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Veröffentlicht am 04.09.2020

Leichtes, spaßiges Sommerbuch mit Botschaft.

Fleishman steckt in Schwierigkeiten
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Das war ein ziemlicher Lesespaß - genau die Art, die vor allem unterhält, aber dennoch mit einer Botschaft aufwartet. Ein Roman, der sowohl lustig als auch melancholisch ist, der sowohl Augenrollen als ...

Das war ein ziemlicher Lesespaß - genau die Art, die vor allem unterhält, aber dennoch mit einer Botschaft aufwartet. Ein Roman, der sowohl lustig als auch melancholisch ist, der sowohl Augenrollen als auch Mitgefühl hervorruft.

Der Fleishman, auf den sich schon der Titel bezieht, ist Toby (nur: ist er das wirlkich?), ein Ü40-Vater von zwei Kindern, frisch getrennt von seiner Gattin - jetzt ist er bereit, das Leben als Single in einer Welt voller Dating-Apps und unverfänglichem Sex zu erkunden. Aber gerade, als Toby seine kleine Midlifekrise voll auskosten will, verschwindet seine Noch-Gattin und überlasst ihm die elterlichen Pflichten... mal wieder.

Eigentlich geht es hier also um first world problems "de luxe" - die Story spielt nicht nur im New York der Reichen, sondern der Superreichen und Ultrareichen. Als Arzt, der "gerade mal" 280.000 Dollar pro Jahr mit nach Hause bringt (herrje...) steht Toby in dieser extrem priveligierten Hackordnung ziemlich weit unten. Seine Bald-Ex Rachel, die sich aus eigener Kraft ganz nach oben gearbeitet hat und eine berühmte Promiagentin wurde (und die auf dem Weg dorthin ihre Familie augenscheinlich vernachlässigt hat, herrje, herrje...), verdient locker das Fünfzehnfache - und selbst das sind noch Peanuts im Vergleich zu dem Wohlstand der Familien, zu denen Rachel so gerne dazugehören möchte.

Warum sollte man so ein Buch über Luxuprobleme lesen, die auf der Midlifekrise eines Mannes basiert, der sich in seiner Rolle als jammernder Vater mit zu viel "Familienpflichten" vielleicht auch ganz wohl fühlt - kann er doch weiter jammern und Mitleid erhaschen?

Zwei Gründe: Zum einen macht Taffy Brodesser-Akner's Schreibe richtig Spaß. Zweitens: Die ganze Geschichte wird, auf der coole und pfiffige Weise, von einem trojanischen Pferd infiltriert. Erzählerin der Geschichte ist nämlich Libby, eine alte Studienfreundin von Toby. Sie ist - das Alter Ego der Autorin lässt grüßen - eine Magazonjournalistin, bekannt für ihre Porträts über Männer, die ihr eigentlich dazu dienen, über Frauen zu schreiben:

"They [the men] said all the things I wasn't allowed to say aloud without fear of appearing grandiose or self-centered or conceited or naricissistic. I imposed my narrative onto theirs [...]. I wrote about my problems through them."

Also - wessen Geschichte lesen wir hier, und wie (ver)ändert das die Eindrücke der Lesenden? Genau diese Frage macht, abgesehen von einigen äußerst unterhaltsamen Nebenplots (wie die Geschichten der Frauen, die Toby trifft oder die Probleme seiner Kinder), dieses Buch durchaus lesenswert. Es regt zum Nachdenken an, öffnet Raum für Diskussionen, beginnend bei den Charakteren und ob sie liebenswert sind - ich bin da zu keiner abschließenden Meinung gekommen ;) Dafür weiß ich dies: Mit gefällt dieser Roman, so, wie er ist: Ein leichtes, spaßiges Sommerbuch mit Botschaft.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Komprimierte, bedrückende Parabel

Die Parade
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"Die Parade" ist eine novellenartige, gut und schnell lesbare Parabel zum Thema Entwicklungshilfe, frei nach dem Motto: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht (zumindest nicht immer für alle Beteiligten). ...

"Die Parade" ist eine novellenartige, gut und schnell lesbare Parabel zum Thema Entwicklungshilfe, frei nach dem Motto: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht (zumindest nicht immer für alle Beteiligten). Vier und Neun,zwei namenlose Facharbeiter, helfen beim Aufbau der Infrastruktur eines vom Bürgerkrieg zerrütteten Landes. Mit Hilfe einer komplexen und modernen Maschine asphaltieren sie innerhalb weniger Tage eine Straße, die den wohlhabenderen Teil des Landes mit dem ärmlicheren verbinden und so auch diesen Gebieten medizinische Versorgung und vieles mehr bringen soll. Die titelgebende Parade ist für den Abschluss der Bauarbeiten geplant.

Was nach einem ziemlich klaren Auftrag klingt, gestaltet sich von Beginn an kompliziert, vor allem für Vier, der den überkorrekten, verlässlichen Arbeiter symbolisiert. Er will nur seine Arbeit machen, sich dabei strikt an die Anweisungen halten und den Job wie viele andere zuvor möglichst schnell und ohne Kontakt zur Außenwelt - den Regeln entsprechend - hinter sich bringen. Ganz anders Neun, der die Nähe der Menschen vor Ort sucht. Er will nicht nur eine Straße bauen, sondern gerne auch auf andere Art helfen - was den Regeln der Firma, in dessen Auftrag die Straße gebaut wird, widerspricht und vor allem auch Viers Unmut nach sich zieht.

Dass Vier und Neun quasi auf engsten Raum unterschiedliche Ansätze der Entwicklungshilfe westlicher Industrienationen und den daraus resultierenden Folgen symbolisieren, könnte kaum offensichtlicher sein. Doch trotz dieser fast schon zu einfachen Symbolik lebt das kurze Werk von dem wachsenden Konflikt zwischen Vier und Neun und der daraus enstehenden Spannung. Denn schon nach kurzer Zeit zeichnet sich ab, dass Neuns Interaktionen mit den Einheimischen Konsequenzen haben, die die Fertigstellung der Straße gefährden könnten. Und so muss Vier Entscheidungen treffen, mit denen er sich im Laufe seiner bis dato glänzenden Karriere noch nicht befassen musste...

Nichts allzu viel Neues und dazu ziemlich offensichtlich - dennoch ist "Die Parade" empfehlenswert, denn Eggers erzählt gut und spannend. Man kann den heißen Asphalt fast riechen, die Hilflosigkeit der Einheimischen und ihre Hoffnung auf die Straße fast spüren. Die Kürze von knapp unter 200 Seiten bietet eine komprimierte Geschichte mit einem Ende, das fast schon unausweichlich schien.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Solide, persönliche Musikunterhaltung

Frank Goosen über The Beatles
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Ein weiteres recht unterhaltsames Buch der Reihe KiWi Musikbibliothek - jener Reihe, in denen Autorinnen und Autoren ihre ganz persönliche Beziehung zu einem/einer Musiker/-in erzählen. Es handelt sich ...

Ein weiteres recht unterhaltsames Buch der Reihe KiWi Musikbibliothek - jener Reihe, in denen Autorinnen und Autoren ihre ganz persönliche Beziehung zu einem/einer Musiker/-in erzählen. Es handelt sich hier also um keine "reine" Musikbiografie, und man sollte schon einen "guten Draht" zu der porträtierten Person/Band oder zumindest dem/der Autor/-in haben, um diese Büchlein in vollem Umfang zu genießen. Ich finde diesen Ansatz durchaus interessant, und habe mir nach dieser "Lesart" bereits Take That von Anja Rützel gegönnt, nun also Frank Goosen über die Beatles, da bin ich ja lesetechnisch auch durchaus ein wenig interessiert dran.

Das Buch ist, grob, in drei Teile gegliedert. Im ersten erzählt Frank Goosen seine eigene Geschichte in Bezug auf die Beatles nach: Wie er die Band als Junge erstmals schätzen gelernt hat, wie er nach und nach die Alben entdeckte, wie er als 14-Jähriger die Ermordung von seinem großen Idol John Lennon erlebte und vieles mehr. Das zu lesen bzw. hören hat sehr viel Spaß gemacht. Zum einen, weil Goosens Erinnerungen wirklich sehr authentisch, real und liebevoll sind - und er sie auch gekonnt erzählt. Zum anderen, weil ich, gut zehn Jahre später, ähnliche Erfahrungen gemacht habe, vor allem was das schrittweise Entdecken des musikalischen Katalogs betrifft.

Teil zwei fällt dann leider leicht ab. Hier berichtet Frank Goosen von einem Urlaub, den er mit seiner Familie in Liverpool verbracht hat, auf den Spuren der Fab Four. Größtenteils spielt dieser Teil während einer Taxi-Touri-Fahrt zu markanten Beatle-Orten der Stadt. Das ist zwar noch immer recht unterhaltsam, vor allem dank des allwissenden und unterhaltsamen Fahrers und seiner Infos. Auf der anderen Seite wirkt die Familie ein wenig zu stark als unterhaltsames Beiwerk mit dem Vater, dessen Leidenschaft von den anderen eher müde belächelt wird, und zwei Söhnen im Teenageralter, die eher so mäßig interessiert an Irgendwas sind. Sorgt für ein wenig Slapstick, hätte ich aber nicht zwingend gebraucht.

Ähnlich dann der dritte Teil, in dem Goosen anhand der Diskographie nochmals alle Alben kommentierend durchgeht. Hey, sowas finde ich im Prinzip spannend, habe ich selbst auch schon gemacht. Und ich fände es auch spannend, das mit jemanden gemeinsam zu tun oder darüber zu diskutieren. Weniger spannend finde ich es allerdings, jemand anderem dabei zuzusehen/-hören, selbst aber nicht agieren zu können.

Zwischen den Teilen zwei und drei hat Goosen dann noch ganz kurz drei Bücher vorgestellt, die sich mit alternativen Realitäten in Bezug auf die Beatles befassen (also, was, wenn John und Paul sich nie getroffen hätten, wenn John nicht ermordet worden wäre usw.). Das schaue ich mir vielleicht nochmal näher an.

Alles in allem gute Unterhaltung, auch als Hörbuch gut. Allerdings sollte man schon ein gewisses Faible für die Beatles haben und sich darauf einstellen, dass es nach dem ersten Teil leider nicht mehr besser wird.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Satirische Millennials-Abrechnung

Allegro Pastell
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Das hört sich jetzt aufgrund meiner Bewertung zunächst etwas komisch an: Dieses Buch kreist rund 250 Seiten lang um first world problems zweier Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht. Die eigentlich ...

Das hört sich jetzt aufgrund meiner Bewertung zunächst etwas komisch an: Dieses Buch kreist rund 250 Seiten lang um first world problems zweier Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht. Die eigentlich keine schwerwiegenden Probleme haben - außer den Umgang mit sich selbst. Sowas kann störend wirken, ja, das tut es auch. Sowas kann lästig und unangenehm sein, und ja, auch das ist es. Trotzdem hat mich dieses Buch fasziniert, was zum größten Teil an der Wortakrobatik und Sprachgewandheit des Autors liegt. Will sagen: Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen - dann aber auch wieder nicht. Ich sage ja: faszinierend.

Tanja und Jerome, das fernbezogene Millenials-Paar, steht hier im Mittelpunkt. Beide wuchsen relativ wohlbehütet ohne Entbehrungen auf. Nun gut, vielleicht stand oder steht die Beziehung der Eltern auf der Kippe und die Schwester leidet an depressiven Verstimmungen aber hey, wer sind wir denn, über andere zu urteilen? Betrachten wir uns doch lieber mal selbst, so ohne Scheu und/oder Scham, ok?

Und so ist das Buch dann auch mehr Nabelschau der beiden Liebenden als alles andere. Selbstreflexion ist natürlich wichtig, gerade im Umgang mit und Bezug auf andere. Das gute alte Sender-Empfänger-Problem: Ist meine Botschaft angekommen? Hat mein Gegenüber verstanden, was ich meine? Und falls nicht: Was könnte er/sie stattdessen verstanden haben? Grübel, grübel...

Ich bin selbst ein Grübel-Mensch, oh ja. Aber das, was Tanja und Jerome hier anziehen, spielt in einer ganz anderen Liga. Die beiden analysieren und reflektieren, bis das eigentliche Ich bald auch nur noch ein Spiegel ist. Jeder Schritt, jede Handlung, wird mehrfach abgewägt, gegen soziale, politische, gesellschaftliche und ganz persönliche Leitlinien. Teilweise kam es mir so vor, als hätten Tanja und Jerome zu viele Bücher mit auktorialem Erzähler gelesen und würden nun fortwährend eine solche Stimme in ihrem Kopf hören, die jeden ihrer Schritte, Gedanken und Handlungen kommentiert. Es geht nicht mehr ums Ergebnis, nur noch um Aktion und Reaktion. Und, natürlich, um ganz viel Verständnis. Passt schon!

Das klingt jetzt ein bisschen nach plotarmer Selbstbeweihräucherung, aber im Buch passiert durchaus eine Menge. Die zunächst liebevoll anmutende Fernbeziehung, die den ersten Teil bestimmt (bzw. die im ersten Teil von beiden analysiert und weiter verplant wird), erlebt einige Höhen, aber auch deutliche Tiefen. Leif Randt geht hier konsequent und mutig seinen Weg, zeigt eine vielleicht nicht immer der Norm entsprechende, aber dennoch alles andere als seltene Art der Beziehung, die deutliche Unterschiede zwischen Liebe und Sex macht und Treue auf eine andere Ebene als das rein körperliche hebt. Das fand ich stimmig, erfrischend und vor allem konsequent: Tanja und Jerome wollen sich nicht eingrenzen, nicht gegenseitig und auch nicht als Paar. Nachteil an der Sache: Viel wird aus genau diesem Grund (zunächst) nicht direkt angesprochen, viel passiert im Zustand des Ungewissen, des Unausgesprochenen. Zu stören scheint das keinen der beiden, zumindest sollte es das eigentlich nicht, denn: So bleibt mehr Zeit zum gründlichen reflektieren ;)

Wir haben hier also ein Buch mit zwei sehr anstrengenden, Ich-bezogenen Hauptcharakteren, die das natürlich nie so empfinden, geschweige denn zugeben würden. Es gab einige Stellen im Mittelteil, da hätte ich das Buch am liebsten weg gelegt, so haben die beiden mich genervt. Da wollte ich sie regelrecht anbrüllen, dochmal was zu TUN, miteinander zu REDEN, Dinge mal in Gang zu setzen und Action bitte, na hopp!

Und trotzdem habe ich es sehr gern gelesen. Weil viel zu viel Wahres drinsteckt und es ein wirklich richtig gut geschriebenes Stück über eine bestimmte Sorte Großstädter 30+ ist, das vieles aufdeckt und anprangert, dabei aber nie ins Klamaukige oder völlig Überzeichnete verfällt.

Veröffentlicht am 03.03.2020

Gesellschaftliche Außenseiter der anderen Art

Die Ladenhüterin
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Erstmal muss ich den deutschen Titel loben - klar ist unsere Protagonistin Keiko eine wahre Hüterin "ihres" konbini, der 24-Stunden-Shop, in dem sie jobbt. Doch auch die zweite Interpretation - ein ungewollter ...

Erstmal muss ich den deutschen Titel loben - klar ist unsere Protagonistin Keiko eine wahre Hüterin "ihres" konbini, der 24-Stunden-Shop, in dem sie jobbt. Doch auch die zweite Interpretation - ein ungewollter Artikel, vielleicht sogar eine alte Jungfer - trifft ebenso zu. Variante 1 enstricht Keikos Selbstbild, Variante 2 dem Bild, das andere von ihr haben.

Keiko arbeitet also als Aushilfe in einem dieser immer-offen-Shops, und das seit mehr als 15 Jahren. Sie fühlt sich wohl un angekommen, denn dass Keiko nicht der Norm entspricht, war schon früh klar. Sie kommt in sozialen Interaktion nur schwer zurecht, es fehlt ihr an Empathie und überhaupt wird sie von anderen als "komisch" beäugt. Erst im konbini mit seinen strikten Regeln und Vorgaben blüht sie auf. Hier weiß sie, was von ihr erwartet wird und wie sie sich zu verhalten hat - im Zwiefelsfall imitiiert sie einfach ihre Kolleginnen. Nachmachen um nicht aufzufallen, in der Gruppe verschwinden, um die Individualität zu verstecken.

Doch Freunde und Familie zweifeln: Sie ist über 30, hat nur einen Aushilfsjob, ist noch Jungfrau und ohne Aussicht auf oder gar Interesse an einer Ehe - im leistungsorientierten Japan besonders unverständlich.

Dann betritt mit Shiraha ein weiterer Außenseiter die Szenerie. Er ist ein ähnlicher Außenseiter wie Keiko: Arbeitslos, ohne Geld, keine Partie in Sicht. Doch Shiraha versucht gar nicht erst, dazuzugehören. Er rebelliert offen, bis zu einem Grad auch gegen Keiko: Er erkennt zwar ihre Gemeinsamkeiten, macht aber gleichzeitig neue Unterschiede zwischen ihnen auf, vor allem sexistische und misogyne.

Wie individuell kann oder darf eine Person in der heutigen Gesellschaft überhaupt sein? Sei du selbst - bis zu welchem Ausmaß? Wie weit würdest du gehen, um "hineinzupassen" - oder ist dir das sowieso egal? Sind wir wirklich so frei in der Entfaltung, wie wir glauben - oder tun wir nur so als ob? Und wie tolerant bist du selbst, wenn du auf Lebensentwürfe triffst, die weit außerhalb der gesellschaftlichen Norm liegen? Ja, das Buch gibt einige Ideen auf, aber präsentiert diese unterhaltsam und gut lesbar.