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Veröffentlicht am 15.04.2021

Hände weg von deutschen Fräuleins

Stay away from Gretchen
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Jeden Abend schaut die 85jährige Greta Nachrichten. Nicht, weil sie die Weltpolitik interessiert, vielmehr möchte sie ihren Sohn Tom, den Nachrichtensprecher, sehen. Greta lebt seit dem Tod ihres Mannes ...

Jeden Abend schaut die 85jährige Greta Nachrichten. Nicht, weil sie die Weltpolitik interessiert, vielmehr möchte sie ihren Sohn Tom, den Nachrichtensprecher, sehen. Greta lebt seit dem Tod ihres Mannes allein in einer großen Altbauwohnung in Köln-Porz, Tom nur weniger Kilometer entfernt in einem schicken Penthouse in der City. Als vielbeschäftigter Journalist hat er nicht viel Zeit für die Mutter. Deshalb kommt es ihm äußerst ungelegen, als er eines Nachts einen Anruf von der Polizei bekommt: seine Mutter wurde orientierungslos in ihrem Auto 400 Kilometer entfernt von Köln aufgegriffen und ins örtliche Krankenhaus eingeliefert, Diagnose: Demenz.
Tom glaubt zunächst an eine Fehldiagnose, doch dann muss er sich eingestehen, dass seine Mutter ihre Krankheit meisterhaft vor ihm versteckt und überspielt hat.
In einem zweiten Handlungsstrang erleben wir Greta als kleines Mädchen bis ins Erwachsenenalter. Aufgewachsen in Ostpreußen, musste sie mit ihrer Familie vor den russischen Besatzern fliehen. Ohne Vater, denn der ist an der Front. Was sie auf der Flucht erleben, ist unmenschlich und als Flüchtlinge sind sie nirgendwo willkommen. Ihr Ziel ist Heidelberg, Oma Gustes Heimat. Dort leben sie zunächst mehr schlecht als recht in einem Gartenhäuschen, doch alles ist besser als was sie zuvor ertragen mussten.
In Heidelberg lernt Greta den jungen schwarzen GI Robert Cooper kennen. Zunächst beäugt sie den Besatzer misstrauisch, doch er ist nett zu ihr und hilft ihr eines Tages, als sie von einer Gruppe Jugendlicher überfallen wird. Mit der Zeit entwickelt sich aus der Freundschaft mehr, doch natürlich müssen sie ihre Gefühle füreinander geheim halten, denn bei den Deutschen sind „Amiliebchen“ verhasst. Die Amerikaner haben sogar eine Broschüre für die in Deutschland stationierten Soldaten herausgegeben, „Stay Away from Gretchen“, in der sie die Soldaten vor den mit Syphilis infizierten deutschen Frauen warnen.
Mit fortschreitender Demenz lebt Greta immer mehr in der Vergangenheit. Eines Tages sucht sie in einem Kindergarten nach „Marie“. Tom beginnt die Wohnung seiner Mutter zu durchsuchen und findet das Foto eines dunkelhäutigen Kleinkinds. Er stellt fest, dass er herzlich wenig über die Vergangenheit seiner Mutter weiß und beginnt Nachforschungen anzustellen...
„Stay away from Gretchen“ ist ein äußerst packender Roman, den ich regelrecht verschlungen habe. Man merkt, dass die Autorin mit dem Thema Demenz vertraut ist. Gleichzeitig bringt sie uns ein Stück Zeitgeschichte nahe. Das Buch ist hervorragend recherchiert, die zitierten Reden und Schriftstücke werden durch das angehängte Literaturverzeichnis belegt. Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 12.04.2021

Von Kommunisten und Kommunarden

Teufelsberg (Wolf Heller ermittelt 2)
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Zu Beginn des Buchs wird eine Frau von einem jungen Mann erdrosselt, mit dem sie eben noch getanzt und gekifft hat. Ein völlig sinnloser Mord, doch da der Mörder kurz darauf selbst das Zeitliche segnet, ...

Zu Beginn des Buchs wird eine Frau von einem jungen Mann erdrosselt, mit dem sie eben noch getanzt und gekifft hat. Ein völlig sinnloser Mord, doch da der Mörder kurz darauf selbst das Zeitliche segnet, kann er nicht mehr zu seinen Beweggründen befragt werden. Die Nichte der Ermordeten, die junge attraktive Amerikanerin Louise, findet die Tante und alarmiert die Polizei. Es stellt sich heraus, dass Louise und der herbeigerufene Kommissar Wolf Heller mal was miteinander hatten, was schon ein großer Zufall ist, aber hej, Berlin ist ja ein Dorf.
Es geschehen weitere Morde, die Polizei stößt auf einen Vierfachmörder von Frauen, doch statt ihn dingfest zu machen, wird er erst mal beschattet. Dass er derweil die Frau, bei der er gerade wohnt, übelst zurichtet, ist anscheinend ein hinzunehmender Kollateralschaden und wie so manches in diesem Roman ziemlich fragwürdig.
Wolf Hellers Halbschwester Petra, gerade erst aus Berchtesgaden angereist, wo es ihr in sexueller Hinsicht zu langweilig war, zieht in kürzester Zeit in eine angesagte Kommune zu einem stadtbekannten Terroristen, erpresst einen Immobilienhai und fackelt zusammen mit ihrem Lover ein Auto ab. Außerdem erfährt der Leser, dass „die Uschi“ darauf aufpasst, dass „der Rainer“ nicht fremdgeht. Jüngere Leser haben wahrscheinlich keine Ahnung, um wen es sich hierbei handelt, aber mal ganz abgesehen davon, wen sollte es heute noch interessieren, wer vor 50 Jahren mit wem im Bett war?
Die hübsche Louise verliebt sich währenddessen in einen russischen KGB Agenten, der sich als Amerikaner ausgibt und sie prompt entführt. Die ganze Story ist äußerst lahm und ich habe mich über weite Strecken gelangweilt.
Im übrigen frage ich mich, ob Bücher heutzutage nicht mehr korrekturgelesen werden? Gleich zweimal wird „dass“ mit „das“ verwechselt, ein Armutszeugnis für einen renommierten Verlag. Von diesem Buch hatte ich mir weitaus mehr versprochen.

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Veröffentlicht am 28.03.2021

Das Meer ist mächtiger als der Mensch

Die Farbe des Nordwinds
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Als junges Mädchen lebte Ellen für eine Weile auf einer Hallig, was für sie eine prägende Erfahrung war. Damals kam sie mit ihrer Mutter Sunny, die eine kurze Beziehung zum Halligbauern Thijmann hatte, ...

Als junges Mädchen lebte Ellen für eine Weile auf einer Hallig, was für sie eine prägende Erfahrung war. Damals kam sie mit ihrer Mutter Sunny, die eine kurze Beziehung zum Halligbauern Thijmann hatte, auf dieses karge Stück Land und fühlte sich sofort heimisch. Thijmanns Tochter Liske, etwa so alt wie Ellen, wuchs ohne Mutter auf, Ellen ohne Vater. Die beiden Mädchen freundeten sich an, doch dann merkte Sunny, dass das Leben auf einer Hallig doch zu hart und nichts für sie war, und sie ging wieder weg, mit Ellen im Schlepptau. Liske blieb enttäuscht zurück, hatte Sunny ihr doch Reisen und ein Leben jenseits der Hallig in Aussicht gestellt.

20 Jahre später kehrt Ellen nach einer gescheiterten Beziehung zurück auf die Hallig, um dort als Lehrerin zu arbeiten. Liske begegnet ihr äußerst abweisend, zu tief sitzt die Verletzung von damals, auch wenn es Sunny war, die sie enttäuschte, nicht Ellen. Liske ist nie von der Hallig weggekommen, hat mittlerweile einen kleinen Sohn und kümmert sich um den Hof und ihren alten Vater. Darüber hinaus ist sie engagierte Vogelschützerin. Als alleinerziehende Mutter ist sie oft überfordert, der kleine Jasper ist stundenlang allein auf der Hallig unterwegs und ist auch sonst in vielem auf sich allein gestellt. Ellen fängt an, sich um Jasper zu kümmern, doch Liske empfindet dies als Einmischung und Bevormundung.

In einem zweiten Handlungsstrang erleben wir die Hallig von vor 200 Jahren. Die Brüder Arjen und Hendrik Martensen sind nach dem Tod der Mutter Waisen. Pastor Danjel erkennt, wie intelligent der ältere der beiden, Arjen, ist, und nimmt ihn mit zu sich nach Husum, um ihm dort Schulbildung zu ermöglichen. Hendrik bleibt allein zurück und kommt zu Stiefeltern. Als Arjen Jahre später als Dorflehrer auf die Hallig zurückkehrt, will Hendrik nichts von ihm wissen, zu groß ist die Verbitterung darüber, zurückgelassen worden zu sein.
Es gibt also durchaus Parallelen zwischen den Handlungssträngen Heute und Damals, nur dass das Leben damals ungleich härter war. Anhand einer alten Chronik erfährt der Leser viel über die große Sturmflut des Jahres 1825, bei der die Halligbewohner im Schlaf von der Flut überrascht wurden und insgesamt 80 von ihnen ums Leben kamen.

Klara Jahn gelingt es ganz hervorragend, die karge Landschaft und die Herausforderungen, die das Leben auf einer Hallig an ihre Bewohner – sowohl heute als auch damals - stellt, zu schildern. Ich habe das Buch mit großem Interesse und Begeisterung gelesen, lediglich am Ende hätte ich mir eine detailliertere Auflösung gewünscht, da manches für meine Begriffe im Schnellverfahren abgehandelt wurde. Trotzdem ist „Die Farbe des Nordwinds“ für mich eines der Lesehighlights des bisherigen Jahres.

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Veröffentlicht am 23.03.2021

Es ist so schön hier. Man muss hier nicht weg.

Aus der Mitte des Sees
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Lukas lebt als mit Abstand Jüngster der Mönche in einem Benediktinerkloster. Bis vor kurzem lebte noch Andreas dort, doch dieser entschied sich, das Kloster zu verlassen und hat mittlerweile Frau und Kind. ...

Lukas lebt als mit Abstand Jüngster der Mönche in einem Benediktinerkloster. Bis vor kurzem lebte noch Andreas dort, doch dieser entschied sich, das Kloster zu verlassen und hat mittlerweile Frau und Kind. Lukas hadert sehr mit dieser Situation, fühlt sich von Andreas im Stich gelassen. In Gedanken spricht Lukas viel mit Andreas und auch mit dessen Frau Juli.
Das Klostergelände grenzt an einen See, in dem Lukas täglich schwimmt. Er verbringt Stunden auf dem Badesteg, schaut hinaus aufs Wasser und hängt seinen Gedanken nach. Eines Tages kommt eine junge Frau über den See geschwommen und setzt sich zu ihm. Sie ist ganz unbefangen, sieht in ihm nicht nur den Mönch, sondern vor allem den Mensch Lukas. Sarah erzählt ihm offen von sich, was es Lukas einfach macht, sich auch ihr zu öffnen. Sarah ist eine attraktive Frau und Lukas entwickelt Gefühle für sie.
Zur selben Zeit tritt ein Mitbruder mit der Bitte an Lukas heran, er möge die Position des Priors einnehmen. Lukas fühlt sich überrumpelt. Einerseits ist er gerne Mönch und als Jüngster gibt es nur Sinn, dass er die Stelle annimmt. Andererseits steckt er in einer Sinnkrise: hat er wirklich den richtigen Lebensentwurf für sich gewählt?
Das Buch ist in einer sehr poetischen Sprache geschrieben, die aber nicht immer leicht zu lesen ist. Mit Sätzen wie beispielsweise "Ein Schöpfer, der nicht auch zerstört, ist keiner, sondern nur ein dementer Greis, der debil in eine gottlos gewordene Welt grinst“ kann ich so rein gar nichts anfangen. Obwohl mich solche Stellen sehr irritiert haben, bereue ich nicht, das Buch gelesen zu haben. Es hat mich nachdenklich gemacht und ich beschäftige mich auch nach der Lektüre noch gedanklich mit den angesprochenen Themen Zölibat, Lebensform Kloster, Sexualität von Priestern, um nur ein paar zu nennen. Über weite Strecken hat mich die Nabelschau des Mönchs allerdings auch gelangweilt.

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Veröffentlicht am 18.03.2021

Verkaufte Kinder

Als wir uns die Welt versprachen
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Edna ist ein kleines Mädchen, als sie von ihren armen Eltern in Südtirol als Arbeitskraft auf einen Hof in Oberschwaben geschickt wird. Angeblich soll es den sogenannten Schwabenkindern dort besser gehen, ...

Edna ist ein kleines Mädchen, als sie von ihren armen Eltern in Südtirol als Arbeitskraft auf einen Hof in Oberschwaben geschickt wird. Angeblich soll es den sogenannten Schwabenkindern dort besser gehen, so wird es zumindest erzählt, vielleicht soll diese Geschichte aber auch nur das schlechte Gewissen der Eltern beruhigen, die ihre Kinder quasi als Sklaven verkaufen.
Das Leben auf dem Hof ist hart. Es gibt kaum zu essen und die Kinder müssen von früh bis spät schuften. Keiner kümmert sich um sie, manche verschwinden und auch das wird nicht hinterfragt. Der Einzige auf dem Hof, der gut zu ihr ist und dem Edna vertraut, ist Jacob, der immer ein Auge auf sie hat. Doch vor allem Bösen kann auch er sie nicht beschützen. Eines Tages findet Jacob auf dem Jahrmarkt einen abgemagerten Papagei, einen „Paradiesvogel“, den er zurück auf den Hof schmuggelt. Von nun an ist er das Geheimnis der beiden Kinder. Jacob und Edna schmieden Fluchtpläne. Es ist ein ausgeklügelter Plan, doch etwas geht schief und nur Edna gelingt die Flucht, zusammen mit Emil, dem Papagei.
80 Jahre später entdeckt Edna in einer Zeitschrift ein Bild von Jacob, den sie nie vergessen hat. Bei einem Erdrutsch wurde Jacob verletzt und liegt im Krankenhaus in Ravensburg. Edna beschließt trotz ihres hohen Alters gemeinsam mit Emil die beschwerliche Reise nach Ravensburg zu unternehmen, und zwar genauso, wie sie damals den Weg nach Hause gefunden hat, das heißt, größtenteils zu Fuß. Auf ihrem abenteuerlichen Road Trip begegnen ihr viele Menschen, die ihr helfen, indem sie ihr beispielsweise Essen und ein Bett für die Nacht geben und ihre Lebensgeschichten mit ihr teilen. Dabei gelangt Edna zu überraschender Berühmtheit, denn zusammen mit Emil wird sie zu einem Star in den sozialen Medien. Ednas Reise mutet an wie eine Parabel. Sie lernt, dass nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint und sie stellt sich den Schatten der Vergangenheit. Vor allem ist sie getrieben von dem Gedanken, Jacob wiederzusehen, denn sie möchte ihm Emil zurückbringen und erklären, was damals geschah...
„Als wir uns die Welt versprachen“ ist ein zugleich trauriges, aber auch schönes und Hoffnung spendendes Buch. Ednas Reise ist voller Hindernisse, doch sie gibt nicht auf und obwohl das Ende nicht das erwartete Happy End bringt, schließt sich doch ein Kreis. Nur noch eine kleine Anmerkung zu Oberschwaben: dass Edna als Kind Wolfsgeheul in den Wäldern um Ravensburg gehört haben will, verleiht der Geschichte zwar etwas Dramatik, gehört aber ins Reich der Fantasie. Und Dirndl trägt in Ravensburg auch niemand. Diese kleinen Unstimmigkeiten tun der Geschichte aber keinen Abbruch.

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