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Rico

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.01.2017

komisch und tragisch

Sweetgirl
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„Sweetgirl“von Travis Mulhauser erinnert mich ein bisschen an Lana del Rey Songs über den amerikanischen Traum, den White Trash und das abgehängt sein in unendlich großen Landschaften, die von Waffenschwingenden ...

„Sweetgirl“von Travis Mulhauser erinnert mich ein bisschen an Lana del Rey Songs über den amerikanischen Traum, den White Trash und das abgehängt sein in unendlich großen Landschaften, die von Waffenschwingenden Lonesome Wolf Kauzen und drogensüchtigen Wracks nur so wimmelt. Die sechzehnjährige Percy rettet ein halb erfrorenes Baby aus dem Haus eines Drogendealers. Keine gute Idee, wie sich herausstellt. Denn mit Shelton ist nicht gut spaßen. Der durchgeknallte Kerl macht sich auf das Kind zurückzubekommen, möglichst bevor die Mutter der Kleinen wieder halbwegs runterkommt von dem Zeug, dass er ihr vertickt hat. Eine abgedrehte Story. Shelton ist die geborene Null und zu allem fähig. Percy dagegen ist in der Hauptsache einfach nur gut, was in all dieser hoffnungslosen Michigan-Tristesse durchaus wohltuend und auch glaubhaft ist. Diese junge Frau ist geradlinig und gerechtigkeitsliebend. Ihre Mutter ist selbst drogensüchtig und mit dem entsprechend schwachen Charakter geschlagen. Percy ist auf der Flucht vor Shelton und auf der Suche nach sich selbst, ohne davon zu ahnen. Ihre Schutzengel heißen Wolfdog und Portis, der aus jeder Pore nach Whiskey riecht und mit seiner Knarre verwachsen scheint.

Travis Mulhauser nutzt den ganz typischen amerikanischen Schreibstil mit dem ebenfalls typischen Zungenschlag, der einfach nie Langeweile aufkommen lässt. Die Männer sind hart im Nehmen und noch härter im Austeilen. Die Frauen sind verlorene Seelen, bis auf Percy, die einfach nicht aufgeben kann und darf. Bei Sheltons Verfolgungsjagd musste ich manchmal an T.C. Boyle ähnliche Figurenzeichnung und Geschehnisse denken. Allerdings zielt„Sweetgirl“ sicherlich auf eine etwas jüngere Zielgruppe. Percy und das gerettete Baby sind die Garanten für einen spannenden Roman, der für meinen Geschmack allerdings eine Spur mehr dramatische Ereignisse vertragen hätte. Ich hatte beim Lesen immer wieder das Gefühl, dass der Autor beim Schreiben immer schön den Mittelweg genommen und so sorgt bei mir das Buch nicht unbedingt für viel Nachhall. Ansonsten ein absolut lesenswerter Roman.

Veröffentlicht am 08.01.2017

faszinierende Geschichte

Die Geschichte eines neuen Namens
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In Elena Ferrantes Buch „Die Geschichte eines neuen Namens“ schlüpft man hinein, wie einen geschmeidigen Schuh, der den Leser nach Neapel trägt. Hinein in die sechziger Jahre Atmosphäre Italiens, in dessen ...

In Elena Ferrantes Buch „Die Geschichte eines neuen Namens“ schlüpft man hinein, wie einen geschmeidigen Schuh, der den Leser nach Neapel trägt. Hinein in die sechziger Jahre Atmosphäre Italiens, in dessen Arbeitervierteln Unverschämtheit eine Art Überlebenstechnik darstellt. Hier sind die beiden Protagonistinnen des Romans aufgewachsen. Lila und Elena sind Freundinnen, aber auch Konkurrentinnen, zunächst einmal was die Noten der Schule anging, nun aber auch bei der Wahl, um den attraktivsten Mann fürs Leben. Elena ist die Erzählerin dieser Geschichte. Sie muss hart an sich arbeiten, um gute Zensuren zu bekommen und so wirkt sie auch immer eine Spur verkrampft. Lila dagegen ist mit einer beneidenswerten Intelligenz gesegnet, auf die sie wahlweise mit Gleichgültigkeit hinabblickt, um sie im nächsten Augenblick, wie ein Schwert einzusetzen. Sie geht völlig kompromisslos ihren Weg, wobei sie sich in denkwürdig armselig und stürmischen Liebesgeschichten verheddert, was sie die überaus begabte junge Frau nach und nach an den Abgrund ihrer Existenz führt. Die beiden Frauen leiden dabei nicht nur an den falschen Männern, sondern einer bleiernen Zeit, die den Mann zum Herrn im Hause bestimmt und der Frau stets den Platz am Herd zuweist.

Wie ich das Buch finde? Es ist schon faszinierend, mit welcher Treffsicherheit die Autorin das Romanpersonal zeichnet. Was im ersten Teil des Romans noch köchelte beginnt hier zu brodeln. Lila ist keine Frau, die sich alles gefallen lässt und dennoch sitzt sie beziehungsunfähig zwischen den Stühlen, einen Ort, den Elena nicht einmal erreicht, denn die brave Studierende wird vom männlichen Geschlecht lange mit Nichtachtung und schalen Zungenküssen gestraft. Niemand ist hier nur böse oder gut. Nicht einmal die unvermeidlich auftauchenden Mafioso, die Lila das Leben noch ein bisschen schwerer machen. Die Menschen werden in all ihren Facetten gezeigt und der Schluss ist einfach nur genial. Das alles wird sehr stimmig und kraftvoll erzählt. Mir hat das Lesen sehr viel Freude bereitet. Ein Buch zum mitfiebern, voller kleiner und großer Schicksalsschläge. Dafür gibt es die volle Punktzahl!

Veröffentlicht am 18.11.2016

ein hartes Schicksal

Die Spionin
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Mata Hari, welch ein Name, welch eine Geschichte, was heute selbstverständlich ist, die Selbstverwirklichung der Frau war vor dem 1. Weltkrieg nicht einmal ein frommer Wunsch, eher eine Schreckensvorstellung ...

Mata Hari, welch ein Name, welch eine Geschichte, was heute selbstverständlich ist, die Selbstverwirklichung der Frau war vor dem 1. Weltkrieg nicht einmal ein frommer Wunsch, eher eine Schreckensvorstellung für die Herrschenden. Ein faszinierendes Leben. Ein fürchterliches Lebensende, als vermeintliche Spionin vor dem Erschießungskommando. Paulo Coelho ist das Wagnis eingegangen, die Zeit zurückzudrehen und in die Haut der frivol justierten Mata Hari zu schlüpfen, die mit ihrem wirklichen Namen Margarethe Zelle hieß. Doch diese junge Holländerin entschließt sich nach einem Aufenthalt auf Java sich neu zu erfinden. Dabei pflastern Männer ihren Weg. Sie treten als Förderer, Stolpersteine, Vergewaltiger, Gönner, Besserwisser und Halunken auf den Plan. Der aufziehende 1. Weltkrieg markiert eine tragische Wende in ihrem Leben, das halbseidene Leben hat sie mit Picasso und vielen anderen Berühmtheiten ihrer Zeit zusammengebracht, doch nun sinkt Mata Haris Stern, ein Picasso darf noch in hohem Alter den jungen Frauen hinterhersteigen und mag immer noch begehrt gewesen sein. Für Mata Hari besteht als Frau diese Möglichkeit nicht, die fühlt sich alt und welk, ist aber die begnadete Lügnerin ist immer noch tatendurstig und begeht einen Fehler aus dem es kein Entkommen gibt.

Paulo Coelho beginnt das Buch mit dem tödlichen Ende, ein kluge Entscheidung, nicht der Tod der Mata Hari stellt eine Überraschung für den Leser dar, sondern ihr Werdegang. Vieles in dem Buch ist natürlich Spekulation, aber die Fakten basierten Geschehnisse liefern auch reichlich Information. Paulo Coelho zeigt mit einigem Rechercheaufwand die facettenreiche Mata Hari in ihrer ganzen Tragik und einem unglaublichen Gestaltungswillen. Hier nimmt ein weibliches Nichts sein Leben in die eigenen Hände und wird vielleicht gerade deshalb zum Opfer eitler Herrenmenschen, die sich zwar an Mata Hari ergötzen, aber sie gleichzeitig voller Verachtung in den Tod stürzen. Mir hat das Buch insgesamt gut gefallen. Der Autor versteht einfach auf unnachahmliche Weise zu erzählen und er baut auch immer die eine oder andere Weisheit ein, was ja auch nicht schaden kann. Das Buch hat allerdings auch seine Schwächen, einfach weil der Autor einen Hang zur Oberflächlichkeit hat.

Veröffentlicht am 16.11.2016

Am Limit

I.Q.
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Der hochbegabte Querdenker Isaiah Quintabe hat sich einen Status, als Problemlöser und Detektiv in den Problemvierteln von Los Angeles erarbeitet. Wer zwischen den täglichen Scharmützeln der Drogenbanden ...

Der hochbegabte Querdenker Isaiah Quintabe hat sich einen Status, als Problemlöser und Detektiv in den Problemvierteln von Los Angeles erarbeitet. Wer zwischen den täglichen Scharmützeln der Drogenbanden überleben will braucht mindestens eine Waffe unter dem Bett und einen Überlebenswillen von Lake Powell Ausmaßen. Isaiah, den alle nur I.Q. nennen, weil das halt so gut auf seinen Denkapparat passt, hat neben seiner exorbitanten Intelligenz auch noch das nötige Durchsetzungsvermögen, obwohl es das Schicksal nicht immer gut mit ihm gemeint hat. Manchmal mutiert der Privatermittler gar selbst zum Täter. Eltern hat Isaih keine, nur die Sinnsprüche seines Bruders, sein Leben auf keinen Fall zu vergeuden und dann ist da noch eine offene Wunde. Die Geister der Vergangenheit geben keine Ruhe und diese Tatsache tritt in Form von Dodson zurück in sein Leben. Gangsta Dodson ist Drogenverticker, Dieb und personifiziertes Großmaul in einer Person. Er macht Isaiah mit einem berühmten Rapper bekannt, dessen Leben bedroht ist.

Zu meiner Schande muss ich zugeben noch niemals von Joe Ide gelesen zu haben. Mich hat der Buchumschlagstext neugierig gemacht und ich bin nicht enttäuscht worden. Der Stoff ist gut, der Protagonist ist geradezu einmalig, vielschichtig angelegt, wirklich jemand, den ich sicher lange Zeit nicht vergessen werde. Unter seiner coolen Fassade steckt ein empfindliches Kerlchen. In all der obszönen Gewalt seines Stadtviertels wirkt I.Q. wie ein Fels des Guten gegen den das die Bosheit und Dummheit der Bling Bling Musikwelt anbrandet. Und der prägnante Schreibstil lässt einen Leser in die Materie eintauchen. Ich habe da richtig mit gefiebert und gelernt Kampfhunden auch zukünftig aus dem Wege zu gehen. Sehr interessant finde ich den unkonventionellen Ablauf der Geschichte. Isaiahs Vergangenheit und der Rapper-Fall laufen am Ende zusammen. Für mich einer der besten Thriller des Jahres ! Das wirkt alles so ungemein echt und wahrhaftig, nicht wie eine zusammengebastelte Geschichte von der Stange. Eine echte Entdeckung !


Veröffentlicht am 30.10.2016

brisantes Thema

Das Nest
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„Das Nest“ von Cynthia D'Aprix Sweeney ist zuallererst einmal ein New York Roman. Hier ist alles eine Nummer größer, die Häuser, der Erfolg, das eigene Ego, ein idealer Hintergrund für die Abgründe der ...

„Das Nest“ von Cynthia D'Aprix Sweeney ist zuallererst einmal ein New York Roman. Hier ist alles eine Nummer größer, die Häuser, der Erfolg, das eigene Ego, ein idealer Hintergrund für die Abgründe der menschlichen Seele und wann entzünden sich innerfamiliäre Konflikte am ehesten? Kaum zu glauben, wenn es eine Erbschaft zu verteilen gibt! Und diese vier Ostküstennarren, in zwei Männer und zwei Frauen aufgeteilt, sind typische Vertreter ihrer Stadt. Alle auf dem Weg nach unten, bemüht den Anschluss an die amerikanische Mittelschicht zu halten, aber finanziell, beruflich und gesundheitstechnisch unter Druck, was sich beim Testosteron geplagten Alphamännchen Leo, darin niederschlägt keiner Droge aus dem Wege fahren zu können, weder dem Kokain noch den zweibeinigen Versuchungen, die völlig talentfrei immer ins Musikbusiness wollen.

Es kommt zu einem schicksalhaften Autounfall, der eine Lawine in Gang setzt, die die ganze Familie mitzureißen scheint. Sein homosexueller Bruder Jack braucht dringend Bares, weil sein Kunsthandel auf der Kippe steht. Für die erfolglose schriftstellernde Schwester Beatrice ist die Erbschaft, die alle nur als Nest bezeichnen, die letzte Ausfahrt vor der totalen Bedeutungslosigkeit. Während bei der vierten im Bunde- Melody eher die Familiengemütlichkeit und der Dazugehörigkeitswahn der amerikanischen Mittelklasse im Vordergrund steht.

Erbschaftsromane sind ein dankbares Genre. Die Konfliktlinien ziehen sich quer durch die Familie und dennoch ringt die Autorin ein paar mal zu früh die Spannung nieder, indem sie die Fallhöhe ihres Quartetts auf ein Minimum reduziert, was ich persönlich schade fand. Dafür bewegt sich das Buch dann in ganz andere Bahnen oder noch unbekannten Pfaden, zumindest für mich, der noch nichts in der Richtung- wie verhalten und verändern sich Menschen, die immer gewusst haben eines Tages zu erben, nach der ersten Enttäuschung alles verloren zu haben?

Und das wiederum fand ich sehr spannend erzählt, von einer Frau, die sich mit zunehmender Romanlänge regelrecht frei schreibt. Hinten raus hat das Ding wahrlich Sogwirkung und manche Überraschung, die in einen Erkenntnisgewinn münden. Keine Frage. Bis dahin sind jedoch einige Längen zu überbrücken. Alles in allem ein empfehlenswerter Roman mit überraschendem Ende.