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Sadie

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.09.2020

Verständlich, sympathisch und extrem lehrreich

exit RACISM
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Von allen Büchern, die ich bisher zum Thema Rassismus gelesen habe, ist dieses das bislang beste - nicht, dass die anderen schlecht und/oder uninteressant waren, im Gegenteil, aber bei exit RACISM passt ...

Von allen Büchern, die ich bisher zum Thema Rassismus gelesen habe, ist dieses das bislang beste - nicht, dass die anderen schlecht und/oder uninteressant waren, im Gegenteil, aber bei exit RACISM passt alles: AbsenderIn, Ansprache, Struktur, Informationsgehalt, Zielpublikum. Tupoka Ogette zeigt auf, wie Rassismus enstand, welchem Zweck er einst diente und heute noch dient, wie tief er verwurzelt ist und warum Verneinen, Ablenken, Umkehren oder komplettes Ablehnen keine Option ist.

Kurzum: Ein Buch ganz besonders für deutsche weiße Menschen, die ihre Privilegien bisher noch nicht erkannt haben (oder erkennen wollten). Diese Menschen sind die klar umrissene Zielgruppe, und da es sich hierbei oft um Menschen handelt, deren Selbstverständnis (Ich, rassistisch? Never!) und tatsächliches Handeln nicht korrelieren, führt Ogette sie ganz behutsam an die Thematik heran und schärft den Blick. Sie erklärt mit schier unendlicher, bewundernswerter Geduld (die muss man in der Form erstmal aufbringen...), warum "Ich sehe keine Hautfarben" ebenso keine Lösung ist wie "Aber ich habe schwarze Freunde" oder "Ach, jetzt stell dich mal nicht so an, das war schon immer so."

Verständlich, sympathisch und extrem lehrreich - dieses Buch sollte nicht nur verpflichtende Schullektüre sein, sondern auch zum Curriculum von Lehramtsstudierenden, Menschen in der ErzierInnenausbildung und der Ausbildung von ähnlichen Berufen gehören. Um etwas zu bewegen, ist Zuhören meist der erste Schritt - dieses Buch bietet dafür den perfekten Einstieg und so viel mehr (und das mit dem Hören geht hier auch wörtlich, denn das von der Autorin eingelesene Hörbuch ist nicht nur wirklich gut produziert, es steht auch bei diversen Streamingportalen kostenlos zur Verfügung).

Veröffentlicht am 04.09.2020

Interessantes Debüt, mal schauen, was da noch so kommt

Land in Sicht
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Hui, dieses Buch ist ziemlich flott an mir vorbeigerauscht, so kurz und knapp war es. Dabei spielt es eigentlich in einer eher entschleunigten Umgebung: Jana, 24, bucht sich auf einer mehrtägigen Donauschifffahrt ...

Hui, dieses Buch ist ziemlich flott an mir vorbeigerauscht, so kurz und knapp war es. Dabei spielt es eigentlich in einer eher entschleunigten Umgebung: Jana, 24, bucht sich auf einer mehrtägigen Donauschifffahrt ein, da sie den Kapitän der "MS Mozart" als ihren bislang unbekannten Vater identifiziert hat. Wir haben es hier also mit einem doppelten Aufprall zweier jeweils fremder Welten zu tun: Eine Mittzwanzigerin auf einem "Rentnerschiff" sowie das erste Aufeinandertreffen von Vater und Tochter, Beziehungsstatus zueinander unbekannt, da nicht vorhanden.

Damit ist der Inhalt des Buches auch schon zusammengefasst, und viel mehr passiert auch nicht. Klingt nöliger, als es rüberkommen sollte, denn die knapp 160 luftig gesetzten Seiten sind sprachlich ansprechend gefüllt - Ilona Hartmann braucht nicht viel Masse, um mich auf der Ebene gut abzuholen. Mit Bedacht gesetzte Spitzen, ausgesuchte Formulierungen, dabei nie überbordend oder zu abgedreht - mir gefällt das aufs Wesentliche reduzierte, das aufgeräumt-straighte hier sehr. Lieber habe ich beim Lesen mehrfach kleine, verschmitzte Schmunzler im Gesicht und denke mir "Ha! Clever", als dass ich einmal laut auflache.

Ich hab es also gerne gelesen, und es liest sich auch sehr gefällig - bis auf einige wenige Rückblenden wird das Ganze recht "geradeaus" erzählt. Dennoch fehlt mir am Ende etwas, das ich gar nicht mal so wirklich benennen kann. Denn die Geschichte rund um Jana und ihren Vater wirkt einerseits unfertig, eher angekratzt - andererseits aber auch irgendwie auserzählt. Könnte noch mehr dran sein, würde aber auch so durchgehen. Hm. Bisschen wie eine Kurzgeschichte, die als Grundlage für einen Roman dienen soll, dann aber doch so, wie sie ist, durchgewunken wurde.

Vielleicht hätte man dem anderen Part, dem "junge Frau unter alten Menschen" noch mehr Zeit und Raum zum Entwickeln geben können. Denn die anderen Charaktere kommen und gehen, ohne große Eindrücke zu hinterlassen. Das ist schade und fühlt sich nach einer verpassten Chance an, denn ich hätte hierzu gerne mehr von Ilona Hartmann gelesen. Ihre Gedanken zu Jana und der Vaterthematik waren teils sehr vielversprechend.

Wird also gespeichert unter "interessantes Debüt, mal schauen, was da noch so kommt."

Veröffentlicht am 04.09.2020

Zugänglich, lesbar und unterhaltsam

Zu viel und nie genug
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Ich glaube, ich habe eine leichte eigentümliche Besessenheit mit Büchern über Donald Trump entwickelt. Es könnte meine Art von nicht fiktiver Dystopie sein, bin mir nicht sicher. So oder so: Hin und wieder ...

Ich glaube, ich habe eine leichte eigentümliche Besessenheit mit Büchern über Donald Trump entwickelt. Es könnte meine Art von nicht fiktiver Dystopie sein, bin mir nicht sicher. So oder so: Hin und wieder gönne ich mir entweder ein Buch über seine politische, strategische (hier im weitesten Sinne verwendete) und / oder geschäftsbezogene Agenda oder eine klatschartige Geschichte. Bei Mary L. Trumps Buch hoffte ich auf eine Mischung aus beiden Seiten, und genau das bekam ich auch. Es ist beängstigend, schockierend und sehr aufschlussreich - das meiste davon wusste ich bereits und / oder vermutete es, aber das alles auf einmal zu lesen und dazu das Ausmaß an Dysfunktionalität dieser Familie -, um den Titel von David Cay Johnstons zweitem Treump-Buch zu zitieren: "Es ist noch schlimmer als du denkst".

Unsere Autorin ist Mary, die Nichte von Donald und die Tochter des ältesten Sohnes des Patriarchen Fred, Freddy. Fred regierte seine Familie emotionsfrei und basierend auf der Belohnung für eine "Killer"-Haltung. Familienmotto: Wer hat und gewinnt, ist Gewinner; Diejenigen, die teilen, sind doppelte Verlierer (da sie verlieren und jemand anderes gewinnt). Ohne jegliche Art von Empathie oder der Aussage, dass Fehler passieren können, und mit einer kalten und wenig kümmernden Mutter, entwickelten diese Kinder bestimmte psychologische Traumata, die Mary - sie nicht nur ein Familienmitglied, sondern auch klinische Psychologin - leicht verständlich erklärt.

Freddy als auserwählter Erbe erfüllte nicht die Erwartungen seines Vaters, Fred der Baumeister Nr. 2 zu werden, und geriet in Ungnade. Er versuchte mit seiner neuen jungen Familie zu fliehen, aber Fred Trump warf einen zu großen Schatten. Freddy gab schließlich den Widerstand auf, scheiterte immer wieder an seinem Vater, wurde alkoholabhängig und starb in einem absurd frühen Alter. Mary beschuldigt ihre Familie, ihren Vater leiden zu sehen und sterben zu lassen - an Schwäche, wie die Trumps es ausdrücken würden.

Und obwohl das, was folgte (besonders als Fred Sr. starb), ein gemeiner und böser Erbschaftskampf war, gehen Marys Motive für das Schreiben dieses Buches über "Rache" hinaus. Sie sah, wie ihre Familie, insbesondere Donald, ihren Vater zerstörte - und sie kann nicht zulassen, dass er als nächstes ihr Land zerstört. Und weisst ihr was? Ich glaube ihr. Sie ist glaubwürdig, sie ist vernünftig, und obwohl sie das Recht hat, wütend zu sein und nur auf ihre Familie einzuschlagen, tut sie es nicht. Zumindest nicht mit voller Kraft. Sie verbrennt Donald wirklich schwer, besonders im Vorwort und im Epilog, aber zu den meisten anderen Familienmitglieder ist sie nicht gemeiner als nötig (SAD!).

Kurz gesagt: Ein sehr zugängliches, lesbares und auch unterhaltsames Buch, das die Familie Trump, insbesondere Donald, aus einem neuen Blickwinkel beleuchtet.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Naomi Klein trifft genau den richtigen Ton

Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann
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Endlich habe ich es mal geschafft, ein Buch von Naomi Klein zu lesen! Ihre Sammlung zum Thema Green New Deal vereint Kolumnen, Essays und Reden zum Thema Klimawandel/Umweltzerstörung, Folgen, Lehren und ...

Endlich habe ich es mal geschafft, ein Buch von Naomi Klein zu lesen! Ihre Sammlung zum Thema Green New Deal vereint Kolumnen, Essays und Reden zum Thema Klimawandel/Umweltzerstörung, Folgen, Lehren und Forderungen nach mehr Gerechtigkeit. Nach einer längeren aktuellen Einführung geht es dabei zunächst zurück ins Jahr 2010 (Deepwater Horizon) um sich dann, in zahlreichen weiteren Kapiteln unterschiedlicher Länge und Tiefe, langsam wieder der Gegenwart anzunähern. Der Weg dorthin ist gesäumt mit gut recherchierten und sehr lesbaren Berichten über weitere erschreckende Umweltsünden, interessante Hintergründe, berührende Schicksale, innovative Ideen und unerschrockene Optimisten.

Einige Geschichten haben mich mehr begeistert als andere, einiges war bekannt, vieles neu. Ich emfand die Zusammenstellung so gesehen als sehr ausgewogen und gelungen.

Naomi Klein trifft hier genau den richtigen Ton: Radikal (zumindest vermutlich augenscheinlich zunächst für die Menschen, die sich kaum oder erst wenig mit dem Thema Klimaungerechtigkeit usw. befasst haben), dabei aber nie belehrend oder moralinsauer. Sie schafft es, ihre akribischen Recherchen nicht nur sehr gefällig zu präsentieren, sondern erzeugt durch den sehr gekonnten Einsatz persönlicher Noten schnell eine verbindende Sympathie zur Leserschaft. Ich freue mich jetzt schon darauf, mir nach und nach mehr von ihr zu lesen.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Ein sehr aufregendes Leseerlebnis

Dunkelgrün fast schwarz
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Puh, was für ein Ritt. Ich habe viele Reviews gelesen, die die Sogwirkung dieses Buches in den Vordergrund stellen und muss sagen: Ja, das stimmt. Auch ich konnte mich der Erzählung kaum entziehen, zu ...

Puh, was für ein Ritt. Ich habe viele Reviews gelesen, die die Sogwirkung dieses Buches in den Vordergrund stellen und muss sagen: Ja, das stimmt. Auch ich konnte mich der Erzählung kaum entziehen, zu vielfältig und abwechslungsreich waren die einzelnen Plotstränge - vom Aufbau her genau mein Beuteschema.

Im Mittelpunkt stehen toxische Beziehungen, allen voran die der besten Freunde Moritz und Raffael. Klassische Aufteilung: Raffael, ein narzistischer, persönlichkeitsgestörter Meistermanipulator von Kindesbeinen an vs. Moritz, eher zurückhaltend und schüchtern und durch seine (für ihn als Kind unerklärliche) Synästhesie (er sieht Menschen auch farblich) verunsichert. Als junge Erwachsene trennen sich die beiden - die Gründe dafür bilden quasi das mysteriöse Grundgerüst des Romans (wie auch die Frage, warum die beiden überhaupt so lange als unzetrennlich galten). Bekannt ist nur: Es hat mit Johanna zu tun, die erst spät dazustoß und aus dem Duo ein Trio machte.

Vom Aufbau und der Struktur her ist das hier ein Buch wie für mich geschrieben. Wir hören drei Erzählstimmen aus verschiedenen Zeiten, die Handlung umfasst rund 35 Jahre. Erzähler 1 ist Moritz, der in der Gegenwart nach 16 Jahren plötzlich wieder Raffael gegenübersteht steht. Moritz nimmt den alten Kumpel bei sich und seiner hochschwangeren Freundin auf. Dieser Strang lotet aus, wie die Manipulationen von Raffael auf den erwachsenen (und ihm entwachsenen?) Moritz wirken. Parallel dazu erinnert sich Moritz an prägende Momente aus der gemeinsamen Kinder- und Jugendzeit. Moritz ist ein extrem passiver Charakter, der viel will, aber wenig kann. Man fragt sich beim Lesen: Ist das alles nur Raffaels Schuld? Oder die anderer Bezugspersonen? Oder ist Moritz einfach grundsätzlich "schwach"?

Zweite Erzählstimme ist Johanna, die über all die Jahre "dazwischen" über eine ziemlich spezielle, nicht minder verkorkste Beziehung mit Raffael berichtet, auch hier wieder in Form von Erinnerungen und ihrer gegenwärtigen Probleme. Johannas Kapitel sind besonders düster, sie wird von starken Selbstzweifeln (Selbsthass?) gequält, die sich durch physische und psychische Selbstschädigung manifestieren und durch extrem ablehnende Coolness verdeckt werden. Die Frage, inwiefern Raffael am Gemütszustand dieser traurigen Gestalt verantwortlich ist, wird ziemlich schnell beantwortet: Johanna wirkt wie ein verzweifelter Junkie, auf der Suche nach dem nächsten Schuss Raffael.

Dritte Erzählstimme, und das war für mich das Highlight des Buches, ist Marie, die Mutter von Moritz. Ihre Berichte spielen ausschließlich in der Vergangenheit und reichen bis in ihre eigene Jugend zurück. Ihre Aufgabe ist es, die Frage "Aber warum hat die Mutter/haben die Eltern denn nichts unternommen?" zu beantworten. Und das macht die Autorin wirklich richtig toll: Ganz tief reingehen in die Geschichte, alle alten Schichten abkratzen und zurückgehen bis zu dem Punkt, an dem die (vermeintlich?) erste falsche Abzweigung genommen wurde. Auch Marie ist eher passiv und "schwach": Eine etwas weltfremde junge Frau, die mit zwei kleinen Kindern in ein abgelegenes Bergdorf zieht (der Mann ist aus beruflichen Gründen anfangs kaum anwesend) und nirgendwo richtig dazugehört - ich konnte kaum aufhören, vor allem ihre Seiten zu lesen.

Es geht hier also nicht nur um toxische Beziehungen an sich - wie sie entstehen, was sie am Leben hält - sondern auch darum, wie sie verhindert oder unterbunden werden könnten (müssten?) - und warum das manchmal einfach nicht möglich ist, weil das nicht jede*r aus eigener Kraft kann. Alles das bis hierhin aufgezählte hat mich beim Lesen stark angezogen, ich konnte es kaum erwarten, noch eine Schicht (v.a. aus der Vergangenheit) aufzudecken - nicht nur, um dem Geheimnis des Zerwürfnisses auf die Schliche zu kommen, sondern auch, um noch mehr zu vestehen, wie es überhaupt alles soweit kommen konnte.

Ein sehr aufregendes Leseerlebnis und tolles Debüt also, und dennoch mit Luft nach oben. Das Ende war mir persönlich zu wenig, auch die Andeutung der möglichen Zukunft der Charaktere hat mich eher gewundert als befriedigt. Inhaltlich war das Buch an einigen Stellen zu repetitiv, das hätte noch gestrafft werden können. Etwas mehr gehadert, vor allem am Anfang, habe ich mit der Sprache, die mein erträgliches Level an blumiger Umschreibung und hemmungloser, teils auch schiefer Übermetaphorisierung an seine Grenzen gebracht hat. Ich habe mir das ein bisschen mit Moritz' Synästhesie schön geredet, hat aber nicht immer gut geklappt. A propos: Die Synästhesie an sich hätte vielleicht noch mehr "genutzt" werden können. So erklärt sie eigentlich nur einen Großteil der (farbenfrohen) Sprache und, wenn man es so sagen will, verdeutlicht den Umstand, dass der, der eigentlich am meisten sehen kann (Moritz), der Blindeste von allen ist (in Bezug auf Raffael).

Trotzdem dieser stilistischen Anmerkungen, die nicht so ganz meinen persönlichen Geschmack trafen, gibt's hier vier Sterne, denn in so einen Lesesog bin ich schon lange nicht mehr geraten.