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Sidny

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Veröffentlicht am 15.09.2016

"Ehrbare Männer sterben für meinen Geschmack viel zu schnell. Zweifellos gibt es deshalb so wenige."

Das Teufelsloch
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London, 1727: Tom Hawkins ist ein Gentleman und Lebemann, mit einem verhängnisvollen Hang zu Alkohol, Glücksspiel und leichten Mädchen. Den vorgezeichneten Weg der Familientradition - eine Laufbahn als ...

London, 1727: Tom Hawkins ist ein Gentleman und Lebemann, mit einem verhängnisvollen Hang zu Alkohol, Glücksspiel und leichten Mädchen. Den vorgezeichneten Weg der Familientradition - eine Laufbahn als Landpfarrer - hat er mit Freude ausgeschlagen, schien das Leben in London doch um so vieles verlockender. Doch nun sitzen ihm seine Gläubiger im Nacken und fordern ihr Geld. Sollte er nicht binnen eines Tages die Hälfte seiner Verbindlichkeiten begleichen können, werden die Büttel ihn ins Schuldgefängnis Marshalsea werfen.
Nach einer durchzechten Nacht mit noch mehr geliehenem Geld am Spieltisch ist es geschafft, und Tom hat die benötigte Summe eigentlich in seinem Beutel. Doch leider geht sein Plan dennoch nicht auf, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Er landet im Schuldgefängnis und erbt die Pritsche eines Mannes, der sich angeblich das Leben genommen hat - allerdings glaubt kaum jemand an diese Theorie...


"Das Teufelsloch" ist ein historischer Thriller, der von der ersten Seite an Sogwirkung entfaltet. Sofort ist man mittendrin im London des frühen 18. Jahrhunderts - überfüllte Straßen, halbseidene Spelunken und mit Perücken ausgestatte "Gentlemen", die diese Bezeichnung sehr oft nicht verdienen. Und dann der krasse Gegensatz zu dieser Opulenz und Lebensfreude: das berüchtigte Schuldgefängnis Marshalsea, wo hauptsächlich Leute festgesetzt werden, die ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können. Die bedrückende Enge der hohen, düsteren Gefängnismauern wird beinahe greifbar.

Die Details des damaligen Strafvollzuges erscheinen heute geradezu absurd. Vor allem, dass selbst innerhalb eines Gefängnisses die englische Klassengesellschaft aufrecht erhalten wird. Für Reiche und Vermögende gibt es die kostspielige "Master Side", wo man sich alle nur denkbaren Annehmlichkeiten kaufen kann, falls man sie sich leisten kann. Allerdings muss man auch die "Dienstleistungen" des Marshalsea teuer bezahlen: Für die Zelle wird Miete fällig und für ihre Verpflegung haben die Häftlinge selbst aufzukommen.
Fehlen die Mittel für die bessere Unterbringung, folgt unweigerlich die Verlegung auf die "Common Side": Hinter einer weiteren hohen Mauer, auf der anderen Seite des Gefängnishofes, werden all diejenigen untergebracht, die wirklich nichts mehr in die Waagschale werfen können. Die Commons hungern, leben in grauenerregenden hygienischen Zuständen, werden unweigerlich krank und sterben. Verständlich, dass die privilegierten Insassen um jeden Preis verhindern wollen, dorthin verlegt zu werden. Sie sind daher gerne bereit, auch noch den letzten Penny für ihre Vergünstigungen auf der Master Side zu opfern - ein Schuldgefängnis war demnach ein äußerst profitables Wirtschaftsunternehmen.
In einem ausführlichen Vor- und Nachwort geht Antonia Hodgson auf die Quellen ihrer Recherche ein, wobei vor allem die Aufzeichnungen eines in Marshalsea Inhaftierten wertvolle Informationen über den Alltag, die Verwaltung und die Haftbedingungen dieses berüchtigten Gefängnisses geliefert haben. Die damaligen Gegebenheiten sind also sehr akkurat wiedergegeben, zusätzlich dazu findet man im Anhang auch noch eine Liste der historischen Figuren des Romans, sowie ein äußerst aufschlussreiches Glossar.

Auch die Thriller-Handlung ließ bei mir keine Wünsche offen - die Mordermittlungen, in die Tom wider Willen verstrickt wird, bieten dem Leser reichlich Nervenkitzel in rasantem Tempo, und außerdem die Gelegenheit, die vielen anderen Insassen (teils historisch, teils fiktiv) näher kennenzulernen. Mein persönlicher Hauptverdächtiger wechselte zwar regelmäßig von Kapitel zu Kapitel, aber dennoch haben mich die Auflösung und die Hintergründe am Ende völlig überrascht. Daher warte ich natürlich schon jetzt sehnsüchtig auf den nächsten Band "Der Galgenvogel" - leider muss ich mich noch bis zum 03. November 2016 gedulden, erst dann kann ich mich wieder mit Tom Hawkins ins Londoner Getümmel stürzen.

Wer wie ich ein Faible für historische Stoffe, und noch dazu eins für England im Allgemeinen und London im Speziellen hat, kann mit diesem Buch definitiv nichts falsch machen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

It's the eye of the tiger, it's the thrill of the fight.

Wir waren keine Helden
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Anfang der 80er, am Arsch der Welt: Die junge Candy, ein unsicheres Pubertier (diese Wortneuschöpfung direkt aus dem Buch musste ich einfach leihen), lebt in der süddeutschen Provinz. Als Zugezogene hat ...

Anfang der 80er, am Arsch der Welt: Die junge Candy, ein unsicheres Pubertier (diese Wortneuschöpfung direkt aus dem Buch musste ich einfach leihen), lebt in der süddeutschen Provinz. Als Zugezogene hat sie sich zwar in die Dorfjungend integriert, aber trotzdem ist das Dorfleben nur die Warteschleife. Warten auf etwas größeres. Die große, weite Welt vielleicht, alles ist möglich. Den ersten Vorgeschmack auf das Leben später bekommt sie, als ihr eines Tages an der Bushaltestelle Pete vor die Füße fällt. Älter, weiser, unendlich cool, ein Rebell. Er nennt sie Sugar, und es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die bis in die Gegenwart bestehen soll.

Candy Bukowski hat ein großartiges Buch geschrieben. Über das Leben, das Lieben, das Festhalten, das Loslassen. Über das kleine Glück und die richtigen Kerle zur falschen Zeit. Oder die falschen Kerle, für die logischerweise auch immer die falsche Zeit ist, man merkt es nur einfach nicht gleich. Wortgewaltig, in Bilderstürmen, gerne auch poetisch, aber auf jeden Fall immer auf den Punkt, widmet sie sich den Themen des Lebens, die am Ende des Tages zählen: Freundschaften, Liebschaften, Jungsein, Erwachsenwerden, Verantwortung übernehmen und trotzdem Träume leben und sich dabei auch noch selbst treu bleiben. Nicht in der Tretmühle steckenbleiben und sich irgendwann fragen müssen, wo denn das ganze verdammte Leben geblieben ist.

Das Buch besteht aus vielen einzelnen Episoden in Sugars Leben, von 1982 bis 2015 darf der Leser Einblick nehmen in die wichtigen Schlüsselszenen, die sie wie Schlaglichter aufblitzen lässt. Jeder, der um die vierzig ist, wird sich wiedererkennen, und seine eigenen sepiafarbenen Erinnerungen mal wieder hervorkramen und liebevoll betrachten. Mir zumindest erging es so. Ich erinnerte mich daran, wie geil es ist, siebzehn zu sein: das ganze Leben liegt vor dir, und du kannst alles machen, alles schaffen. Noch nicht gleich, du hast ja noch alle Zeit der Welt, aber später dann auf jeden Fall. Und irgendwann der Tag, wo dir klar wird: Irgendwann in den letzten Jahren hast du den Punkt überschritten, von dem unendlichen Leben hast du schon ganz schön viel verbraucht, jetzt wird es eng. Noch nicht so eng, dass gar nichts mehr geht, aber der ein oder andere Zug hat den Bahnhof definitiv schon in Richtung "Auf Nimmerwiedersehen" verlassen.
Trotzdem glaube ich nicht, dass dieses Buch nur die mittelalten Knacker, in den 80ern gerne auch Grufties genannt, anspricht, denn manches im Leben ist einfach universell. Das haben schon unsere Urgroßeltern erlebt, und in 250 Jahren werden die Menschen immer noch ihre Jugend verschwenden, die falschen Menschen lieben oder die richtigen Menschen verlieren.

Ich hab es sehr genossen, nochmal zurückzureisen. Ich habe gelacht, geheult (ohne Witz!), mitgelitten und mitgelebt. Ich habe die höchste Hochachtung davor, wenn ein Autor den Mut aufbringt, so viel von sich selbst preiszugeben, dem Leser hoffnungsvoll hinzuwerfen in dem Wissen, dass man gewaltig auf die Schnauze bekommen kann. Man weiß beim Lesen aus irgendeinem Grund, dass Candy Bukowski die Karten auf den Tisch legt, nichts schönt oder besser darstellt - dass die Geschichte authentisch ist. Sonst würde sie nicht funktionieren.
Und ich muss zugeben, ich bin auch ein wenig neidisch. Wenn ein Autor so gut mit Worten umgehen kann, das Leben in wenigen Sätzen sezieren und wieder zusammensetzen kann, da muss man als Normalo einfach mal ein bisschen neidisch sein. Man könnte an dieser Stelle tonnenweise Stellen aus dem Buch finden und als kleinen Vorgeschmack zitieren, ich hab mich mal für diese Stelle entschieden:
"Das Leben lehrt Akzeptanz. Den wilden, den wahren, den bösen und den ganz banalen Dingen gegenüber. Dass du das Spiel nicht gewinnen, sondern nur einfach so lange wie möglich nach deinen eigenen Regeln beeinflussen kannst, diese Einsicht gehört witzigerweise zum Banalen. Und trifft dennoch wie ein Donnerschlag."

"Wir waren keine Helden" ist für mich wirklich ein Überraschungsvolltreffer auf meiner Leseliste gewesen, ein Buch, das man immer wieder lesen kann. Und noch dazu eines, das beim nächsten Mal wahrscheinlich sogar noch besser wird.
Ich hoffe wirklich sehr, dass ich von Candy Bukowski noch einigen Lesestoff in die Finger bekomme. Die Wartezeit bis dahin werde ich mal mit ihrem Blog (den mir die Internetrecherche freundlicherweise ausgespuckt hat) überbrücken: Der Name "Bitte ein Herrengedeck! oder: "Wie? Du bläst beim ersten Mal?"" hat mir schon das erste Schmunzeln ins Gesicht gezaubert. Zusammen mit zwei anderen Bloggerinnen schreibt sie auch dort sehr ansprechende Episoden, Anekdoten und treffsichere Situationsanalysen, die nicht nur ein netter Zeitvertreib sind, sondern durchaus tiefer gehen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Rahoteps zweiter Fall

Tutanchamun - Das Buch der Schatten
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Theben, im 10. Regierungsjahr von Tutanchamun: Seit Rahoteps Einsatz in Achet-Aton sind etwa 15 Jahre vergangen und die Zeiten haben sich wieder einmal extrem geändert. Nofretete und Echnaton sind tot, ...

Theben, im 10. Regierungsjahr von Tutanchamun: Seit Rahoteps Einsatz in Achet-Aton sind etwa 15 Jahre vergangen und die Zeiten haben sich wieder einmal extrem geändert. Nofretete und Echnaton sind tot, ihnen nachgefolgt auf den Thron sind Tutanchamun und Anchesenamun. Da Tutanchamun noch ein Kind war, als Echnaton gestorben ist, hat Eje die Aufgabe des Regenten übernommen, Haremhab den Oberbefehl über das ägyptische Heer. Obwohl Tutanchamun inzwischen zu einem jungen Mann herangewachsen und offiziell Ägyptens Pharao ist, ist es ihm bisher noch nicht gelungen auch die tatsächliche Herrschaft an sich zu bringen.
Rahotep wurde gerade zu einem besonders brutalen Tatort gerufen, wo ein junger, verkrüppelter Mann grausam verstümmelt und ermordet wurde, als ihn ein Bote aus dem Palast erreicht. Der Bote soll Rahotep zu einer wichtigen Persönlichkeit bringen, deren Namen er nicht nennen kann. Ein Angebot, das man kaum ablehnen kann, und kurze Zeit später steht Rahotep der jungen Königin gegenüber. Ihre Mutter Nofretete hatte ihr geraten, Rahotep zu rufen, sollte sie jemals Hilfe benötigen. Und im Palast gehen seltsame Dinge vor, beängstigende Dinge, die das Leben des jungen Herrscherpaars bedrohen. Wieder ist Rahotep sofort Feuer und Flamme für diesen Fall, und beginnt seine Ermittlungen auf gefährlichem Terrain...

Dieser historische Krimi, der zweite Einsatz für den Wahrheitssucher Rahotep, hat mich wieder von der ersten Seite an gefesselt. Alle Vorzüge des ersten Teils findet man auch hier wieder:
Nick Drake beschreibt das alte Ägypten sehr detailliert, sowohl seinen Hauptschauplatz Theben und Rahoteps recht einfachen, normalen Alltag, wie auch das prunkvolle Leben im königlichen Palast lässt er vor dem Auge des Lesers lebendig werden.
Man trifft "alte Bekannte" wieder, allen voran natürlich den Protagonisten Rahotep und seine Familie, seinen Kollegen Kheti, und natürlich Eje und Haremhab. Wie auch schon im ersten Band verhalten sich die Figuren glaubwürdig und Nick Drake entwirft ein Bild der damaligen Situation, bei dem man sich als Leser denkt: Ja, so könnte das tatsächlich gelaufen sein.
Die Handlungsdetails rund um den jungen Pharao Tutanchamun entsprechen tatsächlich den aktuellen Forschungsergebnissen, was mir sehr gut gefallen hat.
Der Autor geht auch den interessanten historischen Fragen auf den Grund, wie beispielsweise: Warum ist der Aton-Kult nach Echnatons Tod sofort verschwunden? Warum wurden wieder die alten Götter verehrt und die neue Religion verboten? Warum ging dieses kollektive Vergessen so weit, dass Tutanchamun und Anchesenamun sogar ihre Namen ändern mussten?
All das verpackt Nick Drake wieder in die frische, moderne Sprache, die den meisten Lesern schon im Vorgänger (mal positiv, mal negativ) aufgefallen ist.

Sehr schön fand ich, dass diesmal auch eine Karte mit den wichtigsten ägyptischen Städten und den umliegenden Ländern angefügt wurde. Das half enorm bei der Orientierung, da nicht die komplette Handlung in Theben spielt.
Ein ausführliches Nachwort des Autors, in dem er nochmal auf die nachgewiesenen geschichtlichen Fakten eingeht, rundete dieses Buch ab.

Im Großen und Ganzen hat mir dieser zweite Band der Trilogie einen kleinen Tick besser gefallen als der erste. Zum einen war der Kriminalfall sehr spannend und gut konstruiert, und zum anderen ist Tutanchamun einfach der Pharao, den die meisten ungelösten Rätsel umgeben. Und das, obwohl sein Grab unversehrt geblieben ist, und damit mehr Aufschluss über ihn und seine Epoche lieferte als alle anderen Grabstellen im Tal der Könige.

Ich denke, dass man Tutanchamun - Das Buch der Schatten gut auch einzeln lesen kann, die Ereignisse aus dem Vorgängerband werden nochmal angerissen, wenn es notwendig ist. Trotzdem würde ich den ersten Band auch allen Ägyptenfans ans Herz legen, einfach weil er ebenfalls sehr interessant ist, und man bei beiden Büchern merkt, wie genau Nick Drake sich mit der historischen Epoche und den Personen befasst hat.


Band 1: Nofretete - Das Buch der Toten
Band 3: Anchesenamun - Das Buch des Chaos (erscheint am 14.07.2016)

Veröffentlicht am 15.09.2016

Rahotep ermittelt!

Nofretete - Das Buch der Toten
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Ägypten, im 12. Regierungsjahr von Echnaton: Der Medjai und Wahrheitssucher Rahotep wird von Theben in die neue Hauptstadt Achet-Aton geschickt, er soll dort in einem heiklen Fall ermitteln. Mehr erfährt ...

Ägypten, im 12. Regierungsjahr von Echnaton: Der Medjai und Wahrheitssucher Rahotep wird von Theben in die neue Hauptstadt Achet-Aton geschickt, er soll dort in einem heiklen Fall ermitteln. Mehr erfährt Rahotep nicht von seinem Vorgesetzten, nicht, wer ihn angefordert hat und warum überhaupt ein Medjai aus einer anderen Stadt angefordert wird, wo es doch in Echnatons neuer Hauptstadt jede Menge Behörden, Beamte und natürlich auch eine Einheit der Medjai, der ägyptischen Behörde für Verbrechensaufklärung, gibt.
Als er die kurze Reise über den Nil hinter sich gebracht und in der prächtigen Hauptstadt eingetroffen ist, sieht er sich gleich mit mehreren Problemen konfrontiert: Echnaton persönlich hat nach ihm verlangt, und es geht um einen Vermisstenfall. Echnatons Frau Nofretete ist spurlos verschwunden. Eine Katastrophe, weil die großen Einweihungsfeierlichkeiten für Achet-Aton vor der Tür stehen und alle in- und ausländischen Würdenträger bereits auf dem Weg in die Stadt sind. Echnaton ist in großer Sorge um seine Ehefrau und hat alle vorstellbaren Schreckensszenarien von Entführung bis Mord bereits im Geiste durchgespielt. Wegen der Staatsbesuche sollte Nofretetes Abwesenheit geheim gehalten werden, aber wie das so ist, sickern die Gerüchte bereits durch alle Palastmauern und ihr Verschwinden ist längst Stadtgespräch. Auf Unterstützung durch die ortsansässigen Kollegen kann Rahotep nicht hoffen, denn sie fühlen sich durch die Anwesenheit des fremden Wahrheitssuchers vor den Kopf gestoßen. Sollte es ihm nicht gelingen, Nofretete innerhalb von nur zehn Tagen zu finden und zurückzubringen, sind Leib und Leben seiner ganzen Familie in Gefahr...

Ich war von diesem Buch begeistert und konnte problemlos in die Geschichte rund um Rahotep und die bekannte königliche Familie eintauchen. Die legendäre Stadt Achet-Aton hat Nick Drake für den Leser in aller Pracht auferstehen lassen, detailliert beschreibt er, wie sie angelegt wurde, wie die Straßenzüge und Gebäude aussahen, in welchen Palästen der Pharao mit seiner Familie residierte.
Auch die Details des täglichen Lebens kommen nicht zu kurz, man erfährt so einiges über Essen und Trinken, Kleidung, Alltagsgegenstände oder auch Waffen und Streitwagen.
Der Autor hat die Epoche seiner Handlung für mich gut an den Leser weitervermittelt: Die Armana-Zeit ist ja sowohl in der Religion, als auch in den künstlerischen Disziplinen trotz ihrer Kürze ein bemerkenswerter Abschnitt der ägyptischen Antike. Es wird einiges über die Hintergründe von Echnatons Reform, die sich auf nahezu alle Lebensbereiche auswirkte, in die Handlung eingeflochten, und ebenso, welche Auswirkungen die neue Religion mit all ihren Begleiterscheinungen für die verschiedenen Bevölkerungsschichten hatte.

Auch die Charaktere sind meiner Meinung nach gut gelungen: Rahotep ist ein Protagonist nach meinem Geschmack. Man tritt gerne in seine Fußstapfen, er ist kein Überheld, dem alles zufliegt, aber auch kein Antiheld. Die Dinge geht er grundsätzlich mit einer gesunden Portion Sarkasmus an, und wie es sich für einen ordentlichen Ermittler gehört, sieht er scharfsinnig hinter die Kulissen - nicht nur was seinen Fall angeht, sondern auch bei gesellschaftlichen, politischen und religiösen Fragen.
Auch das weitere Personal ist gut gelungen, die bekannten historischen Figuren wie Echnaton, Eje, Teje und die königlichen Töchter sind glaubwürdig gezeichnet. Die fiktionalen Charaktere der niedrigeren Gesellschaftsschichten, auf die Rahotep im Lauf der Handlung trifft, fügen sich ebenso stimmig in die Geschichte ein.

Nicht ganz so glücklich bin ich über das gewählte Cover, die Pyramiden haben ja leider gar nichts mit der Armana-Zeit zu tun, da hätte man wohl auch was passenderes finden können. Die berühmte Büste der Nofretete hätte sich zum Beispiel förmlich aufgedrängt. Dafür finde ich die Farbkomposition und den Kontrast aus Licht und Schatten sehr hübsch.

Wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe, stöbere ich sehr gerne in Rezensionen, weil es mich immer sehr interessiert, welchen Eindruck andere Leser zu dem Titel haben. Dabei bin ich im Großen und Ganzen auf zwei Hauptkritikpunkte gestoßen. Viele Leser haben sich an der zu modernen Sprache des Autors gestört, und konnten sich aus dem Grund nicht in die Geschichte und die beschriebene Zeit versenken. Mich hat es nicht gestört, wenn mal die Rede von forensischen Beweisen oder Bibliotheken war, allerdings mag ich es auch bei historischen Romanen gar nicht, wenn die Autoren einen - für meinen Geschmack dann oft gekünstelt wirkenden - stark altertümlichen Sprachstil verwenden. Das empfinde ich schnell als übertrieben. Die teilweise recht flappsigen Schlagabtäusche in der direkten Rede fand ich auch passend, denn auch die alten Ägypter werden sich einer Alltagssprache bedient haben, in der Witze gerissen oder kleinere Reibereien ausgetragen wurden. Da aber ohnehin niemand weiß, wie sich das angehört hat, oder welche Redewendungen dafür benutzt wurden, gefällt es mir persönlich besser, wenn da "Idiot" steht statt beispielsweise "schakalköpfiger Sohn eines Esels". "Schakalköpfig" könnte damals ja auch ein Kompliment gewesen sein .
Der zweite Kritikpunkt war der "Indiana-Jones-Effekt": Die Geschichte wäre auch ohne Rahoteps Eingreifen zu dem genau gleichen Ende gelangt. Ist mir beim Lesen gar nicht aufgefallen, aber in der Retrospektive muss ich da zustimmen, es ist tatsächlich so. Allerdings hat das dem Lesespaß keinen Abbruch getan, und ich hab jede Seite genossen.
Wer sich also an einem der beiden Dinge (oder auch an beiden) massiv stört, sollte vielleicht besser zu einem anderen Buch greifen.

Ansonsten kann ich für alle Fans des alten Ägypten und auch für Freunde einer spannenden Krimihandlung eine klare Leseempfehlung aussprechen: ihr bekommt hier einen packenden historischen Krimi mit vielen interessanten Hintergrunddetails, der sich gut für sich alleine Lesen lässt. Aber für alle, die Rahotep unbedingt weiter ermitteln sehen wollen, ist der zweite Band der Trilogie bereits erhältlich, und der dritte erscheint schon im Juli - bei Bedarf ist also für Nachschub gesorgt.

Band 2: Tutanchamun - Das Buch der Schatten
Band 3: Anchesenamun - Das Buch des Chaos (erscheint am 14.07.2016)

Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannender Tudor-Krimi

Im Schatten der Königin
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England, September 1560: Die junge Adlige Amy Robsart wird tot am Fuß einer Treppe aufgefunden. Das Pikante daran: sie ist die ungeliebte Ehefrau von Königin Elizabeths Günstling Robert Dudley.
Das ganze ...

England, September 1560: Die junge Adlige Amy Robsart wird tot am Fuß einer Treppe aufgefunden. Das Pikante daran: sie ist die ungeliebte Ehefrau von Königin Elizabeths Günstling Robert Dudley.
Das ganze Reich fragt sich, ob Robert sich ihrer entledigt hat, ob es sich um einen Unfall oder gar um Selbstmord handelt.
Von der Antwort auf diese Frage hängt für Robert Dudley einiges ab - sein engster Vertrauter Tom Blount muss für ihn alles über Amys Ende in Erfahrung bringen.

Amy Robsart führte ein Schattendasein, daher weiß man heute nur sehr wenig über sie. Obwohl ihre Ehe mit Robert Dudley wohl einst eine Liebesheirat war, sind seine Gefühle für sie erloschen seit Elizabeth Tudor Königin von England wurde. Er ist einer der engsten Vertrauten der Königin, ihnen wird ein Liebesverhältnis nachgesagt und die einzige, die einer Verbindung der beiden im Weg steht, ist Amy Robsart.
Roberts Trauer um seine Gemahlin hält sich also in Grenzen, aber sollte ein Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass Amy ermordet wurde, wäre sein kometenhafter Aufstieg am Hof mit einem Schlag zunichte gemacht.

Es gelingt der Autorin, ein facettenreiches Bild ihrer Hauptperson zu zeichnen (und das obwohl Amy bereits auf den ersten Seiten zu Tode kommt).
Sie lässt zwei echte historische Figuren die Einzelheiten über Amys Treppensturz herausfinden und beleuchtet so geschickt die unterschiedlichen Perspektiven John Dudleys und Elizabeths. Auf Dudleys Seite ermittelt sein getreuer Cousin Tom Blount direkt vor Ort in Cumnor und Elizabeths erste Hofdame und ehemalige Gouvernante Kat Ashley schildert parallel dazu in Zwischenspielen die Geschehnisse am Hof.

Tanja Kinkel hat hier einerseits ein Denkmal für eine junge Frau geschaffen, die von ihrem Mann wie ein abgelegtes Kleidungsstück mal hierhin und mal dorthin geschoben wurde - wäre sie nicht so tragisch ums Leben gekommen, würde sich heute wohl niemand mehr an sie erinnern.
Andererseits hat sie ihrer Leserschaft aber auch einen sehr spannenden historischen Krimi geliefert, in dem wohl alle bekannten Details über Amys Ende zusammengetragen und am Schluß eine durchaus mögliche Auflösung geboten wird.

Tanja Kinkel ist für mich eine Meisterin des historischen Romans, die ihre Leser schon durch verschiedenste Epochen begleitet hat - aber mit diesem Besuch in England zur Tudor-Zeit hat sie mich besonders begeistert. Auch wenn man als Freund historischer Stoffe im Moment vielleicht manchmal das Gefühl hat, mit Tudor-Romanen überschüttet zu werden, würde ich mir trotzdem mehr solcher Bücher von Tanja Kinkel wünschen.