So viel und noch viel mehr
BabelIn einem fiktiven Oxford im Jahr 1828 befindet sich Babel - ein Institut für Übersetzungen, das das eigentliche Herz Englands ist. Denn die Übersetzer können mittels sogenanntem Silberwirkens, der Dissonanz ...
In einem fiktiven Oxford im Jahr 1828 befindet sich Babel - ein Institut für Übersetzungen, das das eigentliche Herz Englands ist. Denn die Übersetzer können mittels sogenanntem Silberwirkens, der Dissonanz die aus der Differenz zwischen zweier Übersetzungen entsteht, Magie bewirken. Nur ausgewählte Studenten werden zugelassen, um in Babel dieses Handwerk zu erlernen. Einer von ihnen ist Robin, der als kleiner Junge von einem der Professoren aus dem chinesischen Kanton nach England geholt und seit dem auf das Studium vorbereitet wurde. Anfangs ist Babel die Erfüllung von Robins Träumen, aber nach und nach entdeckt er, dass das Silberwirken auch seine Schattenseiten hat und dass er im Begriff ist, seine Heimat zu verraten.
Nachdem ich kürzlich "Yellowface" gelesen hatte, war ich wahnsinnig gespannt, auf dieses Buch von Kuang. Es ist anders, ganz anders, sowohl inhaltlich als auch vom Stil, aber was sie beide gemeinsam haben, ist, dass es großartige Werke sind, die begeistern und zum Nachdenken anregen.
In "Babel" steckt einfach unglaublich viel drin - Rassismus, Diskriminierung, Opium-Handel, Kriege, Emanzipation, Kulturen, Kolonialisierung, Freundschaft, Liebe, Verrat und und und ... Es ist kein Buch, das sich schnell wegliest, es ist prall gefüllt, es regt zum Nachdenken an, zum Diskutieren. Babel ist ein Buch, das Nachhalt, das man nicht vergisst, wenn man es weggelegt hat. Es ist relativ langsam erzählt, erst gegen Ende nehmen die Ereignisse drastisch Fahrt auf, aber das stört überhaupt nicht, weil da so viel Input drin ist, so viele Sätze, die mit bedacht gelesen und über denen verweilt werden will.
Robin, Remi, Victoire, Letty und all die anderen Figuren sind so plastisch geschildert, dass man das Gefühl hat, sie könnten jeden Moment um die Ecke kommen. Richtige Sympathieträger sucht man hier vermutlich vergeblich, aber dafür bekommt man authentische Charaktäre mit Ecken und Kanten und das ist, zumindest in meinen Augen, viel mehr wert.
Besonders gelungen fand ich auch die Schilderung des akademischen Oxfords. Und so düster der Roman in seinem Grundton auch ist, das akademische Leben hat mir sehr viel Spaß gemacht, der Alltag, der Unterricht, das Lernen und vor allem auch die Stimmung und die Atmosphäre in den Straßen und unter den Studenten.
Die Stimmung ist oft düster, bedrückt - einfach ist hier gar nichts und jeder hat sein Päckchen (oft ganze Pakete) zu tragen. Es gibt Blut, Krieg, Verrat, Rebellion, Trauer, Wut und so viel Zorn und manchmal bleibt einem beim Lesen einfach die Luft weg und man weiß nicht mehr weiter und genau das macht dieses Buch aus. Es sind neue Sichtweisen, Dinge über die ich noch nie nachgedacht habe, anderes, was mir noch nie so deutlich vor Augen stand.
Dieses Buch liest sich leicht und ist trotzdem schwere Kost. Babel wird bestimmt nicht jedem gefallen und es ist definitiv nicht mit Harry Potter zu vergleichen. Aber wer sich auf dieses Werk einlässt, wird reich belohnt werden - große Leseempfehlung!