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Veröffentlicht am 13.10.2019

Wunderschöne, anspruchsvolle Sprache & faszinierende, düstere Atmosphäre – leider fehlt Spannung

Melmoth
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Im Roman stößt Helen auf ein seltsames Manuskript, das von einer Legende handelt: von Melmoth, einer Frau in Schwarz, die angeblich dazu verdammt sein soll, für immer ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Im Roman stößt Helen auf ein seltsames Manuskript, das von einer Legende handelt: von Melmoth, einer Frau in Schwarz, die angeblich dazu verdammt sein soll, für immer über die Erde zu wandeln und menschliche Gräueltaten zu bezeugen. In Prag findet Helen immer mehr Hinweise auf die Frau in Briefen und Tagebüchern…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Eichborn
Seitenzahl: 336
Erzählweise: Allwissender Erzähler, Präteritum und Präsens wechseln sich ab
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive
Kapitellänge: Es gibt keine Kapitel im Buch, nur Überschriften, wenn eine neue Quelle präsentiert wird.

Tiere im Buch: +/- Es wird im Buch Fleisch gegessen, Menschen tragen Schuhe aus Kalbsleder, es werden Hahnenkämpe erwähnt und Kakerlaken in großer Zahl erschlagen. Vögel fliegen gegen Glas und sterben, und es gibt Beschreibungen von halbverhungerten Straßenhunden, denen niemand hilft. Immerhin wird auch geschildert, dass im Winter immer wieder Schwäne aus dem Eis der Moldau befreit werden. Falls das in Prag wirklich geschieht, ist das sehr erfreulich!

Warum dieses Buch?

Auf dieses Buch haben mich das wunderschöne Cover und das mit viel Liebe gestaltete Design neugierig gemacht. BücherliebhaberInnen wie wir lieben es ja, solche Schmuckstücke ins Regal zu stellen und zu bewundern! Als ich dann noch gehört habe, dass dieses Buch zur "gothic fiction" (also zur Schauerliteratur) gezählt wird wie 2 meiner absoluten Lieblingsbücher – „Sturmhöhe“ / „Wuthering Heights“ und „Jane Eyre“ - , wusste ich, dass ich es unbedingt lesen muss!

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

„Karel glaubte zu spüren, wie ihm die Neugier eine Hand zwischen die Schulterblätter legte und ihn vorwärtsschob.“ Seite 31

Der Einstieg ist mir leider nicht leicht gefallen. Es hat einige Seiten gedauert, bis ich ganz in die Geschichte eintauchen konnte. Dann wurde die Lektüre aber zu einem intensiven, faszinierenden Erlebnis. Man muss sich selbst am Anfang auf jeden Fall genug Zeit geben, um ins Buch zu finden.

Schreibstil (♥)

Sarah Perrys Schreibstil fand ich absolut großartig - ich war ganz verzaubert von den wunderschönen Vergleichen und sprachlichen Bildern und von den atmosphärischen Beschreibungen. Dabei muss man allerdings wissen, dass die Autorin sehr anspruchsvoll schreibt – man kann das Buch auf jeden Fall nicht nebenbei lesen, sondern muss sich voll und ganz darauf konzentrieren. Dieses Buch ist also genau das Richtige für Menschen, die beim Lesen gefordert werden möchten. Das Lesen kam mir stellenweise (obwohl ich das Buch rückblickend gern gelesen habe) vor wie ein Kraftakt – ich war erleichtert, als ich die letzte Seite umgeblättert hatte. Viel zu wenige Absätze im Buch erschweren zusätzlich die Lektüre.

Ungewöhnlich, aber sehr gelungen und spannend fand ich außerdem die direkte Ansprache und Miteinbeziehung der LeserInnen – dieses Stilmittel macht das Buch zu einer sehr besonderen Lektüre!

„Wenn sie nicht hinsieht, müssen Sie es an ihrer Stelle tun – dort hinter dem Geländer – nein, noch ein kleines Stückchen weiter, da unten, zwischen zwei geparkten Autos – warten Sie, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Da, jetzt haben Sie es, nicht wahr?“ Seite 72

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„‘Glaubst du, man kann sich nach etwas sehnen, vor dem man höllische Angst hat?‘“ Seite 143

Mit „Melmoth“ hat Sarah Perry einen Roman geschaffen, der sich ohne Frage sehr gut der Schauerliteratur („gothic fiction“) zuordnen lässt und der einem während der Lektüre auch immer das Gefühl gibt, dass wir uns eigentlich gar nicht in der Gegenwart befinden, sondern weit in der Vergangenheit, vielleicht sogar in der Blütezeit der Schauerliteratur im 19. Jahrhundert. Der interessante und düstere Schauplatz – die geschichtsträchtige Stadt Prag im Winter – wird sehr eindrucksvoll genutzt. Melmoth selbst ist eine faszinierende, tragische, mysteriöse und gleichzeitig Furcht einflößende Figur mit biblischer Vorgeschichte, die laut der Legende, die man Kindern erzählt, gezwungen ist, einsam und für immer auf der Erde zu wandeln.

Das eigentliche „Böse“ in dieser Geschichte hat jedoch nichts Übernatürliches an sich; es sind die Menschen, die zu unfassbaren Gräueltaten fähig sind. Verschiedene Quellen, die in die Geschichte eingewebt sind und einen relativ großen Teil davon ausmachen, führen uns immer wieder in die Vergangenheit und in andere Länder, wo wir ZeugInnen von verschiedenen menschlichen Verbrechen werden: Ein Junge verrät in der Zeit des Nationalsozialismus eine jüdische Familie, weil er neidisch auf ihr Radio ist; Kinder werden verprügelt; ganze Familien vergiften sich aus Angst. Besonders die Kriegsgräuel schildert die Autorin bis ins grausigste Detail und zwingt somit ihre LeserInnen, (wie Melmoth) diese furchtbaren Szenen zu bezeugen. Viele ihrer ungeschönten und eindringlichen Beschreibungen machen wütend, schockieren oder liegen noch lange Zeit schwer im Magen. Themen wie Ethik, Schuld, Trauer, Antisemitismus, Egoismus und Krieg werden eindrucksvoll und tiefgründig im Roman verarbeitet.

Wer mit einer detaillierten Literatur-Recherche in der Gegenwart rechnet, wird übrigens enttäuscht werden: Helen werden alle Quellen auf dem Silbertablett serviert, ihr Erzählstrang nimmt stellenweise erstaunlich wenig Platz in der Handlung ein. Die vielen kleinen Erzählungen, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt, haben mich manchmal aus dem Lesefluss gerissen, aber ansonsten nicht gestört, da ich sie alle sehr interessant fand. Eine Einteilung in kürzere Kapitel und mehr Absätze hätte sicher noch etwas für die Leserfreundlichkeit des Buches tun können. Ansonsten stimme ich mit verschiedenen RezensentInnen überein – auch ich glaube, dass es die etwas sperrige und oftmals langatmige Geschichte schwer haben wird, ihr Publikum zu finden. Wer jedoch bis zum Schluss durchhält, wird mit einem grandiosen, fulminanten Gänsehaut-Ende belohnt, das einem lange in Erinnerung bleibt.

Protagonistin & Figuren (+)

Die Figuren konnten mich insgesamt überzeugen, auch wenn viele von ihnen schwer zugänglich sind und man erst einmal mit ihnen warm werden muss. Eine extrem unsympathische Figur habe ich sogar gehasst. Fest steht, dass Sarah Perry ein Talent dafür hat, sehr interessante und ungewöhnliche Charaktere zu erschaffen, die sich von jenen in anderen Büchern auf erfrischende Weise abheben.

Spannung (-!)

Mein einziger großer Kritikpunkt an der Geschichte ist die fehlende Spannung. Es gibt einige Abschnitte, die sich für mich unglaublich gezogen haben und die ich deshalb auch sehr langatmig und anstrengend zu lesen fand. Immer wieder bin ich gedanklich abgeschweift und musste mich zwingen, mich wieder auf die Geschichte zu konzentrieren. Ich befürchte leider, dass das langsame Tempo der Geschichte in Kombination mit ihrer fehlenden Spannung, ihrer Sperrigkeit und ihrem anspruchsvollen Schreibstil dazu führen wird, dass viele Menschen das Buch nach einigen Seiten bereits wieder abbrechen und beiseite legen werden, was ich durchaus verstehen könnte.

Atmosphäre (♥)

Absolut punkten konnte das Buch dafür bei mir mit seiner düsteren, intensiven und mysteriösen Atmosphäre und seinen vereinzelten Horror-Elementen. Sarah Perry weiß das Setting (Prag) und die Jahreszeit (Winter) zu nutzen. Die subtile Bedrohung durch Melmoth und die unheimliche Stimmung, die ständig im Hintergrund mitschwingt, fand ich großartig! Ich liebe es, mich zu gruseln - und das gelang der Autorin immer wieder ausgezeichnet.

„Plötzlich werden ihre Unterarme kalt, die Härchen sträuben sich, und in ihrer Brust tut sich ein Vakuum auf, als nähme das Herz Anlauf zu einem verstolperten Schlag. Es fühlt sich an, als würde sie von leblosen, gierigen Augen gemustert.“ Seite 43

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Positiv ist anzumerken, dass das Buch den Bechdel-Test auf den ersten Seiten besteht, dass Frauen oft sehr hoch qualifiziert sind (viele haben studiert, Thea war zudem eine sehr erfolgreiche Anwältin), dass Männer weinen und dass das Geschlechterverhältnis sehr ausgeglichen ist.

In den verschiedenen Quellen über Melmoth, die natürlich alle zu einer früheren Zeit spielen, sind die Geschlechterrollen oft sehr traditionell verteilt (Frauen kochen, sind für den Haushalt zuständig etc.), und vereinzelt finden sich sehr stereotypisierende Beschreibungen von Frauen (sie lauschen immer, sie erzählen Dinge sofort weiter). Zur Kriegszeit wird auch geschildert, wie Frauen beleidigt (Hu++) und (von mehreren Männern) vergewaltigt werden – diese Szenen hatten eine schockierende Wirkung auf mich und sollen, denke ich, aufrütteln. Auch toxische Männlichkeit und die furchtbaren Taten, die damit einhergehen, werden angesprochen. So hat zum Beispiel ein Mann seine Freundin mit Säure übergossen, weil er seinen „Besitz“ mit niemandem teilen wollte. Ähnliche Verbrechen und sogar Frauenmorde passieren übrigens noch heute – sogar bei uns. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners.

Mein Fazit

„Melmoth“ ist ein gelungener Schauerroman mit einer wunderschönen, anspruchsvollen Sprache und einer düsteren, unheimlichen Atmosphäre, dem es aber leider an Spannung fehlt. Der Einstieg fiel mir schwer, dann wurde die Lektüre jedoch zu einem intensiven, faszinierenden Erlebnis. Sarah Perrys anspruchsvollen Schreibstil fand ich großartig - ich war ganz verzaubert von den wunderschönen sprachlichen Bildern und atmosphärischen Beschreibungen. Ungewöhnlich, aber äußerst gelungen fand ich auch die direkte Ansprache der LeserInnen. Mit Melmoth hat die Autorin eine faszinierende, tragische, mysteriöse und gleichzeitig Furcht einflößende Figur geschaffen. Das eigentliche „Böse“ in der Geschichte sind jedoch die Menschen. Verschiedene Berichte, die in die Geschichte eingewebt sind, führen uns in die Vergangenheit, wo wir ZeugInnen von unfassbaren Gräueltaten werden. Diese schildert die Autorin bis ins grausigste Detail. Viele der ungeschönten und eindringlichen Beschreibungen machen wütend, schockieren oder liegen noch lange Zeit schwer im Magen. Themen wie Schuld, Trauer, Antisemitismus und Krieg werden eindrucksvoll und tiefgründig im Roman verarbeitet. Die Figuren konnten mich überzeugen, auch wenn viele von ihnen schwer zugänglich sind und man erst einmal mit ihnen warm werden muss. Fest steht, dass Sarah Perry ein Talent dafür hat, sehr interessante, erfrischende und ungewöhnliche Charaktere zu erschaffen. „Melmoth“ gibt einem während der Lektüre ständig das Gefühl, dass wir uns eigentlich gar nicht in der Gegenwart befinden, sondern weit in der Vergangenheit. Der interessante Schauplatz – die geschichtsträchtige Stadt Prag im Winter – wird sehr eindrucksvoll genutzt. Mit seiner düsteren, intensiven und mysteriösen Atmosphäre und seinen Horror-Elementen konnte der Schauerroman bei mir punkten. Die subtile Bedrohung durch Melmoth und die unheimliche Stimmung, die ständig im Hintergrund mitschwingt, fand ich großartig! Trotz alledem kam mir die Lektüre stellenweise vor wie ein Kraftakt – ich war erleichtert, als ich die letzte Seite umgeblättert hatte. Mein einziger großer Kritikpunkt an der Geschichte hängt damit zusammen: Es ist die fehlende Spannung. Es gibt einige Abschnitte, die sich für mich unglaublich gezogen haben und die ich deshalb auch sehr langatmig und anstrengend zu lesen fand. Immer wieder bin ich gedanklich abgeschweift und musste mich zwingen, mich wieder auf die Geschichte zu konzentrieren. Hier stimme ich mit einigen anderen RezensentInnen überein – auch ich glaube, dass es die etwas sperrige und oftmals langatmige Geschichte mit ihrem langsamen Tempo und ihrem anspruchsvollen Schreibstil schwer haben wird, ihr Publikum zu finden. Wer jedoch bis zum Schluss durchhält, wird mit einem grandiosen, fulminanten und unvergesslichen Gänsehaut-Ende belohnt.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 4 Sterne
Nebenfiguren: 4 Sterne
Spannung: 1 Stern
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 3-4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +/-

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Geschichte
  • Figuren
Veröffentlicht am 08.10.2019

Tolle Idee, aber viel verschenktes Potential & langatmige Umsetzung

Cold Storage - Es tötet
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In David Koepps Science-Fiction-Thriller „Cold Storage – Es tötet“ geht es um einen tödlichen Pilz, der (bis auf eine kleine Probe, die für Forschungszwecke genommen ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In David Koepps Science-Fiction-Thriller „Cold Storage – Es tötet“ geht es um einen tödlichen Pilz, der (bis auf eine kleine Probe, die für Forschungszwecke genommen wurde) 1987 gerade noch rechtzeitig vernichtet werden konnte. Im Jahr 2019 hören Teacake und seine Kollegin Naomi während ihrer Nachtschicht in einem Lagerhaus plötzlich ein leises Piepsen, das sie ins vierte Untergeschoss führt – ein Stockwerk, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Dort unten wartet der Pilz, der die gesamte Menschheit vernichten könnte, nur noch auf die passende Gelegenheit, das Lagerhaus zu verlassen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 336
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: -! Das Buch ist für TierliebhaberInnen nicht immer einfach zu ertragen, da einige Tiere verletzt oder getötet werden. Eine Hirschkuh und eine Katze werden erschossen – bei der Hirschkuh ist es ein Gnadenschuss, der jedoch zuerst schiefgeht und dem Tier weitere Schmerzen bereitet, die Katze muss sterben, weil der Sohn einer Familie findet, dass sie wegen ihres Alters und ihrer Krankheiten zu teuer ist (obwohl die Eltern das Tier über alles lieben). Dieser dumme, egoistische Mann hat mich so wütend gemacht! Es gibt zudem einen Rattenkönig (Ratten, die an den Schwänzen zusammengewachsen sind) – die Ratten werden mit einem Metallrohr „erlöst“.

Warum dieses Buch?

Nicht nur das Cover und der Klappentext haben mich sofort neugierig gemacht, sondern auch die Tatsache, dass der Autor als Drehbuchschreiber bei „Jurassic Park“ mitgewirkt hat – einem Film, den ich absolut liebe. Außerdem bin ich ein Fan von Endzeitszenarien: Egal ob es um Zombieapokalypsen, tödliche Viren oder den Zusammenbruch der Wasserversorgung geht - ich bin dabei! Spannung, sympathische Figuren und Humor wurden ebenfalls in der Buchbeschreibung versprochen - das Buch klang wie für mich gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Das Buch beginnt mit einem wunderbaren, herrlich Furcht einflößendem Prolog, den ich absolut großartig fand. Auch danach ist mir der Einstieg sehr schnell und gut gelungen, da der erste Teil der Handlung äußerst spannend und interessant ist.

Schreibstil (+/-)

Dass man bei „Cold Storage“ kein literarisches Meisterwerk erwarten darf, sondern dass Action und Horror im Vordergrund stehen, sollte einem im Vorhinein klar sein. Wenn man weiß, worauf man sich einlässt, ist der Schreibstil durchaus flüssig, einfach und angenehm zu lesen. Leider blieb mir die Sprache stellenweise aber auch zu oberflächlich und spannungsarm, mir war es oft zu viel „tell“ und zu wenig „show“. Zudem wurden manche Fachbegriffe nicht ausreichend erklärt, was ich manchmal etwas frustrierend fand.

Auf ganzer Linie überzeugt hat mich hingegen, dass eindrucksvoll gezeigt wurde, wie sich die Gedanken der Infizierten verändern, sobald sie mit dem Pilz in Berührung gekommen sind. Während im Körper gerade Chaos ausbricht, stillt der Pilz die Schmerzen und suggeriert seinen Opfern, dass alles in bester Ordnung ist. Da fragen sie sich zum Beispiel plötzlich vollkommen zusammenhanglos, wo der nächste Telefonmasten ist, ohne richtig zu verstehen, was eigentlich in ihnen vorgeht. Ihre Gedanken werden instinktgetrieben und animalisch. Der Autor verzichtet zunehmend auf Interpunktion und schildert die sprunghaften Gedanken der Betroffenen auf unheimliche Weise. Das fand ich großartig!

„Ich muss da rein die Tür ist zu ich muss da rein ich muss Tür ist zu“ Seite 217

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

David Koepp hatte ohne Frage eine sehr gute Idee und hat sehr genau recherchiert. Das sieht man an den vielen detaillierten und meist auch bis zu einem gewissen Grade glaubwürdigen Beschreibungen des Pilzes und der biochemischen Vorgänge. Der Autor hat in seinem Buch einen absolut Furcht einflößenden Pilz erschaffen, der unglaublich intelligent und anpassungsfähig ist und uns LeserInnen das Fürchten lehrt. Man kann nur hoffen, dass so ein Pilz niemals durch eine Mutation entsteht oder künstlich im Labor erschaffen wird. Sehr spannend fand ich auch, dass wir immer wieder Einblicke in die „Denkweise“ des Pilzes erhalten und dass die Geschichte daher in gewisser Weise auch aus seiner Sicht erzählt wird.

Dabei gleicht das Buch stellenweise einem Splatter-Film und enthält durchaus ironische Anspielungen auf das Genre und überzogene Szenen. Auch viele Action-Szenen gibt es – leider sind diese aber nicht halb so „herausragend“ und gelungen, wie dies im Klappentext versprochen wurde. Vielleicht habe ich einfach schon zu viele Filme dieser Art gesehen, aber die Kampfszenen konnten mir nicht viel mehr als ein müdes Lächeln entlocken. Während ich den ersten Teil, der in der Vergangenheit spielt, als absolut spannend und gelungen empfand, sank die Spannung leider in den Keller, als die Handlung in die Gegenwart sprang. Das liegt daran, dass sich die Geschichte immer wieder in langatmigen Beschreibungen des Lebens der Figuren verliert. Bis zum Ende erreicht die Geschichte nie mehr das Spannungslevel des Beginns. So ist ein Thriller entstanden, der insgesamt ganz nett zu lesen ist, der mich aber leider nicht ganz überzeugen konnte und mir (bis auf den Pilz selbst) sicher nicht lange in Erinnerung bleiben wird.

Der Humor, der auf der Buchrückseite angepriesen wurde, war eher spärlich gesät und traf nicht immer meinen Geschmack. Auch hier habe ich mir einfach mehr erwartet. Viele Themen wie Elternschaft, Eheprobleme, Depression etc. werden kurz angeschnitten, doch der Autor geht nur selten in die Tiefe – und wenn er es tut, dann auf eine langatmige Weise. Die Geschichte endet mit einem durchschnittlichen Schluss, der mich ebenfalls nicht in Begeisterungsstürme verfallen ließ.

„Im Grunde musste er sie vielmehr aufspüren, als ihr zufällig zu begegnen. Allerdings wirkte es immer ein wenig unheimlich, wenn man einer attraktiven Frau „zufällig“ begegnete und dabei total verschwitzt und außer Atem war.“ Seite 73

ProtagonistInnen & Figuren (+/-)

Auch die sehr sympathischen Figuren habe ich in diesem Buch vergeblich gesucht. Alle Hauptfiguren bis auf Naomi (die ich mochte) fand ich okay, sie waren mir „mittelsympathisch“, konnten mich aber nicht wirklich berühren. Vielleicht war ich deshalb ein wenig distanziert und habe nicht auf jeder Seite mitgefühlt und um das Leben der ProtagonistInnen gebangt. Teacake fand ich außerdem etwas nervig. Es fehlte mir oft das gewisse Etwas. Die Nebenfiguren blieben blass oder waren extrem unsympathisch.

„Es war immer dasselbe. Wenn Frauen klug genug waren, ihn zu durchschauen, waren sie auch klug genug, ihn nicht näher kennenzulernen.“ Seite 84

Spannung & Atmosphäre (-!)

Was Spannung und Atmosphäre betrifft, konnte der Autor im ersten, hoch interessanten und spannenden Teil absolut glänzen. Man versteht schnell, wie tödlich und eigentlich unbesiegbar dieser Pilz ist, und gruselt sich, als die SoldatInnen und die Wissenschaftlerin in der Wüste auf ein Dorf voller Leichen stoßen. Leider nimmt die Spannung im zweiten Teil schnell ab und bot nicht genügend unerwartete Wendungen und Spannungsmomente, um mich zu fesseln. Die Genre-Zuordnung „Thriller“ hat das Buch meiner Meinung nach nicht wirklich verdient. Schade, dass das Potential einer tollen Idee nicht ausgeschöpft werden konnte.

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Es gab ein paar Dinge, die mir gut gefallen haben: Ein Mann putzt, am Beginn ist Roberto einer Frau unterstellt, auch die Wissenschaftlerin ist weiblich, Sexismus wird angesprochen und Naomi ist eine sehr intelligente und starke Frau, die auch nach der Geburt ihres Kindes noch arbeitet und sich weiterbildet. Zudem hat Teacake zwei Mütter und das Buch besteht – wenn auch nur durch einen winzigen Dialog – sogar den Bechdel-Test.

Es hat aber auch einige Dinge gegeben, die mir überhaupt nicht gefallen haben: Zum einen gibt es vereinzelt frauenfeindliche Sprache wie „Hu+++sohn“ und „Teenagerschla+++“, zum anderen wird auch Machtmissbrauch thematisiert. Ein erwachsener Mann schläft mit Minderjährigen und ein Mann stalkt eine Frau. Immerhin reagiert sie angemessen wütend darauf und er sieht ein, dass er einen Fehler gemacht hat. Sehr aufgeregt haben mich die Gedanken eines Mannes, der sauer ist, weil er von seiner Frau „nicht bekam, was ihm zustand“. Was ist das bitte für ein ekelhaftes Anspruchsdenken? Niemandem steht Sex mit einer Frau zu – auch nicht in der Ehe! Rape Culture lässt grüßen!

Mein Fazit

„Cold Storage“ ist ein Science-Fiction-Thriller, der insgesamt ganz nett zu lesen ist, von dem ich mir aber viel mehr erwartet habe und der mich leider nicht auf ganzer Linie überzeugen konnte. Einem herrlich Furcht einflößendem Prolog folgen ein hoch interessanter, spannender erster Teil und ein enttäuschender, zäher und langatmiger zweiter Teil. Das liegt daran, dass sich die Geschichte immer wieder in langatmigen Beschreibungen des Lebens der Figuren verliert. Bis zum Ende kann sich die Geschichte nicht mehr von diesem Spannungseinbruch erholen. „Cold Storage“ ist zwar kein literarisches Meisterwerk, aber der Schreibstil lässt sich flüssig und angenehm lesen. Leider blieb mir die Sprache stellenweise aber auch zu oberflächlich und spannungsarm, manche Fachbegriffe wurden nicht ausreichend erklärt. Auf ganzer Linie überzeugt hat mich hingegen, dass eindrucksvoll und auf faszinierende Weise gezeigt wurde, wie sich die Gedanken der Infizierten verändern, sobald sie mit dem Pilz in Berührung gekommen sind. David Koepp hatte ohne Frage eine sehr gute Idee und hat sehr genau recherchiert. Das sieht man an den vielen detaillierten Beschreibungen des Pilzes und der biochemischen Vorgänge. Der Autor hat in seinem Buch einen absolut Furcht einflößenden Pilz erschaffen, der unglaublich intelligent und anpassungsfähig ist. Sehr spannend fand ich auch, dass wir immer wieder Einblicke in die „Denkweise“ des Pilzes erhalten und die Geschichte daher in gewisser Weise auch aus seiner Sicht erzählt wird. Dabei gleicht das Buch stellenweise einem Splatter-Film und enthält durchaus ironische Anspielungen auf das Genre und überzogene Szenen. Auch Action-Szenen gibt es – leider sind diese aber nicht halb so „herausragend“, wie dies im Klappentext versprochen wurde. Der Humor, der in der Buchbeschreibung angepriesen wurde, war eher spärlich gesät und traf leider nicht immer meinen Geschmack. Viele Themen wie Elternschaft, Eheprobleme, Depression etc. werden kurz angeschnitten, doch leider geht der Autor meist nicht in die Tiefe. Alle Hauptfiguren bis auf Naomi (die ich mochte) fand ich okay, sie waren mir „mittelsympathisch“, konnten mich aber nicht berühren oder ganz überzeugen. Es fehlte mir oft das gewisse Etwas, die Nebenfiguren blieben zudem blass oder waren extrem unsympathisch. Kurz: „Cold Storage“ ist ein mittelmäßiges Buch, das mich leider nicht auf ganzer Linie überzeugen konnte und das mir bestimmt auch nicht lange in Erinnerung bleiben wird. Schade, dass das Potential einer tollen Idee nicht ausgeschöpft werden konnte.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 3,5 Sterne
ProtagonistInnen: 3 Sterne
Nebenfiguren: 2 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Ende / Auflösung: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +/-

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt gerade so drei Lilien!

Veröffentlicht am 20.09.2019

Lässt einen den Swimmingpool mit ganz anderen Augen sehen!

Der Swimmingpool in der Fotografie
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Inhalt

Auf mehr als 200 Abbildungen wird in diesem Bildband der Swimmingpool in den Mittelpunkt gerückt. Es geht um die Faszination, die er ausübt und um seine Bedeutung in verschiedenen Kulturen und ...

Inhalt

Auf mehr als 200 Abbildungen wird in diesem Bildband der Swimmingpool in den Mittelpunkt gerückt. Es geht um die Faszination, die er ausübt und um seine Bedeutung in verschiedenen Kulturen und Epochen.

Übersicht

Genre: Bildband, Kunst, Fotografie
Verlag: Hatje Cantz Verlag
Seitenzahl: 240

Warum dieses Buch?

Welches Buch eignet sich besser für den (Spät-)Sommer als ein Buch voller Bilder übers Plantschen, Baden und Schwimmen? Meine Antwort: keines! Deshalb musste ich diesen Bildband unbedingt lesen.

Meine Meinung

Struktur (+)

Der Aufbau dieses Bildbandes ist sehr übersichtlich. Einer kurzen Einführung folgen dann auch schon sehr viele interessante Bilder, die mit kurzen Beschreibungen versehen sind. In den kurzen Absätzen kann man sich über die FotografInnen, den Kontext des Bildes und das Jahr und Land, in dem das Foto geschossen wurde, informieren. Thematisch ist das Buch in mehre große Kapitel eingeteilt, die sich zum Beispiel mit der Form der Pools oder mit Sprüngen ins kühle Nass beschäftigen. Das Buch enthält sowohl Farb- als auch Schwarz-Weiß-Fotografien.

Texte & Schreibstil (-!)

Mein einziger Kritikpunkt am Buch sind leider die kurzen Texte des Herausgebers: Besonders die Einleitung empfand ich als außerordentlich zäh und langweilig zu lesen. Was Herr Hodgson schreibt, erschien mir leider oft irrelevant, am liebsten hätte ich die Texte nach der ersten Seite alle übersprungen – da hatte ich aber dann doch Angst, etwas zu verpassen. Zum Glück wurde es nach der Einleitung immerhin etwas besser, hier folgten dann zwischendurch durchaus ein paar interessante und spannende Informationen. So erfährt man beispielsweise von einem Pool, der in Frankreich damals an eine Müllerverbrennungsanlage angeschlossen war, um ihn zu heizen.

Fotografien (+)

Die Auswahl und Präsentation der Fotos selbst fand ich hingegen sehr gelungen. Viele Bilder reichen über eine Doppelseite, aber auch kleinere Aufnahmen finden sich im Buch. Beide Arten von Fotos – sowohl die Schwarz-Weiß-Fotografien als auch jene in Farbe – waren sehr interessant anzusehen. Jedoch wurde bei der Lektüre dieses Buches doch deutlich, was alles verloren geht, wenn man einen Pool ohne das strahlende Blau des Wassers betrachtet. Viele Pool sind nämlich nur in Farbe ästhetisch und wunderschön anzuschauen.

Die Zusammenstellung der Fotografien hat mir so gut gefallen, weil die Bilder sehr vielfältig sind: Einerseits gibt es Bilder, die heute wichtige Zeitzeugen sind, weil die Orte, an denen sie aufgenommen wurden, heute gar nicht mehr existieren, andererseits gibt es aber auch Fotos aus der Gegenwart. Verschiedene Epochen sind also vertreten, auch wenn das 20. Jahrhundert klar dominiert, und die Bilder wurden überall auf der Welt aufgenommen: Es gibt Pool in Amerika und England zu bestaunen, aber auch nach Deutschland, Australien, Japan und sogar nach Afrika (nach Tansania und Uganda) führt uns die Bilderreise. Wir sehen Mädchen beim Schwimmunterricht, Models aus Hochglanzmagazinen, Durchschnittsfamilien beim fröhlichen Baden und Entspannen, praktische Becken neben kunstvollen. Der Pool ist meist das Zentrum des Geschehens, oft sprühen die Badenden nur so vor Lebensfreude, was sofort Lust macht, selbst ins Wasser zu springen. Gerade deshalb eignet sich dieser Bildband besonders gut als Lektüre während der Sommermonate oder vor einem Thermenbesuch.

Aber auch ernste oder spektakuläre Fotos werden im Bildband gezeigt: schwimmende Soldaten inmitten von Schutt und Asche, ein Maultier, das von einem Brett springt (hier steht natürlich das Thema Tierquälerei ganz klar im Raum!), die Beatles beim feuchtfröhlichen Baden, ein Pool, der bis ins Wohnzimmer reicht, verlassene Schwimmbäder, Astronauten der Apollo 1 beim Üben einer Wasserlandung. „Der Swimmingpool in der Fotografie“ zeigt uns künstliche Strände, beheizte Pools inmitten von Eis und Schnee, nimmt uns mit ins Disneyland und nach Las Vegas und präsentiert uns viele verführerische Reisedestinationen. Der Bildband lässt auch historische Wettkämpfe, die damalige Bademode und die verschiedenen Schwimmstile nicht außer Acht. Eines kann ich nach der Lektüre dieses Buches auf jeden Fall von mir sagen: Ich werde Swimmingpools von nun an viel aufmerksamer wahrnehmen und mit ganz anderen Augen sehen!

Feministischer Blickwinkel (-)

Obwohl auf den Fotos sowohl Frauen als auch Männer zu sehen waren, ist mir leider unangenehm aufgefallen, dass Werke von Männern klar dominieren, was ich etwas schade finde. Ich bin sicher, dass es auch viele interessante, von Frauen geschaffene Kunstwerke gegeben hätte, die es verdient hätten, es in diesen Bildband zu schaffen. Vielleicht ja beim nächsten Buch, ich hoffe es!

Mein Fazit

Der Bildband „Der Swimmingpool in der Fotografie“ hat mir sehr gut gefallen! Der Aufbau ist übersichtlich und in kurzen Beschreibungen der Bilder gibt der Herausgeber interessante Hintergrundinformationen zu den FotografInnen, dem Kontext und Ort und Zeit der Aufnahme. Mein einziger Kritikpunkt am Buch sind leider die kurzen Einführungstexte des Herausgebers: Besonders die Einleitung empfand ich als außerordentlich zäh und langweilig. Vieles erschien mir leider auch irrelevant, am liebsten hätte ich die Texte nach der ersten Seite alle übersprungen. Zum Glück wurde es nach der Einleitung etwas besser, hier folgten dann zwischendurch durchaus interessante und spannende Informationen. Unangenehm aufgefallen ist mir außerdem leider, dass Werke von Männern klar dominieren, was ich schade finde. Ich bin sicher, dass es auch viele interessante, von Frauen geschaffene Kunstwerke gegeben hätte, die es verdient hätten, es in diesen Bildband zu schaffen. Das Buch enthält sowohl Farb- als auch Schwarz-Weiß-Fotografien, viele Bilder gehen über eine Doppelseite, es gibt aber auch kleinere Aufnahmen zu sehen. Viele der Fotos sind sehr ästhetisch und wunderschön anzuschauen! Zudem hat mir gefallen, dass die Bilder so vielfältig sind: Verschiedene Epochen sind vertreten, und die Bilder wurden überall auf der Welt aufgenommen. Wir sehen Mädchen beim Schwimmunterricht, Models aus Hochglanzmagazinen, Durchschnittsfamilien beim fröhlichen Baden und Entspannen, praktische Becken neben kunstvollen. Der Pool ist meist das Zentrum des Geschehens, oft sprühen die Badenden nur so vor Lebensfreude, was sofort Lust macht, selbst ins Wasser zu springen. Gerade deshalb eignet sich dieser Bildband besonders gut als Lektüre während der Sommermonate oder vor einem Thermenbesuch. Aber auch ernste oder spektakuläre Fotos werden im Bildband gezeigt: schwimmende Soldaten inmitten von Schutt und Asche, ein Maultier, das von einem Brett springt, die Beatles beim feuchtfröhlichen Baden. „Der Swimmingpool in der Fotografie“ präsentiert uns viele verführerische Reisedestinationen und lässt auch berühmte Wettkämpfe, die damalige Bademode und verschiedene Schwimmstile nicht außer Acht. Eines kann ich nach der Lektüre dieses Buches auf jeden Fall von mir sagen: Ich werde Swimmungpools von nun an viel aufmerksamer wahrnehmen und mit ganz anderen Augen sehen!

Bewertung

Aufbau: 5 Sterne
Texte & Schreibstil: 2 Sterne
Fotografien: 4-5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: -

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier Lilien!

Veröffentlicht am 19.09.2019

Bildgewaltige Naturbeschreibungen, eine berührende Geschichte & große Emotionen!

Der Gesang der Flusskrebse
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Als Kind wird Kya von ihr Familie verlassen, weil der Vater gewalttätig ist: Zuerst verschwindet ihre Mutter, dann ihre Geschwister, schließlich der Vater – bis sie irgendwann ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Als Kind wird Kya von ihr Familie verlassen, weil der Vater gewalttätig ist: Zuerst verschwindet ihre Mutter, dann ihre Geschwister, schließlich der Vater – bis sie irgendwann ganz alleine und auf sich gestellt ist. Inmitten von unberührter Natur kämpft sie, besonders am Beginn, um ihre Existenz. In der nahen Küstenstadt wird Kya gehänselt und gemieden; jahrelang leidet sie unter großer Einsamkeit, immer wieder wird sie von Menschen enttäuscht. Viele Jahre später wird ein junger Mann – der Star der Stadt – tot aufgefunden. Für viele EinwohnerInnen von Barkley Cove ist klar: Es kann nur das Marschmädchen gewesen sein…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: hanserblau
Seitenzahl: 464
Erzählweise: Allwissender Erzähler, Präteritum
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive (Kya); innerhalb der Kapitel wechselt immer wieder die Perspektive, sodass wir auch Einblicke in die Gedanken anderer Figuren erhalten, was mir sehr gut gefallen hat
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: +/- Kya lebt im Einklang mit der Natur, versucht die Tiere in ihrer Umgebung nicht zu stören und füttert die Möwen am Strand. Allerdings wird im Buch auch Fleisch gegessen, eine Frau tötet Schlangen mit einer Harke, es wird mit lebendigen Würmern gefischt, ein Vogel wird von seinen Artgenossen grausam getötet, und Kya fängt Muscheln und Fische, um sie zu essen. Meist ist das für sie überlebensnotwendig. Es werden im Buch keine Tiere gequält. Noch ein zusätzlicher wichtiger Hinweis: Im Roman wird eine Katze alleine gehalten. Da es sich hier um einen Freigänger handelt, ist die Einsamkeit nicht ganz so schlimm, weil sich die Katze draußen Freunde suchen kann, aber die Situation ist trotzdem nicht optimal, denn grundsätzlich gilt: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Auf dieses Buch wurden von Stars, Zeitungen, vielen LeserInnen und Institutionen im deutsch- und im englischsprachigen Bereich bereits Lobeshymnen gesunden. Die Durchschnittsbewertung auf der englischen Amazon-Seite liegt bei 4,8! Wenn alle von einem grandiosen Buch sprechen, macht mich das natürlich neugierig!

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

"Marschland ist nicht gleich Sumpf. Marschland ist ein Ort des Lichts, wo Gras in Wasser wächst und Wasser in den Himmel fließt." E-Book, Position 23

Der Einstieg ist mir nicht ganz so leicht gefallen, weil die Geschichte eher langsam und sehr ruhig beginnt und weil Naturbeschreibungen dominieren. Erst viele Seiten später, als die Handlung ins Rollen gekommen und man Kya besser kennengelernt hat, habe ich wirklich in die Geschichte gefunden. Geduld lohnt sich bei diesem Buch auf jeden Fall!

Schreibstil (♥)

Den Schreibstil fand ich wunderbar! Einerseits ist er sehr einfach und angenehm zu lesen, andererseits punktet er gleichzeitig auch mit bildgewaltigen, sehr poetischen Naturbeschreibungen und sprachlichen Bildern, die ich so noch nicht gelesen habe. Egal ob es darum geht, Spannung zu erzeugen, eine dichte Atmosphäre zu kreieren oder Kyas Gefühle und Innenwelt nuanciert und intensiv zu beschreiben – und zwar so, dass man als LeserIn mitfühlt und mitleidet! – Delia Owens kann in all diesen Bereichen überzeugen!

„Herbstblätter fallen nicht, sie fliegen. Sie nehmen sich Zeit und genießen ihre einzige Chance, frei zu sein. Sie blitzten im Sonnenlicht, wirbelten und segelten und flatterten auf den Schwingen des Windes.“ E-Book, Position 1778

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Auch inhaltlich konnte mich die Geschichte fesseln und berühren: Es gibt zwei Zeitebenen – eine beschäftigt sich mit Kyas Kindheit und Erwachsenwerden, die andere mit dem Kriminalfall in der Gegenwart –, die sich einander eindrucksvoll immer weiter annähern, bis sie sich am Ende vereinen. Als Krimi-Fan interessierte mich zuerst natürlich die Aufklärung des Verbrechens mehr, lange Zeit dominieren jedoch Kapitel über Kyas Kindheit. Glücklicherweise ist es der Autorin bereits nach wenigen Kapiteln gelungen, dass ich diese Seiten ebenso gerne gelesen habe wie jene, die sich mit der Gegenwart beschäftigen. Kyas Geschichte ist herzerwärmend, wunderschön, aber stellenweise auch sehr traurig und Mitleid erregend. „Warum hilft diesem Kind denn niemand?“, fragt man sich immer wieder und möchte die engstirnigen EinwohnerInnen von Barkley Cove mit ihren vielen Vorurteilen am liebsten schütteln.

In ihrem Roman, der als Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte, Roman, Liebesgeschichte, Gesellschaftskritik und Krimi betrachtet werden kann, rückt die Autorin Themen wie die Schönheit der unberührten Natur, Vorurteile einer Außenseiterin gegenüber, Einsamkeit, den Wunsch, dazuzugehören und geliebt zu werden, Freundschaft und Liebe in den Fokus und behandelt diese tiefgründig. Delia Owens hat in ihrem Buch eine kraftvolle Geschichte geschaffen, die einem lange im Gedächtnis bleibt. Die seltenen Längen im Mittelteil verzeihe ich gerne.

Im letzten Viertel des Buches kommt dem Kriminalfall, der noch einmal für eine große Portion Spannung sorgt, immer größere Bedeutung zu, bis er im Mittelpunkt der Handlung steht. Das Lesen der letzten Kapitel hat mir noch einmal großen Spaß gemacht, weil ich natürlich absolut mit Kya mitgefiebert habe. Am Ende überrascht uns die Autorin dann noch mit einer meiner Meinung nach gelungenen Enthüllung – auch wenn ich mir fast gewünscht hätte, dass die Geschichte etwas früher endet.

Protagonistin (♥)

„Bis irgendwann, in einem unbemerkten Moment, der Herzschmerz versickerte wie Wasser in Sand. Noch immer da, aber tief unten. Kya legte ihre Hand auf die atmende Erde, und die Marsch wurde ihr zur Mutter.“ E-Book, Position 481

Wie kann man Kya nach allem, was man gemeinsam mit ihr durchgestanden hat, nicht lieben? Ich glaube, es ist ganz und gar unmöglich, dass einem dieses naturverbundene, mutige, starke und zutiefst einsame Kind, das zu so einer beeindruckenden Persönlichkeit heranwächst, nicht ans Herz wächst! Ich habe es geliebt, Kya in der Geschichte zu begleiten, jeder ihrer Glücksmomente hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, jede Enttäuschung war wie ein Stich ins Herz. Liebevoller, dreidimensionaler und einmaliger kann man eine Protagonistin nicht zeichnen!

Figuren (+)

Auch die anderen Figuren sind durch die Bank sehr gut gelungen. Sie haben ihre Stärken und Schwächen, sind – ebenso wie Kya – nicht perfekt und manchmal auch schwer einzuschätzen. Manche habe ich geliebt (wie Tate, Jumpin‘ und Mabel), andere habe ich hassen gelernt. Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass mich diese Geschichte und ihre Figuren nicht kalt gelassen hat.

Liebesgeschichte (♥)

Auch die Liebesgeschichte konnte mich (obwohl ich bei diesem Thema ja oft kritisch bin) überzeugen, sie wird so liebevoll und sanft beschrieben, dass man das Kribbeln zwischen den beiden Liebenden fühlen kann und bis zum Ende auf ihr gemeinsames Glück hofft!

Spannung & Atmosphäre (♥)

Auch wenn das Buch sich eher durch ruhige Momente und eine fast schon entschleunigende Grundstimmung auszeichnet und obwohl es im Mittelteil die eine oder andere Länge gibt (erst im letzten Viertel wird es richtig spannend), wurde mir beim Lesen nie langweilig. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht, habe die unheimlich dichte Atmosphäre und die wunderbaren Beschreibungen des Marschlandes (das ja generell viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt) auf jeder Seite genossen! Man fühlt sich fast, als wäre man selbst dort. Einzelne Gedichte tragen zusätzlich zur tollen Atmosphäre bei.

Feministischer Blickwinkel (+)

In der damaligen Zeit war eine traditionelle Rollenverteilung leider noch vorherrschend. Dass Frauen für die Kinder, die Küche und den Haushalt zuständig waren, war normal. Kya hingegen ist eine sehr starke, unabhängige Frau, die immer wieder Mut zeigt und sich auch verteidigt, wenn es sein muss. In ihrer späteren Beziehung scheinen sie und ihr Freund sich gleichberechtigt um den Haushalt und das Kochen zu kümmern, was mir sehr gut gefallen hat. Zudem wird Tate von seinem Vater zu einem sensiblen jungen Mann erzogen, der Gefühle zeigen und weinen darf. Sehr anschaulich, tiefgründig und einfühlsam werden im Buch außerdem traurige Themen wie Frauenfeindlichkeit, Machtmissbrauch und häusliche und sexualisierte Gewalt angesprochen. Kya wird unter anderem als „Schlam++“ bezeichnet, im Buch kommen sogar eine versuchte Vergewaltigung und ihre schwerwiegenden Konsequenzen vor.

Mein Fazit

„Der Gesang der Flusskrebse“ ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Roman, Liebesgeschichte, Gesellschaftskritik und Kriminalgeschichte, die mich trotz ihres langsamen Beginns rundum überzeugen konnte. Der Schreibstil ist wunderbar: einfach und angenehm zu lesen und voller bildgewaltiger, poetischer Naturbeschreibungen und gelungener sprachlicher Bilder. Egal ob es darum geht, Spannung zu erzeugen, eine dichte Atmosphäre zu kreieren oder Kyas Gefühle und Innenwelt nuanciert und intensiv zu beschreiben – Delia Owens kann in all diesen Bereichen glänzen! Auch inhaltlich konnte mich die Geschichte fesseln: Es gibt zwei Zeitebenen – Kyas Kindheit und Erwachsenwerden und den Kriminalfall in der Gegenwart – die sich einander eindrucksvoll immer weiter annähern, bis sie sich am Ende vereinen. Kyas Geschichte ist herzerwärmend, wunderschön, aber auch stellenweise sehr traurig und Mitleid erregend. In ihrem Roman thematisiert die Autorin die Schönheit der unberührten Natur, Vorurteile, Einsamkeit, den Wunsch, dazuzugehören, Freundschaft und Liebe, aber auch häusliche und sexualisierte Gewalt tiefgründig und einfühlsam. Sie schafft eine kraftvolle Geschichte mit gelungenem Ende, die einem lange im Gedächtnis bleibt. Die seltenen Längen im Mittelteil des Buches verzeihe ich da gerne. Überzeugen kann auch die liebevoll ausgearbeitete Protagonistin: Ich habe es geliebt, Kya auf ihrem Weg zu begleiten, jeder ihrer Glücksmomente hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, jede Enttäuschung war wie ein Stich ins Herz. Ich glaube, es ist ganz und gar unmöglich, dass einem dieses naturverbundene, mutige, starke und zutiefst einsame Kind, das zu einer beeindruckenden Persönlichkeit heranwächst, nicht ans Herz wächst! Auch wenn das Buch sich eher durch ruhige Momente und eine fast schon entschleunigende Grundstimmung auszeichnet (erst im letzten Viertel wird es richtig spannend), wurde mir beim Lesen nie langweilig. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht, habe die unheimlich dichte Atmosphäre und die wunderbaren Beschreibungen des Marschlandes (das ja generell viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt) auf jeder Seite genossen! Man fühlt sich fast, als wäre man selbst dort. Fazit: „Der Gesang der Flusskrebse“ ist ein berührender Roman voller großer Emotionen, den ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne
Umsetzung: 5 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Liebesgeschichte: 5 Sterne ♥
Spannung: 3-4 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt fünf Lilien!

Veröffentlicht am 14.09.2019

Nett für zwischendurch, aber ich habe mir eine tiefgründigere Geschichte erhofft

Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden
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Spoilerfreie Rezension! *

Inhalt

Ein junger Briefträger erfährt, dass er bald sterben wird. Der Teufel bietet ihm daraufhin einen Pakt an: Er darf ein paar Tage länger leben, aber an jedem dieser Tage ...

Spoilerfreie Rezension! *

Inhalt

Ein junger Briefträger erfährt, dass er bald sterben wird. Der Teufel bietet ihm daraufhin einen Pakt an: Er darf ein paar Tage länger leben, aber an jedem dieser Tage muss eine Sache aus der Welt verschwinden. Der Teufel bestimmt jedoch, was verschwinden soll. Und am 4. Tag sollen es die Katzen sein – dabei liebt der Protagonist seine Samtpfote doch so!

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: C. Bertelsmann
Seitenzahl: 192
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive (Briefträger)
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: +/- Der Protagonist umsorgt seine Katze sehr liebevoll; als eine Katze stirbt, herrscht in der ganzen Familie große Trauer. Was mir nicht gefallen hat: Es wird Fleisch gegessen und es werden Sardinen verspeist. Als eine Katze todkrank wird und tagelang unter großen Schmerzen leidet, schauen alle zu und behaupten, dass sie sonst nichts tun könnten. Das stimmt aber nicht, in solch einem Fall ist es als HaustierbesitzerIn meine Pflicht, das Tier gehen zu lassen und es von seinen Schmerzen zu befreien – es also fachgerecht einschläfern zu lassen! Noch ein zusätzlicher wichtiger Hinweis: Im Roman wird eine Katze alleine gehalten. Da es sich hier um einen Freigänger handelt, ist die Einsamkeit nicht ganz so schlimm, weil sich die Katze draußen Freunde suchen kann, aber die Situation ist trotzdem nicht optimal, denn grundsätzlich gilt: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten. Von Halsbändern rate ich übrigens auch dringend ab: Wenn die Katze wo hängen bleibt, könnte das ihr Todesurteil sein – auch wenn z. B. der automatische Verschluss sich aus irgendeinem Grund doch nicht öffnet.

Warum dieses Buch?

Aufmerksam bin ich auf dieses Buch durch das wunderschöne Cover und den ungewöhnlichen Titel. Als Katzenliebhaberin konnte ich da natürlich nicht widerstehen! Zudem klang die Idee sehr erfrischend und kreativ, sodass ich das Buch unbedingt lesen wollte.

Meine Meinung

Einstieg (+)

"Wie wäre es wohl, wenn alle Katzen von der Welt verschwänden? Wie würde sie sich verändern?" Seite 5

Der Einstieg ist mir sehr schnell und gut gelungen. Gleich im ersten Kapitel werden die Leserinnen direkt angesprochen und es wird eine verrückte Geschichte angekündigt, die dem Briefträger laut eigenen Angaben tatsächlich passiert ist, was mich sofort neugierig gemacht hat.

Schreibstil (+/-)

„‘Äh – darf ich fragen, wer Sie sind?‘
‚Was glaubst du denn, wer ich bin?‘
‚Der Totengott?‘
‚Der Totengott? Dieser erbärmliche Wicht?‘“ Seite 13

Einerseits ist der einfache Schreibstil sehr locker, schnell und angenehm lesbar – das Buch lässt sich durch die Sprache und die große Schrift extrem schnell lesen! –, andererseits war er mir oft leider auch viel zu oberflächlich. Vor allem der Beginn ist sehr dialoglastig – hier fehlten mir Tiefe und Anschaulichkeit. Manche der „Lebensweisheiten“, die dem Protagonisten bewusst werden, fand ich sehr schön und weise, andere wirkten auf mich zu klischeehaft – ich hatte sie schon viel zu oft gehört. Der Humor hat nicht immer meinen Geschack getroffen, aber da kann man eben nichts machen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„Und mit dem Mobiltelefon hatten wir zugleich auch die Panik erfunden, mal keines zur Hand zu haben.“ Seite 43

Als ich dieses Buch entdeckt habe, war ich sofort Feuer und Flamme für die kreative, neuartige Idee. Ich erwartete eine tiefgründige Geschichte mit tiefschürfenden Reflexionen und philosophischen Fragestellungen. Leider hat mich das Buch deshalb ein wenig enttäuscht. Meiner Meinung nach wurde nämlich viel Potential verschenkt – die Geschichte hätte großartig und sehr erinnerungswürdig werden können. Stattdessen fehlte mir besonders in der ersten Hälfte Tiefe. Themen wie die Liebe zur Katze, Tod, Vergänglichkeit und vor allem die Veränderungen, die das Verschwinden von essentiellen Dingen mit sich bringen (darüber wollte ich viel mehr erfahren, deshalb habe ich das Buch ja überhaupt erst gelesen!), werden leider viel zu oberflächlich abgehandelt. Der Roman ist kurz, das gebe ich zu, aber ich habe schon ähnlich dünne Bücher gelesen, die mich nachhaltig berühren und zum Nachdenken anregen konnten. Das sollte also keine Ausrede sein – hier hätte sich der Autor einfach mehr Seiten nehmen sollen, um die Geschichte ordentlich zu entwickeln. Dazu kommen einige inhaltliche Wiederholungen – manchmal scheint die Geschichte nicht so recht vom Fleck zu kommen.

Zwei Dinge fand ich zudem etwas unglaubwürdig (und ich schreibe das mit einem Augenzwinkern): Erstens kann ich nicht verstehen, dass der Protagonist es schlimm findet, dass die geliebte Katze auf einmal sprechen kann. Wir KatzenlieberInnen wünschen uns doch seit Ewigkeiten, nur einmal hören zu können, was im Kopf des kleinen Lieblings vorgeht! Und zweitens: Die Katze behauptet, dass ihre Art neben Telefonen absolut bedeutungslos ist und dass ihr Verschwinden kein Verlust für die Welt wäre. Welche Katze würde je so reden? Katzenpersonal weiß, dass Katzen so etwas niemals sagen würden, dafür sind sie viel zu stolz und von sich überzeugt! Sie würden eher argumentieren, dass ruhig alles andere verschwinden kann, solange sie – die Krone der Schöpfung – noch auf Erden wandeln dürfen. ;)

Erstaunlicherweise wurde das Buch mit jeder Seite besser. Nach und nach erfährt man mehr über die Hauptfigur und deren Trauer um die geliebte Mutter, an der sie immer noch zu knabbern hat. Im letzten Teil habe ich richtig mitgefiebert, und nach dem offenen, aber gelungenen Ende habe ich gemerkt, dass mich das Buch mehr berührt hat, als ich das zu Beginn erwartet hätte.

Protagonist (+)

Ich fand den Protagonisten, dessen Namen wir übrigens nie erfahren, zwar nicht unbedingt sehr erinnerungswürdig, aber doch insgesamt gut gelungen und sympathisch, auch wenn ich ihn insgeheim während der Lektüre immer ein bisschen bemitleidet habe. Keine Frau, keine Kinder, keinen Kontakt mit dem Vater, keine engen Freunde, fast keine verwirklichten Träume – sein Leben klingt einfach so traurig! Seine Trauer und seine Gefühle seiner Mutter gegenüber fand ich sehr berührend und intensiv geschildert. Was ihn selbst und seine gegenwärtige Situation betrifft, hätte ich mir jedoch manchmal gewünscht, dass sein Innenleben detaillierter beschrieben wird.

Figuren (+/-)

Die anderen Figuren fand ich mittelmäßig ausgearbeitet, besonders da sie alle nur ganz kleine Rollen in der Geschichte spielen. Manche waren sehr gelungen, greifbar und sympathisch, andere blieben blass und erschienen nicht besonders liebenswert.

Spannung & Atmosphäre (+/-)

In der ersten Hälfte gab es trotz der kurzen, etwas vorhersehbaren Geschichte ein paar Längen. Wahrscheinlich, weil ich mir einfach mehr erwartet hatte und weil mich oberflächliche Geschichten schnell langweilen. Wenn ich lese, möchte ich mitgerissen, emotional berührt, unterhalten und zum Nachdenken gebracht werden – das ist dem Buch leider nur teilweise gelungen. Trotz allem war die Atmosphäre vor allem in der zweiten Hälfte erstaunlich deprimierend – das Buch hat mich echt ein bisschen runtergezogen. Dabei habe ich eigentlich mit einer positiven, herzerwärmenden und lebensbejahenden Geschichte gerechnet.

Feministischer Blickwinkel (-)

Die traditionellen Geschlechterrollen in der Familie des Briefträgers haben mich nicht gerade begeistert: Die Frau kocht gern und hält alles sauber, muss trotz ihrer Krankheit die Hausarbeit erledigen, bis sie zu schwach ist (nicht einmal dann fällt dem werten Gemahl ein, ihr zu helfen!?), ist emotional und liebevoll, kauft immer nur Kleidung fürs Kind, nie für sich selbst; einmal fragt sich der Sohn sogar, ob sie Hobbys hat oder mal Zeit für sich. Klingt ein bisschen nach weiblicher Selbstaufgabe in meinen Ohren! Der Vater ist natürlich kühl und zeigt kaum Emotionen. Eine Frau kritisiert zudem alles Mögliche als „unmännlich“, manches Mal findet sich auch die Formulierung „alle Frauen / alle Mütter“, was mir zu stereotypisierend war.

Aber es gibt auch Dinge, die ich loben möchte: Der Briefträger ist sensibel und darf weinen, und die ehemalige Freundin des Protagonisten wirkt sehr selbstbewusst – unsympathisch zwar, aber immerhin selbstbewusst.

Mein Fazit

„Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden“ ist ein Buch, von dem ich mir zum einen eine herzerwärmende, tiefgründige Geschichte mit philosophischen Reflexionen erwartet habe und zum anderen, dass es mich berührt und mich zum Nachdenken anregt. Das hat das Buch leider nur zum Teil und hauptsächlich in der zweiten Hälfte geschafft. Für die kreative, neuartige Idee war ich sofort Feuer und Flamme, leider wurde jedoch viel Potential verschenkt. Vor allem in der ersten Hälfte fehlte mir bei Themen wie Tod, Vergänglichkeit und den Veränderungen, die das Verschwinden von essentiellen Dingen mit sich bringt (deshalb habe ich das Buch ja überhaupt erst gelesen!), Tiefe. Hier hätte sich der Autor einfach mehr Zeit nehmen sollen, um die Geschichte ordentlich zu entwickeln. Dazu kommen einige inhaltliche Wiederholungen – manchmal scheint die Geschichte nicht so recht vom Fleck zu kommen. Der Einstieg ist mir leicht gefallen, der Schreibstil ist auf den ersten Blick einfach, locker und schnell und angenehm lesbar. Schon bald merkt man jedoch, dass er oft sehr dialoglastig ist und dass häufig Tiefe und anschauliche Beschreibungen fehlen. Manche der „Lebensweisheiten“ fand ich sehr schön und weise, andere wirkten auf mich zu klischeehaft – ich hatte sie schon viel zu oft gehört. Der Humor hat leider auch nicht immer meinen Geschmack getroffen. Ich fand den Protagonisten zwar nicht unbedingt sehr erinnerungswürdig, aber doch insgesamt gut gelungen und sympathisch, auch wenn ich ihn insgeheim während der Lektüre aufgrund seines traurigen Lebens bemitleidet habe. Die anderen Figuren sind verschieden gut gelungen: Manche überzeugen, andere bleiben blass. Nicht so gut gefallen haben mir die sehr traditionellen Geschlechterrollen in der Familie des Protagonisten. Zwischendurch gab es trotz der kurzen, etwas vorhersehbaren Geschichte ein paar Längen. Wahrscheinlich, weil ich mir einfach mehr erwartet hatte und weil mich oberflächliche Geschichten schnell langweilen. Trotz allem war das Buch überraschend deprimierend – ich hätte mit einer positiveren Atmosphäre gerechnet. Erstaunlicherweise wurde die Geschichte aber mit jeder Seite besser. Nach und nach erfährt man mehr über die Hauptfigur und deren intensive Trauer um die geliebte Mutter, an der sie immer noch zu knabbern hat. Im letzten Teil habe ich richtig mitgefiebert, und nach dem offenen, aber gelungenen Ende habe ich gemerkt, dass mich das Buch mehr berührt hat, als ich das zu Beginn erwartet hätte. Insgesamt ist „Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden“ durchaus ein nettes Buch für zwischendurch, ich habe mir trotzdem mehr davon erhofft.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonist: 4 Sterne
Figuren: 3 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Atmosphäre: 3,5 Sterne
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3-4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: -

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt dreieinhalb Lilien!