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Veröffentlicht am 11.07.2020

Actionreicher Cyberpunk aus Deutschland

Neon Birds
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Man mag es angesichts des englischsprachigen Titels und der ebenfalls englischen Kapitelüberschriften kaum glauben, aber der Science-Fiction-Roman »Neon Birds« von Marie Graßhoff, erschienen 2019 als Originalausgabe ...

Man mag es angesichts des englischsprachigen Titels und der ebenfalls englischen Kapitelüberschriften kaum glauben, aber der Science-Fiction-Roman »Neon Birds« von Marie Graßhoff, erschienen 2019 als Originalausgabe im Lübbe-Verlag, stammt aus Deutschland. Er ist der Auftakt zu einer gleichnamigen Trilogie, deren zweiter Teil »Cyber Trips« bereits erhältlich ist und der dritte Band »Beta Hearts« im Herbst 2020 erscheinen soll. Die am ehesten dem Cyberpunk zuzuordnende Geschichte handelt von einer Welt, die durch eine außer Kontrolle geratene Nanotechnologie bedroht wird.

Im Jahr 2101 hat sich die Welt durch Umweltzerstörung, Überbevölkerung und Klimawandel geändert. Dreißig Jahre zuvor hat es einen zweiten Kalten Krieg gegeben, in dem eine nicht näher genannte Macht ihre Soldaten durch den Einsatz von injizierten lernfähige Nanocomputern, KAMI genannt, aufrüsten wollte. Das Experiment schlug fehl: Die Betroffenen werden zwar nicht nur physisch übermenschlich stark und hyperintelligent, sondern verlieren auch ihre Emotionen, Individualität und entziehen sich jeglicher Kontrolle. Sie werden zu sogenannten Moja, einer Art mordender Cyborgzombies. Gleichzeitig entwickelt sich KAMI ständig selbständig weiter, kann sich reproduzieren und wie ein Virus mithilfe von Vögeln weltweit verbreiten. Um diese Technoinfektion einzudämmen, müssen ganze Landstriche unter Quarantäne gestellt werden. Sondereinheit bekämpfen rücksichtslos die Infizierten innerhalb und außerhalb der hermetisch abgeriegelten Sperrgebiete. Gleichzeitig ermöglichte diese Krise, die Welt nach einem Militärputsch in einer Art Diktatur zu vereinen. Der Roman folgt vier unterschiedlichen jungen Erwachsenen, die – ausgelöst durch einen Zwischenfall an einer der Sperrzonen – einem Geheimnis auf die Spur kommen.

Als Leser wird man zu Beginn ohne Einleitung in die actionreiche Geschichte geworfen. Sie beginnt mit einem Ausbruch der Moja aus einer Enklave in Nordchina und dessen Niederschlagung durch militärische Eliteeinheiten. Erst nach und nach werden Zusammenhänge und Begriffe, teils in Form von in die Handlung eingestreuten Datenblättern oder Aktennotizen erklärt. Dabei wechselt die Perspektive ständig zwischen den vier Hauptpersonen, deren Innenleben einen großen Raum einnimmt. Da ist zum einen der zum Cyborg aufgerüstete, ehemalige Supersoldat Okijen Van Dire, der des Kämpfens müde ist und mehr oder wenig widerwillig reaktiviert wird. Ferner der Student und Geheimagent Flover Nakamura, der seine Karriere nur verfolgt, um seiner mächtigen Mutter zu gefallen. Sein Freund und Kommilitone Luke Bible, der ein Geheimnis hat. Und schließlich Andra Yun, die einer Gruppe angehört, die fernab der Zivilisation ein naturverbundenes, freies Leben führt. Die Figuren werden anschaulich und sympathisch geschildert. Das Worldbuilding ist schlüssig und bietet ausreichend Sense of Wonder. Nach dem rasanten Beginn folgt ein ruhigerer Mittelteil, in dem die Personen näher vorgestellt werden und der Konflikt herausgearbeitet wird, wobei es der Autorin gelingt, die Spannung aufrecht zu erhalten. Am Ende nimmt der Roman dann wieder Fahrt auf und liefert einen überraschenden Cliffhanger.

»Neon Birds« ist ein höchst unterhaltsamer, fesselnder Roman mit kritischen Untertönen. Der Schreibstil ist flüssig und modern, wobei man sich fragt, ob wirklich sämtliche Anglizismen zwingend erforderlich waren. Andererseits dominieren diese auch heute unsere Alltagssprache, speziell wenn es um Technologie und dergleichen geht, so dass es nicht als störend oder künstlich empfunden wird. (Einen Widerspruch gibt es: Obwohl Englisch die Umgangssprache in der Romanwelt zu sein scheint, wird an einer Stelle von Siezen gesprochen, ohne dass es diese Anredeform im Englischen gibt. Das hätte spätestens dem Lektorat auffallen sollen.) Die Hauptpersonen haben höhere Positionen und agieren teils reifer, als man es in Anbetracht ihres Alters – sie sind sämtlich zwischen 18 und 21 Jahren alt – erwartet hätte. Dies ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass eine Generation Menschen im Krieg gegen KAMI zu großen Teils gestorben ist und die jetzige, die zu diesem Zeitpunkt noch Kinder waren, überlebt haben und gezwungen war, früh erwachsen zu werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die Fortsetzung sowohl inhaltlich als auch erzählerisch das Niveau halten kann und kein schwächerer Mittelband wird, der nur zum Finale überleitet.

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Klassiker des Groschenromans

Sun Koh, der Erbe von Atlantis : Band 1 : Ein Mann fällt vom Himmel
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Die erfolgreiche Heftromanserie »Sun Koh - Der Erbe von Atlantis« erschien erstmals zwischen 1933 und 1936 und erfuhr mehrere Neuauflagen, zuletzt in Form einer gekürzten Taschenbuchausgabe, welche von ...

Die erfolgreiche Heftromanserie »Sun Koh - Der Erbe von Atlantis« erschien erstmals zwischen 1933 und 1936 und erfuhr mehrere Neuauflagen, zuletzt in Form einer gekürzten Taschenbuchausgabe, welche von 1978 bis 1980 im Pabel-Verlag erschien, und inspirierte nicht zuletzt die Science-Fiction-Serie »Perry Rhodan - Der Erbe des Universums«, welche seit 1961 durchgehend läuft. Die Romane stammen aus der Feder des Autors Paul Alfred Müller, wurden jedoch unter den Pseudonymen Lok Myler oder Freder van Holk publiziert. Während die bisherigen Nachkriegsausgaben dem Nationasozialismus geschuldete rassistische, antisemitische oder allgemein das Deutschtum verherrlichende Ausdrücke, die teilweise auf Druck der damaligen Reichsschrifttumskammer aufgenommen wurden, die auch Einfluss auf die Hauptfiguren nahm und beispielsweise das Ausscheiden des Schwarzafrikaners Nimba erzwang, folgt diese Neuauflage dem Ursprungstext, wobei rassistischen Passagen unbearbeitet, aber mit kritischen Anmerkungen übernommen wurden. In neun Bänden, die jeweils 15 bis 17 Einzelabenteuer inklusive Bildmaterial und umfangreichen Anhang enthalten, ist so die komplette Serie wieder zugänglich. Lediglich der Text, der im Original in Faktura gesetzte ist, wurde in Antiqua umgewandelt und die Rechtschreibung an die aktuellen Regeln angepasst.

Auch heutzutage lesen sich die über 80 Jahre alte Heftromane immer noch flüssig und sehr spannend. Man merkt dabei, warum Paul A. Müller so viele Autoren beeinflusst hat. Und das eine oder andere aus Sun Koh findet man auch in heutigen Serien durchaus wieder.

Im ersten Band landet Sun Koh, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, mit einem Fallschirm in London. Wie sich im Verlauf herausstellt, ist er der letzte Überlebende des verschollenen Kontinents Atlantis, welcher nach alten Überlieferungen wieder aus dem Ozean auftauchen wird. Er begegnet zwei Personen, die ihn bei seinen Abenteuern begleiten: den oft vorlauten Liftjungen Hal Mervin und den schwarzen Profiboxer Jack Holligan, der in Wirklichkeit zum Stamm der Joruba gehört von da an Nimba genannt werden möchte. Außerdem trifft er auf seinen Erzfeind, den Mexikaner Juan Garcia, aus dessen Gewalt Sun Koh seine Liebe Joan Martini befreien muss. Auch die von ihm zurückgewiesene Lady Houston ist immer wieder für unangenehme Zwischenfälle verantwortlich. Sun Koh erfährt, dass Garcia auch für den Tod seiner Eltern verantwortlich ist und dass Garcia in der Sonnenstadt der Maya in Mexiko einen Zwillingsbruder hat, den exzentrischen, aber zu den Guten zählenden Manuel Garcia. Dieser hat dort einen gewaltigen Schaft aus Maya-Hinterlassenschaften entdeckt, die er nach und nach Sun Koh überlässt. Da Sun Koh nun finanziell unabhängig ist, kann er aus aller Welt Wissenschaftler um sich scharen, die ihn mit fortschrittlichen Erfindungen unterstützen. Bei seinen zahlreiche Abenteuern in aller Welt findet Sun Koh immer wieder Hinweise und rätselhafte Bauten, die den Rückschluss zulassen, dass ein Teil der Atlanter den Untergang überlebt hat und sich auf anderen Kontinenten niedergelassen hat.

Diese mit viel Liebe zum Detail gestaltete Buchausgabe ist nicht nur ein Muss für alte und neue Fans von Sun Koh, sondern auch für alle die, die gute Unterhaltungsliteratur schätzen. Erfreulicherweise wurden auch die Titelbilder der Erstauflage und damalige Extras wie ein Jiu-Jitsu-Kurs abgedruckt. Ferner findet sich im Anhang eine ausführliche und reich illustrierte Dokumentation mit Kommentaren und Hintergrundinformationen zur Serie, verfasst von Heinz J. Galle, die den literaturhistorischen Wert dieser Sammlung unterstreicht.

Die Buchreihe ist beim Verlag DvR leider vergriffen und wird aus lizenzrechtlichen Gründen auch nicht mehr nachgedruckt werden, so dass man zugreifen sollte, wenn man sie antiquarisch noch erhält.

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Solider Thriller aus Deutschland

Zehn
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Dies ist die Besprechung eines vom Verlag über Netgalley.de zur Verfügung gestellten Probeexemplars:

Der Debutroman "Zehn" von Andy Neumann ist ein im April 2020 im Gmeiner Verlag als Taschenbuch und ...

Dies ist die Besprechung eines vom Verlag über Netgalley.de zur Verfügung gestellten Probeexemplars:

Der Debutroman "Zehn" von Andy Neumann ist ein im April 2020 im Gmeiner Verlag als Taschenbuch und E-Book erschienener Thriller. Der Autor ist hauptberuflich Beamter beim BKA, weiß also in Sachen Polizeiermittlungen, wovon der schreibt.

Der Roman handelt von einem Serienkiller, der über einen Zeitraum von neun Jahren insgesamt neun Menschen ermordet hat, ohne wegweisende Spuren zu hinterlassen. Seine Motive sind unklar, zwischen den Opfern gibt es keinen erkennbaren Zusammenhang. Erst nach dem sechsten Mord gibt sich "Ten", wie er sich nennt, gegenüber der Polizei zu erkennen. Lediglich der Reporter Rolf Niessen hat den Verdacht, dass der Täter in den Reihen der Polizei zu suchen sein könnte. Zehn Taten in zehn Jahren ist Tens perfider Plan, wobei die Morde immer perfekter werden sollen. Kann Niessen den Killer stoppen, bevor der sein Ziel erreicht?

Aus wechselnder Perspektive – teils in Rückblendenden – erzählt Andy Neumann bis zum finalen Showdown, wie Ten eher per Zufall zum Serienmörder wurde, und liefert dabei auch verstörende Einblicke in die Psyche des Täters. Die Figuren, ihre Situation und Gedanken erscheinen in allen Blickwinkel realistisch und verständlich, auch wenn die Antriebsfeder eines Serienmörders kaum nachvollziehbar ist. Der Roman ist packend, mit viel Insiderwissen geschrieben und durch seine abwechslungsreiche Handlung flüssig zu lesen. Leider gibt es ein paar Längen, so dass der Autor die Spannung nicht durchgehend hoch halten kann. Nicht alle Fragen werden geklärt, das überraschende Ende bleibt offen.

Insgesamt ein empfehlenswertes Buch, das sich nicht hinter den Werken renommierter Autoren verstecken muss.

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