Profilbild von PatchisBooks

PatchisBooks

Lesejury Profi
offline

PatchisBooks ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit PatchisBooks über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.09.2020

Schwerer Start, aber es lohnt sich!

Speak Up
0

Laura Steven entschied sich dafür, diesen Roman in Form von Blogeinträgen zu erzählen. Kurze, knackige Posts animieren so immer wieder dazu, jedes Zeitgefühl zu vergessen und am Ball zu bleiben. Die einzelnen ...

Laura Steven entschied sich dafür, diesen Roman in Form von Blogeinträgen zu erzählen. Kurze, knackige Posts animieren so immer wieder dazu, jedes Zeitgefühl zu vergessen und am Ball zu bleiben. Die einzelnen Kapitel sind durch die Angabe des entsprechenden Tages voneinander getrennt, innerhalb aber nochmal durch die verschiedenen Uhrzeiten, zu denen Izzy ihre Einträge veröffentlichte. In meinen Augen eine eher weniger gängige Art, eine Geschichte zu erzählen, doch im Großen und Ganzen mal eine gelungene Abwechslung und definitiv passend zur Thematik. Dabei schreibt die Autorin sehr jugendlich und einfach, nicht aber plump oder im Slang. Sie schafft es problemlos, Izzy eine Stimme zu geben und sie allein durch ihr Auftreten innerhalb des Blogs authentisch werden zu lassen. Laura Steven beherrscht es enorm gut, einen lockeren Lesefluss zu erzeugen, ohne dass die Message darunter zu leiden hätte. Sehr schön formuliert und noch schöner abgehandelt überzeugt der Schreibstil also auf ganzer Linie und die Gliederung noch mehr.

Die Charaktere hingegen hatten es etwas schwieriger. Besonders zu Beginn herrscht eine gewisse Distanz, die stellenweise unüberbrückbar erschien. Zum Glück besserte sich das Verhältnis zu Izzy und Co und man findet nach und nach einen Draht zu den Figuren. Spätestens nach dem ersten Drittel waren meine Bedenken dann beinah völlig ausgemerzt. Warum nur beinah? Dazu kommen wir gleich.
Izzy als Protagonistin ist taff, mutig und eigentlich ein völlig normaler Teenager. Sie bringt eine Menge Selbstvertrauen, Sturheit und Eigensinn mit ins Spiel, wirkt manchmal etwas naiv, manchmal etwas blauäugig, ist im großen und ganzen aber sympathisch. Sie ist eigentlich die ideale Besetzung für diesen Roman, denn sie geht mit ihrer Intimität sehr locker um. Dass ihr das irgendwann zum Verhängnis werden würde, ahnte sie bereits, doch mit diesem Ausmaß hatte sie, und auch ich, nicht gerechnet. Es fällt einem nicht schwer, mit ihr mitzuleiden und mitzufiebern; man wollte sie stets in Schutz nehmen und den anderen fast mit Gewalt die Augen öffnen. Nicht jede Entscheidung und nicht jeder Gedanke ist 100% authentisch oder nachvollziehbar, aber im Endeffekt war das auch nicht nötig, um mich bei Laune zu halten.
Was mir allerdings, während der gesamten Geschichte ein Dorn im Auge, und das bezieht sich auf das oben erwähnte „beinah“: Izzy’s Humor. Leider erreichte mich der Witz einfach überhaupt nicht, sondern entlockte mir viel eher ein Stirnrunzeln, wenn nicht sogar ein Augenrollen. Es gab ein paar kleine Momente, in denen ich schmunzeln musste, doch die waren so rar gesäht, dass sie in der Masse schlicht untergingen. Wäre der Humor ein anderer gewesen, so hätte die Wirkung der Handlung eine ganz andere, noch viel intensivere und tiefere sein können. Aber man will ja schließlich nicht meckern.
Nichts zu meckern gab’s auch in Bezug auf die Nebenfiguren. So war es Anjita, die einen mit ihrer Art einfach anstecken konnte. Spritzig, lebensfroh und eine durch und durch herzliche Persönlichkeit. Oder Danny, der den wohl größten Vielschichtigkeitsfaktor an den Tag legte. Bei ihm konnte man sich nie sicher sein, worauf er abzielt und was er mit seinem Tun bezweckt – das hat Laura Steven sehr schön herausgearbeitet. Alle anderen, wie Betty, Sharon usw. gefielen ebenfalls sehr gut und überzeugen.

Das Grundgerüst der Geschichte weist schon von Hause aus einen gewissen Tiefgang auf. Die Message, die schon aus dem Klappentext hervorgeht äußerst wichtig und meiner Meinung nach eine Seltenheit. Umso schöner, dass sich Laura Steven der Thematik angenommen hat. Leider fühlte sich der Einstieg doch schwerer an, als erhofft. Alles beginnt etwas zäh und der skurile Humor macht es ebenfalls schwierig, sofort Fuß zu fassen. Doch gewöhnt man sich erst einmal an die Begebenheiten und die Erzählweise, wird es merklich besser. Die Geschichte nimmt an Fahrt auf, es wird zunehmend spannender und interessanter. Das Tempo wird angezogen und die Plots beginnen allmählich damit, zu schockieren. „Speak Up“ öffnet einem die Augen, zeigt mit ausgestrecktem Finger auf die Probleme in der Gesellschaft und nimmt kein Blatt vor den Mund. Laura Steven behandelt hier ein Tabu-Thema und schafft es mit Leichtigkeit die entsprechenden Messages auszudrücken. Nie, wirklich niemals hätte ich damit gerechnet, dass mich das Buch, nach dem eher holprigen Start, noch dermaßen mitreißen und in seinen Bann ziehen kann. Durch die ganze Lebendigkeit, die hier herrscht, fühlt man sich oft unwohl in der eigenen Haut – nicht zuletzt auch weil man die Augen bisher ungewollt verschlossen hat.
Die ganze Handlung spitzt sich immer weiter zu, wird rasanter und die ganzen Nebeneinflüsse, die hier verbaut sind, rücken immer weiter in den Vordergrund. Denn neben den offensichtlichen Themen, wie Sexismus und Feminismus kommt zusätzlich noch Rassismus, Mobbing, Cyber-Kriminalität und noch einiges mehr ans Licht. Man kann nicht glauben, wie sich alles entwickelt, doch es ist, wenn man mal genau darüber nachdenkt, schlicht Alltag. Für mich hat Laura Steven hier beinah ein Meisterwerk geschaffen, das noch ganz viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Denn sie hat auch Izzy als Protagonistin so handeln lassen, wie es ein Opfer nun einmal tun würde. Im ersten Moment wehrt sie sich nicht, lässt sich so einiges gefallen und auch wenn dabei ihr Krönchen nicht fällt, tut es weh, das alles zu beobachten.
Das große Finale und die damit einhergehende Auflösung setzen dem Ganzen nochmal ein oben drauf und vermitteln ganz klare Botschaften! Ein rund herum gelungenes Buch darüber, wie ein einziger Fehltritt einer Frau ihr ganzes Leben zunichte machen kann – während der Mann ungeschoren und ohne mit Vorwürfen bombadiert zu werden, davon kommt. Sehr sauber ausgearbeitet, insziniert und dargestellt und dafür gebührt der Autorin ein riesiges Lob und jede erdenklich Anerkennung!

FAZIT:
„Speak Up“ von Laura Steven ist ein außergewöhnlicher Jugendroman, der sich mit einer Thematik beschäftigt, die viel zu selten angesprochen wird. Durch Izzy vermittelt uns die Autorin in was für einer Welt wir eigentlich leben und öffnet uns Lesern nach und nach die Augen. Auch wenn mir der Humor innerhalb des Buches und der Einstieg ins Geschehen nicht 100% zusagten, möchte ich dennoch, dass dieses Buch ganz viel mehr Aufmerksamkeit erhält und möglichst viel und oft gelesen – und vielleicht auch im Netz gezeigt und rezensiert wird. Von mir gibt’s ne klare Lese-Empfehlung, weil dieses Buch einfach unglaublich wichtig ist. Fürs Highlight gab’s letztlich zu viel Kritik, aber 4 starke Sterne für den Mut und das Können von Laura Steven.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.09.2020

Dat war nichts :(

V is for Virgin
0

Kelly Oram erzählt auch die Geschichte von Val wieder sehr greifbar und lebendig. Durch ihren flüssigen, angenehmen Schreibstil rauscht man nur so durchs Geschehen, kann sich dabei aber alles wunderbar ...

Kelly Oram erzählt auch die Geschichte von Val wieder sehr greifbar und lebendig. Durch ihren flüssigen, angenehmen Schreibstil rauscht man nur so durchs Geschehen, kann sich dabei aber alles wunderbar leicht vor Augen führen. Auf großartige Beschreibungen wird verzichtet, dafür wird auf Atmosphäre und ein zügiges Tempo gesetzt. Zuletzt habe ich den Stil der Autorin mit dem von Brittainy C. Cherry und Colleen Hoover verglichen – um dem stimme ich auch heute noch größtenteils zu. Gefühlvoll, echt und voller Emotionen – aber dabei trotzdem nicht zu anspruchsvoll. Selbst die Dialoge glänzen wieder, in dem sie glaubhaft und realistisch gehalten sind, ungezwungen wirken und Spaß machen. Allgemein gibt es nichts, was man in Bezug auf den Schreibstil und die Wortwahl, die passend für die Zielgruppe ausfiel, kritisieren könnte. Gut gemacht! Wieder einmal!
Corinna Dorenkamp als Sprecherin macht dabei auch einen wunderbaren Job. Ihre Stimme klingt jung und frisch, sehr dynamisch und sie verleiht der Geschichte zusätzlich Lebendigkeit und Authensität. Die verschiedenen Tonlagen und Geschwindigkeiten sind ideal gewählt und sorgen für das Auf und Ab während des Lesens. Die Dialoge sind spritzig und durch die Ich-Perspektive erschien es oft so, als würde Val tatsächlich selbst zu uns Lesern sprechen. Obwohl ich Corinna Dorenkamp bisher nicht kannte, konnte sie mich doch gleich auf Anhieb überzeugen und bleibt positiv in Erinnerung. Es hätten wohl nicht viele so gut gepasst, um Val’s Geschichte so realistisch zu vertonen.

Und genau hier endet das Lob. Die Idee an und für sich hätte noch Potential gehabt, um so richtig einzuschlagen – doch die Umsetzung scheiterte kläglich. Anfänglich kann die Handlung definitiv noch neugierig machen, doch es schien fast so, als würde sie sich schon nach wenigen Seiten selbst verlieren. Kelly Oram konnte sich wohl nicht so recht entscheiden, ob aus „V is for virgin“ nun ein tiefgründiger, aussagekräftiger Roman mit einer starken Protagonistin werden soll, oder doch lieber eine seichte Rockstar-Lovestory mit möglichst heißem Protagonist. So schwankte das Augenmerk immer wieder hin und her – und beides wirkte dementsprechend unausgereift. Die Kampagne rund um das Thema Jungfräulichkeit war grundsätzlich nämlich keineswegs schlecht! Kelly Oram hat es geschafft, dass Val trotz ihrer Radikalität kein Slutshaming betreibt. Sie animiert lediglich dazu, sich Gedanken darum zu machen, wem man „sein erstes Mal“ schenkt oder wen man allgemein an sich heranlässt; mit wem man so intim werden möchte. Und dass man es nicht tun muss, wenn man nicht bereit dafür ist. Trotzdem verurteilt die Story niemanden, der anderer Meinung ist und das ist in meinen Augen ein riesiger Pluspunkt! Die Message dahinter ist also top, blieb aber irgendwo zwischen nervigen Protagonisten, sexsüchtigen Teenagern, fehlenden Emotionen und zu viel Zickenkrieg zurück. Es wäre deutlich klüger gewesen, aus Kyle einen ganz normalen Kerl zu machen, anstatt eines Rockstars. Es gab keinen richtigen Spannungsbogen, das Interesse an der Handlung verblasst automatisch durch zu viel Teenie-Drama und die eigentlich schöne Aussage hinter dem Buch wirkt immer unwichtiger. Ich hätte mir klarere Linien gewünscht, weniger Liebe, weniger Rockstar und dafür mehr Ausdruck. Mehr „on point“, wenn ihr versteht, was ich meine. Mehr Tiefe innerhalb der Umsetzung und mehr Realität hätte so einiges rausreißen können, doch so war es manchmal ganz okay, manchmal einfach nervtötend. Vieles erschien unwirklich, überzogen und wenig glaubhaft. Zu viele Zufälle und zu viel Glück nahmen der Geschichte den Wind aus den Segeln.
Und das Ende.. ja das Ende. Schon kurz zuvor geschahen 2-3 Dinge, die zwar recht überraschend kamen, aber eher negativ ins Auge stachen. Und dann passierte alles so schnell und so aprupt, dass man kaum glauben konnte, dass es nun vorbei ist mit dem Buch. Wo bitte blieben die Emotionen? Das Mitfiebern? Der große Showdown. Es fühlte sich viel mehr so an, als wäre gerade eine Seifenblase geplatzt: plopp – weg.

In Sachen Charaktere kann „V is for virgin“ leider auch in keinster Weise mit Cinder und Ella mithalten. Während man sich damals wie im Sturm Hals über Kopf in die Protagonisten verliebte, ist es hier allenfalls ein laues Lüftchen, was da aufkommt. Keiner, wirklich keiner in dieser Geschichte hier überzeugt bedingungslos – außer vielleicht Jason (hieß er so?) aber es sind ja schließlich immer die Guten, die letztlich verlieren. Wie dem auch sei – Valerie jedenfalls konnte mich nicht für sich gewinnen. Sie schien stellenweise sehr radikal, ihre Beweggründe waren in keinster Weise nachvollziehbar und ihr Verhalten oft genau so wenig. Sie ging regelrecht mit Scheuklappen durchs Leben und reagierte oft seltsam innerhalb der Handlung. Blindlinks lief sie ohne Nachzudenken immer weiter ins Verderben und beschwerte sich dann letztlich darüber, was sie da alles erleben musste. Sie war sympathisch, das lässt sich nicht leugnen, doch viel mehr passierte da nicht. Eine Verbindung zu ihr herzustellen, gelang mir trotz aller Mühen leider überhaupt nicht – und das kann durchaus der Tatsache geschuldet sein, dass wir einfach grundverschieden ticken und ich das „Wieso und Warum“ überhaupt nicht verstand. Trotzdem hätte durchaus sowas wie ein Draht zueinander entstehen können, wenn sie einfach greifbarer gewesen wäre. An manchen Stellen glaubte man kurzzeitig mal mit ihr mitzuleiden, aber das verpuffte so schnell wieder, das es gut und gerne auch Einbildung hätte sein können. Auch die Entwicklung fehlte auf ganzer Linie. Keiner verlangt, dass sie ihre Prinzipien über Bord wirft und mit dem nächstbesten Kerl ins Bett springt! NEIN! Aber ein gewisses Maß an Verständnis für ihr Umfeld hätte irgendwann aufkommen sollen.
Kyle erschien mir währendessen etwas normaler (nein, nicht deshalb, weil er Valerie’s Ansichten nicht teilt, sondern weil er für einen Rockstar ein erstaunlich bodenständiger Charakter war). Trotzdem konnte er mein Herz lange Zeit genau so wenig erobern, wie Val. Dafür hätte einfach mehr da sein müssen als sein heißes Aussehen und sein sarkastischer Humor (der wiederum echt gut getroffen wurde). Was er aber definitiv aufwies, was die Weiterentwicklung, die man bei Valerie so schmerzlich vermisst hatte. Er wandelte sich und irgendwann wurde er dann doch noch zu einem akzeptablen Protagonisten für die Geschichte.
Ein paar Worte muss ich allerdings auch über Val’s beste Freundin loswerden. Cara war wirklich der Inbegriff von furchtbar. Was genau stimmte mit diesem Mädchen nicht? Völlig ichbezogen und selbstverliebt, ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer zieht sie ihr Ding durch und stößt jeden vor den Kopf, der nicht schnell genug in Deckung gehen kann. Also ehrlich: hätte ich eine solche Freundin.. obwohl nein, so eine Freundin hätte ich nicht, weil solche Menschen keine Freunde verdienen. Eine absolut katastrophale Figur, die der Geschichte nicht gut tat sondern immer wieder dafür sorgte, dass man tief durchatmen musste.
Alle anderen Figuren, wie Schulkameraden, Band-Mitglieder und Eltern sind aber wenigstens gut getroffen worden und ergeben insgesamt eine schöne Auswahl. Ihre Charakterzüge und Persönlichkeiten unterscheiden sich deutlich voneinander und die Abwechslung passte sehr gut ins Geschehen. Jeder trug seinen Teil zur Handlung bei und bereicherte sie mit seinem Auftreten.

FAZIT:
„V is for virgin“ von Kelly Oram zählt wohl zu den größten Enttäuschungen des Jahres – und warum? Weil die Erwartungen an die Geschichte derart weit oben lagen, dass sie eigentlich kaum zu erfüllen waren. Ich bin mir sicher, die Geschichte ist nicht schlecht, aber sie ist um Längen schlechter als „Cinder und Ella“. Da ich die beiden aber nicht großartig vergleichen möchte, konzentriere ich mich auf die Kritikpunkte, die mir hier begegnet sind: absolut schwache Charakter-Gestaltung bei den Protagonisten, eine schwammige Handlung und ein zutiefst enttäuschendes Ende. Und wo bitte waren die Emotionen?? Die fehlten leider komplett. Das alles überwiegt leider deutlich über den doch sehr angenehmen Stil, die gute Idee und die tolle Sprecherin. Schade. Ich hab mir viel mehr versprochen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.09.2020

Beim ReRead etwas schwächer als beim ersten Mal lesen.

Die Chemie des Todes
0

Der Schreibstil von Simon Beckett ist äußerst angenehm, atmosphärisch und packend. Schon in den ersten Minuten fühlt man den Sog, den die Worte des Autors erzeugen, und sich dem zu verweigern, ist schlicht ...

Der Schreibstil von Simon Beckett ist äußerst angenehm, atmosphärisch und packend. Schon in den ersten Minuten fühlt man den Sog, den die Worte des Autors erzeugen, und sich dem zu verweigern, ist schlicht nicht machbar. Mittels eines einfachen, bodenständigen und flüssigen Erzählstil fällt es dem Leser leicht, sich zurecht zu finden und ab zu tauchen. Man kommt, ohne Hürden, wunderbar leicht voran und hat stets ein klares Bild der Geschehnisse vor Augen. Dabei werden fachliche Informationen rund um das Thema Forensik, ganz nebenbei in die Geschichte eingewoben, sodass man zwar durchweg etwas lernt, sich aber nicht daran aufhalten muss. Selbst die Polizei-Arbeit bzw. die Ermittlungen sind sehr treffend verpackt, sodass die Spannung nicht darunter zu leiden hat. Johannes Steck als Sprecher überzeugt aber mindestens genau so. Er variiert in den Tonlagen, kann sowohl die ruhigen wie auch die action,- und spannungsgeladenen Passagen sehr schön wiedergeben und begeistert durch eine klare, deutliche Aussprache voller Atmosphäre. Hin und wieder zwang sich mir allerdings der Gedanke auf, dass es stellenweise doch etwas „to much“ wirkt, wie laut und energisch gesprochen wird – aber es passte dennoch irgendwie immer zur Situation.

Bei den Charakteren wurde dagegen wieder alles richtig gemacht. Unser Protagonist David Hunter ist tiefgründig und detaillreich, sympathisch und äußerst interessant. Obwohl man als forensischer Athropologe sicher abgehärtet sein muss, überzeugt er durch seine Bodenständigkeit und Normalität. Er wirkt, als habe er schon alles gesehen, doch gleichzeitig erscheint er nicht abgebrüht oder kalt. Simon Beckett hat den Protagonisten enorm gut getroffen und mit ihm eine Figur geschaffen, mit der man gern miträtselt, mitfiebert und mitleidet. David Hunter verfügt über ein gesundes Maß an Neugierde und Ehrgeiz, seine Entscheidungen sind stets nachvollziehbar und glaubhaft und sein ganzes Auftreten versprüht Charisma und Autorität. Dabei verlief sein bisheriges Leben alles andere als leicht, und trotzdem wurde der Mann nicht von seiner Vergangenheit und den Erlebnissen gebrochen. Kurz um: David Hunter ist die ideale Besetzung für diesen Thriller. Mit ihm schickt der Autor einen Charakter ins Rennen, der nicht nur passt, sondern den Leser auch neugierig macht. Er bringt schlicht etwas mit, was man noch nicht kennt – denn mal ehrlich; wer hat sich denn jemals mit forensischer Anthropologie beschäftigt?
Doch auch die anderen Figuren sind interessant und vielschichtig. Selbst vom unwichtigsten Polizisten konnte man sich ein klares Bild machen. Besonders positiv fällt einem dabei auch auf, wie gut der Autor das Dorfleben getroffen hat. Von der netten Großmutter, die absolut alles sieht und hört bishin zu den Rabauken, Unruhestiftern und Besserwissern ist alles vertreten. Das hübsche Mädchen spielt dabei übrigens auch eine tragendere Rolle, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Es gab sowohl die sympathischen Beteiligten, wie auch die, die einen auf die Palme treiben. Das spannende war dagegen rauszufinden, wer sich den Platz im eigenen Herzen einfach verdient hatte – und wer mehr Schein als Sein war. Simon Beckett konnte mich das ein oder andere Mal ordentlich hinters Licht führen – und wäre ich einer der Charaktere in diesem Buch, wäre ich wohl längst tot; und das macht es so besonders.

Die Idee, die forensische Anthropologie in einen Thriller einzubauen, ist einfach genial. Es ist allein dadurch derart interessant, dass die Geschichte rein theoretisch auch sterbenslangweilig sein könnte – man hätte trotzdem Freude beim Lesen. Doch dadurch, dass eben auch die Handlung an sich nur so vor Spannung strotzt, wird das Buch zu einem wahren Pageturner. Schon während des Einstiegs entsteht eine einnehmende Atmosphäre und der Fund der ersten Leiche, lässt nicht lange auf sich warten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt nimmt die Story dann an Fahrt auf und wird zunehmend rasanter. Zusätzlich dazu bietet der Aufbau jede Menge Spielraum für eigene Überlegungen und Ermittlungen. Man rätselt mit, will unbedingt so schnell wie möglich erfahren, wer der Täter ist und jedes Mal, wenn man meint, die ganze Sache durchschaut zu haben, dreht der Wind und man fängt von Null an. Abwechslung kommt in Form von unterschiedlichen Geschehnissen ins Spiel – denn neben der Ermittlung der Polizei, die wirklich einen Großteil des Buches einnimmt, durchleben wir auch die eigenen Nachforschungen und Gedankengänge des Protagonisten. Außerdem, wie oben schon angeteasert, spielt sogar eine kleine Liebesgeschichte eine Rolle – wenn auch nur am Rande, um den Spannungsbogen nicht zu schwächen. Gen Ende wird alles noch einmal dramatisch, voller Action, Spannung und überraschenden Wendungen. Von Aufbau her unterscheidet sich dieser Thriller also erstmal nicht von den vielen anderen auf dem Marktl, doch die Umsetzung von Simon Beckett ist und bleibt einzigartig. Düster und drückend, actionreich und spannend – so lässt sich dieses Lese-Erlebnis wohl am Besten beschreiben.
Das Finale dieses ersten Bandes lässt so viel Raum für weitere Wege, die die Reihe nun einschlagen kann und es ist unausweichlich, dass man sich sofort wieder an David Hunter’s Seite begeben möchte, um den nächsten Fall mit ihm zu lösen. Zugegeben, für ein Highlight reicht es heute nicht mehr, doch die Vorfreude auf „Kalte Asche“ ist deswegen nicht minder groß.


FAZIT:
„Die Chemie des Todes“ von Simon Beckett ist zwar schon vor etlichen Jahren erschienen und deswegen doch recht „alt“, weiß aber auch heute immer noch komplett zu begeistern. Eine spannungsgeladene, wendungsreiche Storyline in Kombination mit vielschichtigen, interessanten Charakteren und einer ganz ungewöhnlichen Grund-Thematik ergibt einen Thriller, den alle Fans des Genres unbedingt gelesen haben sollten. Das undurchschaubare Ende, das fulminant und atemlos dargestellt wurde, rundet das Buch schließlich ab. Wie gesagt, reicht es nicht ganz fürs Highlight, wahrscheinlich, weil ich die Storyline eben schon kannte – aber dennoch immer wieder ein Genuss, diesen Autor zu lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.09.2020

Sehr komplexe Handlung und eher schwaches Worldbuilding

Nightrunner
0

Schon während des Einstiegs werden dem Leser zwei Dinge klar: 1) dieses Geschichte hat Pfeffer. Sie wird sehr rasant erzählt und ist voller Plots und Twists. 2) Die Handlung ist deutlich komplexer, als ...

Schon während des Einstiegs werden dem Leser zwei Dinge klar: 1) dieses Geschichte hat Pfeffer. Sie wird sehr rasant erzählt und ist voller Plots und Twists. 2) Die Handlung ist deutlich komplexer, als es der Klappentext vermuten lässt. In gewisser Weise beißt sich das ganz schön, denn obwohl sich der Schreibstil wunderbar leicht und flüssig lesen lässt, kommt man einfach nicht voran. Es bedarf einer Menge Konzentration, um dem Geschehen folgen zu können. Lukas Hainer hat mit „Nightrunner – vergiss, wer du warst“ einen Urban Fantasy Roman erschaffen, der wahnsinnig viel beinhaltet. So viel, dass es an manchen Stellen etwas überladen wirkt. Zu Beginn kommt man noch ganz gut mit. Der Sprung in die Geschichte ist sehr interessant und spannend und man lernt die beiden Protagonisten nach und nach kennen. Auch Erklärungen gibt es so einige, die ganz nebensächlich eingebunden wurden. Doch bald schon nimmt der Input Überhand. Es kommen unzählige, verschiedene Gruppierungen ins Spiel, die sich alle irgendwie bekriegen. Von Husaren über Amerikaner bishin zu Engeln trifft man hier alles und dabei den Überblick zu behalten, fiel mir persönlich manchmal sehr schwer. Und die Frage, die man sich als Leser permanent stellt: worauf soll das alles hinauslaufen? Lange Zeit herrschte deshalb nichts als Leere in meinem Kopf, weil mir einfach nicht einleuchten wollte, worauf ich mich gefasst machen muss. Obwohl so vieles geschieht und es zu keiner Sekunde langweilig wird, wurden nur wenige Fragen beantwortet – stattdessen kamen immer wieder neue dazu und dieser Schlüsselpunkt, an dem sich die Puzzleteile endlich zusammensetzen sollten, rückte in immer weitere Entfernung. Oftgab es kleinere Plots, die nicht nur mein Vorstellungsvermögen, sondern auch keinen Horizont überstiegen. Ich verstand einfach nicht, was das zur allgemeinen Auflösung beitragen sollte. Und so entstand neben der actiongeladenen, mitreißenden Storyline ein gewisses Chaos in meinem Kopf. Ich fieberte mit, keine Frage. Die Leben, die Evelyn und Leonow jeweils führten, war vollgepackt mit allerlei interessanten, vielschichtigen Elementen. Als sich die Wege der beiden dann auch noch kreuzen, wurde es zunehmend packender. Sicher, man will wissen, worauf alles abzielt – man will verstehen, was gewisse Plots sollten und wie am Ende dann alle Fäden zusammenlaufen. Doch dadurch, dass man derart aufmerksam sein musste und deshalb nur schleppend voran kam, trübte den Lesespaß an einigen Stellen doch sehr.
Die lang ersehnte Auflösung war dann nicht minder spannend. Im Gegenteil, der Nebel lichtete sich und vieles machte plötzlich Sinn. Die Action nahm von Seite zu Seite mehr zu und auch in Sachen Kampf gab es einiges zu erleben. Denn da wiederum hat es Lukas Hainer wirklich meisterhaft geschafft, zu überzeugen. Die Kampfszenen sind fulminant, gewaltätig, mutig und authentisch. Man spürte während des Lesens den Hass, der untereinander herrschte und in manch einer Situation meinte man, das Erzittern des Erdbodens unter den eigenen Füßen zu spüren. Nichts desto trotz blieb nach dem Beenden des Buches eine gewisse Enttäuschung zurück. Für mich persönlich waren nicht alle Fragen beantwortet und so manch ein Zusammenhang erschloss sich mir bis zuletzt nicht. Übrigens: am Ende werden einem nochmal zwei Fakten klar: 1) der Titel passt irgendwie nicht so recht zum Buch und 2) da könnte, rein theoretisch doch noch eine Fortsetzung kommen?

Dies könnte jedoch auch dem Schreibstil geschuldet sein – zumindest im weitesten Sinne. Denn obwohl sich der Stil sehr gut und verständlich lesen ließ, mangelte es leider an Greifbarkeit. Das Worldbuilding ist nicht 100% ausgereift, ebenso wie es die Charaktere nicht sind. Es fehlte an den nötigen Beschreibungen, um die Vorstellungskraft des Lesers zu erreichen und so entstand schon recht früh das Gefühl von Nebel im Kopf, der sich einfach nicht lichten wollte. Dabei ist die Art, wie Lukas Hainer erzählt, keineswegs schlecht. Er hat ein immenses Tempo vorgelegt und trotzdem gerät man als Leser, rein auf den Lesefluss bezogen, nicht ins Straucheln. Ich bin mir sicher, wäre das Setting sowie die Charaktere und auch die Handlung ganz allgemein weniger „verwaschen“ und „chaotisch“ dargestellt gewesen, wäre alles weniger kompliziert und somit leichter zu verfolgen gewesen.
Ein weiterer Faktor, der diese Komplexität schürte, war die Gliederung. An und für sich sind mehrere Perspektiven immer positiv. Auch hier gewährten sie einige tiefere Einblicke in die Begebenheiten und Beweggründe der Charaktere. Trotzdem stiften die unterschiedlichen Figuren auch Verwirrung und jedes Mal wenn man meinte, endlich alles durchschaut zu haben, wechselte der Protagonist wieder und das Spiel begann von vorn.

Die Charaktere bestachen in den ersten Momenten noch durch Einzigartigkeit. Beide unterscheiden sich doch deutlich voneinander und auch von der Masse an Figuren, die man als Leser im Laufe der Zeit kennenlernt. Evelyn, das Mädchen, das vom Fliegen träumt und Leonow, der inmitten eines Waldes in eine Jagd gerät und seine große Schwester, und somit alles, was ihm von seiner Familie noch geblieben ist, zurücklassen muss. Eine gute Basis, aus der man als Autor hätte einiges herausholen können; doch leider wurde dies nicht zur Gänze geschafft. Sowohl Evelyn als auch Leonow wirkten sehr oberflächlich, konnten kaum Tiefgang aufweisen und es fällt einem grundlegend schwer, sich die beiden vor Augen zu führen. Die Problematik, dass hier zu viele verschiedene Gruppierungen auftreten, wirkt sich also auch auf die Protagonisten aus. Wo gehören sie hin? Gegen wen haben sie sich gewendet? Wer ist Freund, wer Feind? Was sind sie überhaupt? Mensch? Maschine? Engel? Man weiß es nicht und das Geheimnis um die zwei Jugendlichen blieb zu lange verschlossen.
Leonow hatte dabei noch einen etwas besseren Stand, als Evelyn. Er wirkte irgendwie noch sympathisch, irgendwie lebensecht und menschlich; während Evelyn von Anfang an gefühlt nur Fragen aufwirft. Dazu kommt, dass Leonow noch eine gewisse Entwicklung an den Tag legte. Seine Entscheidungen und Gedankengänge waren nachvollziehbarer, wenn auch nicht immer einleuchtend. Evelyn war für mich ein verschlossenes Buch – und wenn man einmal genau darüber nachdenkt, nimmt sie nicht einmal einen Bruchteil der Hauptrolle ein, die Leonow besetzt. Er führt uns durch das zerstörte Wien, durch die Geschichte und Evelyn ist eher der Klotz am Bein.
Dazu kommt, dass im Laufe der Zeit auch noch andere Protagonisten ans Licht kommen. So spielen also auch noch andere Figuren eine tragende Rolle spielen; denn auch sie haben ihre eigenen Kapitel erhalten. Das alles spielte den beiden eigentlichen Protagonisten nicht gerade in die Karten; im Gegenteil – sie stehlen ihnen schlicht die Show. Ich kann, trotz aller Kritik, aber nicht behaupten, dass ich, besonders mit Leonow nicht mitgefühlt und mitgelitten habe; es fehlte einfach nur der richtige Zugang zu ihm, um sich bedingungslos auf ihn einlassen zu können. Evelyn bleibt da leider außen vor: sie erreichte mich nicht und begeisterte erst recht nicht. Auch die anderen Figuren wie Lyskom, Kurt und Maria wollten so gar keine Gefühle in mir wecken. Schade. So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt.

FAZIT:
„Nightrunner – vergiss, wer du warst“ von Lukas Hainer ist ein durchaus spannender Fantasy-Roman. Das Grundgerüst der Geschichte ist enorm einfallsreich, interessant und voller Potenzial. Leider ist die Handlung zu komplex geworden, um so richtig verständlich zu sein. Das Worldbuilding leidet extrem unter den fehlenden Infos und auch die Charaktere weisen einige, eher negative Eigenschaften auf und sind allgemein zu blass geblieben, um sie ins Herz schließen zu können. Dafür ist die Geschichte voller Action, Rasanz, düsterer Stimmung und Kampf und der Schreibstil lesefluss-technisch sehr gelungen. Denn obwohl das Verständnis der Handlung gegenüber fehlte, sprach die Art, wie der Autor erzählt, doch positiv ins Auge. Es ist unheimlich schwer, ein entgültiges Fazit zu ziehen. Es war kein schlechtes Buch, es ist spannend, voller interessanter Elemente und mit einem angenehmen, verständlichen Schreibstil versehen. Doch es gab einige deutliche Kritikpunkte, die nicht zu ignorieren sind. Ich würde sagen: Mittelfeld. Da ist noch einiges an Luft nach oben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.09.2020

Einige sehr ausgeprägte Längen ruinieren die Spannung

Der Klavierstimmer Ihrer Majestät
0

Der Schreibstil ist, genau so wie die gewählte Sprache, sehr „schwer“. Das Buch liest sich längst nicht so leicht, wie man es von anderen Romanen aus diesem Genre gewohnt ist – was aber durchaus seinen ...

Der Schreibstil ist, genau so wie die gewählte Sprache, sehr „schwer“. Das Buch liest sich längst nicht so leicht, wie man es von anderen Romanen aus diesem Genre gewohnt ist – was aber durchaus seinen Charme mitbringt. Daniel Mason beschäftigt sich sehr viel mit Details, geht auf alles sehr genau ein und erzeugt das Gefühl, nebenbei noch enorm viel lernen zu können. Seine Wortwahl und Beschreibungen passen perfekt in die damalige Zeit und in das ferne Birma. Doch gleichzeitig verleiht es der Geschichte auch etwas kompliziertes – etwas fachliches, was einen schnell überfordern kann. Die Atmosphäre fehlte, bzw. kam nur stellenweise auf; was schlicht zu wenig war. Als Hörbuch entsteht schnell der Eindruck, überhaupt nicht mehr mitzukommen und den Faden schon nach wenigen Sekunden verloren zu haben. Das geschriebene Wort war zumindest für mich, absolut nötig. Vergleicht man die beiden Bücher, die ich schon gelesen habe, merkt man doch, dass Daniel Mason in „Der Wintersoldat“ deutlich mehr überzeugte, was den Stil, die Sprache und die Stimmung betrifft.

Die erstaunlich wenigen Figuren, die in diesem Werk eine Rolle spielen, wollen auch nicht so recht begeistern. Edgar Drake als Protagonist wirkt oft sehr distanziert und unterkühlt, erscheint manchmal sehr unbedacht und naiv – ist schlicht nicht recht greifbar. Dabei ist der Klavierstimmer alles andere als unsympathisch, denn allein seine grenzenlosen Liebe zu seinem Beruf lassen das Leserherz schnell höher schlagen. Zu beobachten, mit wie viel Hingabe und Leidenschaft er arbeite, wie konzentriert er bei der Sache ist und wie sehr er dabei alles sich herum vergisst, bereitet große Freude. Er durchlebt ein unbeschreibliches Abenteuer; alles ist neu für ihn und er weiß überhaupt nicht, was auf ihn zukommt. In gewisser Weise ist seine Persönlichkeit also definitiv passend zur Geschichte. Dennoch sind nicht all seine Handlungen, Gedanken und Entscheidungen nachvollziehbar. Manches von dem, was er denkt und tut, ist beinah absurd leichtgläubig. Aber nochmal: Edgar ist kein schlechter Protagonist, er ist schlicht eigen und unterscheidet sich grundlegend von den gewohnten Charakteren.
Alle andere Figuren, die im Laufe des Romans auftauchen, bekleiden nur eine Nebenrolle. So lernen wir als Leser beispielsweise auch die Ehefrau von Edgar kennen, die im regnerischen London bleibt, während ihr Mann ins ferne Birma reist. Es bleibt also kaum Zeit, diese Figur so richtig kennenzulernen, ehe sie wieder von der Bildfläche verschwindet. Ebenso verhielt es sich mit all den anderen, die einem auf der Reise begegnen. Kaum einer hinterließ einen bleibenden Eindruck und selbst der Arzt Dr. Carrol blieb eher blass. Meines Erachtens nach war es aber auch nicht nötig, die Charaktere alle genau auszuleuchten – das hätte die Handlung nur in die Länge gezogen. So bin ich also nicht der größte Fan der Besetzung dieser Geschichte geworden, konnte aber dennoch einige positive Aspekte finden und aufzählen.

Das Grundgerüst des Romans – also das, was man im Klappentext erfährt – klingt erstmal sehr vielversprechend und voller Potential. Steigt man aber dann erst einmal in die Geschichte ein, kommt schnell die Ernüchterung. Der Einstieg ist noch verhältnismäßig interessant. Es passiert was; das Ganze tritt nicht auf der Stelle. Doch kaum dass Edgar die Reise nach Birma angetreten hat, wird alles extrem ruhig. Gefühlt geschieht ewig nichts, und danach auch nur wenig. Diese Passagen sind dann auch noch mit allerlei Geschichten von anderen Reisenden gespickt, die nur wenig mit dem weiteren Verlauf des Geschehens zu tun haben. Wären besagte Erzählungen wenigstens interessant gewesen, hätte man ihnen sicher was abgewinnen können; so aber sorgte sie nur für weitere Langeweile. Dazu kam, dass vieles, was Daniel Mason schreibt, zum kompliziert wirkt. Es gab einige Stellen, die man, wenn überhaupt, nur mit Müh und Not analysieren konnte. Zu viele Jahreszahlen, zu wenig aussagekräftige Plots. Doch auch in der Haupt-Story dümpelte alles nur so vor sich hin; fast so wie das Schiff, das den Klavierstimmer nach Asien verfrachtete. Zig Umstiege zogen auch die Reise sehr in die Länge. Angekommen im Kriegsgebiet hätte es eigentlich so richtig losgehen sollen; das zumindest wäre nur die logische Nachfolge der zu intensiven Ruhe gewesen. Doch selbst dort wollte sich so etwas wie Tempo und Spannung nicht blicken lassen. Es wurde zwar dann endlich etwas interessanter; vor allem in Bezug auf den Flügel und Edgar’s Bekanntschaft mit einer Frau, aber dieser letzte Funke wollte partout nicht zünden. Es ist jammerschade, immerhin ist die Handlung voller Möglichkeiten, hätte plotreich und actionlastig ausfallen können – tat sie aber nicht. Stattdessen verwirrt vieles, kommt nicht auf den Punkt und die unzähligen Namen und Verwicklungen untereinander, bringen alles andere als Licht ins Dunkel.
Erst gen Ende schien sich der Nebel zu lichten. Alles nahm dann an Fahrt auf und es kam endlich die ein oder andere Überraschung, auf die man sehnsüchtig gewartet hat. Doch dann passiert plötzlich alles so schnell, so chaotisch und kaum greifbar. Und prompt war die letzte Seite angebrochen und ich als Leser blieb sehr ratlos zurück. Hatte ich das denn jetzt richtig verstanden? Leider wurde es auch beim zweiten Mal Lesen der letzten Passagen nicht besser. Sehr schade.

FAZIT:
„Der Klavierstimmer ihrer Majestät“ von Daniel Mason konnte leider überhaupt nicht mit der authentischen Stimmung und der realistischen Darstellung der damaligen Zeit, wie ich es von „Der Wintersoldat“ (ebenfalls aus seiner Feder) kannte, mithalten. Es fehlte an Authensität und Atmosphäre, an einer geraden Handlungslinie und vor allen an Plots, die für Spannung gesorgt hätten. Leider war diese Geschichte überhaupt nicht meins. Auch wenn nicht alles schlecht war, hängen wir deutlich hinter den 4 Sternen vom Wintersoldaten her. Falls ihr aber gern zeitgenössische Literatur lest und mit einem etwas komplizierteren Schreibstil zurecht kommt; gebt dem Roman eine Chance – die Idee und vor allem das Setting überzeugen durchaus.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere