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Veröffentlicht am 08.04.2017

Das Leben eines Findelkindes

Sturmhöhe - Wuthering Heights
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Das Findelkind Heathcliff findet auf Wuthering Heights ein neues Zuhause. Der Tod des Vaters löst in Cathys Bruder Hindley schlechte Seiten aus und Cathy und Heathcliff leiden sehr unter ihm. Hindley wird ...

Das Findelkind Heathcliff findet auf Wuthering Heights ein neues Zuhause. Der Tod des Vaters löst in Cathys Bruder Hindley schlechte Seiten aus und Cathy und Heathcliff leiden sehr unter ihm. Hindley wird nach dem Tod seiner Frau zum Spieler und Trinker und vernachlässigt alles, sogar seinen Sohn Hareton. Um diesem Leben zu entkommen, heiratet Cathy den wohlhabenden Nachbarn Edgar Linton, obwohl zwischen ihr und Heathcliff starke Gefühle gewachsen sind. Diese Faktoren lassen Heathcliff zu einer Art Monster werden und er spielt seine Macht, die er im Laufe der Zeit erlangt, extrem aus.

Die Geschichte wird dem jungen Gentleman Mr. Lockwood, der sich in Thrushcross Grange, das an Heathcliff gefallen ist, eingemietet hat, von der Haushälterin Nelly Dean erzählt.

Die Geschichte um den Roman selbst ist ebenso spannend, wie „Sturmhöhe“ selbst. Wenn man sich vor Augen führt, wie schwer es Frauen zu dieser Zeit hatten, wundert es nicht, dass es ein Skandal war, als herauskam, dass der Roman von einer Frau geschrieben war (er erschien unter einem männlichen Pseudonym). Mich persönlich hat sehr betroffen gemacht, wie sehr alle Frauen in diesem Roman litten und wie wenig sie wertgeschätzt wurden. Gleichzeitig bin ich immer wieder erstaunt, wie großartig Emily Brontë die Geschichte gewebt hat.

Die Erzählweise (zwei Erzähler, eine Frau und ein Mann) ist großartig gewählt und im Hörbuch sehr schön umgesetzt. Mir gefällt Beate Rysopp als Nelly Dean sehr gut und Wolfgang Berger verkörpert mit seiner angenehmen Stimme den wohlhabenden Gentleman sehr gut. Die durchgehend düstere Stimmung mit nur wenigen frohen Momenten für die weiblichen Protagonisten, die extreme Boshaftigkeit der meisten männlichen Charaktere und das sich aufbauende Unheil bewegen sehr. Schön ist das nicht, doch ist es eben der Roman, der das so vorsieht. Die beiden Sprecher haben ihn mit ihren Stimmen und der Sprachmelodie hervorragend lebendig werden lassen.

Insgesamt 890 Minuten fordern vom Hörer viel – eben aufgrund des düsteren Geschehens. Dieser Klassiker ist traurig und schaurig, aber perfekt umgesetzt. Das wird von mir mit den vollen fünf Sternen belohnt.

Veröffentlicht am 07.04.2017

Gefährliche Geheimnisse

The Couple Next Door
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Anne und Marco sind seit einem halben Jahr stolze Eltern. Die Nachbarn haben sie eingeladen, möchten aber nicht, dass sie Cora mitbringen. Als der Babysitter kurzfristig absagt, möchte Anne nicht zu Cynthia ...

Anne und Marco sind seit einem halben Jahr stolze Eltern. Die Nachbarn haben sie eingeladen, möchten aber nicht, dass sie Cora mitbringen. Als der Babysitter kurzfristig absagt, möchte Anne nicht zu Cynthia und Graham gehen, aber Marco findet, mit dem Babyphone und wenn sie alle halbe Stunde abwechselnd nach Cora sehen, geht das schon. Es ist ja nur ein Haus weiter. Um Mitternacht ist auch noch alles bestens, aber als die beiden nach Hause gehen, finden sie die Haustür offen vor und von Cora keine Spur. Annes Depressionen machen ihr nun Angst – hat sie ihrer Tochter etwas angetan und erinnert sich nicht mehr daran? Will Marco sie nur vor dem Gefängnis schützen? Gibt es einen echten Entführer? Immerhin hat sie sehr reiche Eltern. Detective Rasbach hat schnell eine ganz eigene Theorie …

Mich hat der Anfang des Thillers unheimlich an den Fall Maddie erinnert. Will ich Anne und Marco verurteilen, weil sie ihr Baby allein gelassen haben? Ich tendiere zu „nein“, denn eine Tür nebenan oder ein anderes Stockwerk kann so viel nicht ausmachen. Aber mein Herz sagt schon, dass ich mein Kind nie hätte allein gelassen, auch wenn das keine Garantie gewesen wäre, dass Cora nicht entführt worden wäre. Das Miträtseln, wer und vor allem warum das Kind entführt hat, war sehr spannend. Alle hätten ein Motiv und vor allem die Möglichkeit gehabt. Nach und nach kommen immer mehr Details dazu, die zu beängstigenden Wendungen führen und die Spannung immer mehr nach oben schrauben. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie genial Shari Lapena der Handlung immer wieder neue Richtungen gab, ohne unglaubwürdig zu werden.

Die Figuren sind wunderbar aufgebaut. Einzig Graham bleibt ein bisschen blass. Sehr viel arbeitet die Autorin mit Andeutungen, die im Leser dann anwachsen und ein Bild ergeben. Das ist wunderbar gelungen und wirkt erstaunlich gut. Der Stil ist der Handlung angepasst, sodass man das Buch kaum aus den Händen legen kann und jede Seite ein echter Lesegenuss ist. Alles ist logisch und in sich stimmig aufgebaut. Die Ängste und Gedanken von Anne und Marco sind für mich absolut nachvollziehbar und ihre Handlungen entsprechend ebenfalls. Ihre Geheimnisse voreinander und vor anderen ziehen erschreckende Folgen nach sich und genau dies ist für mich der besondere Thrill der Story. Das regt definitiv zum Nachdenken an.

Mir gefällt auch, dass hier nicht wieder einmal endlos viele Erzählstränge miteinander verwoben werden. Die Geschichte ist ziemlich geradlinig und überrascht mit einigen, meiner Meinung nach genialen, Wendungen. Auch ist hier nicht die Ermittlungsarbeit der Polizei im Fokus, sondern die Suche der Familie nach Cora. Mir persönlich hat das sehr gut gefallen.

Ich habe den Thriller sehr genossen. So macht Lesen Spaß. Eine klare Sprache, keine verbalen Verrenkungen und eine Geschichte, die unter die Haut geht. Ich gebe aus Überzeugung die vollen fünf Sterne!

Veröffentlicht am 03.04.2017

Im Garten wächst viel: Pflanzen, Freundschaften, Liebe und Vertrauen

Gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen
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Lilian hat vor vier Jahren ihren Mann bei einem tragischen Unfall verloren. Er war die Liebe ihres Lebens und sein Tod hat sie komplett aus der Bahn geworfen. Ihre Schwester Rachel war die größte Hilfe ...

Lilian hat vor vier Jahren ihren Mann bei einem tragischen Unfall verloren. Er war die Liebe ihres Lebens und sein Tod hat sie komplett aus der Bahn geworfen. Ihre Schwester Rachel war die größte Hilfe in dieser schweren Zeit. Die Kinder Claire und Annabel gehen auf ihre eigene Weise mit dem Schmerz um. Beruflich wird Lilian dann dazu verdonnert, an einem Garten-Workshop teilzunehmen. Was der so neben Pflanzenwissen noch so alles für sie zu bieten hat, überrascht sie komplett und verändert ihr komplettes Leben und die Sicht auf die Dinge.

Trauer ist eine absolut individuelle Sache. Es gibt keinen echten Rat, keinen „Fahrplan“. Man muss für sich selbst herausfinden, wie man damit umgeht. Doch manchmal merkt man gar nicht, dass man vergisst, dass auch andere trauern. So wundert es nicht, wenn es hier und da mal zu erstaunlichen Auseinandersetzungen kommt.

Lilian ist eine grundsympathische Frau Mitte dreißig und überspielt mit viel Humor, wie verletzlich und zerbrechlich sie ist. Sie möchte ihre beiden Töchter nicht mit ihrer Trauer belasten und kämpft sich, so gut es geht, allein von Tag zu Tag. Der Workshop in freier Natur verläuft dann ganz anders, als sie sich das vorgestellt hatte. Sie lernt völlig unterschiedliche Menschen kennen, bildet sich eine Meinung über sie und erkennt, dass man sich sehr stark irren kann. Dabei ist sie nie überheblich, sondern bleibt eine Frau, die man gern zur Freundin hätte. Auch die beiden Töchter könnte ich glatt adoptieren! Eine Traumfamilie! Klingt nach total kitschigem Roman? Ist es aber nicht! Es ist kaum zu beschreiben, wie frisch und witzig, spritzig und unterhaltsam dieser Roman trotz der Thematik und dem gesamten Verlauf ist.

Abbi Waxman hat mir tolle Lesestunden geschenkt und obwohl ich mehr im Genre Krimi und Thriller zu Hause bin, habe ich mich mit dem Buch super wohl gefühlt und wurde bestens unterhalten. Man überlegt beim Lesen schon, wie eingefahren man selbst in seinem Denken und Handeln ist und nimmt sich vor, ein wenig mehr darauf zu achten. Doch auch wenn das jetzt so nach erhobenem Zeigefinger klingt – dem ist nicht so. Das Buch ist leichte Kost, die dennoch tief unter die Haut geht. Dass es kaum unsympathische Figuren gibt, mag ungewöhnlich sein, dennoch ist das Buch in sich rund und stimmig. Konflikte gibt es genug, da darf ein Buch auch mal etwas positiver sein.

Zwischen den Kapiteln finden sich Gartentipps. Diese sind nett, aber meiner Meinung nach nicht so wirklich brauchbar oder hilfreich. Aber die Idee ist schön – ich mag auch gerne Rezepte in Romanen und Krimis. Einfach ein wenig Mehr.

Für die Lesefreude und die gelungene Story rund um das Thema Trauerbewältigung und Liebe gebe ich sehr gerne die vollen fünf Sterne.

Veröffentlicht am 01.04.2017

Wer ist Julie?

Good as Gone
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Jane muss mit ansehen, wie ihre 13-jährige Schwester Julie entführt wird. Alle Bemühungen der Polizei bleiben erfolglos, auch die verzweifelten Aktionen der Eltern fruchten nicht. Doch dann, völlig unerwartet, ...

Jane muss mit ansehen, wie ihre 13-jährige Schwester Julie entführt wird. Alle Bemühungen der Polizei bleiben erfolglos, auch die verzweifelten Aktionen der Eltern fruchten nicht. Doch dann, völlig unerwartet, taucht Julie auf: nach acht Jahren! Die Familie ist überglücklich, doch dann verstrickt sich Julie in immer mehr Widersprüche und ihre Mutter Anna macht sich mithilfe eines ehemaligen Polizisten auf die Suche nach der Wahrheit ...

Die Story ist sehr schlüssig und spannend aufgebaut. Die Familie Whitaker ist grundsympathisch und ihr Schicksal geht mir sofort unter die Haut. Besonders Mutter Anne ist eine starke Frau und ihre Versuche, die Familie und das Leben, das sie kannte, aufrechtzuerhalten, sind beeindruckend. Gleichzeitig sind ihre Angst und ihr Schmerz immer spürbar. Während Anna nach und nach kleine Puzzleteilchen zusammenfügt, lernt der Leser quasi rückwärts alle Personen, in die sich Julie verwandelt hat, kennen. Dabei wird man stets hin- und hergerissen zwischen Entsetzen und unfassbarem Mitleid, bis zum Showdown, der eine überraschende, aber stimmige und überzeugende Auflösung mitbringt.

Mir haben die Figuren sehr gut gefallen – und zwar durchweg alle, auch die unsympathischen. Sie sind logisch und stimmig aufgebaut, wodurch eine große Authentizität entsteht. Amy Gentry füttert den Leser mit gerade eben so viel Information, wie dieser braucht, um interessiert zu bleiben. Die Spannung war für mich von Anfang an da, sodass ich das Hörbuch tatsächlich an einem Stück gehört habe, die ganzen 7,5 Stunden – das habe ich bisher noch bei keinem Hörbuch getan. Mir fallen Schlagworte wie mitreißend, faszinierend, unwiderstehlich und vielschichtig ein, wenn ich das Buch beschreiben soll. Es hat mir definitiv extrem gut gefallen.

Religion wird im Laufe der Handlung zu einem wichtigen Thema. Zunächst hat mich das befremdet und auch gestört, doch dann erklärte sich dieser Punkt sehr schlüssig und logisch und mir wurde ganz anders – doch warum, kann ich leider nicht darlegen, da ich nicht spoilern möchte.

Gelesen wird das Hörbuch von Anna und Nellie Thalbach. Während Anna Thalbach betont emotional liest, die Wut und Angst von Anna Whitaker damit auf den Punkt bringt, liest Nellie Thalbach sehr sanft und leise. Das hat mich anfangs, nein, eigentlich bis fast zum Ende, sehr gestört, doch nach dem letzten Satz habe ich es verstanden und muss gestehen: genau so war es richtig gelesen!

Fazit: ich bin restlos begeistert von der Story und den beiden Sprecherinnen. Die Stellen, an denen ich stutzig wurde, haben sich alle am Ende erklärt, ohne dass ich das Gefühl hatte, die Autorin habe mit Gewalt eine Lösung konstruiert. Alles passt ineinander. Ganz großes Kino – und ich hoffe, diese Autorin schafft noch weitere solche Werke! Von mir ganz klar die vollen fünf Sterne.

Veröffentlicht am 27.03.2017

Mit der Trauer umgehen lernen

Ein fauler Gott
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Bens kleiner Bruder Jonas ist nach einem Schwimmbadbesuch ins Krankenhaus gekommen und dort gestorben. Seine geschiedene Mutter und er sind vollkommen hilflos und mit der Trauer geradezu überfordert. Noch ...

Bens kleiner Bruder Jonas ist nach einem Schwimmbadbesuch ins Krankenhaus gekommen und dort gestorben. Seine geschiedene Mutter und er sind vollkommen hilflos und mit der Trauer geradezu überfordert. Noch dazu ist der Vater weit weg in Frankfurt und hat dort mit der neuen Frau ein neues Leben angefangen. Ben und seine Mutter durchleben jeder für sich eine harte Zeit. Doch nur gemeinsam können sie mit der Trauer und dem Verlust weiterleben.

Anfang der 1970er Jahre ist das, was an sich auch heute noch traumatisch ist, noch viel belastender. Waren doch viele Dinge noch viel komplizierter und schwerer als heute. Schon allein das Leben als alleinerziehende, geschiedene Mutter bedeutete eine extreme Belastung. Noch dazu ist Ruth, Bens Mutter, durch den Krieg und die Flucht geprägt. Schon von Kindheit an hatte sie es schwer, musste immer wieder zurückstecken und Verluste und Trennungen verkraften. Ihr Halt im Leben waren Jonas und Ben. Der Tod von Jonas kommt ihr vor, als hätte sie persönlich versagt.

Ben dagegen will sich nicht komplett in diesem tiefen schwarzen Loch der Trauer verlieren. Es fällt ihm schwer, über Jonas‘ Tod zu sprechen, doch findet er Wege, dennoch an Antworten zu kommen. Mitten auf dem Weg in die Pubertät verändert sich so vieles um ihn herum und in ihm selbst, dass er sich in seine eigene Welt flüchtet. Dort finden ihn aber immer wieder Zeitgenossen, die auf ihre spezielle Art und Weise Antworten für Ben haben und ihm helfen, den Verlust zu tragen.

Ben weiß, dass seine Mutter ihre Trauer vor ihm verstecken möchte, aber wenn sie sich in ihr Schlafzimmer zurückzieht und in ihre Heizdecke wickelt, dann weint sie. Also stellt Ben nicht ihr seine Fragen, sondern versucht, ihre Trauer mitzutragen, sie abzulenken und aufzumuntern. Dabei findet er ganz besondere Antworten. Mit seiner kindlichen Art und dem Ergebnis seiner eigenen Trauerbewältigung entdeckt er, wie er seiner Mutter die Schuldgefühle nehmen und mit ihr gemeinsam weitermachen kann.

Die Sprache, die Stephan Lohse nutzt, ist außergewöhnlich. Sie ist teils kindlich und sehr bildhaft, dennoch (oder gerade deshalb) beschreibt sie wunderbar ausdrucksstark die Situationen von Ben und Ruth. Dabei wird sie niemals kitschig oder triefend vor Selbstmitleid. Das ist bewundernswert und ganz große Leistung.

Besonders bemerkenswert ist, dass all die vielen wundervollen, einzigartigen, großartigen Sätze in diesem Buch zeitlos sind und auch heute, 45 Jahre später, dieselbe Gültigkeit haben. Trauer ist zeitlos, Trauer vergeht nicht, Trauer verändert sich nur ganz langsam und begleitet uns ewig. Dennoch ist das nicht deprimierend, denn Trauer kann auch bereichern.

Ein Buch, das man nicht vergisst und das trotz des Themas die Welt ein wenig schöner macht. Auch für alle, die selbst trauern, ist dieses Buch eine Hilfe. Für mich das bewegendste Buch der letzten Jahre – eindeutig eine Leseempfehlung und die vollen fünf Sterne!