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Veröffentlicht am 22.08.2022

Muttersein

Der Fluss ist eine Wunde voller Fische
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Eine junge weiße Frau und ihr dunkelhäutiger Sohn steigen 2002 in ein Boot. Sie treten eine Reise auf dem Río Atrato in Kolumbien an. Beide bleiben namenlos. Die junge Mutter fungiert als Ich-Erzählerin. ...

Eine junge weiße Frau und ihr dunkelhäutiger Sohn steigen 2002 in ein Boot. Sie treten eine Reise auf dem Río Atrato in Kolumbien an. Beide bleiben namenlos. Die junge Mutter fungiert als Ich-Erzählerin.

In einer sehr poetischen Sprache wird der Reiseverlauf geschildert, ebenso wie die Natur und der Fluss, der sein Gesicht fortwährend ändert. Die Reise beginnt eher träge und langsam, entsprechend dem Antlitz des Flusses. Etwas Tückisches scheint unter der Behäbigkeit zu lauern, man kann es nicht fassen, erahnt es aber.
Unterbrochen werden diese Betrachtungen durch Gespräche mit Mitreisenden und Kindheitserinnerungen der Frau. Als „einzige Weiße unter Schwarzen“ wurde die Erzählerin früher oft ausgegrenzt und wollte einfach nur dazugehören.

Sie unternimmt die Reise, um „ihren Sohn“ zu seiner leiblichen Mutter zu bringen, diese übergab ihr das Baby, weil sie bereits drei Kinder hatte. Die junge Frau liebt den Jungen bedingungslos. Die geschilderten Episoden aus seiner Kindheit sind liebevoll und fürsorglich. Die unterschwellige Sorge, wie es nach dem Treffen weitergehen soll ist spürbar, dennoch will sie den Kontakt ermöglichen.
Es gelingt der Autorin eine Vielzahl von Gefühlen und Betrachtungen in die Naturbeschreibungen einzuflechten. Ein zentrales Thema ist das Muttersein, das facettenreich betrachtet wird: durch die Ich-Erzählerin, ihre Beziehung zur eigenen Mutter, die leibliche Mutter des Jungen und auch durch die jungen Mitreisende, die während einer Fehlgeburt unterwegs stirbt.
Die Reise endet mit einem unerwarteten Finale, in dem die Autorin ein historisches Ereignis mit einarbeitet: das Massaker von Bojayá. Der Roman nimmt damit eine unerwartet dramatische Wendung, die für die Menschen vor 20 Jahren dort eine grausame Realität war.

Die Verbindung der historischen Momente mit poetischen Naturbetrachtungen, der Reise der jungen Frau zurück zu ihrer eigenen Kindheit und der mit ihrem Sohn sind wunderbar zu lesen. Etwas ungewöhnlich fand ich die vielen Hautbeschreibungen von weiß zu cremefarben, kaffeebraun etc.
Die Autorin beschreibt eine Gegend, die sie sehr gut kennt. Ihre Mutter stammt von dort und sie selbst hat einen Teil ihrer Kindheit dort verbracht. Mit ihrer bildhaften Sprache lässt sie die Orte für den Leser lebendig werden, ebenso wie die Gefühle der Protagonistin.
Ein ungewöhnlicher Roman, der mich beeindruckt hat und noch nachhallt.

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Veröffentlicht am 22.08.2022

Wenn die Vergangenheit noch nicht vorbei ist

Schattenwald
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Katrin Faludi hat hier einen spannenden Roman über die Schülerin Sara geschrieben, die mit ihrer Mutter Eva ein behütetes und sehr zurückgezogenes Leben in Lübeck führt. Ihre Freundinnen sind von der stalkenden ...

Katrin Faludi hat hier einen spannenden Roman über die Schülerin Sara geschrieben, die mit ihrer Mutter Eva ein behütetes und sehr zurückgezogenes Leben in Lübeck führt. Ihre Freundinnen sind von der stalkenden Eva nur wenig angetan, aber Sara kennt es nicht anders und nimmt die Kontrollsucht der Mutter hin. Rund um ihren 17. Geburtstag häufen sich seltsame Vorkommnisse: ein neues Mädchen im Basketballteam, dass ihr feindlich gesinnt ist und ein Gruß von ihrem Vater, den sie für tot hielt, sind nur der Auftakt.

Durch plötzliche Flashbacks erinnert sie sich an Fragmente aus der Vergangenheit, die sie jedoch nicht richtig einordnen kann. Warum hat ihre Mutter mit ihr Hals über Kopf Schweden verlassen, als sie erst 5 Jahre alt war? Nach und nach gewinnt Sara an Mut Fragen zu stellen und der Vergangenheit nachzuspüren.
Die Handlung beginnt in Deutschland und wechselt dann nach Schweden.

Die Autorin hat einen sehr angenehmen Schreibstil, der die Leser durch die Seiten fliegen lässt. Die Spannung steigt zunächst nur allmählich, dann jedoch immer mehr. Die einzelnen Figuren sind liebevoll und detailliert ausgestaltet, so dass man sich alle gut vorstellen kann und sie im Laufe der Geschichte an Kontur gewinnen.
Durch die jugendliche Hauptfigur und deren ausführlich geschildertes Lebensumfeld ist der Roman gut für junge Leser*innen geeignet. Basketball, Schule und erste Verliebtheit nehmen einigen Raum ein. Die angekündigten christlichen Werte klingen nur sehr kurz durch, Glaube, Hoffnung, Schuld und Vergebung wurden hier sehr passend in die Handlung eingearbeitet.
Immer wieder gibt es neue Wendungen und Fährten, die einem genauso wie Sara nebulös vorkommen und in die Irre führen.
Die Nachforschungen Saras erschienen mir oft nicht zielgerichtet und hartnäckig, häufig gab sie sich schnell geschlagen. Ob dies eine Folge ihrer Erziehung oder dem jugendlichen Alter geschuldet sein sollte, erschloss sich mir nicht ganz. Mir hat aufgrund ihrer Situation etwas die Stringenz in ihrem Handeln gefehlt. Die Glaubwürdigkeit der Vorkommnisse war nicht immer gegeben, aber insgesamt hat mich der Roman sehr gut unterhalten.
Ein spannender Roman, den ich vor allem jungen Leserinnen weiterempfehlen kann.

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Veröffentlicht am 15.08.2022

Fragen und Denken ausdrücklich erwünscht

Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Albert Einstein
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In diesem Kinderbuch wird das Leben Albert Einstein in sehr verkürzter Form als Comic dargestellt. Hauptsächlich geht es hier um seine Kinderzeit. Er war nicht so wie Andere, konnte erst spät sprechen ...

In diesem Kinderbuch wird das Leben Albert Einstein in sehr verkürzter Form als Comic dargestellt. Hauptsächlich geht es hier um seine Kinderzeit. Er war nicht so wie Andere, konnte erst spät sprechen und wurde gehänselt, weil er andere Interessen als die meisten Kinder hatte. Er hat trotzdem sein Ding gemacht und war immer neugierig und interessiert. Diese Eigenschaften blieben ihm erhalten. Durch einen geschenkten Kompass wurde seine Liebe zu den Naturwissenschaften geweckt, die ihn nie wieder losließ.

Während seiner Tätigkeit im Patentamt hat er selbst getüfftelt und schließlich eine tolle Entdeckung gemacht, die ihm sogar den Nobelpreis einbrachte. Er fordert die Kinder in dem Buch auf neugierig auf die Welt zu sein, viele Fragen zu stellen und über die Antworten nachzudenken. Eine schöne Message, die hoffentlich ankommen wird.

Das Buch ist für die Zielgruppe ab 7 Jahren gedacht. Für Erstleser sind die kurzen Texte gut zu schaffen.

Eine Zeitleiste zu seinem Leben und ein paar Fotos ergänzen das Buch.

Einen Punkt Abzug gibt es, weil die Informationen doch sehr kurz gehalten sind.

Die Bilder sind sehr gut gemacht. Einstein ist schon als Neugeborener an seiner markanten Frisur und dem Bart zu erkennen, das ist süß gemacht.

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Veröffentlicht am 26.07.2022

Spaziergang durch ein unbekanntes NY

NEW YORK - Wie es keiner kennt
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Susan Kaufman war jahrelang früh morgens auf Fotosafari in den Straßen von NY unterwegs. Sie hielt fest, was sie besonders ansprach, schöne Architektur, besondere Türen und Häuserfronten. In diesem Bildband ...

Susan Kaufman war jahrelang früh morgens auf Fotosafari in den Straßen von NY unterwegs. Sie hielt fest, was sie besonders ansprach, schöne Architektur, besondere Türen und Häuserfronten. In diesem Bildband sind Fotos der Stadtteile Greenwich Village, West Village, East Village, NoHo & Nolita, SoHo, Gramercy Park, Murray Hill, Upper East Side, Carnegie Hill und Brooklyn Heights. Die Bilder sind allesamt sehr schön, es macht Spaß sie anzusehen, man bekommt Lust den Spaziergang nachzulaufen. Die malerischen Orte, die üppigen Blumenläden und menschenleeren Plätze sind gut in Szene gesetzt. Sie entsprechen dem Titel des Buches sehr, es wird ein unbekanntes NY gezeigt. Niemals hätte ich soviel schöne idyllisch anmutende Orte in dem quirligen NY vermutet. Neben dem Schwerpunkt der Fotografin hätte ich aber gerne noch ein paar Fotos der Straßenzüge gehabt, die einen Gesamteindruck des Viertels vermittelt hätten. Zu jedem Viertel gibt es am Kapitelabschluss eine kleine Karte, auf dem die Lieblingsorte der Autorin eingezeichnet sind, so dass man die fotografierten Orte wiederfinden könnte. Die Texte zu den einzelnen Stadtteilen sind sehr kurz, die Untertitel zu den Bildern auch, der Fokus liegt eindeutig auf den Bildern. Schön ist die Einbindung aller Jahreszeiten, die Winterbilder vermitteln einen besonderen Charme.

Der Bildband kommt eher klein daher (etwas weniger als A4), der sehr starke Einband liegt aber gut in der Hand und vermittelt neben den tollen Fotos einen sehr wertigen Eindruck.

Insgesamt hatte ich mir vorab ein breiteres Spektrum vorgestellt, hier wird ein sehr kleiner Teil NY´s sehr speziell betrachtet. Die frühen Morgenstunden sind menschenleer, die Motive beschränken sich zu einem Großteil auf Türen. Dennoch macht das Ansehen des Buches Spaß, wer sich länger in NY aufhält hat sicher Spaß daran auf den Pfaden der Autorin zu wandeln und ein wenig Beschaulichkeit in der Weltstadt zu erleben.

Für Fotobegeisterte und NY-Fans ein tolles Buch.

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Veröffentlicht am 20.07.2022

überraschendes Sittenporträt

Mädchen auf den Felsen
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Dieser Roman wurde in den 70er Jahren von Jane Gardam verfasst und nun erst ins Deutsche übersetzt.

Die Handlung ist in den 30er Jahre in der englischen Provinz nahe der Küste angesiedelt. Der dominante ...

Dieser Roman wurde in den 70er Jahren von Jane Gardam verfasst und nun erst ins Deutsche übersetzt.

Die Handlung ist in den 30er Jahre in der englischen Provinz nahe der Küste angesiedelt. Der dominante Vater Kenneth Marsh ist ein übereifriger Primal Saints Prediger, sein frömmelndes Gehabe bestimmt den Familienalltag. Seine Frau Elinor hat gerade einen Jungen zur Welt gebracht. Das schreiende hässliche Ding ist der achtjährigen Margaret ein Dorn im Auge, sie weiß nichts mit ihm und der ihn allezeit fürsorglich umsorgenden Mutter anzufangen. Der Vater schenkt der aufgeweckten Tochter, die manchmal wie ein lebendes Bibellexikon daherkommt, keine Beachtung. Sie ist irgendwie ein bisschen übrig, damit sie dies nicht so schlimm empfindet, darf sie jeden Mittwochnachmittag einen Ausflug mit dem neuen 18-jährigen Hausmädchen Lydia unternehmen. Lydia ist der Neuzugang im Haus, wie ein unpassender Paradiesvogel in einer grauen Umwelt, die der Hausherr als Prüfung annimmt, um sie auf den rechten Weg zu führen. Die unglaublich hochmütige Borniertheit dieser Einstellung, stösst der Hausfrau sauer auf und ist dem Hausherrn gar nicht klar.

Die unterschiedlichen Charaktere werden sehr lebendig dargestellt und besonders Lydias Wesen mischt den Alltag der Familie auf, auch wenn sie versucht sich anzupassen, weil sie für ihre Familie Geld verdienen muss.

Die Ausflüge führen Margaret und Lydia immer wieder zu einem Anwesen, mit Altersheim und Psychiatrie. Dies ist das Elternhaus der Jugendfreunde Elinors, die sie mit Margaret eines Nachmittags besucht. Die Geschwister wurden von der Mutter enterbt und leben neuerdings wieder in der gleichen Stadt wie die Marshs, während deren kranke Mutter noch in dem Haus weilt.

Lange plätschert die Handlung etwas vor sich hin, unterhält aber durch die unterschiedlichen Charaktere und die Fragen und Reaktionen Margarets auf die Beobachtungen ihres Umfeldes. Auf einen Schlag ändert sich die Beschaulichkeit, die Erzählstränge kreuzen und verbinden sich. Die eisernen gesellschaftlichen Regeln werden munter gebrochen und die Geheimnisse schneller offenbar als den Beteiligten lieb ist. Die rasanten Folgen, die dadurch ausgelöst werden, sind dramatisch.

Gardam hat mit dieser unterhaltsamen Geschichte ein Sittengemälde geschaffen, dass die Bigotterie und Ignoranz von Margarets Umfeld entlarvt und anprangert. Insbesondere der Vater scheitert an seinen eigenen Ansprüchen, Lydia wird ihm zum Verhängnis, wobei er hier selbst die treibende Kraft für seinen Untergang ist. Lydias Wutrede bringt dies gut auf den Punkt. Während ihre Eltern sich in egoistischen Kurzschlussreaktionen verfangen und dabei auf schon fast komische Weise entdeckt werden, geht Margaret auf die Felsen am Meer, um nachzudenken. Dieser harmlose Ausflug setzt erneut unglaubliche Kettenreaktionen frei. Die Autorin hat hier mit Ironie und bitterbösem Humor eine unterhaltsame Geschichte kreiert, die insbesondere durch Margaret und Lydia sehr lebendig wirkt. Der Blick hinter die Fassaden zeigt alte Verletzungen, gescheiterte Lebensträume, einengende Frömmelei aber auch überbordende Lebenslust.

Ein Werk, dass sich langsam steigert und dann immer mehr Fahrt aufnimmt, bis zu einem fulminanten Ende. Mir hat das Buch sehr gefallen.

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