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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.09.2022

Schmal, aber gehaltvoll

Isidor
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Mir hat dieser schmale Band eines jüdischen Lebens in Form von Dr. Israel Geller, auch genannt Isidor, vorzüglich gefallen. Seine Großnichte, Shelly Kupferberg, hat sich der Geschichte ihres Großonkels ...

Mir hat dieser schmale Band eines jüdischen Lebens in Form von Dr. Israel Geller, auch genannt Isidor, vorzüglich gefallen. Seine Großnichte, Shelly Kupferberg, hat sich der Geschichte ihres Großonkels angenommen und sein spannendes wie trauriges Leben in diese Biographie gegossen. Er war ein Mann der sich hochgekämpft hat, von Galizien nach Wien, von unten nach oben. Ein hart arbeitender Mann, der aber auch ein Genießer des schönen Lebens war. Bis die Nazis ihm brutal mit ihrem Judenhass den Boden unten den Füßen entzog.
Dieses Buch ist der Debütroman von Shelly Kupferberg und ist eine sehr persönliche Arbeit. Ob das zu diesem großartigen Schreibstil geführt hat? Sie schreibt mitreißend, gut und hat mich voll überzeugt. Auch wenn dieses Porträt nur knapp 240 Seiten umfasst, zeigt es uns Charaktere mit Ecken und Kanten und zeichnet sie lebhaft.
Das zusätzliche Interview mir Shelly Kupferberg am Ende des Buches über ihre Recherche und Herangehensweise war auch hochinteressant, um die Hintergründe zu verstehen um das Entstehen des Buches. Ach und natürlich ist der Stammbaum ganz am Ende auch hilfreich – ich habe ihn leider erst recht spät entdeckt.
Ein jüdisches Leben – eine Innenansicht, bedrückend und so wichtig diese Erinnerung zu bewahren.

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Veröffentlicht am 08.09.2022

Wann will man weiterlesen und wann fühlt man sich als Leser ernst genommen?

Bei Regen in einem Teich schwimmen
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Beinahe wäre mir dieses gute Buch durch die Lappen gegangen und dann sah ich es doch an vielen Stellen auftauchen, sei es bei Bloggerinnen, bei redaktionellen Literaturkritiker(innen) oder auch einfach ...

Beinahe wäre mir dieses gute Buch durch die Lappen gegangen und dann sah ich es doch an vielen Stellen auftauchen, sei es bei Bloggerinnen, bei redaktionellen Literaturkritiker(innen) oder auch einfach nur bei Bekannten. Zum Glück, denn sonst wäre mir ein Lesevergnügen entgangen mit den Abhandlungen des texanischen Literaturprofessors George Saunders „Bei Regen in einem Teich schwimmen“ über seine liebsten russischen Meistergeschichten des 19. Jahrhunderts. Ich habe das Buch in der Tat verkannt und dachte es wäre mehr ein Buch für Schreibende als für Lesende! Aber nein, ein Buch (wie so oft) für alle! Es ist eine Schule des Lebens, nicht nur des Schreibens!
Er selbst, Georg Saunders, ist ein begnadetere Kurzgeschichtenschreiber und lehrt seit 1997 an der Uni Syracuse creative writing und dieses Buch ist im Grunde die Essaysammlung aus all den Jahren der Lehre nun als zusammengetragen.
Es sind in der Summe 7 russische Erzählungen. Erst liest man die jeweilige Geschichte und dann geht es in die Analyse von Saunders. Aber keine Angst, kein staubtrockener wissenschaftlicher Text. Er nähert sich literarisch. Macht Interpretationsangebote und bindet die Leserschaft in seine Gedankenwelt ein. Er hat viel Gutes aufzuzeigen, wenn er die Konstruktionen auseinander nimmt, aber er scheut auch Kritik an den großen Meistern nicht. Im Grunde steht immer die Frage im Raum: Wie gut funktioniert eine Geschichte?
Fazit: Dieses Buch bietet nicht nur unverhofft 7 gute Kurzgeschichten der russischen Meister sondern grandioserweise auch gleich die Interpretationen von Saunders en detail mit. Sprachlich auf allen Seiten ein Genuss!

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Veröffentlicht am 07.09.2022

Aufgearbeitete ukrainische Familiengeschichte

Denk ich an Kiew
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Fast schon grotesk, dass sich die Enkelin eines Flüchtlings aus der Ukraine, die es in die USA schaffte, nun einen Roman schreibt und ihrer Familiengeschichte auf den Grund geht und der Roman fertig ist ...


Fast schon grotesk, dass sich die Enkelin eines Flüchtlings aus der Ukraine, die es in die USA schaffte, nun einen Roman schreibt und ihrer Familiengeschichte auf den Grund geht und der Roman fertig ist kurz bevor der Krieg ausbrach und nun im Grunde brandaktuell ist und uns die Vergangenheit der Ukraine im UdSSR Kontext näherbringt. Erin Litteken begann sogar zu schreiben noch bevor der Konflikt auf der Krim entflammte 2014.
Der Roman hat zwei Erzählstränge und verbindet sich dann. Der erste spielt 2004 und wir lernen Cassie kennen, die mit ihrer Tochter in Illinois lebt und kürzlich ihren Mann bei einem Autounfall verlor. Ihre Großmutter Bobby emigrierte aus der Ukraine in die USA und begann dort ein neues Leben. Da Cassie nicht so recht auf die Beine kommt nach ihrem tragischen Verlust schlägt ihre Mutter vor, dass sie bei Bobby einzieht, dort nach dem Rechten sieht und ihre Großmutter unterstützt, die so langsam alt wird und selbst von sich sagt bald zu sterben. Eine Win-Win-Situation.
Der zweite Handlungsstrang beginnt 1929 in der Ukraine und erzählt die Lebensgeschichte von Katja. Es beginnt idyllisch auf dem Bauernhof ihrer Eltern bis Stalins Idee der Kolchosen und der Verstaatlichung mit aller erdenklichen Macht durchgedrückt wird, viele ihr Leben lassen und das Leben einfach nur noch unbarmherzig ist. Dieser Teil hat mich besonders erschüttert und zeigt eindrücklich wie die Verstaatlichung und Stalins harte Hand damals führte. Kein Entkommen und viel Elend.
Mich hat der Roman aus zwei Gründen überzeugt. Er ist super leicht zu lesen und man taucht richtig schnell ein in die Geschichte. Erin Litteken hat hier einen guten Ton gefunden und auch beiden Strängen einen eigenen Ton gegeben. Auch die Übersetzung ist gelungen durch Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt. Der zweite ist noch offensichtlicher, denn es bringt einem Nahe wie das Verhältnis der ukrainischen Bevölkerung zur UdSSR entstanden ist und wie das ukrainische Volk schon damals enorm unter der harten Hand der UdSSR und Stalin litt. Der Strang in 2004 lockert den heftigen Teil zu Beginn der 30er Jahre in der Ukraine auf und es passt es super gut zusammen.
In der Summe ein gutes Buch, dass auch noch historisch bereichert.

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Veröffentlicht am 06.09.2022

Ein Zeitungsartikel gab den Anstoß zu diesem Bilderbuch…

Pinguine in der Sushi-Bar
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Das Bilderbuch „Pinguine in der Sushi-Bar“ ist ein herrlich gelungenes Gesamtkunstwerk aus einem kleinen feinen Verlag: Edition Pastorplatz. Ich finde es immer großartig tolle Bücher aus kleineren Verlagen ...

Das Bilderbuch „Pinguine in der Sushi-Bar“ ist ein herrlich gelungenes Gesamtkunstwerk aus einem kleinen feinen Verlag: Edition Pastorplatz. Ich finde es immer großartig tolle Bücher aus kleineren Verlagen zu entdecken wie dies hier. Es ist geschrieben von Anna Schindler und illustriert von Katrin Dageför. Und die Idee kam ohne Witz durch eine Zeitungsrandnotiz, die auch im Buch abgedruckt ist!
Dieses Bilderbuch ab 5 Jahren überzeugt vor allem mit der kreativen Idee der Geschichte und der tollen bildlichen Umsetzung. Es geht um ein Pinguinpaar, dass Nachwuchs erwartet und glaubt in der Stadt wäre ein sicherer Ort als die raue Natur. Sie landen in einer Sushi-Bar, der leider das leuchtende S fehlt und nur „Ushi-Bar“ genannt wird. Die Pinguine hauen rein und haben aber leider kein Geld, es eskaliert und just in diesem Moment schlüpft das Pinguinbaby und es wendet sich natürlich alles zum Guten. Der langjährige Koch möchte in Rente gehen und überlässt den Pinguinen die Bar und es gibt noch mehr Nachwuchs und die Suhsi-Bar verändert sich.
Dies oberflächlich einfache Bilderbuch ist in der Tat vielschichtiger und komplexer als man erwarten würde. Aber keine Sorge, ich meine es hat viele Themen zu bieten, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Das Bilderbuch ist ab 5 Jahren, kann aber auch schon mit pfiffigen 3-4 jährigen erkundet werden, auch wenn sie die unterschwelligen Themen noch nicht greifen können, die sie aber mit den Jahren auch erfassen werden. Was sind diese Themen aus meiner Sicht? Abwanderung, Migration in städtische Regionen oder andere Länder mit der naiven Ansicht, dass das Leben dort einfacher ist. Ohne Moss ist nix los! Adoption und jeder kann sein wie er will und wo er sich geborgen fühlt. Außerdem und sehr wichtig: Mit Kreativität kann man viele Situationen lösen.
Uns hat das Bilderbuch überzeugt und meine Kinder, die schon in die Grundschule gehen, fanden es auch immer noch total niedlich und haben es sich sehr gerne vorlesen lassen. Wir haben natürlich mehr über die impliziten Themen gesprochen, was zu einem guten Austausch geführt hat.
Am Ende ist und bleibt es ein gelungenes nettes Bilderbuch!

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Veröffentlicht am 12.08.2022

Immer draufgehauen in einer Hölle auf Erden

Liebe ist gewaltig
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Häusliche Gewalt ist kein Einzelfall und schon gar kein Phänomen weniger Gebildeter und Betuchter, wie es viele gerne darstellen. Es gibt auch beim Bildungsbürgertum genauso Monster der Tyrannei, nur wissen ...

Häusliche Gewalt ist kein Einzelfall und schon gar kein Phänomen weniger Gebildeter und Betuchter, wie es viele gerne darstellen. Es gibt auch beim Bildungsbürgertum genauso Monster der Tyrannei, nur wissen sie wie eine Fassade zu wahren ist. Und genauso ergeht es Juli, die einen schlagenden Vater hat. Eigentlich eine Vorzeigefamilie im Stuttgarter Vorort mit großem Haus, er Anwalt in der Automobilbrache mit schlauen Kindern – klassisch schwäbisches Bildungsbürgertum. Aber die Gewalt die hinter verschlossenen Türen wütet ist roh und selbst die Mutter macht sich zur Mittäterin, wenn sie nicht eingreift und die Schläge und Tritte verharmlost. Die schwäbische Vorzeigefamilie bleibt unbefleckt und das Übel wütet im Geheimen.
Wir begegnen Juli in drei verschiedenen Zeitebenen. Zunächst 2007, als sie Klassebeste ist und der ganze Stolz der Familie. Aber wenn sie nicht die Nummer Eins ist, dann triggert das den Vater der seine ganze Wut an ihr auslässt. Juli erträgt und leidet. Mit den Jahren flüchtet sie sich in enorm brutale Videospiele und wünscht dem Vater den Tod oder zumindest das Jugendhaus auf den Hals.
Dann folgt ein Zeitabschnitt 2014 in dem sich Juli nun Jules nennt sich von der Familie unabhängig selbst finanziert als professionelle Gamerin und Mathe studiert. Sie spürt zum ersten Mal Liebe und lernt zu vergessen mit Sanyu, auch wenn die Vergangenheit sie immer wieder einholt und Jules nicht darüber sprechen kann. Zu guter Letzt springen wir mit ihr ins Jahr 2016 nach Zürich wo sie sich den Langweiler Thilo geangelt hat und nun Julia genannt wird, Geld ist vorhanden, ihre Promotion hängt sie an den Nagel und es droht ein verqueres Schicksal, denn Thilo versteht sich hervorragend mit ihrem Vater.
Die Autorin Claudia Schumacher hat hier ein mächtig starkes Debüt vorgelegt. Claudia Schumacher kommt aus der journalistischen Schiene und war bisher als Kolumnenschreiberin tätig, nun auch als Romancierin! Wirklich sprachlich sehr gelungen, wie dieser Wirbelsturm an psychologischem Terror hier zwischen den Buchdeckeln über uns schwappt. Sie macht es plastisch und greifbar, dass es einem schlecht wird. Weiterlesen möchte man trotzdem, weil sie immer wieder Köder setzt und minimal vorgreift. Da möchte ich immer gerne weiterlesen und erfahren was, warum und wieso. Auch ist Juli eine höchst spannende Figur, nicht nur als armes Kind porträtiert. Auch sie ist ambivalent und natürlich psychisch instabil. Auch die schnelle Erzählweise, die in den ersten beiden Teilen aus der Ich-Perspektive zu uns dringt und dann im dritten Teil die Wendung bekommt aus der 3. Person zu erzählen.
Fazit: Explosiv gut erzählt wird hier wie Wohlstandsverwahrlosung aussieht.

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