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Veröffentlicht am 21.02.2020

Unvergessliche Figuren, lebendige Dialoge & viel Humor – trotzdem reicht der Abschlussband nicht ganz an die Vorgängerbände heran

Wolves – Die Jagd beginnt (Ein New-Scotland-Yard-Thriller 3)
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): knapp bestanden!

Inhalt

Sein Mentor und Freund Finlay ist tot – und alles deutet ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): knapp bestanden!

Inhalt

Sein Mentor und Freund Finlay ist tot – und alles deutet auf Selbstmord hin. Das kann Wolf aber einfach nicht glauben. Niemals hätte Finlay seine geliebte Ehefrau im Stich gelassen. Endlich beendet Wolf seine Flucht, um einen letzten Fall aufzuklären, bevor er ins Gefängnis muss: Gemeinsam mit seinen Freunden Baxter, Edmunds, Saunders und Rouche setzt er alles daran, seine Theorie zu beweisen und den Mörder zu fassen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #3 (Abschlussband) der Reihe um Fawkes und Baxter
Verlag: Ullstein
Seitenzahl: 416
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: viele verschiedene Perspektiven
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: +/- Positiv ist, dass sich Baxter und Thomas sehr liebevoll um ihre Katze Echo kümmern und dass diese aus dem Tierheim geholt wurde. Jedoch wird Fleisch gegessen, ein Hornissennest wird ausgeräuchert (was hierzulande sogar verboten wäre, da die Tiere geschützt sind) und Echo wird alleine gehalten. Hierzu ein wichtiger Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Da ich die ersten beiden Bände der Reihe geliebt habe, führte am Abschlussband, der von mir schon sehnsüchtig erwartet wurde, natürlich kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (5 Lilien ♥)

Der Einstieg fiel mir sehr leicht – das Eintauchen in Daniel Coles Universum voller altbekannter Figuren fühlte sich an wie Heimkommen. Trotzdem hätten mehr Erklärungen und Zusammenfassungen der vorhergehenden Ereignisse (zur Auffrischung des Wissens) nicht geschadet, da bei vielen (wie auch bei mir) die Lektüre der ersten beiden Bände wohl schon länger zurückliegt. Wer die ersten beiden Bände nicht kennt, dem möchte ich von der Lektüre unbedingt abraten: Es gibt so viele Anspielungen, die ihr nicht verstehen werdet, dass das Lesen keinen Spaß machen wird. Daher unbedingt die Bände nach der Reihe lesen – sonst würde euch einiges entgehen!

Schreibstil & Dialoge (5 Lilien ♥)

Erneut kann der Autor mit seiner Art zu schreiben überzeugen. Der Schreibstil ist flüssig, sehr angenehm lesbar und dabei trotzdem nicht zu einfach oder gar oberflächlich. Erneut kann Daniel Cole mit seinen anschaulichen Beschreibungen sowohl in spannenden und actionreichen als auch in emotionalen und ruhigen Momenten punkten. Auch die vielen lebendigen und natürlich wirkenden Dialoge und amüsanten Wortgefechte waren wieder ein Genuss! An dieser Stelle noch ein kurzer Hinweis: Dieses Mal gibt es auch innerhalb der Kapitel sehr viele Perspektivwechsel, die mich nicht weiter gestört haben. Wer jedoch ein Problem damit hat, wird mit diesem Buch nicht glücklich werden.

Inhalt, Themen & Ende (3-4 Lilien)

„‘[Der Job] ist eine Droge, eine Sucht, die einen das Leben kosten kann. Man ist so versessen auf den Rausch, dass man gar nicht mehr mitbekommt, wie jeder andere Aspekt des Lebens verkümmert, bis nichts mehr davon übrig ist.‘“ Seite 75

Erneut hat Daniel Cole einen runden, gelungenen Thriller geschaffen, der allerdings trotzdem hinter den Erwartungen und den fast perfekten Vorgängern zurückbleibt. Band 1 und 2 haben uns mit ungewöhnlichen, düsteren, grausamen und rätselhaften Fällen verwöhnt, sodass der mittelmäßig spannende, eher ruhige und bodenständige Fall im Abschlussband ein wenig enttäuscht. Ich hatte hohe Erwartungen an diese letzte Fortsetzung und hätte mir gewünscht, dass sich die Reihe noch einmal steigert und mit einem Knall endet – dieser Wunsch blieb leider unerfüllt.

In „Wolves“ stehen neben den Ermittlungen erneut Themen wie Schuld, Freundschaft, Liebe und Angst im Mittelpunkt und werden wieder tiefgründig behandelt. Das liebe ich so an Daniel Coles Reihe – sie hat Tiefe! Großartig war auch wieder der Humor: Egal ob Situationskomik oder amüsante Wortgefechte – immer wieder musste ich schmunzeln oder laut auflachen. Mit „Wolves“ führt der Autor seine Reihe trotz allem zu einem gelungenen Abschluss, klärt letzte offene Fragen und führt lose Fäden zu einem runden Ende, das uns den Abschied etwas leichter macht (auch wenn er mir trotzdem schwerfällt).

ProtagonistInnen & Figuren (5 Lilien ♥)

„‘Hört zu, wir sind hier, weil’s eine fiese Spelunke ist!‘, erklärte Wolf, der zu spät gesehen hatte, dass der Betreiber gerade am Nachbartisch Gläser einsammelte. Er zuckte zusammen und starrte unschuldig an die Decke.“ Seite 226

Daniel Cole hat es verstanden: Nicht ein wendungsreicher Plot oder atemlose Spannung machen einen Thriller unvergesslich, sondern seine Figuren. Auch dieses Mal bilden wieder die liebevoll ausgearbeiteten Charaktere das Herzstück des Thrillers. Ich habe mich sehr auf ein Wiedersehen mit den bekannten Gesichtern gefreut und wurde nicht enttäuscht. Die Charaktere sind durch die Bank gelungen, sympathisch, dreidimensional und komplex. Sie sind nicht perfekt, sondern haben glaubwürdige Stärken und Schwächen. Viele von ihnen machen wieder bedeutende Entwicklungen durch. Ich habe jedenfalls wieder mit Baxter, Wolf, Edmunds, Rouche und Co. mitgefühlt, mitgefiebert und mitgelitten und jede Sekunde davon genossen. Vor allem Rouche hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt. Sie sind mir in den drei Bänden, die jetzt hinter mir liegen, so ans Herz gewachsen, dass der Abschied schwerfällt.

Spannung & Atmosphäre (3 Lilien)

„Er verzog das Gesicht. ‚Finlay hat mir mal gesagt, es gibt nur eins, das gefährlicher ist, als ein Mann, der nichts zu verlieren hat: ein Mann, der alles zu verlieren hat.‘“ Seite 244

Da der Fall dieses Mal nicht so düster, aufregend und rätselhaft war wie gewohnt, litt leider die Spannung. Die Atmosphäre ist nicht so dicht, der Plot ist weniger wendungsreich (er beinhaltet eher kleinere unerwartete Twists) und hält dieses Mal nicht so viele Überraschungen bereit. Zudem habe ich manche Dinge leider schon zu früh erraten, weshalb das Miträtseln nicht ganz so viel Spaß gemacht hat wie bei den ersten Bänden. „Wolves“ ist nicht so atemlos spannend wie Band 1 und 2, dennoch blieb ich immer neugierig und wollte wissen, wie es weitergeht.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Positiv möchte ich anmerken, dass das Buch (knapp, aber immerhin) den Bechdel-Test besteht, dass es einige sensible Männer gibt und dass es einige starke weibliche Figuren gibt. Zudem wird an einer Stelle Sexismus kritisiert. Manchmal werden Geschlechterstereotypen gebrochen, in anderen Momenten werden sie leider unbewusst reproduziert. Ein Beispiel: Eine Ehefrau besorgt ein Geschenk für den Freund ihres Mannes. Dieser hat sich so wenig damit beschäftigt, dass er erst auf der Feier fragt, was sie ihm eigentlich schenken (Stichwort: unfaire Verteilung der „Mental Load“). Zusätzlich ist das Geschlechterverhältnis der Hauptfiguren unausgewogen, hier ist also noch Luft nach oben. Auch fehlen mir Frauen in Führungspositionen. Außerdem werden einige Male frauenfeindliche Beschimpfungen (Miststück, Bit++, Schlam++, Zicke) verwendet, was als problematisch einzustufen ist. Allerdings ist das Buch zumindest trotz einer Frau, die ihren Freund betrügt, frei von Slut Shaming, was schön ist.

Mein Fazit

Mit „Wolves“ hat Daniel Cole seine großartige Trilogie zu einem gelungenen Ende geführt, auch wenn der letzte, durchaus unterhaltsame Band etwas hinter den Erwartungen und hinter den Vorgängerbänden zurückbleibt. Überzeugen können wieder der flüssige, angenehme Schreibstil, der sowohl in spannenden als auch in emotionalen Momenten punkten kann, die lebendigen Dialoge und die tiefgründige Behandlung von Themen wie Schuld, Freundschaft und Liebe. Eine der größten Stärken dieses Thrillers war auch dieses Mal der Humor: Egal ob Situationskomik oder amüsante Wortgefechte – immer wieder musste ich schmunzeln oder laut auflachen. Jedoch hat der Thriller leider auch Schwächen: Während Band 1 und 2 uns mit spektakulären, düsteren Fällen verwöhnt haben, enttäuscht der mittelmäßig spannende, ruhige und bodenständige Fall dieses Mal ein wenig. Unter dem wenig wendungsreichen und etwas vorhersehbaren Plot leiden Spannung und Atmosphäre. Unvergesslich machen die Thriller-Reihe um Wolf und Baxter jedoch die liebevoll ausgearbeiteten, komplexen und dreidimensionalen Figuren. Sie sind mir in den drei Bänden, die jetzt hinter mir liegen, so ans Herz gewachsen, dass der Abschied schwerfällt. Für mich steht fest: Egal was Daniel Cole als Nächstes schreibt – ich bin wieder an Bord und kann es kaum erwarten! Auch wenn der letzte Band ein paar Schwächen aufweist, gibt es von mir dennoch eine Leseempfehlung – und zwar gleich für die ganze Reihe. Aber – und das ist ganz wichtig! – fangt unbedingt mit Band 1 an und lest die Bücher nach der Reihe! Es gibt so viele Anspielungen, die ihr sonst nicht verstehen werdet, was euren Lesespaß drastisch reduzieren würde.

Bewertung

Idee: 3 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 3-4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
ProtagonistInnen: 5 Lilien ♥
Nebenfiguren: 5 Lilien ♥
Spannung: 3 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir knappe 4 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.02.2020

Das Potential einer spannenden Idee konnte leider nicht genutzt werden – langatmige Dystopie, die mich kaltließ

Die Geschichte der schweigenden Frauen
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Sabine ist ein Mitglied der Panah – einer kleinen Gruppe von ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Sabine ist ein Mitglied der Panah – einer kleinen Gruppe von rebellischen Frauen, die versteckt im Untergrund leben und sich finanzieren, indem sie ranghohen Männern gegen Geld Gesellschaft anbieten – allerdings auch nicht mehr. In der modernen Metropole Green City, der neuen Hauptstadt von Südwest-Asien, gibt es nach Kriegen und dem Ausbruch einer ansteckenden Krankheit einen großen Mangel an Frauen. Mithilfe der neuesten Fruchtbarkeitsmedikamente, der Verheiratung mit mehreren Ehemännern und gezielter Unterdrückung soll dafür gesorgt werden, dass Frauen viele Kinder austragen und so die Bevölkerung möglichst schnell wieder wächst. Sabine und ihre Kolleginnen weigern sich, ein Teil dieser neuen Gesellschaft zu sein – dadurch ist ihr Leben in ständiger Gefahr…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Golkonda
Seitenzahl: 336
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum und Präsens
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive, selten auch männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis lang
Tiere im Buch: +! Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Im Gegenteil, in Green City gibt werden Eier und Fleisch mittlerweile synthetisch hergestellt, weswegen keine Tiere mehr leiden müssen.

Warum dieses Buch?

Da das Buch mit Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ verglichen und als feministische Dystopie bezeichnet wurde, wollte ich es unbedingt lesen. Besonders interessant fand ich zudem, dass es sich bei Bina Shah um eine pakistanische Autorin handelt.

Meine Meinung

Einstieg (2 Lilien)

„Wir wussten, man würde uns zu mindestens zwei Ehen zwingen, vermutlich aber drei oder vier, sobald wir alt genug dafür waren.“ E-Book, Position 325

Der Einstieg fiel mir leider nicht leicht. Es hat lange gedauert, bis ich zumindest halbwegs in der Geschichte angekommen war.

Schreibstil (2 Lilien)

Es gab durchaus einige Szenen, in denen der gewöhnungsbedürftige, eher anspruchsvolle Schreibstil bei mir punkten konnte – auch wenn ich manche Beschreibungen und Vergleiche holprig fand und es der Sprache vermutlich gut getan hätte, wenn man sie noch etwas geschliffen und poliert hätte. Insgesamt war mir der Schreibstil aber leider viel zu langatmig und schwerfällig – es wollte sich einfach kein Lesesog einstellen.

Inhalt, Themen & Ende (2 Lilien)

„Was bindet uns schließlich wirklich aneinander, abgesehen von dem gemeinsamen, brennenden Wunsch, frei zu sein?“ E-Book, Position 432

Bina Shahs Geschichte wird als Parabel auf das Leben von unterdrückten Frauen auf der ganzen Welt bezeichnet und mit Margaret Atwoods Dystopie „Der Report der Magd“ verglichen. Leider hält das Buch meiner Meinung nach einem Vergleich nicht stand.

Die Idee, die hinter dem Roman steckt, hatte definitiv Potential. Bina Shah hat eine ebenso interessante wie fremdartige und furchteinflößende Zukunft entworfen, die sich in ihrem misogynen Gesellschaftsmodell leider nicht allzu stark von der Realität in manchen Ländern unterscheidet. Wenn man die Auszüge aus dem „Handbuch für Bürgerinnen“ durchliest, die sich vereinzelt am Kapitelanfang finden, läuft einem ein Schauer über den Rücken. Frauen müssen Fruchtbarkeitsmedikamente nehmen, Homosexualität, Abtreibungen und Verhütung sind unter Strafe verboten.

Leider konnte das Potential der Geschichte jedoch nicht genutzt werden, was mich enttäuscht hat. Zum einen liegt das daran, dass das Worldbuilding (hier hat Atwood definitiv die Nase vorn) viel zu dünn und oberflächlich war – vieles wird nur angedeutet, sodass die erfundene, technisch weit entwickelte Zukunft vage und nicht wirklich greifbar bleibt. Zum anderen sind auch die Perspektiven nicht optimal gewählt. So begleiten wir mehrere Frauen der Panah, deren alltägliches Leben sich nur minimal voneinander unterscheidet, aber eine Gattin kommt zum Beispiel nicht zu Wort. Dabei wäre es sehr interessant gewesen, diese fremdartige Gesellschaft von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Leider kommt die Handlung auch nur sehr langsam in Schwung. Diese Dystopie hätte mich wütend machen, mich mitfiebern und innerlich mitrebellieren lassen sollen, stattdessen konnte mich das Buch leider emotional nicht erreichen und ließ mich kalt. Während der Lektüre war ich seltsam gleichgültig und desinteressiert.

Feministische Themen sind in einer Welt, die sich zunehmend wieder konservativen Geschlechterbildern zuwendet und die große Probleme mit Sexismus und Misogynie hat, hochaktuell. Bei Bina Shah stehen wichtige Aspekte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Freundschaft, Feminismus und Angst im Mittelpunkt, leider werden sie aber nur punktuell überzeugend behandelt. Oft fehlte mir Tiefe, die Geschichte fühlte sich für mich sehr oberflächlich und hastig ausgearbeitet an. Im Buch steht, dass der Roman zuerst eine Kurzgeschichte war, die im Anschluss ausgebaut wurde – das merkt man meiner Meinung nach auch. Plot und Figuren hätten nämlich in einer Kurzgeschichte funktioniert, tun das in einem längeren Roman aber leider nicht. Das Ende fand ich in Ordnung, auch wenn es mir ein wenig zu offen war.

Trotz alldem bin ich dem kleinen Verlag Golkonda sehr dankbar, dass er auch internationalen AutorInnen eine Bühne bietet und uns LeserInnen damit die Chance gibt, z. B. auch anspruchsvolle feministische Literatur aus Pakistan zu entdecken!

Protagonistinnen & Figuren (2 Lilien)

„Die Obrigkeit hatte nichts dagegen, ein paar Frauen zu opfern, damit der Rest von uns sich fügte.“ E-Book, Position 523

Leider bin ich das ganze Buch über mit den Hauptfiguren nicht warm geworden. Es war ständig eine gewisse Distanz da und ich konnte über weite Strecken nicht mit ihnen mitfühlen. Ihr Schicksal blieb mir bis zum Schluss egal. Nur in seltenen Momenten fühlte ich eine Verbindung zu den ProtagonistInnen. Sie waren (bis auf wenige Ausnahmen) leider zu blass und austauschbar, um mir lange im Gedächtnis zu bleiben. Tatsächlich fand ich die männlichen Figuren (Faro und Julien) greifbarer und liebevoller ausgearbeitet, was ich bei einem feministischen Roman, in dem wir doch mit gerade den Frauen mitfiebern sollten, schade finde.

Spannung & Atmosphäre (1 Lilie)

Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das ich als so spannungsarm, zäh und langatmig empfand. Auch eine dichte Atmosphäre fehlte mir. Beim Lesen kam ich mir vor, als würde ich durch Treibsand waten, weil ich so langsam vorankam. Sehr oft habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Diesen Plan verwarf ich jedoch aus drei Gründen: Erstens hoffte ich, dass es noch besser werden würde, zweitens wollte ich diese feministische Literatur aus Pakistan (einem Land, aus dem uns ohnehin nicht viel Literatur erreicht) nicht leichtfertig abbrechen und drittens sehe ich es als meine Pflicht an, in diesem Bereich auf dem neuesten Stand zu bleiben und nichts Wichtiges zu verpassen. Leider hat sich das Weiterlesen meiner Meinung nach (trotz einer etwas besseren zweiten Hälfte mit dem einen oder anderen spannenden oder emotionalen Moment) nicht wirklich gelohnt.

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

„Die Geschichte der schweigenden Frauen“, ein Roman, der den Bechdel-Test besteht, bekommt in diesem Bereich von mir 4 Lilien. Einerseits sind diese feministische Kritik der Gesellschaft und das Thematisieren von Unterdrückung und Misogynie sehr wichtig, andererseits werden die Frauen im Roman oft auf ihre Schönheit reduziert und bleiben immer abhängig von heldenhaften Männern, die bereit sind, für sie ihr Leben zu riskieren. Zudem werden manchmal Geschlechterstereotypen reproduziert.

Mein Fazit

„Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist eine feministische Dystopie einer pakistanischen Autorin, an die ich hohe Erwartungen hatte, die mich jedoch leider enttäuscht hat. Der gewöhnungsbedürftige Schreibstil war mir viel zu langatmig und schwerfällig und mit den Hauptfiguren bin ich nicht warm geworden. Ich konnte über weite Strecken nicht mit ihnen mitfühlen, ihr Schicksal blieb mir bis zum Schluss egal. Auch, was die Spannung betrifft, konnte mich das Buch leider nicht überzeugen: Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das ich (trotz mancher guter Ansätze und gelungener Momente) als so spannungsarm, zäh und langatmig empfand. Sehr oft habe ich sogar mit dem Gedanken gespielt, die Lektüre abzubrechen. Dabei hatte die Idee der Autorin durchaus Potential: Sie hat eine ebenso interessante wie fremdartige und furchteinflößende Zukunft entworfen, die sich in ihrem misogynen Gesellschaftsmodell leider nicht allzu stark von der Realität in manchen Ländern unterscheidet. Dem Vergleich mit Margaret Atwoods Werk „Der Report der Magd“ hält die Geschichte leider trotzdem nicht stand. Das liegt zum einen daran, dass die erfundene Welt durch das dünne und oberflächliche Worldbuilding vage und wenig greifbar bleibt, und zum anderen an der etwas unglücklichen, einseitigen Wahl der Perspektiven. Feministische Themen sind in einer Welt, die sich zunehmend wieder konservativen Geschlechterbildern zuwendet und die große Probleme mit Sexismus und Misogynie hat, hochaktuell. Bei Bina Shah stehen wichtige Aspekte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Freundschaft, Feminismus und Angst im Mittelpunkt, leider werden sie aber nur punktuell überzeugend behandelt. Oft fehlte mir Tiefe. Enttäuscht hat mich auch, dass die Frauen im Roman immer abhängig von heldenhaften Männern bleiben, die bereit sind, für sie ihr Leben zu riskieren. Diese Dystopie hätte mich wütend machen, mich mitfiebern und innerlich mitrebellieren lassen sollen, stattdessen konnte mich das Buch leider emotional nicht erreichen und ließ mich kalt. Kurz: „Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist ein Roman, der sein Potential leider nicht nutzen und mich nicht überzeugen konnte. Ich kann deshalb keine Leseempfehlung aussprechen.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 2 Lilien
Worldbuilding: 2,5 Lilien
Einstieg: 2 Lilien
Schreibstil: 2 Lilien
ProtagonistInnen: 2 Lilien
Nebenfiguren: 2 Lilien
Spannung: 1 Lilie
Atmosphäre: 2 Lilien
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir zwei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.02.2020

Runder Wikingerroman mit süßer, sich langsam entwickelnder Liebesgeschichte, starker Heldin und kleinen Schwächen!

Das Herz der Kämpferin
0

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

„Ehre vor Leben.“ Diese Lebenseinstellung ist der 17-jährigen ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

„Ehre vor Leben.“ Diese Lebenseinstellung ist der 17-jährigen Eelyn in Fleisch und Blut übergegangen. Einmal im Jahr treffen die zwei verfeindeten Wikinger-Clans Rikki und Aska aufeinander und bekämpfen sich für ihre Götter bis aufs Blut. Während einer Schlacht sieht Eelyn plötzlich ihren Bruder Iri Seite an Seite mit den Rikki kämpfen – ihren Bruder, der vor Jahren schwer verletzt in eine Felsspalte fiel und starb. Wie hat er doch überlebt? Und wieso hat er die Aska verraten, indem er sich den Rikki angeschlossen hat? Unfreiwillig bekommt Eelyn die Chance, Iri all diese Fragen zu stellen, als sie von den Rikki gefangen genommen wird…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 320
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: -! Für TierliebhaberInnen ist dieses Buch nicht immer leicht zu ertragen. Es wird beschrieben, wie einer Ziege die Kehle durchgeschnitten wird und wie eine Eule durch einen Stich mit dem Messer in den Brustkorb stirbt. Beide Tiere werden geopfert, um Götter zu ehren und haben dabei Angst und Schmerzen. Fische schnappen an Land einige Sekunden bis Minuten nach Luft, Tiere werden ausgenommen, Fleisch und Fisch wird gegessen. Die Pferde werden immerhin gut behandelt.

Warum dieses Buch?

Der spannend klingende Klappentext und so manche begeisterte Rezension haben in mir den Wunsch geweckt, dieses Buch zu lesen. Außerdem sprach mich das Wikinger-Setting sehr an.

Meine Meinung

Einstieg (3 Lilien)

„Nebel hing wie ein Schleier über dem Feld, aber wir konnte sie hören. Die Klingen der Schwerter und Äxte, die an den Brustpanzern schleiften.“ E-Book, Position 13
Der Einstieg ins Buch ist mir weder besonders leicht noch besonders schwer gefallen. Es dauerte lang, bis sich bei mir ein gewisser Lesefluss einstellte, aber schon nach den ersten Kapiteln wollte ich immerhin wissen, wie es weitergeht.

Schreibstil (3-4 Lilien)

Dem Schreibstil stehe ich etwas zwiegespalten gegenüber: Einerseits ist er für Jugendliche gut geeignet, einfach, verständlich und angenehm lesbar, andererseits war er mir teilweise nicht anschaulich genug. Es hat lange gedauert, bis vor meinem inneren Auge Bilder entstanden (am Beginn musste ich mir manche Dinge bewusst vorstellen) und bis zur Hälfte des Buches, bis sich ein gewisser Lesefluss einstellte. Zweiteres lag wohl daran, dass sich längere mit sehr kurzen, stakkatoartigen Sätzen abwechselten, sodass das Tempo immer wieder von abgehakt und schnell zu gemächlich und ruhig wechselte. Entweder ich gewöhnte mich mit der Zeit daran oder aber es wurde einfach im Laufe des Buches besser, weil es mir ab einem gewissen Punkt nicht mehr negativ aufgefallen ist. Glänzen kann die Autorin definitiv mit ihren nuancierten Schilderungen der Gefühle und Gedanken ihrer Heldin.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„‘Du erkennst die Wahrheit. Ich sehe jeden Tag, wie du nachdenkst.‘
‚Welche Wahrheit?‘
‚Dass sie wie wir sind.‘“ E-Book, Position 1605

Adrienne Young hat mit „Das Herz der Kämpferin“ eine runde Wikinger-Geschichte geschaffen, die uns in eine frühere Zeit entführt und uns das damalige Lebensgefühl näherbringt. Wie genau hier recherchiert wurde und ob ihre (immerhin glaubwürdig klingenden) Schilderungen tatsächlich der damaligen Realität entsprechen, habe ich allerdings nicht überprüft. Die Geschichte ist vielen Bereichen nicht innovativ, sondern bedient sich an bekannten Erzählmustern, jedoch verarbeitet die Autorin ihre Themen zu einer soliden, unterhaltsamen Geschichte und bringt auch genug eigene Ideen ein. Thematisch stehen Familie, Feindschaft, Glaube, Heimat, Erwachsenwerden und das Finden seines eigenen Platzes in der Welt im Mittelpunkt. Auch moralisch schwierige Fragen rund um das Kriegsgeschehen werden thematisiert. Beispielsweise wird die Frage gestellt, ob der Feind tatsächlich von Grund auf so böse ist, wie das schon die Kinder des Clans lernen. Ist er vielleicht menschlicher und dem eigenen Clan ähnlicher als gedacht? Wer sind eigentlich die Guten? Welche Seite ist die richtige? All diese Themen behandelt die Autorin auf für Jugendliche leicht verständliche und zugängliche Weise und regt damit zum Nachdenken an. Dennoch hätte ich mir teilweise noch etwas mehr Tiefe gewünscht, manchmal war hier noch Luft nach oben.

Als problematisch stufe ich die teilweise exzessive Gewalt im Buch ein. Die detaillierte Beschreibung der Schlachten ist eine Sache (dazu kann man stehen, wie man möchte), aber musste diese Folterszene wirklich sein? Muss man ganz genau beschreiben, wie die Heldin völlig skrupellos einem Feind ein Auge rausreißt? Hier wurde meiner Meinung nach eine Grenze überschritten – und ich bin niemand, der jegliche Gewalt in Jugendromanen verteufelt. Zudem war es ein Bruch in Eelyns Charakter – plötzlich wirkte sie empathielos, eiskalt, zu abgebrüht und moralisch fragwürdig, wodurch sie mir in dieser Szene sehr unsympathisch war.

Auch vereinzelte inhaltliche Wiederholungen gibt es: Manchmal scheint die Weiterentwicklung der Protagonistin zum Stillstand gekommen zu sein, in anderen Momenten geschieht sie etwas zu sprunghaft. Ansonsten aber macht die Autorin besonders in der zweiten Hälfte viel richtig, womit sie mich überzeugen konnte, dem Buch statt drei am Ende doch vier Lilien zu verleihen. Das Ende ist dann auch wunderbar rund und ließ mich zufrieden zurück.

Protagonistin & Figuren (5 Lilien ♥)

Hier kann die Geschichte meiner Meinung nach wirklich punkten: Alle wichtigen Figuren sind sehr liebevoll ausgearbeitet, wirken dreidimensional und glaubwürdig. Obwohl ich ja am Beginn der Lektüre nicht gerade begeistert war, merkte ich, dass mir die Figuren am Ende ans Herz gewachsen waren.

Eelyn hat mir als Heldin sehr gut gefallen. Sie ist eine starke Frau, eine geübte Kriegerin, die sich nichts gefallen lässt und furchtlos an der Seite ihres Vaters und ihrer besten Freundin kämpft. Gleichzeitig hat sie aber auch eine nachdenkliche, gefühlvolle und vor allem weiche und verletzliche Seite, die sie den LeserInnen immer wieder offenbart. Ich habe mit ihr mitgefühlt (auch wenn da noch ein kleines bisschen Luft nach oben war) und sie gerne dabei begleitet, wie sie ihren ganz eigenen Weg geht.

„Meine Gedanken rasten wie immer in endlos viele Richtungen und versuchten, irgendwo Halt zu finden.“ E-Book, Position 2275

Liebesgeschichte (5 Lilien ♥)

Auch was die Liebesgeschichte betrifft, kann Adrienne Young punkten. Endlich einmal keine Liebe auf den ersten Blick, sondern eine vorsichtige Annäherung, die durch den Feindesstatus natürlich noch weiter verkompliziert wird. Ich fand diese langsam erwachende Liebe, den respektvollen Umgang und das immer weiter wachsende Vertrauen zwischen Eelyn und einem anderen Krieger absolut glaubwürdig, realistisch und wunderschön geschildert. Beim Lesen stahl sich manchmal ein kribbeliges Lächeln auf meine Lippen, das sich nicht unterdrücken ließ. So geht Liebe in einem Jugendbuch! Dafür ein großes Lob!

Spannung & Atmosphäre (3 Lilien)

Das Spannungsniveau war trotz einiger fesselnder Passagen leider nicht durchgehend hoch. Am Beginn dauerte es lange, bis die Geschichte an Fahrt aufnahm, und trotz vieler actiongeladener Kampfszenen brach der Spannungsbogen zwischendurch immer wieder ein. Das lag wohl auch an den wenigen Dialogen, die die Geschichte Tempo und Lebendigkeit kosteten. Dennoch habe ich es geschätzt, dass sich die Autorin auch für ruhige, emotionale Szenen Zeit genommen hat, in denen die Figurenentwicklung vorangetrieben werden konnte. Etwas mehr Atmosphäre und mehr anschauliche Beschreibungen hätten ebenfalls geholfen, noch tiefer in diese alte Welt einzutauchen.

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

Ein Jugendbuch, das den Bechdel-Test bereits auf den ersten Seiten besteht und in dem viele starke Frauen vorkommen, gleichberechtigt an der Seite der Männer in Schlachten kämpfen und Clans anführen, müsste doch eigentlich der Traum einer Feministin sein, oder? Noch dazu gibt es eine weibliche Göttin (endlich!) und Männer dürfen weinen und bekommen oft genug die Gelegenheit, ihre sensible Seite zu zeigen. Warum bekommt der Roman dann nur 4 Lilien in diesem Bereich? Weil teilweise unter der Oberfläche dennoch patriarchalische Strukturen erkennbar waren: Der Vater muss den Heiratsantrag an die Tochter akzeptieren, Fiske ist „der Mann im Haus“, während seine Mutter für den Haushalt zuständig ist. Außerdem fand die Aussage eines Kindes etwas befremdlich, das erleichtert wirkte, dass Eelyn nicht getötet wurde, weil sie „hübsch“ ist. Denn das ist es ja, was bei einer Frau zählt… Wäre es ok gewesen, sie zu töten, wenn sie nicht im klassischen Sinne hübsch wäre? Ihr seht bestimmt, worauf ich hinaus will. Warum gibt es außerdem nur weibliche Sklavinnen? Werden Männer nie straffällig? Dafür wird keine Erklärung genannt. Hier hätte ich mir noch etwas mehr Gleichberechtigung gewünscht.

Aber prinzipiell bin ich mit „Das Herz der Kämpferin“ schon sehr zufrieden. Wenn die Autorin im nächsten Buch noch ein kleines bisschen sensibler mit dem Thema umgeht, wird es mit Sicherheit perfekt werden. Besonders schön fand ich auch die Widmung: „Für Joel, der nie versucht hat, mein wildes Herz zu zähmen.“ Die ganze Welt sollte sich ein Vorbild an Joel nehmen – nirgends auf der Welt sollte man versuchen, Frauen zu zähmen.

Achtung Spoiler!
Erfrischend fand ich auch, dass Fiske sich entscheidet, mit Eelyn zu ihr zu ziehen und seine Heimat zu verlassen. In Büchern ist es ja leider meist so, dass die Frau alles hinter sich lassen muss.
Spoiler Ende!

Mein Fazit

„Das Herz der Kämpferin“ ist eine solide, runde, unterhaltsame Wikingergeschichte für Jugendliche – mit kleinen Schwächen. Der Schreibstil ist einerseits für Jugendliche gut geeignet, einfach und angenehm lesbar, andererseits war er mir teilweise nicht anschaulich genug. Zudem hat es lange gedauert, bis sich ein gewisser Lesefluss einstellte. Adrienne Young hat mit „Das Herz der Kämpferin“ eine Geschichte geschaffen, die uns in eine frühere Zeit entführt. Die Geschichte ist vielen Bereichen nicht innovativ, jedoch bringt die Autorin auch genug eigene Ideen ein. Thematisch stehen Familie, Feindschaft, Glaube, Heimat, Erwachsenwerden und das Finden seines eigenen Platzes in der Welt im Mittelpunkt. Auch moralisch schwierige Fragen rund um das Kriegsgeschehen werden auf für Jugendliche leicht verständliche und zugängliche Weise thematisiert, wodurch das Buch zum Nachdenken anregt. Dennoch hätte ich mir teilweise noch etwas mehr Tiefe gewünscht. Als problematisch stufe ich die teilweise exzessive Gewalt im Buch ein, besonders eine Folterszene, die Grenzen überschreitet. Der Spannungsbogen brach leider trotz einiger fesselnder Passagen und actiongeladener Kampfszenen zwischendurch immer wieder ein. Das lag wohl auch an den wenigen Dialogen, die die Geschichte Tempo und Lebendigkeit kosteten. Dennoch habe ich auch die ruhigen, emotionalen Szenen geschätzt, in denen die Figurenentwicklung vorangetrieben werden konnte. Alle wichtigen Figuren sind sehr liebevoll ausgearbeitet, wirken dreidimensional und glaubwürdig. Am Ende des Buches merkte ich, dass mir die Figuren ans Herz gewachsen waren. Eelyn hat mir als Heldin ebenfalls sehr gut gefallen. Sie ist eine starke Frau, eine geübte Kriegerin, die sich nichts gefallen lässt und furchtlos in Schlachten kämpft. Gleichzeitig hat sie aber auch eine nachdenkliche, gefühlvolle und vor allem weiche und verletzliche Seite, die sie den LeserInnen immer wieder offenbart. Ich habe mit ihr mitgefühlt und sie gerne begleitet. Auch was die Liebesgeschichte betrifft, kann Adrienne Young punkten: Endlich einmal keine Liebe auf den ersten Blick, sondern eine vorsichtige Annäherung, die durch den Feindesstatus natürlich noch weiter verkompliziert wird. Ich fand diese langsam erwachende Liebe, den respektvollen Umgang und das immer weiter wachsende Vertrauen zwischen Eelyn und einem anderen Krieger absolut glaubwürdig, realistisch und wunderschön geschildert. So geht Liebe in einem Jugendbuch!

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Schreibstil: 3-4 Lilien
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Nebenfiguren: 5 Lilien ♥
Liebesgeschichte: 5 Lilien ♥
Spannung: 3 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Ende / Auflösung: 4,5 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4-5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.02.2020

Erfrischendes, geheimnisvolles, vielschichtiges Romandebüt, das einen unheimlichen Sog ausübt!

Das flüssige Land
0

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern macht sich die Physikerin ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern macht sich die Physikerin Ruth auf in deren Geburtsort, das beschauliche Groß-Einland, um die Beerdigung vorzubereiten. Jedoch stößt sie bald auf ein Problem: Die Gemeinde scheint nirgends auf, scheint offiziell nicht zu existieren. Als Ruth nach einigen Irrfahrten schließlich mit einem kaputten Auto doch in der kleinen Stadt landet, wird schnell klar, dass etwas mit dem Ort nicht stimmt: Unter der Gemeinde befindet sich ein riesiger Hohlraum, dessen genaue Ausmaße unbekannt sind. Es kommt zu Einbrüchen, das Loch droht, nicht nur einzelne Häuser, sondern schlussendlich ganz Groß-Einland in die Tiefe zu reißen. Warum hüllen sich alle in Schweigen, wenn Ruth Fragen stellt? Warum stimmen die Daten von Ruths Untersuchungen nicht mit den offiziellen Dokumenten überein? Was hat die mysteriöse Gräfin, die den ganzen Ort zu besitzen schient, mit alldem zu tun? Und was ist damals – zur Zeit des Nationalsozialismus – tatsächlich in Groß-Einland geschehen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Klett-Cotta
Seitenzahl: 350
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive (Ruth)
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: +/- Es wird geschildert, dass Pferden früher bei Minenarbeiten die Augen ausgestochen wurden und wie ein Hund in einen Spalt fällt und stirbt. Es gibt eine Fuchsjagd mit Hunden (bei der allerdings kein Tier erwischt wird), der Spaß einer Hetzjagd wird betont, ein Pferd hat Angst und wird etwas grober behandelt. Fleisch wird gegessen und Kalbsleder getragen. Immerhin wird auch eine Katze aus einem Schacht mithilfe von 10 Feuerwehrmännern gerettet.

Warum dieses Buch?

Auf dieses Romandebüt wurde ich durch die Nominierung für den Deutschen und Österreichischen Buchpreis aufmerksam. Da auch der Klappentext wunderbar mysteriös und interessant klang, führte für mich an diesem Buch kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (2 Sterne)

Puh, der Einstieg war – wie man so schön sagt – eine schwere Geburt! Es hat lange gedauert, bis ich in die Geschichte gefunden und mich mit dem Schreibstil angefreundet hatte. Auf den ersten Seiten, auf denen ich nur sehr langsam vorankam, spielte ich sogar mehrmals mit dem Gedanken, das Buch abzubrechen. Zum Glück habe ich doch nicht aufgegeben, denn das wäre – kleiner Spoiler! – ein Riesenfehler gewesen.

„‘Groß-Einland?‘, fragte die Dame und hämmerte die Buchstabenkette in den Apparat. ‚Nein, in Niederösterreich gibt es keine Gemeinde dieses Namens.‘
‚Das kann nicht sein.‘“ E-Book, Position 134

Schreibstil (4 Sterne)

„Die bereits hereinbrechende Nacht zog die Konturen aus den Latten des Parketts, auf das ich meine Kleidung türmte.“ E-Book, Position 87

Größtenteils lagen meine Einstiegsschwierigkeiten nicht an der Geschichte, die zwar auch nur langsam in Schwung kommt, sondern am anfangs gewöhnungsbedürftigen Schreibstil der Autorin. Raphaela Edelbauer schreibt nämlich sehr anspruchsvoll: Ihre Sätze sind oft lang, gerne verschachtelt und meist sehr reich an Metaphern, die man teilweise mehrmals lesen und überdenken muss, um sie überhaupt zu verstehen. Das empfand ich am Beginn als sehr anstrengend, manchmal waren mir die vielen Metaphern und die teilweise komplizierte Ausdrucksweise auch später noch zu viel des Guten.

Die gute Nachricht: Ich habe mich mit jeder Seite mehr mit dem Schreibstil angefreundet, bis ich mich am Ende sehr schätze und mochte. Das Buch enthält viele wunderschöne, poetische Stellen, subtilen Humor und hat auch eine gewisse österreichische Note – auch wenn ihm der Charme und Witz von z. B. Angela Lehners „Vater unser“ (große Leseempfehlung an dieser Stelle!) fehlt.

Inhalt, Themen & Ende (5 Sterne ♥)

„‘Das Loch‘, wiederholte er mit vollkommener Selbstverständlichkeit. ‚Es wächst.‘“ E-Book, Position 762

Auch inhaltlich wurde der Roman meiner Meinung nach mit jeder Seite besser – ich habe mich zunehmend in ihn verliebt. Die Nominierung für den Österreichischen und Deutschen Buchpreis ist meiner Meinung nach absolut verdient – auf diese Weise erhält das Buch die Aufmerksamkeit, die es verdient. Raphaela Edelbauer hat mit „Das flüssige Land“ einen erfrischenden, ungewöhnlichen und faszinierenden Roman geschrieben, der beim Lesen die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner LeserInnen einfordert. Vieles wird nur angedeutet, manches steht nur zwischen den Zeilen. Gleichzeitig regt das Buch zum Nachdenken an, unterhält gekonnt, ist spannend wie ein Krimi und lässt viel Raum für (literaturwissenschaftliche) Interpretationen.

Großartig fand ich auch das merkwürdige und gleichzeitig hoch interessante Setting und das teilweise vollkommen absurde Verhalten der BewohnerInnen von Groß-Einland. Teilweise ist der Roman sicher als Milieustudie des österreichischen Landlebens (mit einem Augenzwinkern) zu lesen. Tiefgründig beschäftigt sich die Autorin mit Themen wie Familie, Heimat, der Frage, wie gut wir unsere Eltern wirklich kennen können, und der Kultur des Vergessens, Verdrängens und absichtlichen Vertuschens von Kriegsverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus, die für Österreich bezeichnend ist und schon oft von österreichischen KünstlerInnen und AutorInnen kritisiert wurde. Auch verschiedene wissenschaftliche (hauptsächlich physikalische) Konzepte werden in den Text eingearbeitet – sie werden gut erklärt und runden die Geschichte ab. Nur ein Punkt lässt mich zwiespältig zurück: die Offenheit des Romans. Einerseits hätte ich mir vor allem am Ende mehr Antworten gewünscht, andererseits schätze ich aber auch gerade, dass sich vieles im Roman in der Schwebe befindet, dass vieles nur vage bleibt und nicht aufgelöst wird. Wer das nicht mag, wird mit dem „Flüssigen Land“ nicht glücklich werden.

Protagonistinnen & Figuren (5 Sterne ♥)

Die Figuren sind meiner Meinung wunderbar gelungen und wirkten auf mich sehr eigenwillig, komplex und authentisch. Sie waren vielleicht nicht alle immer sympathisch, haben mich aber mit ihrer teilweise merkwürdigen Art sehr angezogen und mir gefallen. Ruth fand ich als Protagonistin ebenfalls gelungen. Sie ist eine Frau der Wissenschaft, mit scharfem Verstand, trotzdem gerät auch sie in den Sog der Gemeinde und scheint nach und nach jedes Zeitgefühl zu verlieren. Ich konnte ihre exzessive Suche nach der Wahrheit sehr gut nachvollziehen und habe diese Frau mit ihren glaubwürdigen Stärken und Schwächen (Medikamentenabhängigkeit, Probleme mit der Habilitation) sehr gerne begleitet.

Spannung & Atmosphäre (5 Sterne ♥)

Es hat lange gedauert, aber nach dem zähen Einstieg hat „Das flüssige Land“ auf mich einen starken Sog ausgeübt. Die unheimliche, mysteriöse, teilweise kafkaeske Stimmung und die subtile Spannung, die das Buch durchziehen, haben mich gefesselt und mich die Seiten immer schneller umblättern lassen. Ständig befürchtet man, dass etwas Schreckliches passiert – es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Ruth zu weit geht oder auf Furchtbares stößt. Die dichte Atmosphäre des Buches habe ich echt geliebt!

„Mich beschlich ein Gefühl der Unheimlichkeit am helllichten Tage; die wenigen Figuren, die unterwegs waren, Hausfrauen und Zeitungsboten, warfen tiefe Schatten, die mir nicht mit dem Stand der Sonne zusammenzupassen schienen.“ E-Book, Position 820

Feministischer Blickwinkel (3 Sterne)

Einerseits haben mir einige Dinge sehr gut gefallen: Zum einen besteht das Buch den Bechdel-Test und enthält einige starke, mächtige oder gebildete weibliche Figuren wie die Gräfin und die Protagonistin, die an einer Universität in einem MINT-Fach unterrichtet (sie hat sicherlich Vorbildwirkung!). Zudem gibt es auch keine einzige gegenderte Beleidigung, was ich sehr erfrischend finde! Andererseits werden manchmal auch Genderstereotypen reproduziert, indem nur von Hausfrauen die Rede ist, indem nur Frauen die Wäsche waschen, als Sekretärinnen und Kellnerinnen arbeiten oder während der Trauerzeit Hilfe im Haushalt anbieten. Teilweise ist das natürlich auch dem konservativen Setting der Geschichte geschuldet. Daher bin ich dieses Mal etwas weniger streng. Trotzdem ist hier noch Luft nach oben. Beim nächsten Buch würde ich mir etwas mehr Sensibilität in diesem Bereich wünschen.

Mein Fazit

„Das flüssige Land“ hat mir gezeigt, dass man ein Buch nicht zu schnell abbrechen sollte, weil man sonst sein nächstes Lieblingsbuch verpassen könnte. Die nur langsam in Schwung kommende Geschichte und der ungewöhnliche Schreibstil machten mir den Einstieg schwer. Ab dann habe ich mich jedoch mit jeder Seite mehr in dieses Buch verliebt! Der Schreibstil ist sehr anspruchsvoll: Die Sätze der Autorin sind oft lang und komplex, gerne verschachtelt und meist sehr reich an Metaphern. In manchen Momenten war es mir zu viel des Guten, meist jedoch war ich sehr angetan. Das Buch enthält viele wunderschöne, poetische Stellen, subtilen Humor und hat auch eine gewisse österreichische Note. Auch inhaltlich kann es überzeugen: Raphaela Edelbauer hat einen erfrischenden, ungewöhnlichen und faszinierenden Roman geschrieben, der gleichzeitig zum Nachdenken anregt, gekonnt unterhält, spannend wie ein Krimi ist und viel Raum für Interpretationen lässt. Großartig fand ich auch das seltsame und gleichzeitig faszinierende Setting und das vollkommen absurde Verhalten der BewohnerInnen von Groß-Einland. Tiefgründig beschäftigt sich die Autorin mit Themen wie Familie, Heimat und der Kultur des Vergessens, Verdrängens und absichtlichen Vertuschens von Kriegsverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus. Nur die Offenheit des Romans lässt mich zwiespältig zurück: Einerseits hätte ich mir vor allem am Ende mehr Antworten gewünscht, andererseits schätze ich aber auch gerade, dass vieles im Roman vage bleibt und nicht aufgelöst wird. Die Figuren sind meiner Meinung wunderbar gelungen und wirkten auf mich sehr eigenwillig, interessant, komplex und authentisch. Ruth fand ich als Protagonistin und Frau der Wissenschaft mit scharfem Verstand, die trotzdem in den Sog der Gemeinde gerät und nach und nach jedes Zeitgefühl zu verlieren scheint, ebenfalls sehr gelungen. Nach dem zähen Einstieg hat „Das flüssige Land“ auf mich einen starken Sog ausgeübt. Die unheimliche, mysteriöse, teilweise kafkaeske Stimmung und die subtile Spannung, die das Buch durchziehen, haben mich gefesselt und mich die Seiten immer schneller umblättern lassen. Meine Empfehlung: Wer einem anspruchsvollen Schreibstil und offenen Enden wenig abgewinnen kann, wird an diesem Roman keinen Gefallen finden. Alle anderen sollten dem Ruf Groß-Einlands aber unbedingt folgen. Lasst euch vom Sog, den diese Geschichte ausübt, mitreißen – aber passt auf, dass ihr dabei nicht vollkommen euer Zeitgefühl verliert!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 2 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.01.2020

Rundum gelungener, atmosphärischer und unheimlicher Mysteryroman mit Gänsehaut-Momenten und sehr angenehmem Schreibstil

Kalte Wasser
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Im Buch sitzt plötzlich eine Frau am Krankenhausbett der frisch ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Im Buch sitzt plötzlich eine Frau am Krankenhausbett der frisch gebackenen Mutter Lauren und will einen ihrer neugeborenen Zwillinge mit ihrem eigenen Kind austauschen. War Lauren nur übermüdet und hat sich die Frau eingebildet, wie alle sagen? Warum scheint dann etwas mit ihren Babys nicht zu stimmen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: +/- Ein Wurm wird auseinandergerissen und gefressen. Ansonsten werden im Buch keine Tiere verletzt, getötet oder gequält. Selten wird Fleisch gegessen.

Warum dieses Buch?

Der unheimliche Klappentext und das schlichte, aber düstere Cover haben in mir sofort den Wunsch geweckt, dieses Buch zu lesen. Zudem hatte ich im Vorfeld viel Positives darüber gehört und wusste, dass es auf Sagen und Märchen über Wechselbälger basiert – das fand ich sofort spannend, da ich diese Art von Geschichten liebe!

Meine Meinung

Einstieg (5 Sterne ♥)

"Plötzlich stieg eine Erinnerung in ihr auf, und die Worte der alten Frau kamen ihr in den Sinn: 'Wenn sie ihre eigenen wiederhaben will, muss sie sie ins Wasser legen. Richtig unter Wasser müssen sie sein.'" E-Book, Position 22

Im Prolog ist eine junge Mutter kurz davor, ihre beiden Zwillingsbabys in einem Stausee zu ertränken. Das Buch beginnt so spannend, dass man sofort wissen will, wie es weitergeht und wie es überhaupt zu einer solch dramatischen Situation kommen konnte.

Schreibstil (5 Sterne ♥)

Melanie Golding hat einen unheimlich angenehmen, flüssig lesbaren Schreibstil, der dabei überraschend komplex und tiefgründig ist. Ihre Beschreibungen sind stets sehr anschaulich und auch in unheimlichen Momenten kann die Autorin mit ihrer Sprache punkten. Ich habe die nuancierten Beschreibungen der Emotionen der Figuren und deren Gedankenwelt sehr genossen! Alleine deshalb werde ich mir das nächste Buch der Autorin sicherlich nicht entgehen lassen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (5 Sterne)

Bei ihrem Mystery-Roman „Kalte Wasser“, der durchaus auch Thriller-Elemente enthält, hat sich Melanie Golding von alten Sagen und Märchen inspirieren lassen. Immer wieder sind deshalb ihren Kapiteln kurze Zitate aus Märchenbüchern oder Sagen enthalten, die näher auf den Volksglauben des Wechselbalges eingehen. Dadurch wirkt die Geschichte noch realistischer und unheimlicher. In ihrem wendungsreichen Roman spielt die Autorin mit der Wahrheit und stellt immer wieder in Frage, ob Lauren durch ihren Schlafmangel und das Trauma ihrer Geburt vielleicht Dinge sieht, die nicht real sind. Dabei geht die Schriftstellerin auch auf das Thema psychische Gesundheit bzw. Krankheit und besonders auf die Wochenbettpsychose näher ein. Der Alltag in einer Psychiatrie wird ebenso anschaulich geschildert wie die langsame Verwandlung von einer selbstbewussten jungen Frau zu jemandem, der von allen für verrückt gehalten wird, und sich bemüht, alle vom Gegenteil zu überzeugen. Gerade dadurch ist man sich selbst oft nicht sicher, ob Lauren die Dingen noch klar sehen kann.

Protagonistinnen & Figuren (5 Sterne ♥)

Die Geschichte wird aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt: Einmal erleben wir mit, was der Mutter Lauren im Krankenhaus passiert und dass ihr niemand glaubt, dass eine fremde Frau ihre Kinder entführen wollte. Gleichzeitig begleiten wir auch die engagierte Polizistin Joanna Harper bei der Arbeit, die verzweifelt versucht, das Rätsel zu lösen, weil sie der Fall aufgrund ihrer Vergangenheit nicht kaltlässt. Beide Frauen fand ich sehr liebevoll ausgearbeitet und sympathisch. Besonders Lauren konnte mich überzeugen. Ständig fragt man sich, ob man ihr trauen kann, ob sie sich die Vorkommnisse nur einbildet und an einer Wochenbettpsychose leidet oder ob sie die Einzige ist, die die Wahrheit erkennt. Mit Lauren hatte ich immer wieder Mitleid, weil sie nicht ernst genommen wird, weil sie Gewalt bei und nach der Geburt erlebt und weil ihr Ehemann so ein egozentrischer, unfähiger Idiot ist (den ich die meiste Zeit leidenschaftlich gehasst habe). Die anderen Nebenfiguren waren auch sehr gut ausgearbeitet und interessant – hier hat die Autorin aus meiner Sicht alles richtig gemacht!

Spannung & Atmosphäre (5 Sterne ♥)

Ich habe die düstere, unheimliche Atmosphäre und die unterschwellige Spannung (und Anspannung), die das Buch durchziehen, geliebt und bin sehr gern in diese Geschichte voller Gänsehaut-Momente eingetaucht! Die Kapitel enden zwar nicht immer mit klassischen Cliffhangern, trotzdem will man sofort weiterlesen. Die Autorin weiß das Potential ihrer Schauplätze (Psychiatrie, nächtliches Krankenhauszimmer, Stausee mit versunkenem Dorf, verwachsener Waldpfad) auf jeden Fall zu nutzen – das finde ich großartig! Man weiß irgendwann nicht mehr, wem man noch vertrauen kann, und versucht die ganze Zeit, das Geheimnis um die Zwillinge zu lüften. Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung aufgrund von Müdigkeit scheinen immer mehr zu verschwimmen – und gerade dieses Undurchsichtige hat mir bis zum ebenfalls offenen Ende sehr gefallen! Wer damit allerdings nicht umgehen kann und sich am Ende eine Auflösung inklusive detaillierter Erklärungen wünscht, die alle Unklarheiten ausräumen, der wird mit diesem Buch wahrscheinlich keine Freude haben.

„Die Kälte schien direkt aus der Frau zu kommen. Der Gestank faulender, mit Schlamm und Fischen emporgeschwemmter Pflanzen stieg Lauren in die Nase.“ E-Book, Position 475

Feministischer Blickwinkel (5 Sterne ♥)

Schon auf den ersten Seiten besteht das Buch den Bechdel-Test, außerdem haben mir die vielen starken Frauenfiguren und ihre führenden Positionen im Beruf (leitende Psychiaterin, Chefjournalistin, Ärztin etc.) sehr gefallen. Auch dass Harper lesbisch ist, ist positiv hervorzuheben, ebenso wie die Tatsache, dass keine Geburtsart verurteilt wird und dass auch die Kaiserschnittmutter sehr glücklich mit ihrer Entscheidung ist. Das Geschlechterverhältnis war so ausgeglichen, wie ich mir das wünsche. Zusätzlich hat es mir gefallen, dass auch Gewalt unter und nach der Geburt angesprochen und kritisiert wird und dass gezeigt wird, dass Frauen oft überhaupt nicht ernst genommen werden, wenn sie äußern, dass sie Schmerzen haben.

Durch Patricks fürchterliches Verhalten wird deutlich, wie ungerecht die unbezahlte Pflegearbeit immer noch verteilt ist und wie rückwärtsgewandt viele Männer auch heute noch das Thema Kindererziehung betrachten. Patrick nutzt beispielsweise die Wehrlosigkeit seiner Frau nach der Geburt aus, um seine Namenswünsche durchzuboxen, zieht ins Gästezimmer, weil er (noch dazu trotz Urlaub!) ohne Schlaf „nicht so gut funktioniert“, lässt seine Ehefrau nachts mit zwei Säuglingen vollkommen alleine und versucht ihr dann noch einzureden, dass die Aufteilung fair sei bzw. dass sie als Frau eine natürliche Begabung für die Kinderbetreuung habe. Laurens Situation zeigt, dass man als Frau, die über die Familienplanung nachdenkt, dem Partner zuerst intensiv auf den Zahn fühlen sollte, um herauszufinden, wie er sich seine Rolle als Vater vorgestellt hat. Das senkt zumindest das Risiko, dann alleine für alles zuständig zu sein – das böse Erwachen kann natürlich trotzdem kommen. Das Einzige, was ich nicht so gelungen fand, waren die gelegentlichen gegenderten Beleidigungen (Miststück, Schlam++), aber das verzeihe ich bei so vielen Pluspunkten!

„‘Wie wär’s damit‘, sagte Patrick. ‚Solange ich noch frei habe, helfe ich tagsüber, so viel ich kann, und du bist für die Nächte zuständig. Echtes Teamwork eben. Wär doch fair, oder?‘“ E-Book, Position 1399

Mein Fazit

„Kalte Wasser“ ist ein rundum gelungener, atmosphärischer und unheimlicher Mysteryroman mit Thriller-Elementen und vielen Gänsehaut-Momenten. Melanie Golding hat einen unheimlich angenehmen, anschaulichen, flüssig lesbaren Schreibstil, der dabei überraschend komplex und tiefgründig ist. Ich habe die nuancierten Beschreibungen der Emotionen der Figuren sehr genossen! Bei ihrem Buch hat sich die Autorin spürbar von alten Sagen und Märchen inspirieren lassen, geht aber auch tiefgründig auf Themen wie Sexismus, unfair aufgeteilte Arbeit bei der Kinderbetreuung, Gewalt bei der Geburt, psychische Gesundheit bzw. Krankheit und Wochenbettpsychose ein. Die Geschichte wird dabei aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt: Einmal erleben wir mit, was der Mutter Lauren im Krankenhaus passiert und dass ihr niemand glaubt, dass eine fremde Frau ihre Kinder entführen wollte. Gleichzeitig begleiten wir auch die engagierte Polizistin Joanna Harper bei der Arbeit, die verzweifelt versucht, das Rätsel zu lösen. Beide Frauen fand ich sehr liebevoll ausgearbeitet und sympathisch. Besonders Lauren konnte mich überzeugen; ich habe sehr mit ihr mitgefühlt und hatte Mitleid mit ihr, weil sie oft schlecht behandelt wird und weil ihr Ehemann so ein egozentrischer, unfähiger Sexist (den ich die meiste Zeit leidenschaftlich gehasst habe) ist. Das Buch hat nicht nur einen spannenden Einstieg, sondern auch eine durchgehende düstere, unheimliche Atmosphäre und eine ständige unterschwellige Spannung, die das Buch durchziehen. Das habe ich geliebt! Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung aufgrund von Müdigkeit scheinen immer mehr zu verschwimmen – und gerade dieses Undurchsichtige hat mir bis zum ebenfalls offenen Ende sehr gefallen. Die Autorin weiß zudem das Potential ihrer Schauplätze (Psychiatrie, nächtliches Krankenhauszimmer, Stausee mit versunkenem Dorf, verwachsener Waldpfad) eindrucksvoll und intensiv zu nutzen. Ich spreche hiermit eine Leseempfehlung aus: Wagt den Sprung ins „Kalte Wasser“ – ihr werdet es nicht bereuen!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 5 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistinnen: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

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