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Veröffentlicht am 01.03.2020

Geschichte aus dunlen deutschen Zeiten

Alles, was ich bin
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Dieser Roman atmet Authenzität, denn die Autorin Anna Funder erzählt hier die Geschichte ihrer Bekannten Ruth Blatt, der Cousine von Dora Fabian. Dora Fabian wiederum war die Sekretärin und wohl auch Geliebte ...

Dieser Roman atmet Authenzität, denn die Autorin Anna Funder erzählt hier die Geschichte ihrer Bekannten Ruth Blatt, der Cousine von Dora Fabian. Dora Fabian wiederum war die Sekretärin und wohl auch Geliebte des Revolutionärs Ernst Toller. Und so wird hier anhand dieses Personendreiecks ein Kapitel dunkelster deutscher Geschichte lebendig und ein Stück weit begreifbarer. Für zwei Personen diese Dreiecks endet sie tödlich, bekanntermaßen mit Tollers Selbstmord im Exil und auch mit Doras Tod, der von den Nazis als Freitod inszeniert wird. Nur Ruth ist es vergönnt, wirklich alt zu werden, nach den Jahren im Exil gründet sie eine zweite Existenz als Lehrerin in Australien. Doch die Ereignisse der NS-Zeit haben sie tief gezeichnet, vor allem der Verrat ihres Ehemannes Hans, der aus Geltungsdrang und Schwäche vom Regimekritiker zum Nazikollaborateur wird, und natürlich die Ermordung ihrer Cousine und besten Freundin Dora. Der Roman zeichnet sich durch zahlreiche Perspektivwechsel und Zeitsprünge aus und stellt daher gewisse Ansprüche an die Aufmerksamkeit des Lesers. Mir persönlich sind sowohl Toller als auch Dora, bei aller Verehrung durch Ruth, nicht so nahe gekommen, da sie mir nicht so sympathisch waren. Beide kennzeichnet bei aller Brillianz und allem Altruismus auch eine große Portion Rücksichtslosigkeit und auch Selbstherrlichkeit. Viel angenehmer war mir daher die ruhige und gutherzige Ruth. die der Leser bis zu ihrem Tod als sehr alte Frau begleiten darf. Auch die Liebesgeschichte zwischen Toller und Dora wird illusionslos dargestellt, handelte es sich hier doch um eine offene Beziehung, zumal Toller während ihrer Affäre eine andere heiratet. Viel mehr gelitten habe ich daher mit Ruth, habe ihre Angst selbst noch im Londoner Exil während der Jahre des geheimen Widerstandes mitempfunden und war wirklich erschüttert über den Verrat ihres Ehemannes Hans an ihr und dem gemeinsamen Kampf gegen Hitler. Allein in Australien hat dieser Roman sieben Literaturpreise bekommen. In meinen Augen wirklich verdient.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Mensch, das unbekannte Wesen

Ich und die Menschen
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So begeistert hat mich schon lange mehr keins der hier gewonnenen Bücher, und ich gebe aus vollem Herzen volle Sternpunktzahl. Der Roman ließ für mich nichts zu wünschen übrig. Der Autor berichtet hier ...

So begeistert hat mich schon lange mehr keins der hier gewonnenen Bücher, und ich gebe aus vollem Herzen volle Sternpunktzahl. Der Roman ließ für mich nichts zu wünschen übrig. Der Autor berichtet hier auf nicht nur geniale, sondern auch sehr witzige Weise von einem der Menschheit unendlich überlegenen Außerirdischen, der den Platz eines berühmten Mathematikprofessors einnehmen muss. Denn dieser hat eines der großen Rätsel der Mathematik gelöst, was für die Menschheit einen enormen Entwicklungsschritt bedeutet würde. Doch die Menschen sind nur "eine zweibeinige Lebensform von mittlerer Intelligenz", also muss das verhindert werden. Deshalb wird der Professor entführt, während der neue "Andrew" in die für ihn völlig fremde, regelrecht absoßende Form von dessen Körper schlüpft. Alles auf der Erde ist für ihn fremd, was zu sehr unterhaltsamen Missverständnissen führt. Eigentlich soll "Andrew" alle Menschen ausschalten, die von dem gelösten Räsel wissen könnten, aber immer tiefer lässt er sich ins Menschsein hineinziehen und versucht zu verstehen, was es mit einem Konzept namens Liebe auf sich hat. Schließlich ist er der Frau des Professors und ihrem Sohn ein viel besserer Ehemann und Vater als der es war. Doch ohne es zu wissen, begeht er dann einen entscheidenden Fehler...
Dieser Roman entzieht sich einfach allen Klassifizierungsversuchen, er ist auch absolut kein Science Fiction. Der Figur des Außerirdischen bedient sich der Autor nur, um die Menschheit quasi wie einen geheimnisvollen Käfer unter dem Mikroskop zu betrachten. Das gelingt ihm einzigartig, wohl auch, weil ihm die Idee zu der Geschichte kam, als er selbst unter Panikattacken litt und ihm einfach alles gerade zu extraterrestrisch erschien! Sehr sympathisch macht ihn auch, dass man an seiner Schilderung des Familienhundes Newton merkt, was für ein Hundefreund er ist. In diesem Roman geht es nicht um fremde Planeten, sondern darum, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und darum, was es heißt zu lieben.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Soloide Unterhaltung

Celeste bedeutet Himmelblau
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Dieser Kriminalroman bildet laut Aufdruck auf dem Buchumschlag den Auftakt zu einer Krimireihe um den jungen Polizisten Frank Liebknecht. Von der Großstadt in das kleine Örtchen Vielbrunn im Odenwald versetzt, ...

Dieser Kriminalroman bildet laut Aufdruck auf dem Buchumschlag den Auftakt zu einer Krimireihe um den jungen Polizisten Frank Liebknecht. Von der Großstadt in das kleine Örtchen Vielbrunn im Odenwald versetzt, macht er sich dort schnell unbeliebt, weil er unerbittlich auf der Suche nach der Wahrheit in einem Mordfall ist. Wer ist der Tote, dessen Leiche schon von wilden Tieren angefressen wurde? Frank schlussfolgert schnell, dass es sich dabei um den unbeliebten Bauern des nahe gelegenen Hofes handelt. Doch nichts ist bei diesem Mordfall so, wie es auf den ersten Blick scheint. Immer tiefer dringt Frank bei seinen Ermittlungen in ein Netz aus Lügen und Sektenpolitik vor, das sich bis zur Colonia Dignidad nach Argentinien zieht und in das sogar der Bundesnachrichtendienst verwickelt ist. Leider war ich dabei so manches Mal Frank ein paar Schritte voraus. Schon beinahe von Beginn an ahnte ich, dass sich ein vermeintlicher Freund zum Schluss als Bösewicht entpuppen würde. Ich habe jedoch schon oft festgestellt, dass ich da kein Maßstab bin. Der Roman bietet solide Unerhaltung mit einem sympathischen Ermittler und kann wohl als Provinzkrimi bezeichnet werden. In was für eine Messerstecherei Frank nun genau verwickelt war, die seiner Versetzung in den Odenwald vorausging, hat sich mir nicht erschlossen. Entweder habe ich es schlicht überlesen oder die Autorin spart hier etwas für die Folgebände auf. Mir persönlich war die Namensgebung etwas zu plakativ, der Gute: Liebknecht, ein Unsympath: Neidhardt, Letzterer entpuppt sich schließlich doch noch als Guter, das wirkte auf mich nicht konsequent vorbereitet, sondern wie ein plötzlicher Bruch im Charakter. Auch die Sektenthematik ist nicht so meine Interessenwelt, insofern hat mich der Roman zwar unterhalten, aber nicht durchgängig gefesselt. Sehr schön ist der Buchumschlag mit dem blauen Schmetterling, bei dem erst auf den zweiten Blick die Nadel ins Auge fällt, und der Titel, dessen Bedeutung sich erst auf den letzten Seiten erschließt.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Wildwuchs

Der wilde Garten
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Tja, was soll ich über diesen Roman schreiben? Ich habe ihn nicht ungern gelesen, dennoch hat er mich nicht sehr gepackt. Dies lag nicht am Stil oder Aufbau, da gibt es nichts zu meckern, sondern am männlichen ...

Tja, was soll ich über diesen Roman schreiben? Ich habe ihn nicht ungern gelesen, dennoch hat er mich nicht sehr gepackt. Dies lag nicht am Stil oder Aufbau, da gibt es nichts zu meckern, sondern am männlichen Protagonisten James. Dieser verliebt sich in die früh verwitwete Tilly, die in North Carolina einen Pflanzenhandel betreibt und sich um ihren kleinen Sohn kümmert. James leidet unter einer Zwangsneurose, die ihn unter anderem Schmutz fürchten lässt. Zu meiner Verblüffung hat mir dieser James regelrecht missfallen. Verblüffung deswegen, weil mir Personen mit Tiefgang und seelischen Verwundungen sowohl im Leben als auch in Büchern viel lieber sind als aalglatte Menschen, die an der Oberfläche dahindümpeln. Für mich stand bei James aber nicht nur die Zwangsneurose im Vordergrund, sondern ich fand ihn einfach total ich-bezogen, was ihn unsympathisch wirken lässt. Er entwickelt die seltsame Idee, dass nur Tilly ihn kurieren kann, wenn sie seinen Garten gestaltet, obwohl sie keine Landschaftsgätnerin ist. Mittels Konfrontationstherapie soll sie ihn dann von seiner Schmutzangst heilen. Als sie ablehnt, verdoppelt er die ohnehin schon hohe Angebotssumme mal eben locker. Auch wenn er als reich geschildert wird, fand ich das alles etwas hanebüchen.
Tilly, die ursprünglich aus England stammt, wird wegen eines kleinen Unfalls zu ihrer Mutter nach England gerufen. Dort begegnet sie ihrer Jugendliebe Sebastian wieder, den ich wesentlich attraktiver fand. An dem hat Tilly aber so absurde Sachen auszusetzen wie dass er keine besonderen Vorlieben bei Drinks zeigt, während sie James, der Angst hat, von Erde Krebs zu bekommen, gerade dann als den verführerischsten Mann empfindet, der ihr je begegnet ist. Also das ist einfach unrealistisch. Diese Vorgehensweise erklärt sich im Interview mit der Autorin, das dem Roman nachfolgt. Ihr eigener Sohn leidet unter einer Zwangsstörung, und sie wollte sich wohl selbst vergeswissern, dass ihn das nicht schmälert, schildert hier also mit den Augen einer Mutter und nicht einer Geliebten. Das erklärt, warum James für mich total unerotisch blieb. Es gibt denn auch ein Happyend mit Tilly und James sowie mit Sebastian und Tillys Jugendfreundin, leider.
Die Idee, hier einen Zwangsgestörten zum Helden zu machen, fand ich originell, aber nicht packend gelungen. Schade angesichts dieses durchaus schön geschriebenen Romans mit herrlichem englischen Landhaus-Flair.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Hitzeflirrender Krimi

Dreimal schwarzer Kater (Roussillon-Krimi 1)
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Mit Gilles Sebag ermittelt hier ein äußerst sympathischer Inspecteur, und das macht für mich auch den größten Charme diese Buches aus. Schwankend zwischen anfänglicher Unmotiviertheit und ermittlerischer ...

Mit Gilles Sebag ermittelt hier ein äußerst sympathischer Inspecteur, und das macht für mich auch den größten Charme diese Buches aus. Schwankend zwischen anfänglicher Unmotiviertheit und ermittlerischer Brillanz, wird er mit einem Fall konfrontiert, der sowohl Mord als auch Entführungen zu umfassen scheint, eine Serie verübt an jungen attraktiven Hölländerinnen in der hitzeflirrenden Urlaubsregion Roussillion. Doch hängen diese Taten wirklich zusammen, oder spielt hier nicht vielmehr ein krimineller Geist mit der Polizei Katz und Maus, und hat sich ausgerechnet Gilles als "Spielpartner" ausgesucht? Der Verdacht auf Letzteres verdichtet sich bei Gilles immer mehr. Nicht nur mit dem Fall hat er zu kämpfen und der allgegenwärtigen Sommerhitze, sondern auch mit Sorgen um die flügge werdenden Teenagerkinder und dem sich immer mehr erhärtenden Verdacht, dass seine innig geliebte Frau eine Affäre hat. Gilles ist ein plastischer, für mich liebenswerter Charakter, der den Roman zu tragen versteht. Für französisches Flair bin ich persönlich nicht ganz so zu haben und bevorzuge englische Krimis, das ist dem Buch aber nicht anzulasten und düfte für Frankreich-Fans ein zusätzliches Plus sein. Sprachlich bewegt sich der Roman auf angenehm hohen Niveau und lässt nichts zu wünschen übrig, sorgt zusätzlich mit gelegentlichen Miniausflügen ins Katalanische für viel Lokalkolorit. Auch die übrigen Protagonisten sind sorgfältig individuell ausgearbeitet. Während es Gilles natürlich gelingt, den Fall nach und nach zu lösen, lässt der Autor das Rätsel um die Affäre von Gilles Frau Claire bewusst zum Teil offen. Das mag manchen Leser verstimmen, und natürlich hätte man dem sympathischen Gilles gegönnt, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst. Mir persönlich hat dieser Verlauf aber sehr gut gefallen. Dass Gilles beschließt, diesen persönlichen "Fall" nicht bis zum letzten auszuermitteln, ist bewunderswert pragmatisch und lebensweise. Einziger Kritikpunkt ist für mich der völlig unpassende Titel "Dreimal schwarzer Kater". Der gelegentlich durch Gilles' Garten stromernde Nachbarskater spielt nicht einmal eine Nebenrolle in der Handlung, seine Farbe wird überhaupt nicht erwähnt. Auch mit dem Kriminalfall hat der Titel so gar nichts zu tun. Der Orginaltitel lautet übersetzt "Der Sommer in dem sich alle Katzen langweilten". Viel besser passt das für mich auch nicht, ist aber immerhin im Gegensatz zu dem deutschen Titel noch ein bisschen witzig.

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