auch Theklas Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Auch Juni weiß nicht, wie es weitergehen soll. Parallel zur Trennung von ihrem Mann stellt sie fest, dass sie ein Kind erwartet. Ihre ungewisse Zukunft macht auch Juni mutlos, aber sie ist stark. Sie lässt sich nicht unterkriegen und – noch wichtiger – sie nimmt Hilfe an.

Nach den ersten Seiten war ich nicht sicher, ob ich den Roman weiterlesen wollte. Dann aber zog er mich in seinen Bann. Die Beschreibungen des in Trümmern liegenden Deutschlands, die Menschen, die im Ungewissen über ihre Angehörigen waren, die täglich ums Überleben kämpfen mussten, aber auch die Hoffnung auf eine gute Zukunft sind sehr gut. Dabei spart Trude Teige auch die Schrecken nicht aus. Auch die (Vor-)Urteile der Norweger gegen die deutschen Soldaten und die Bezeichnung der jungen Frauen, die sich in sie verliebten und die Folgen werden thematisiert.

Der Titel ist wunderbar gewählt und das Cover spiegelt Theklas Liebe zum Meer wider.

Fazit: ein lesenswerter Roman mit historischem Hintergrund

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Veröffentlicht am 28.08.2025

Die Suche nach der Wahrheit

Die Verlorene
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Als Lauras Großmutter Änne nach einem Sturz stirbt, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben, findet Laura neben einem Gemälde auch eine Kiste mit Kindheitserinnerungen, darunter einige wenige Fotos. ...

Als Lauras Großmutter Änne nach einem Sturz stirbt, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben, findet Laura neben einem Gemälde auch eine Kiste mit Kindheitserinnerungen, darunter einige wenige Fotos. Neugierig geworden, sucht Laura nach Ännes Wurzeln, vielleicht auch, weil sie hofft, das angespannte Verhältnis ihrer Mutter Ellen zu Änne verändern zu können.

Geschickt verwebt Miriam Georg die Geschehnisse auf dem Pappelhof vor, während und unmittelbar nach dem Krieg mit Lauras Suche nach den Wurzeln ihrer Großmutter Änne. Eine unbeschwerte Kindheit, das Leben auf dem Hof mit harter Arbeit, allen Sorgen und Nöten, aber auch große Feiern und vor allem eine erste Liebe stehen beim Lesen vor Augen. Das Kriegsgeschehen findet eher im Hintergrund statt, die beiden Söhne wurden eingezogen, einer ist gefallen, einer bleibt vermisst, Menschen mit Beeinträchtigungen müssen um ihr Leben fürchten, später werden Nahrungsmittel knapp. Nach dem Ende des Krieges ändert sich das dramatisch. Soldaten werden einquartiert (was das für junge Frauen bedeutet, muss nicht ausgeführt werden) und der Hof schließlich enteignet.

Laura hat nur wenige Anhaltspunkte, als sie ihre Suche beginnt. Änne hat, wie viele ihrer Generation, nur wenig über den Krieg und seine Folgen gesprochen. Sie hat sich ein neues Leben aufgebaut, ein Leben, das auf vielen Lügen basiert, die sie zu schützen weiß. Die Beweggründe dafür werden sehr deutlich und zeigen die Ausweglosigkeit, in der sich Änne befand, auf.

Die Landschaftsbeschreibungen von Lauras Reise nach Schlesien sind ebenfalls sehr bildhaft und wecken die Sehnsucht nach einem Besuch auf dem Pappelhof.

Miriam Georg hat sich von ihrer eigenen Familiengeschichte zu diesem wichtigen Roman inspirieren lassen. Er zeigt deutlich, was der Verlust von Heimat bedeutet, nicht nur für diejenigen, die Schlesien verlassen mussten (wie auch meine Vorfahren), sondern auch für z.B. diejenigen, die in Polen umgesiedelt wurden und neu anfangen mussten. Und er zeigt, welche Folgen das auch für die nachkommenden Generationen hat.

Fazit: eine absolute Leseempfehlung

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