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Veröffentlicht am 07.09.2020

Keine Neuerfindung des Rads aber doch sehr unterhaltsam

Finde mich. Jetzt (Finde-mich-Reihe 1)
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Kathinka Engel hat einen sehr leichten, alltäglichen Schreibstil, der sich wunderbar schnell und flüssig lesen (und hören) lässt. Sie verwendet eine einfache, verständliche Sprache und erzählt mit jugendlicher ...

Kathinka Engel hat einen sehr leichten, alltäglichen Schreibstil, der sich wunderbar schnell und flüssig lesen (und hören) lässt. Sie verwendet eine einfache, verständliche Sprache und erzählt mit jugendlicher Leichtigkeit sehr gefühlvoll, bildhaft und greifbar. Es fiel mir als Leser weder schwer, mir die Charaktere und Settings vorzustellen, noch mit besagten Charakteren mitzufühlen. Die Gliederung in zwei verschiedene Perspektiven bringen sie uns zudem auch nochmal deutlich näher und lassen uns ausgesprochen tief in die jeweiligen Gefühls,- und Gedankenwelten blicken.
Ein weiterer Pluspunkt war die Aufteilung der beiden Sprecher; so übernimmt – wer hätte es gedacht – Dagmar Bittner den Part von Tamsin und Bastian Korff dementsprechend den von Rhys. Da mir die weibliche Stimme bereits aus anderen Hörbüchern bekannt war, war es keine große Überraschung, dass sie einen tollen Job macht. Obwohl es hier manchmal ein wenig ins „Säuseln“ abdriftet, was stellenweise etwas anstrengend wirkt. Dagegen überzeugt der männliche Sprecher auf ganzer Linie. Seine Stimmlage ist äußerst angenehm, mitreißend und transportiert dazu die Emotionen noch enorm gut. Kurz um: beide Vorleser haben einen tollen Job gemacht, auch wenn Tamsin’s Parts teilweise ein wenig zu gestellt anmuteten.

(Bevor ich nun zu den Figuren ganz allgemein komme, möchte ich mal kurz über die Namensgebung meckern – also mehr SJM ging nicht, oder? Tamsin und Rhys? So wie Tamlin und Rhysand? Naja. Lassen wir das mal so stehen.) Sowohl Sprecher als auch Sprecherin verliehen den beiden Protagonisten also ihre ganz eigene Lebendigkeit und Dynamik. Doch auch charakterlich stechen Tamsin und Rhys heraus. Tamsin, die quirrlige junge Frau mit einer Menge Lebensfreude, Ausstrahlung und Energie begeistert durch authentisches, ehrliches Auftreten und nimmt den Leser schon während den ersten Seiten für sich ein. Sie mag vielleicht nicht die Außergewöhnlichkeit in Person sein, doch dank ihres Temperaments und ihrer sympathischen, einnehmenden Art überzeugt sie auf ganz alltägliche Weise. Ihre Gedankengänge und Handlungen sind in den meisten Fällen glaubhaft und nachvollziehbar; ihre Emotionen schön eingefangen und wiedergegeben und durch und durch realistisch. Manchmal erweckt sie den Eindruck, ein wenig blauäugig und naiv durchs Leben zu gehen, doch das lässt sich, in Anbetracht all ihrer anderen positiven Eigenschaften, verschmerzen.
Ganz anders wie viele andere New Adult Protagonisten ist Rhys. Rhys ist eigentlich das pure Gegenteil von allen anderen. Das Leben hinter Gittern, und das über Jahre hinweg, haben ihn das Vertrauen in die Menschen und die Welt ganz allgemein gekostet. Als er dann endlich in Freiheit kommt, ist er unbeholfen, wirkt fast ein bisschen weltfremd, ist alles andere als fehlerfrei und glänzt durch Unerfahrenheit. Ihm ist so vieles entgangen und man hat oft das Gefühl, einem 15-jährigen Teenager gegenüber zu stehen. Dabei ist er durchaus gewillt, alles richtig zu machen; sich alles zu erarbeiten, wonach er strebt. Er ist offen gegenüber der Welt und es ist wunderschön mit anzusehen, wie er sich entwickelt. Dabei gibt es aber immer noch diesen dezenten Bad Boy – Aspekt, der hin und wieder durchschimmert. Man will sich auch bei Gott nicht vorstellen, was man im Gefängnis alles erleben muss – wie man dort ÜBERleben muss. Kurz um: Rhys ist der Grund, warum diese Geschichte überhaupt funktioniert. Er ist ein äußerst interessanter Charakter, der für Spannung sorgt und den Leser an sich bindet und dementsprechend mitreißt. Man wünscht diesem jungen Mann von Herzen alles erdenklich Gute und man möchte um jeden Preis wissen, welche Entscheidungen er trifft und welche Fehler er macht und welche Aufwirkungen besagte Fehler auf sein weiterführendes Leben haben werden.
Andere Figuren, wie beispielsweise Malik und Zelda, die ja in Band 2 die Hauptrolle übernehmen, sind ausreichend interessant dargestellt, um auch ihre Geschichte kennenlernen und erleben zu wollen. Vor allem Zelda ist eine wunderbare Persönlichkeit, die ihren Charme versprüht und trotzdem genügend Tiefgang verpasst bekam, um greifbar und authentisch zu sein. Auch sie hat, genau so wie all die anderen Charaktere, ihr Päckchen zu tragen und eben jenes Päckchen macht sie interessant und in gewisser Weise sogar vielschichtig. Keiner sticht immens aus der Masse an Figuren in solchen Romanen heraus, doch die Sympathie und das Interesse an ihnen stand definitiv auf ihrer Seite; und das ist schließlich das, was zählt.

Die Idee hinter diesem Roman ist vielversprechend. Es macht eine Menge Spaß, Tamsin auf ihrer Reise in ihr neues Leben zu begleiten und auch Rhys‘ Leben ist von interessanten Elemente gesäumt. Das Potential war definitiv da, ebenso wie auch die allgemein interessante Kombination aus zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten. Die war es letztlich wohl auch, die so unterhalten und in gewisser Weise sogar mitreißen kann. Der allgemeine Aufbau ist allerdings eher 0-8-15 und deshalb enorm vorhersehbar. Kathinka Engel bedient sich in Sachen Abhandlung an einigen sehr bekannten, um nicht zu sagen, ausgelutschten Bausteinen und erzeugt so eine mehr als klischeehafte Storyline. Das typische Muster, in das diese eigentlich so vielversprechende Beziehung, hineingepresst wurde, ist derart typisch für New Adult, dass es beinahe weh tut. Schon der erste Satz, in dem Tamsin ihre Koffer packt, weil sie es mit ihren Eltern nicht mehr aushält, verursacht regelrecht Bauchschmerzen. Das Kennenlernen mit Rhys ist zwar keine Überraschung gewesen, doch alles in allem sehr schön ausgearbeitet und in Szene gesetzt, So verhält es sich eigentlich mit allen Parts des Buches – im Großen und Ganzen ergibt es eine banale Story nach dem bekannten Schema (Mädchen zieht weg zum studieren, lernt mysteriösen Kerl kennen, sie verlieben sich; das große Drama folgt, ehe alles wieder gut wird). Doch betrachtet man mal jede Szene für sich, wird das Talent der Autorin doch deutlich. Jede Szene ist sehr schön geschrieben, abwechslungsreich ausgearbeitet und interessant zu verfolgen. Das war auch der springende Punkt: wäre das nicht so gewesen, hätte es niemals dieses Gefühl von Unterhaltung gegeben. Denn trotz der ganzen Kritik, ließ sich die Geschichte binnen zwei Tagen komplett durchhören und ich war, trotz allem Gemecker, beinah durchgehend gefesselt (auch wenn die Augenroll-Momente nicht ausblieben).
Das Ende war dann noch einmal mit ein wenig mehr Spannung gespickt und dementsprechend etwas rasanter, als der Rest des Romans. Es gibt zwar keine umwerfenden Überraschungen oder super unvorhersehbare Wendungen, doch die Art und Weise, wie die Autorin die Geschichte beendet, sprach doch für sich. Es war emotional wie mitreißend, wieder schön insziniert und dargestellt und rundete alles gänzlich ab. Außerdem keimt während den gesamten 432 Seiten immer mehr die Neugier auf Zelda’s und Malik’s Geschichte auf – was man auch nicht unerwähnt lassen sollte.

FAZIT:
Der Auftakt der „Finde mich – Reihe“ von Kathinka Engel ist eine süße, nette Unterhaltung für zwischendurch. Nicht perfekt, nicht super überraschend und auch nichts, was man nicht schon etliche Male gelesen hätte; aber gleichzeitig doch irgendwie mitreißend und fesselnd. Besonders gut gefiel mir hier, dass endlich mal der weibliche Part mehr Erfahrung hat und dementsprechend dem männlichen Protagonisten anleitet. Das hat dem klischeehaften Aufbau doch deutlich in die Karten gespielt und lässt so manches Augenrollen ein bisschen verblassen. Ich jedenfalls freue mich auf Band 2 der Trilogie und hoffe auf ein bisschen weniger Vorhersehbarkeit und mehr Überraschungen – und wenn es das nicht gibt; dann hab ich zumindest wieder einige schöne Lese, – oder Hörstunden.

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Veröffentlicht am 12.06.2020

Eine kleine Steigerung zu Band 1

Silber – Das zweite Buch der Träume
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Das Wiedersehen mit Liv bereitet überraschend viel Freude. Sie ist so herrlich normal und bodenständig; immer noch ein bisschen zu naiv und kindlich für ihr Alter aber eben so immer noch ein Segen für ...

Das Wiedersehen mit Liv bereitet überraschend viel Freude. Sie ist so herrlich normal und bodenständig; immer noch ein bisschen zu naiv und kindlich für ihr Alter aber eben so immer noch ein Segen für die Geschichte. Sie sprüht nur so vor Lebendigkeit, wirkt authentisch und hat manchmal die dümmsten Ideen. Charmant verpackt leistet sie sich also den ein oder anderen Fauxpas und bringt den Leser damit immer wieder zum Schmunzeln. So lässt sich zwar nicht jede Handlung komplett nachvollziehen, lässt sich aber am Ende doch durch ihre Eigenheit erklären. Mit ihr mitzufiebern ist wunderbar leicht; man nimmt den Draht, den man in Band 1 schon zu ihr aufgebaut hat, einfach wieder auf und verspürt die identischen Gefühle ihr gegenüber, wie man es bereits kennt. Liv ist manchmal vorlaut, manchmal frech, manchmal unreif und manchmal ein wenig schwer von Begriff – sie ist in so mancher Hinsicht unerfahren, kann durchaus mal an den Nerven des Lesers zerren, aber am Ende ist man ihr nie böse; weil sie einfach so liebenswert und greifbar rüber kommt.
Mia, Liv’s kleine Schwester, übernimmt hier in diesem zweiten Band eine weitere Hauptrolle. So lernen wir das Mädchen noch ausgiebiger, noch intensiven und noch tiefgründiger kennen. Kerstin Gier brachte noch eine interessante, humorvolle Fakten zu Mia mit ein und hielt so die Spannung aufrecht. Mia ist eine zuckersüße Persönlichkeit, die definitiv ihre Eigenheiten hat, aber dadurch nicht weniger liebenswert wirkt. Allein ihre Liebe zu Sherlock Holmes und der Detektiv-Arbeit ganz allgemein lassen sie schon unglaublich sympathisch werden. Kurz um: man fiebert hier in dieser Fortsetzung mindestens genau so sehr mit Mia mit, wie man es mit Liv tut.
Weitere Charaktere gibt es natürlich auch wieder – und zwar einige. Von den beiden Stiefgeschwistern der Mädchen, über Mitschüler bishin zu Freunden, Feinden und lästigen Stief-Familienmitglieder. Ein jeder ist, wie schon im vorherigen Teil der Trilogie, ausreichend detaillreich und greifbar ausgearbeitet. Es gab sowohl die, die man prompt ins Herz schließt, die, die man von der ersten Sekunde gefressen hat und die, in denen man sich radikal getäuscht hat. Diese Undurchsichtigkeit, die der ein oder andere an den Tag legte, beeindruckte mich beinah mehr, als er ganze Rest des Buches – immerhin schafften es besagte Charaktere komplett, mich hinters Licht zu führen.

Zum Schreibstil von Kerstin Gier braucht man nun wirklich nicht mehr viele Worte verlieren. Wunderbar leicht, einfach und trotzdem bildhaft und atmosphärisch erzählt sie uns die Geschichte von Liv und ihrer Traumwelt und setzt dabei besonders Humor, Charme und Lebendigkeit. Selten konnte mich ein anderer Autor mit so einer Leichtigkeit einnehmen, wie es Kerstin Gier hier mal wieder gelingt. Und obwohl es sich nicht in Worte fassen lässt, was genau ihre Art und Weise eine Story zu transportieren, so besonders macht, empfinde ich ihre Bücher allein des Stils wegen schon immer als einzigartig.
Als Sahnehäubchen dient dann letztlich die Sprecherin. Simona Pahl macht wieder einen mega genialen Job – anders lässt es sich nicht beschreiben. Sie hat eine so angenehme Stimmfarbe, erzählt eindringlich und authentisch und verleiht mittels verschiedenen Stimmlagen jeder Situation die entsprechende Atmosphäre. Dabei bringt sie sowohl die düsteren Passagen perfekt rüber, als auch den Witz. Fand ein bisschen kindlich verstellt sie ihre Stimme, schenkt jedem Charakter eine Eigenheit und übertrifft sich von Kapitel zu Kapitel immer wieder selbst.

Die Geschichte schließt natürlich an den Vorgänger an – so sind die Begebenheiten die selben geblieben; ebenso wie Charaktere, Setting und Worldbuilding. Jedoch gab es in Band 1 bereits die Anfänge einer Grundstory, die sich auch hier durch dieses Buch zieht. Jedoch schafft es Kerstin Gier, dass Band 2 wie eine ganz neue Geschichte wirkt. Fast so, als wäre es ein neuer Fall, den es für Liv – aber dieses Mal auch für ihre kleine Schwester Mia – zu lösen gilt. Mittels bekannten Elementen, eingebaut in eine sehr erfrischende, charmante Storyline, schafft die Autorin diese heimelige Wohlfühl-Atmosphäre, aber eben gleichzeitig auch eine gewisse Portion Spannung. Dadurch, dass sich hier vieles um Mia dreht, die man als Leser ohnehin schon ins Herz schließen muss aufgrund ihrer zuckersüßen Art, fiebert man noch einmal deutlich intensiver mit, als man es aus dem ersten Teil kennt. Auch hier ist es wieder keine Handlung, die einen komplett vom Hocker reißt, aber sie weiß zu unterhalten und teilweise richtig zu fesseln. Selbst die ein oder andere Überraschung bleibt nicht aus. Besonders besagte Grundidee lässt den ein oder anderen Grusel-Moment entstehen und die Neugier des Lesers entfachen. Super unvorhersehbare Wendungen gibt es dabei nicht, aber das brauchte dieses Buch auch gar nicht, um zu funktionieren. Was es jedoch gebraucht hätte, wäre ein wenig mehr Tempo gewesen. Gerade im mittleren Teil der Geschichte kommt eine gewisse Ruhe auf – Ruhe, in der sich die Autorin viel mit dem Zwischenmenschlichen befasst und Liv’s Liebesleben thematisiert. Hätte man das ein wenig mehr „nebenbei“ einfließen lassen, wäre es sicher dynamischer gewesen. Aber man sollte auch bedenken, dass ich eigentlich schon sehr lange nicht mehr zur Zielgruppe gehöre und deshalb kann ich über solche kleinen Kritikpunkte durchaus hinwegsehen.
Gen Ende nahm die Geschwindigkeit aber zum Glück nochmal zu und mir gefiel, für welche Abwicklung sich Kerstin Gier entschied. Das zog diese Spannungsmomente nochmal ein wenig in die Länge, sodass man einfach mehr davon hatte. Gut gelöst und ein stimmiges Ende für diesen zweiten Band. Und tatsächlich auch mit einem kleinen Cliffhanger versehen, um möglichst schnell Band 3 und somit das große Finale der Trilogie lesen, oder besser gesagt hören, zu wollen.

FAZIT:
Ich tu mir immer schwer, meine Empfindungen zu Kerstin Gier’s Bücher in Worte zu packen, schlicht weil es stets so klingt, als hätte ich es nicht gemocht. Dem war allerdings nicht so – im Gegenteil! Band 2 dieser Trilogie überzeugt noch ein ganzes Stück mehr und lässt das Leserherz so manches Mal höher schlagen; und zwar nicht nur vor Spannung oder auch vor aufkommenden Gefühlen. Die Problematik mit der Protagonistin, ausgelöst durch ihre recht unreife, kindliche Art, blieb zwar bestehen, doch da sich hier auch vieles um Mia dreht, gleicht sich das beinah gänzlich aus. Von mir eine absolute Empfehlung, mit dem Vermerk, dass es eben eher ein jüngeres Publikum bedienen soll. Es kann aber, wie man sieht, auch die Erwachsenen wunderbar unterhalten.

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Veröffentlicht am 12.06.2020

Das wohl emotionalste und allgemein beste Buch, das ich jemals gelesen habe.

A Wish for Us
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Wo genau fängt man mit einer Rezension an, wenn einem die Worte fehlen? Tillie Cole hat mit „A wish for us“ eindeutig bewiesen, dass ihr Schreibstil jede Grenze in Sachen Normalität durchbricht. Wunderbar ...

Wo genau fängt man mit einer Rezension an, wenn einem die Worte fehlen? Tillie Cole hat mit „A wish for us“ eindeutig bewiesen, dass ihr Schreibstil jede Grenze in Sachen Normalität durchbricht. Wunderbar herzzerreißend, voller Gefühl und zutiefst berührend erzählt sie die Geschichte von Cromwell und Bonnie. Der einfache Stil passt pefekt zu der ansonsten so beklemmenden, niederschmetternden Storyline. Mit ganz „leichten“ Worten erzeugt sie dabei eine so intensive, emotionale und mitreißende Atmosphäre, die einfach in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt. Und dieses einmalige Erlebnis, so intensiv in die Welt der Musik abtauchen zu können, darf ebenfalls nicht aus den Augen verloren werden neben all den Gefühlen – denn die Musik ist es, die mindestens so viel Zeit und Raum einnimmt, wie die Lovestory. Glaubwürdige Dialoge und nebenbei einfließenden Beschreibungen sorgen für Lebendigkeit und Fortschritt und einen fortwährenden Lesefluss. Dieses Buch aus den Händen zu legen, war mir stellenweise wirklich unmöglich, nicht zuletzt auch wegen den fiesen Kapitelenden, die stets mit einem Cliffhanger abgeschlossen wurden und den Leser quasi zwangen, dran zu bleiben. Wäre es kein Buddyread gewesen, bin ich mir sicher, dass ich innerhalb von wenigen Stunden durch die Geschichte gerauscht wäre.

Die Gliederung, in Form der beiden verschiedenen Perspektiven, brachte jede Menge Abwechlung ins Spiel, besonders deshalb, weil mit Bonnie und Cromwell zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander treffen und jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hat. Cromwell, der gefeierte Newcomer im EDM-Bereich und Bonnie, die Einzelgängerin, die Klassische Musik über alles liebt. Doch während sie auf den ersten Blick wie Feuer und Wasser, wie Tag und Nacht, wie Schwarz und Weiß wirken, offenbaren sich sehr schnell erste Gemeinsamkeiten. Aber reicht das, um diese unüberbrückbare Distanz zu mindern? Beide haben ihre ganz eigene Arten, mit dem Schicksal fertig zu werden und genau diese Unterschiedlichkeit macht die beiden aus – sowohl getrennt, als auch in Kombination.
Cromwell, der seine Sorgen, Nöte und Ängste in Alkohol ertränkt und nur abschalten kann, wenn er am Mischpult steht, ist ein durch und durch gebrochener Charakter. Seine Mauern, die er um sich und sein Herz gebaut hat, erinnern an Wolkenkratzer und zum ersten Mal, seit ich New Adult lese, hab ich diese Mauern selbst gespürt. Er gibt sich kalt, distanziert – tut alles, um sich selbst; aber auch sein Umfeld zu schützen. Seine Piercings und sein über und über tätowierter Körper machen ihn auch optisch besonders – und dabei auch noch immens attraktiv. Nicht jede Reaktion, nicht jede Aktion ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, doch im Laufe der Zeit, lernt man mit seiner Art umzugehen. Man lernt zu verstehen und dieser Prozess war so einmalig, so authentisch und so wunderbar, dass Cromwell sicher für immer einen Platz in meinem Herzen haben wird. Doch auch er selbst macht eine Entwicklung durch, die ganz deutlich mitschwingt aber nur langsam, Schritt für Schritt, an die Oberfläche dringt.
Doch auch Bonnie funkelt stärker als jeder Diamant. Die schüchterne, graue Maus, die sich am liebsten hinter ihren Instrumenten versteckt, ist so herzerwärmend liebenswert, dass es beinah weh tut. Dabei lässt sie sich aber durchaus aus der Reserve locken und dann kann sie auch mal für sich einstehen und ihre Interessen vertreten. Dieses „aus sich raus kommen“ war wunderschön zu beobachten, weil es ihr einfach Leben einhaucht und sie so noch greifbarer macht. Aber was wirklich weh tut ist, zu beobachten, wie sie von Cromwell behandelt wird. Man leidet automatisch mit ihr mit; schlägt sich auf ihre Seite und müsste den herzlosen Arsch eigentlich hassen – doch man kriegt es einfach nicht hin; man liebt ihn – genau so wie man Bonnie liebt und jedes Aufeinandertreffen der Beiden ist Segen und Fluch zugleich für den Leser. Bonnie durchlebt im Vergleich zu Cromwell eine eher weniger offensichtliche Entwicklung, und doch ist sie da und lässt Bonnie an sich selbst und ihren Aufgaben wachsen.
Ja selbst die Randfiguren stechen so krass aus der Masse heraus – da wäre Easton, der wohl den größten Teil in Sachen Nebenrolle einnimmt. Bonnie’s Zwillingsbruder ist eine wahre Bereicherung, denn er bringt, im Gegensatz zu den Protagonisten, sowas wie Lebensfreude in die Handlung. Seine lebensbejahende, offenherzige und sympathische, quirrlige Art tut unheimlich gut und sorgt immer wieder für Auflockerung. Doch auch der Professur der Uni ist nicht so unwichtig, wie man auf den ersten Seiten noch denkt – er nimmt auch einiges an Raum ein; ist dabei sympathisch, greifbar und voller Lebendigkeit. Alle anderen, wie Kacey zum Beispiel, waren ausreichend beleuchtet, um sie sich problemlos vorstellen zu können und mehr war in dieser Hinsicht auch gar nicht nötig.

Die Idee hinter „A wish for us“ ist uns allen bekannt. Schwere Vergangenheit, Verlust, Angst, Distanz, neues Leben, neue Chance, Bad Boy trifft auf Good Girl – das alles haben wir hier und da schon mal gelesen. Doch das, meine Lieben, ist nur der Grundgedanke hinter diesem Werk. Hier zählt ganz klar die Umsetzung und die Realisierung der Idee. Denn Tillie Cole setzt alles auf eine Karte: Gefühle! Sie berührt auf einer Ebene, die einen komplett in den Würgegriff nimmt und nicht mehr loszulassen scheint. Von der ersten Sekunde an fühlt man sich an die Seiten gefesselt, eingehüllt in diese einnehmende Atmosphäre. Cromwell und Bonnie schicken uns auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle und wecken in uns Emotionen, die besser tief verborgen geblieben wären. Gefühle, die einem streckenweise wortwörtlich den Atem abschnüren, uns zutiefst bedrücken und die uns allen die Tränen in die Augen treiben. Dabei gibt es so viele, überraschende Wendepunkte innerhalb der Handlung, sodass der Ausgang bis kurz vor Schluss komplett undurchsichtig bleibt. Hochgradig mitreißend, abwechslungsreich und dank vielen einfallsreichen, kleinere Plots dauerhaft spannend. Ich habe noch nie etwas derartiges beim Lesen empfunden – ich habe noch nie in meinem Leben so sehr wegen zwei fiktiven Charakteren geweint – und vor allem nicht so oft innerhalb eines einzigen Buches. Tillie Cole hat mein Herz in tausend Teile zerrissen, es in mühseliger Kleinarbeit wieder zusammengeflickt, nur um es dann wieder mit einer solch gewaltigen Wucht zu zertrümmern, die ihresgleichen sucht. Ich gebe zu: ich habe mehrfach mit dem Gedanken gespielt, das Buch vorläufig abzubrechen, weil ich diesen Emotionen nicht standhalten konnte. Ich habe oft nach Atem gerungen, diesen riesigen Kloß im Hals versucht runterzuschlucken; aber es war unmöglich. Diese Geschichte hatte mich so sehr im Griff, dass ich mich manchmal zu labil fühlte, um auch nur noch eine einzige Seite daraus zu lesen. Das große Finale kam dann, gefühlt viel zu schnell, mit einem riesigen Knall. Man ahnt, worauf es hinauslaufen wird, aber jede einzelne der zig Theorien, die man im Laufe der Geschichte aufgestellt hat, ist nichts im Vergleich mit dem, was wir dort erleben müssen. Wenn man der Einstieg und der Mittelteil so derart emotional und schmerzhaft war; wie soll sich dann das letzte Drittel beschreiben lassen? Eigentlich gar nicht – weil es sich nicht in Worte fassen lässt, was dieses Finale mit dem Leser anstellt. Weinen, lachen, hoffen, bangen, toben, uvm. – und das alles in einer einzigen Sekunde. Es spielt sich so viel auf einmal ab, es passiert gefühlt alles in einem einzigen Moment und schlägt man das Buch dann letztlich zu, fühlt man sich komplett verloren und ruhelos. Ich habe oben schon angeschnitten, dass ich die Geschichte erst einmal sacken lassen musste; und genau so war es. Nichts, aber auch gar nichts hat mich jemals so in seinen Bann gezogen und so tief im Herzen berührt wie dieses Buch.

FAZIT:
„A wish for us“ von Tillie Cole ist – unbeschreiblich. Es lässt sich nicht in Worte fassen, wie hier mit den Gefühlen des Lesers gespielt wird; wie gebannt und gefesselt man durch bloße Worte sein kann; wie grenzenlos das Talent der Autorin tatsächlich ist. Wundervolle Charaktere, ein hochgradig emotionaler Schreibstil und eine so schmerzhafte, herzzerreißende Handlung machen dieses Buch zu mehr als nur einem Highlight. Es war ein Genuss in die Welt von Bonnie und Cromwell abzutauchen, aber gleichzeitig auch eine Tortur, ihre Story mitzuerleben. Kurz um: es war ein einmaliges Lese-Erlebnis; das so schnell nichts mehr toppen wird. Emma Scott war ja schon berührend, aber gleichzeitig auch rein gar nichts, im Vergleich zu diesem Werk. Eine Geschichte, die absolut nichts für schwache oder labile Gemüter ist. Verdiente 5 Sterne plus.

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Veröffentlicht am 12.06.2020

Absolut solider Thriller mit viel Undurchsichtigkeit

Ein Tod ist nicht genug
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In „Ein Tod ist nicht genug“ begnen wir gleich mehreren Hauptfiguren, die scheinbar alle einen entscheidenden Teil zur Handlung beitragen. An vorderster Front steht Harry Ackerson, ein 22-jähriger junger ...

In „Ein Tod ist nicht genug“ begnen wir gleich mehreren Hauptfiguren, die scheinbar alle einen entscheidenden Teil zur Handlung beitragen. An vorderster Front steht Harry Ackerson, ein 22-jähriger junger Mann, dem mit einer einzigen Nachricht der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Sein Vater soll verunglückt sein. Doch nicht nur, weil Harry seinen Vater gut kannte und wusste, dass er fit war, sondern auch weil sein Bauchgefühl ihm das verriet, glaubt er nicht an einen Unfall. Harry ist ein interessanter Charakter, wirkte auf mich aber oft wesentlich älter als Anfang 20. Allein von seinem Auftreten her und seine Handlungen wirkte er mehr wie Mitte/Ende 30 und ich tu mir noch immer schwer, das alles in Einklang zu bringen. Sehen wir über diesen Punkt aber man hinweg, war Harry ein Mann, den man durchaus nachvollziehen konnte und der stets bedacht und überlegt handelte. Teilweise etwas schweigsam, teilweise ein wenig „altmodisch“, aber im Großen und Ganzen sympathisch. Er hatte einfach eine ganz eigene, eher distanzierte Art an sich, mit der man sich als Leser erst einmal anfreunden muss. Eine gesunde Neugier, die er scheinbar in die Wiege gelegt bekommen hat, treibt ihn an und hält die Story am Laufen.
Neben Harry lernen wir aber auch seine Stiefmutter Alice kennen, indem sie vom Autor eine eigene Zeitebene verpasst bekommen hat. Das heißt, wir springen regelmäßig zwischen der Gegenwart von Harry und der Vergangenheit von Alice hin und her. Dies sorgte vor allem dafür, dass wir Alice ziemlich eingehend und über eine sehr langen Zeitraum begleiten, immerhin spielt sie auch in der heutigen Zeit noch eine wichtige Rolle und begegnet uns da, neben Harry, ebenfalls noch. Alice ist ein total vielschichtiger Charakter, der überrascht, schockiert und irgendwie begeistert. Diese Frau, die in ihrem Leben schon so viel erleben musste, passt exakt zu der Alice, die wir an Harry’s Seite kennenlernen. Und sie passt in dieses Buch wie keine andere. Dabei lässt sich gar nicht so recht in Worte fassen, was sie so anders macht – aber sie ist es; definitiv. Sie ist so unnahbar, so gefühllos und trotzdem irgendwie ein Sympathieträger. Das hilft jetzt sicher keinem groß weiter, der mehr über meine Meinung zu ihr erfahren will, aber ich kann es nicht greifen, was sie zu dem machte, was sie ausmachte. Wichtig ist eigentlich aber nur, dass sie eine wahre Bereicherung für die Geschichte war und so viel an Spannung, interessanten Elementen und Tiefgang mit sich brachte, dass man sie einfach gern begleitete.
Daneben gab es aber noch andere Persönlichkeiten, die die Charaktere aufwerteten. Da war die mysteriöse Frau bei der Beerdigung, von der man unbedingt und möglichst schnell so viel wie möglich wissen möchte, um aufzuklären, wer sie ist. Und es gab Jake, Alice’s Mutter und Gina – sie alle waren ausreichend detailliert und tiefgründig ausgearbeitet und dargestellt, um sich ein Bild von ihnen zu machen. In Sachen Charaktere hat Peter Swanson also wieder sämtliche Punkte abgeräumt – war aber auch nicht anders zu erwarten.

Der Schreibstil punktet genau so. Peter Swanson hat eine sehr angenehme Art, eine Geschichte zu erzählen und schafft es trotz einfacher Sprache und wenig Aufwand, eine packende, düstere Stimmung zu erzeugen. Die war es dann letztlich auch, was so fesselt. Man kann ohne Anstrengung, einfach abtauchen und sich von den Worten des Autors mitreißen lassen. Dabei bringt er gar nicht so viele Beschreibungen oder Details ein, erzeugt aber trotzdem ein klares, fortlaufendes Bild der Geschehnisse. Auch die Gliederung begeistert wieder – wie oben schon angeteasert, hat sich Peter Swanson wieder für zwei Zeitebenen entschieden. Wir lesen also die Gegenwart an Harry’s Seite, bekommen aber eben auch besagten Einblick in Alice‘ Vergangenheit, der durch diese eigene Ebene enorm eingehend ausfällt. Anfangs befürchtete ich noch, das würde dem Ganzen zu viel vorweg nehmen, doch schnell wird klar, dass eigentlich beide Aspekte quasi ihre eigene Geschichte erzählen, die dann einfach später ineinandergreifen. Für mich ein absolutes Phänomen, weil sich beides so gut ergänzt und die Spannung so noch einmal auf eine andere Stufe angehoben wird. Top gemacht! Ehrlich!

Die Idee hinter diesem Thriller ist grundsätzlich, von oben betrachtet, nichts Neues. Ein mysteriöser Unfall, der den Verdacht aufkommen lässt, dass mehr dahinter steckt. Die Ermittlungen der Polizei sind ebenfalls ein Faktor, nehmen aber einen eher geringen Teil des Buches ein. Stattdessen konzentriert sich der Autor rein auf die Familien; auf die Lebensumstände; auf die vielen kleinen Nebeneinflüsse, die der Geschichte so viel Gutes tun. Die Spannung ist von der ersten Sekunde an greifbar, weil sich prompt einige Fragen auftun, die es zu klären gibt. Dabei fährt die Handlung hier, im Gegensatz zu „Alles was du fürchtest“, nicht mit angezogener Handbremse, sondern ist durchgängig zügig und temporeich. Interessante neue Entdeckungen von Harry oder andere Wendungen treiben die Story ebenfalls voran und lassen so keine Langeweile entstehen. Dazu kommt, dass sich immer, wenn eine offene Frage beantwortet wird, etliche neue aufkommen. Man weiß einfach nie so recht, woran man gerade ist und jedes Mal, wenn man meint, man habe das Ziel des Buches durchschaut, wird die Geschichte in eine andere Richtung gelenkt. Obwohl ich kein Neuling auf diesem Gebiet bin und behaupten kann, dass ich vieles kommen sehe, war ich hier durchweg komplett planlos. Im Nachhinein hat sich allerdings dann herausgestellt, dass es dem Leser ohnehin nicht möglich gewesen wäre, die Auflösung zu entschlüsseln, ehe sie vonstatten geht. Dafür lagen durchweg zu wenige Infos offen, um auf diese Idee zu kommen. Das ist dann leider auch der entscheidende Punkt: ich hätte mir ein wenig mehr Hinweise gewünscht, die auf das Ende hindeuten, damit das ganze Mitraten und Miträtseln auch einen Sinn ergibt.
Das Ende hatte es aber, in Sachen Spannung und Überraschung noch einmal in sich. Hoch brisant wird das Ganze aufgelöst und ist voller Höhepunkte. Selbst innerhalb der Schluss-Teils wechselt Peter Swanson noch einmal die Richtung und ändert im letzten Moment einfach alles. Vor allem die allerletzte Szene lässt einen beinah aufkeuchen, weil man damit einfach nicht gerechnet hätte.
Alles in allem eine bekannte Idee, geschickt insziniert und erzählt. Mit viel Spannung, vielen Wendungen, einem (fast zu) neugierigen Protagonisten, der die Arbeit der Polizei übernimmt und einer unvorhersehbaren (ob das nun so gut ist, lasse ich mal dahin gestellt) Auflösung und einem spektakulären Schlusspart.

FAZIT:
„Ein Tod ist nicht genug“ von Peter Swanson ist ein undurchsichtiger, temporeicher Thriller, der einfach Spaß macht. Außergewöhnliche Charaktere, ein angenehmer, flüssiger und leicht zu lesender Schreibstil und eine stimmige, düstere Atmosphäre runden das Ganze schließlich ab. Einziger Fleck auf der ansonsten reinweißen Weste: zu wenig Hinweise um auf diese Auflösung zu kommen; so war das Mitraten und Miträtseln einfach irgendwie sinnlos. Ansonsten gibt’s aber wieder eine Empfehlung und ich freue mich, auf das nächste Buch des Autors!

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Veröffentlicht am 12.06.2020

Sehr anschaulich und intensiv, aber nicht ganz perfekt.

Der Wintersoldat
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„Der Wintersoldat“ ist, stilistisch betrachtet, eher schwere Kost. Das Buch liest sich nicht einfach so schnell weg; es bedarf Aufmerksamkeit und Konzentration und hin und wieder den Griff zu Google, um ...

„Der Wintersoldat“ ist, stilistisch betrachtet, eher schwere Kost. Das Buch liest sich nicht einfach so schnell weg; es bedarf Aufmerksamkeit und Konzentration und hin und wieder den Griff zu Google, um das ein oder andere Wort nachschlagen zu können. Daniel Mason erzählt dabei sehr eingehend und detailliert, setzt auf Fachbegriffe und eine authentische Sprache für die damalige Zeit. Dass das nicht in Jugendbuch-Manier vonstatten geht, ist nur nachvollziehbar. Doch trotz des eher langsamen Lesetempos, das man hier unweigerlich an den Tag legt, fesselt die Geschichte rein durch Wortwahl und unzählige geschickt geplatzierte Beschreibungen. Greifbare Bilder lassen einen durchgängigen Film im Kopf entstehen und versetzen den Leser inmitten die Eiseskälte der Karpaten. Es herrscht also eine drückende, dichte Atmosphäre, die einzunehmen weiß. Erzählt wird dabei in teils sehr langen Kapiteln, die sich teilweise über 50 Seiten erstrecken. Für mich streckenweise ein wenig anstrengend, doch man gewöhnt sich schnell an die Begebenheiten und arrangiert sich damit. Allgemein fand ich die Gliederung aber insgesamt absolut gelungen und die Kapitelenden wurden exakt dorthin gelegt, wo sie hingehörten, um für möglichst viel Motivation zu sorgen und weiterlesen zu wollen.

Lucius als Protagonist brauchte ein paar Seiten lang, ehe er greifbar wurde. Es fällt einem, vor allem als Nicht-Mediziner, recht schwer, sich mit ihm zu identifizieren, da er einfach rein für sein Studium lebt. Doch hat man sich erst einmal an den eher wortkargen, zurückhaltenden Einzelgänger gewöhnt, ist es unglaublich interessant, seinen Werdegang – und sein Leben ganz allgemein – zu begleiten. Lucius unterscheidet sich in so vielerlei Hinsicht von anderen Protagonisten und ist deshalb wunderbar erfrischend und anders; und dementsprechend großartig! Natürlich spielen auch die damaligen Lebensumstände eine tragende Rolle, doch mir bereitete es größte Freude, Lucius immer näher und näher kennen zu lernen. Er hatte definitiv ein Herz, wenngleich das manchmal hinter seiner unbeholfenen und unerfahrenen Art verborgen blieb. Aber genau das machte ihn auch so liebenswert. Die Verbindung zu ihm vertiefte sich also von Kapitel zu Kapitel und mit ihm mitzufiebern wurde immer leichter. Dabei legte er eine so deutliche, authentische Entwicklung an den Tag und wuchs an jeder seiner Aufgaben. Nicht jeder Gedankengang; und auch nicht jede Handlung war komplett nachvollziehbar; doch das war auch gar nicht nötig. Wichtig war, dass man ihn im Groben und Ganzen glaubhaft fand und seine Reaktionen ihren Teil zur Geschichte beitrugen. Außerdem sollte man niemals ausser acht lassen, dass sich Zeiten nunmal ändern und wir uns definitiv nicht mit den Menschen, die während des ersten Weltkriegs gelebt haben, vergleichen sollten.
Neben Lucius gab es aber auch noch ein paar weitere Figuren, die alle für sich sehr interessant waren. Der eine blieb aufgrund seiner Position als unwichtiger Nebencharakter recht blass, doch die tragenden Nebenrollen hatten vom Autor alle ihre ganz eigenen Ecken und Kanten und besonderen Merkmale verpasst bekommen. So zum Beispiel Lucius‘ Eltern, die beide sehr eindrücklich aufzeigen, wo die damaligen Werte lagen. Oder aber Margarete, die Ordensschwester, die mein Herz im Sturm erobern konnte; einfach indem sie zupackte. Tat, was getan werden musste und sich vor keinerlei Arbeit zu schade war. Diese drei, und noch einige weitere tun einiges für den Verlauf der Geschichte und hauchen der gesamten Storyline noch einmal zusätzliches Leben ein.

Die Geschichte, die schon vor dem ersten Weltkrieg beginnt, ist extrem gut durchdacht und ausgearbeitet. Daniel Mason hat hier einen wirklich tollen Job gemacht, indem er ausgezeichnet recherchiert, geplant und in Szene gesetzt hat. Wir bekommen schon durch den Prolog erste Einsichten in eine spätere Szene, ehe wir „zum Anfang“ springen und alles vorn erleben. Dies erzeugt eine unausweichliche Neugier im Leser, der natürlich dann wissen möchte, wie es dazu kam und das danach noch geschieht. Doch zuvor lernen wir Lucius erst einmal kennen; erfahren von seiner Liebe zur Medizin und seinem Studium. Selbst kurze Einschnitte aus Lucius‘ Kindheit bleiben nicht aus, was dem Charaktere zusätzlichen Tiefgang verleiht und vieles von dem, was er später noch denkt oder tut, verständlich macht. Dabei setzt er Autor aber keineswegs auf einen irren Spannungsbogen, sondern eher auf Inhalt und Sprache. Ganz unaufgeregt erzählt er uns von Lucius‘ Werdegang, dessen Studium und allem, was nebenbei noch passiert und was er erlebt. Er erzählt vom Familienleben des Protagonisten und von seinen beiden einzigen Freunden. Erst nach und nach zieht dann der Krieg und die damit einhergehende Problematik auf. Die Stimmung wird düsterer, drückender und auf eine unterschwellige Spannung wird auch nicht verzichtet. Trotzdem ist und bleibt die Geschichte eher ruhig. Actiongeladene Szenen gibt es nicht, stattdessen Einblicke in das Leben während dieser schwierigen Zeit. Gefallene Kameraden, Soldaten, die mehrere Gliedmaßen verlieren und durch posttraumatische Belastungsstörungen quasi den Verstand verlieren, stehen an der Tagesordnung. Das ganze schockiert in einem Ausmaß, dass nur schwer begreiflich ist. Doch eben weil Daniel Mason alles so selbstverständlich beschreibt, wird es zur bitteren Realität. Es geht nicht nur um das Lazarett, in dem Lucius fortan als Arzt arbeitet, sondern eben auch die ganz allgemeinen Fakten zum ersten Weltkrieg – welche Länder sind wo eingefallen, welche Gebiete wurden eingenommen, usw. Doch neben all dieser Grausamkeit, die hier herrscht, werden die Emotionen nicht vergessen. Anthony Doerr (Pulitzer-Preisträger 15) sagt über „Der Wintersoldat“, es sei eine Mischung aus Krimi, Kriegs,- und Liebesgeschichte und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Daniel Mason hat Undurchsichtigkeiten eingebaut, eine Reise zu sich selbst, eine herzzerreißende Liebesgeschichte und eben den Krieg. Diese Mischung ist ihm nahezu perfekt gelungen, auch wenn der Krimi vielleicht ein wenig hinten an stehen muss.
Der Schlusspart, der sich über mehrere (sehr lange) Kapitel erstreckt, bringt dann doch nochmal etwas von der erhofften Spannung mit und überzeugt durch einige interessante Wendungen und einen sehr überraschenden Schlusspunkt. Etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe, und das mich sehr sprachlos und bedrückt zurückließ. Ein Werk, das man erst einmal sacken lassen muss.

FAZIT:
„Der Wintersoldat“ von Daniel Mason ist ein fachlich perfekt recherchiertes Werk voller Authensität, Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit. Mittels eines angenehmen, atmosphärischen Schreibstils tauchen wir als Leser in den Alltag während des ersten Weltkriegs ein und bekommen einen realistischen Einblick in das damalige Leben eines jungen Medizinstudenten. Mit einer ganz unaufgeregten Art erzählt der Autor von Krieg, Tod und schweren Verletzungen, aber auch von Hoffnung, Liebe und Freundschaft. Nicht perfekt, aber definitiv ein Erlebnis und noch definitiver einen Blick wert. Für alle, die sich für die Zeit rund um den ersten Weltkrieg und vielleicht sogar für Medizin interessieren, ein Muss.

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