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Veröffentlicht am 04.09.2020

Solide, persönliche Musikunterhaltung

Frank Goosen über The Beatles
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Ein weiteres recht unterhaltsames Buch der Reihe KiWi Musikbibliothek - jener Reihe, in denen Autorinnen und Autoren ihre ganz persönliche Beziehung zu einem/einer Musiker/-in erzählen. Es handelt sich ...

Ein weiteres recht unterhaltsames Buch der Reihe KiWi Musikbibliothek - jener Reihe, in denen Autorinnen und Autoren ihre ganz persönliche Beziehung zu einem/einer Musiker/-in erzählen. Es handelt sich hier also um keine "reine" Musikbiografie, und man sollte schon einen "guten Draht" zu der porträtierten Person/Band oder zumindest dem/der Autor/-in haben, um diese Büchlein in vollem Umfang zu genießen. Ich finde diesen Ansatz durchaus interessant, und habe mir nach dieser "Lesart" bereits Take That von Anja Rützel gegönnt, nun also Frank Goosen über die Beatles, da bin ich ja lesetechnisch auch durchaus ein wenig interessiert dran.

Das Buch ist, grob, in drei Teile gegliedert. Im ersten erzählt Frank Goosen seine eigene Geschichte in Bezug auf die Beatles nach: Wie er die Band als Junge erstmals schätzen gelernt hat, wie er nach und nach die Alben entdeckte, wie er als 14-Jähriger die Ermordung von seinem großen Idol John Lennon erlebte und vieles mehr. Das zu lesen bzw. hören hat sehr viel Spaß gemacht. Zum einen, weil Goosens Erinnerungen wirklich sehr authentisch, real und liebevoll sind - und er sie auch gekonnt erzählt. Zum anderen, weil ich, gut zehn Jahre später, ähnliche Erfahrungen gemacht habe, vor allem was das schrittweise Entdecken des musikalischen Katalogs betrifft.

Teil zwei fällt dann leider leicht ab. Hier berichtet Frank Goosen von einem Urlaub, den er mit seiner Familie in Liverpool verbracht hat, auf den Spuren der Fab Four. Größtenteils spielt dieser Teil während einer Taxi-Touri-Fahrt zu markanten Beatle-Orten der Stadt. Das ist zwar noch immer recht unterhaltsam, vor allem dank des allwissenden und unterhaltsamen Fahrers und seiner Infos. Auf der anderen Seite wirkt die Familie ein wenig zu stark als unterhaltsames Beiwerk mit dem Vater, dessen Leidenschaft von den anderen eher müde belächelt wird, und zwei Söhnen im Teenageralter, die eher so mäßig interessiert an Irgendwas sind. Sorgt für ein wenig Slapstick, hätte ich aber nicht zwingend gebraucht.

Ähnlich dann der dritte Teil, in dem Goosen anhand der Diskographie nochmals alle Alben kommentierend durchgeht. Hey, sowas finde ich im Prinzip spannend, habe ich selbst auch schon gemacht. Und ich fände es auch spannend, das mit jemanden gemeinsam zu tun oder darüber zu diskutieren. Weniger spannend finde ich es allerdings, jemand anderem dabei zuzusehen/-hören, selbst aber nicht agieren zu können.

Zwischen den Teilen zwei und drei hat Goosen dann noch ganz kurz drei Bücher vorgestellt, die sich mit alternativen Realitäten in Bezug auf die Beatles befassen (also, was, wenn John und Paul sich nie getroffen hätten, wenn John nicht ermordet worden wäre usw.). Das schaue ich mir vielleicht nochmal näher an.

Alles in allem gute Unterhaltung, auch als Hörbuch gut. Allerdings sollte man schon ein gewisses Faible für die Beatles haben und sich darauf einstellen, dass es nach dem ersten Teil leider nicht mehr besser wird.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Satirische Millennials-Abrechnung

Allegro Pastell
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Das hört sich jetzt aufgrund meiner Bewertung zunächst etwas komisch an: Dieses Buch kreist rund 250 Seiten lang um first world problems zweier Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht. Die eigentlich ...

Das hört sich jetzt aufgrund meiner Bewertung zunächst etwas komisch an: Dieses Buch kreist rund 250 Seiten lang um first world problems zweier Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht. Die eigentlich keine schwerwiegenden Probleme haben - außer den Umgang mit sich selbst. Sowas kann störend wirken, ja, das tut es auch. Sowas kann lästig und unangenehm sein, und ja, auch das ist es. Trotzdem hat mich dieses Buch fasziniert, was zum größten Teil an der Wortakrobatik und Sprachgewandheit des Autors liegt. Will sagen: Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen - dann aber auch wieder nicht. Ich sage ja: faszinierend.

Tanja und Jerome, das fernbezogene Millenials-Paar, steht hier im Mittelpunkt. Beide wuchsen relativ wohlbehütet ohne Entbehrungen auf. Nun gut, vielleicht stand oder steht die Beziehung der Eltern auf der Kippe und die Schwester leidet an depressiven Verstimmungen aber hey, wer sind wir denn, über andere zu urteilen? Betrachten wir uns doch lieber mal selbst, so ohne Scheu und/oder Scham, ok?

Und so ist das Buch dann auch mehr Nabelschau der beiden Liebenden als alles andere. Selbstreflexion ist natürlich wichtig, gerade im Umgang mit und Bezug auf andere. Das gute alte Sender-Empfänger-Problem: Ist meine Botschaft angekommen? Hat mein Gegenüber verstanden, was ich meine? Und falls nicht: Was könnte er/sie stattdessen verstanden haben? Grübel, grübel...

Ich bin selbst ein Grübel-Mensch, oh ja. Aber das, was Tanja und Jerome hier anziehen, spielt in einer ganz anderen Liga. Die beiden analysieren und reflektieren, bis das eigentliche Ich bald auch nur noch ein Spiegel ist. Jeder Schritt, jede Handlung, wird mehrfach abgewägt, gegen soziale, politische, gesellschaftliche und ganz persönliche Leitlinien. Teilweise kam es mir so vor, als hätten Tanja und Jerome zu viele Bücher mit auktorialem Erzähler gelesen und würden nun fortwährend eine solche Stimme in ihrem Kopf hören, die jeden ihrer Schritte, Gedanken und Handlungen kommentiert. Es geht nicht mehr ums Ergebnis, nur noch um Aktion und Reaktion. Und, natürlich, um ganz viel Verständnis. Passt schon!

Das klingt jetzt ein bisschen nach plotarmer Selbstbeweihräucherung, aber im Buch passiert durchaus eine Menge. Die zunächst liebevoll anmutende Fernbeziehung, die den ersten Teil bestimmt (bzw. die im ersten Teil von beiden analysiert und weiter verplant wird), erlebt einige Höhen, aber auch deutliche Tiefen. Leif Randt geht hier konsequent und mutig seinen Weg, zeigt eine vielleicht nicht immer der Norm entsprechende, aber dennoch alles andere als seltene Art der Beziehung, die deutliche Unterschiede zwischen Liebe und Sex macht und Treue auf eine andere Ebene als das rein körperliche hebt. Das fand ich stimmig, erfrischend und vor allem konsequent: Tanja und Jerome wollen sich nicht eingrenzen, nicht gegenseitig und auch nicht als Paar. Nachteil an der Sache: Viel wird aus genau diesem Grund (zunächst) nicht direkt angesprochen, viel passiert im Zustand des Ungewissen, des Unausgesprochenen. Zu stören scheint das keinen der beiden, zumindest sollte es das eigentlich nicht, denn: So bleibt mehr Zeit zum gründlichen reflektieren ;)

Wir haben hier also ein Buch mit zwei sehr anstrengenden, Ich-bezogenen Hauptcharakteren, die das natürlich nie so empfinden, geschweige denn zugeben würden. Es gab einige Stellen im Mittelteil, da hätte ich das Buch am liebsten weg gelegt, so haben die beiden mich genervt. Da wollte ich sie regelrecht anbrüllen, dochmal was zu TUN, miteinander zu REDEN, Dinge mal in Gang zu setzen und Action bitte, na hopp!

Und trotzdem habe ich es sehr gern gelesen. Weil viel zu viel Wahres drinsteckt und es ein wirklich richtig gut geschriebenes Stück über eine bestimmte Sorte Großstädter 30+ ist, das vieles aufdeckt und anprangert, dabei aber nie ins Klamaukige oder völlig Überzeichnete verfällt.

Veröffentlicht am 03.03.2020

Gesellschaftliche Außenseiter der anderen Art

Die Ladenhüterin
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Erstmal muss ich den deutschen Titel loben - klar ist unsere Protagonistin Keiko eine wahre Hüterin "ihres" konbini, der 24-Stunden-Shop, in dem sie jobbt. Doch auch die zweite Interpretation - ein ungewollter ...

Erstmal muss ich den deutschen Titel loben - klar ist unsere Protagonistin Keiko eine wahre Hüterin "ihres" konbini, der 24-Stunden-Shop, in dem sie jobbt. Doch auch die zweite Interpretation - ein ungewollter Artikel, vielleicht sogar eine alte Jungfer - trifft ebenso zu. Variante 1 enstricht Keikos Selbstbild, Variante 2 dem Bild, das andere von ihr haben.

Keiko arbeitet also als Aushilfe in einem dieser immer-offen-Shops, und das seit mehr als 15 Jahren. Sie fühlt sich wohl un angekommen, denn dass Keiko nicht der Norm entspricht, war schon früh klar. Sie kommt in sozialen Interaktion nur schwer zurecht, es fehlt ihr an Empathie und überhaupt wird sie von anderen als "komisch" beäugt. Erst im konbini mit seinen strikten Regeln und Vorgaben blüht sie auf. Hier weiß sie, was von ihr erwartet wird und wie sie sich zu verhalten hat - im Zwiefelsfall imitiiert sie einfach ihre Kolleginnen. Nachmachen um nicht aufzufallen, in der Gruppe verschwinden, um die Individualität zu verstecken.

Doch Freunde und Familie zweifeln: Sie ist über 30, hat nur einen Aushilfsjob, ist noch Jungfrau und ohne Aussicht auf oder gar Interesse an einer Ehe - im leistungsorientierten Japan besonders unverständlich.

Dann betritt mit Shiraha ein weiterer Außenseiter die Szenerie. Er ist ein ähnlicher Außenseiter wie Keiko: Arbeitslos, ohne Geld, keine Partie in Sicht. Doch Shiraha versucht gar nicht erst, dazuzugehören. Er rebelliert offen, bis zu einem Grad auch gegen Keiko: Er erkennt zwar ihre Gemeinsamkeiten, macht aber gleichzeitig neue Unterschiede zwischen ihnen auf, vor allem sexistische und misogyne.

Wie individuell kann oder darf eine Person in der heutigen Gesellschaft überhaupt sein? Sei du selbst - bis zu welchem Ausmaß? Wie weit würdest du gehen, um "hineinzupassen" - oder ist dir das sowieso egal? Sind wir wirklich so frei in der Entfaltung, wie wir glauben - oder tun wir nur so als ob? Und wie tolerant bist du selbst, wenn du auf Lebensentwürfe triffst, die weit außerhalb der gesellschaftlichen Norm liegen? Ja, das Buch gibt einige Ideen auf, aber präsentiert diese unterhaltsam und gut lesbar.

Veröffentlicht am 03.03.2020

Für Genrefans empfehlenswert

Der nasse Fisch
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Mit "Der nasse Fisch" legt Volker Kutscher den ersten Band seiner Reihe um den Kommissar Gereon Rath vor, der im Berlin der 1920er/1930er Jahre Mordfälle aufklärt. Die Reihe ist mittlerweile um einige ...

Mit "Der nasse Fisch" legt Volker Kutscher den ersten Band seiner Reihe um den Kommissar Gereon Rath vor, der im Berlin der 1920er/1930er Jahre Mordfälle aufklärt. Die Reihe ist mittlerweile um einige Bände angewachsen und erlangte vor wenigen Jahren zusätzliche Bekanntheit, als sie unter dem Namen "Babylon Berlin" als Vorlage für eine aufwändig produzierte Fernsehserie diente.

In dem Fall, der den Neu-Berliner Gereon erst zur Sittenpolizei, dann zur Mord bringt, fließen die Ansätze verschiedener Ermittlungen zusammen. Es geht um Pornofotos mit Doppelgängern der Politprominenz, um verschwundenes Gold, um Machtkämpfe zwischen Bolschewiken und Zaristen, um die aufkeimende Nazibrut und verbotene Militärs. Mittendrin unser Ermittler, skandalumwoben und frisch verliebt in Charly, eine kompetente Stenotypistin.

Das Buch liest sich flott weg und ist sehr unterhaltsam. Der solide Kriminalfall bietet viele Wendungen und falsche Fährten, die Auflösung ist stimmig. Die eingeführten Charaktere bleiben zwar teils noch etwas blass, bieten aber auf jeden Fall genug Raum für weitere Entfaltung in kommenden Bänden. Auch die zeitgenössische Stimmung kommt gut rüber - der Filter des Berlins der 20er Jahre sitzt.

Dennoch habe ich mich dazu entschieden, die Reihe nicht weiterzulesen. Der Grund hierfür liegt darin, dass ich die Serie bereits kenne - die ersten beiden Staffeln habe ich mehrfach gesehen, die dritte live auf Sky, während ich dieses Buch las. Und ich muss sagen, dass ich mich im "Serienuniversum" sehr viel wohler fühle. Das liegt vor allem daran, dass mich das zusätzliche Material der Serie besonders fasziniert, hier spreche vor allem von den weit komplexeren Charakteren, allen voran den Frauen. Die Serien-Charlotte finde ich weitaus faszinierender, die unfassbar tolle Gräfin spielt im Buch nur eine verschwindend kleine Rolle, Helga Rath gar keine. Der Kriminialfall war, zumindest im ersten Band, erstaunlich nah dran am Buch. Keine Ahnung, ob das in den nächsten Bänden auch so ist, aber ich werde vorsichtshalber lieber am Bildschirm miträtseln und mich nicht vom Buch spoilern lassen - soll es ja auch geben, sowas ;)

Abgesehen von dieser, meiner persönlichen Entscheidung, ist dieser grundsolide Krimi mit einem ordentlichen Schuss deutscher Geschichte für Genrefans durchaus empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 26.02.2020

Ein großartiges, sehr berührendes Buch

Kurt
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Mit "Kurt" hat Saran Kuttner ein wirklich besonderes Buch geschrieben: Sie hat sich eines gleich in mehrerer Hinsicht komplizierten Themas angenommen, eine interessante, weil frische Erzählperspektive ...

Mit "Kurt" hat Saran Kuttner ein wirklich besonderes Buch geschrieben: Sie hat sich eines gleich in mehrerer Hinsicht komplizierten Themas angenommen, eine interessante, weil frische Erzählperspektive gewählt und dann ihre Geschichte erzählt, die ich am liebsten als "echt" beschrieben möchte. Weil alles so nahbar, authentisch und wirklichkeitsnah wirkt und wirklich sehr gut beobachtet und feinfühlig erzählt ist. Hier braucht es keinen übertriebenen Kitsch oder überzeichnetes Drama für die ganz großen und vielen kleinen Gefühle - Respekt.

Erzählt wird die Geschichte von Lena, die mit ihrem Partner (Kurt) aus Berlin in den Brandenburger Speckgürtel zieht. Statt komödiantischem Kulturschock eines hippen Großstadtpaares auf dem Land gibt es hier ganz viel Offenheit für das Ländliche und die Natur. Die Aufgaben, die so ein Umzug mit sich bringt, wie Heimwerken, Gärtnern und Co. werden nicht als lästige Pflichaufgabe in der neuen Dorfheimat, sondern - vor allem das Gärtnern - als neue Leidenschaft entdeckt. Das Landleben komplettiert ein zweiter Kurt, der kleine: Kurts Sohn aus erster Ehe, für den er sich das Sorgerecht mit seiner Ex teilt. Lenas Perspektive ist also nicht nur die einer Großstädterin in Brandenburg, sondern auch die einer quasi-Stiefmutter - spannend.

Lena und die beiden Kurts konnten mich unfassbar schnell für sich gewinnen: alle drei für sich, Kurt und Lena als Paar, Kurt und Kurt als Vater-Sohn-Gespann, Lena und Kurt als vielleicht-irgendwann-Stiefmutter und -sohn und alle drei als lebhafte und liebenswerte Patchworkfamilie. Bonuspunkte für Jana, Kurts Ex, weil sie zwar nicht unbedingt einfach ist, aber das nicht anklagend dargestellt wird und sie vor allem keine keifende, nachtragende Ex oder Ähnliches ist - danke dafür.

Doch das Hauptthema dieses Buches ist ja eigentlich ein ganz anderes. Es geht um Trauer, um den Verlust eines geliebten Menschen, um den Umgang mit der Welt ohne die geliebte Person und um den Umgang der Hinterbliebenen untereinander. Für Lena nach "die Neue im Dorf" und "die Neue in unserer Familie" schon wieder eine neue Rolle - doch eine, in die es sich besonders schwer hineinfinden lässt.

Jeder Mensch trauert anders. Jeder Mensch liebt anders. Jede Beziehung - ob zwischen Liebenden oder Eltern und Kindern - ist anders. Und dennoch: So, wie Sarah Kuttner es erzählt, ergibt es alles Sinn und ist schlüssig. Ich kann es nicht besser beschreiben, aber ich habe irgendwie alles nachvollziehen, mitfühlen, verstehen können, auch wenn ich aus einer ganz anderen Lebensrealität komme.

Ein großartiges, sehr berührendes Buch, das mich vor allem als Hörbuch sehr begeistert hat. Zwar klingt Sarah Kuttner hier und da wie kurz vorm Lungenkollaps, aber sie trägt ihre Geschichte genau richtig vor. Was für ein schönes (aber natürlich sehr melancholisches) Hörerlebnis!

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