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Veröffentlicht am 02.09.2021

Ein ganz besonderes und sehr persönliches Kochbuch aus Siebenbürgen

Am Herd meiner Oma
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Dieses ganz besondere und auch sehr persönliche Kochbuch von Rainer Klutsch (vielen bekannt auch aus dem TV) stellt Rezepte seiner Familie vor; insbesondere seiner Oma Edith, die in hohem Alter 2019 verstarb. ...

Dieses ganz besondere und auch sehr persönliche Kochbuch von Rainer Klutsch (vielen bekannt auch aus dem TV) stellt Rezepte seiner Familie vor; insbesondere seiner Oma Edith, die in hohem Alter 2019 verstarb. Erschienen ist es (HC, gebunden) 2021 im Verlag arsvivendi.

Das Buch enthält ausser vielen einfachen, aber sehr leckeren Rezepten von Oma Edith einige stimmungsvolle und wunderbare Fotos der Region Siebenbürgen, des heutigen Rumäniens und auch Familienfotos des Autors. Für die fotografische Arbeit zeichnet Stephanie Trenz und gibt diesem Kochbuch damit nochmals eine Aufwertung fürs Auge.

In den 70er Jahren flüchtete Oma Edith mit ihrer Familie wie viele andere, da das Leben für deutsche Siedler im kommunistischen Rumänien nicht sehr einfach war. Rainer Klutsch war jedoch mit seinen Brüdern in den Ferien oft in Siebenbürgen und entwickelte so bereits früh eine Liebe "für das einfache und doch besondere Essen", das geprägt war von Lebensmitteln, die im Laufe des Jahreszyklus eben zur Verfügung standen (incl. Eingemachtes im Winter), da es Supermärkte nicht gab.

So kochte Oma Edith mit Liebe und viel Zeit einfache, aber sehr leckere Gerichte und es ist ein Herzensanliegen des Autors, dass die Rezepte seiner Großmutter (die ebenso wie einige Traditionen und Brauchtümer dieser Region im Buch persönlich vorgestellt wird) weitergegeben werden. Dies ist ihm mit Bravour gelungen, wie ich finde.
Ich habe zwar selbst keine Vorfahren, die aus Siebenbürgen stammen, aber auch mag die einfache, einfallsreiche und besondere Küche sehr, die exotische Gewürze oder Zutaten, die man nicht eben um die Ecke beim Händler bekommt, verlangen. Daher erhält dieses wirklich tolle Kochbuch einen Ehrenplatz in meinem Kochbuchregal.

Die Gliederung des Buches ist ebenfalls überzeugend; auf Vorwort und einen Einblick in die siebenbürgisch-sächsische Speisekammer (Hauptzutaten) folgen tolle und wirklich leicht nachzukochende Rezepte der 4 Jahreszeiten:

Einige unserer bisherigen Favoriten sind z.B.
- Gefüllte Paprika
- Hähnchenpaprikasch
- Kümmelsuppe
- Eiersalat und Bratkartoffeln
- Hanklich (Aprikosenkuchen)

Herzhaftes wie auch Süßes (z.B. Palukes, ein Maisbrei, der mit Milch gegessen wird) sind in diesem wundervollen Kochbuch gleichermaßen zu finden und ich freue mich besonders auf die Umsetzung des "Krautwickel" Rezepts auf Siebenbürger Art und die Buchteln - typische Herbstgerichte, die wir sehr mögen!

Ein Register am Buchende sorgt für ein schnelles Finden des jeweils gesuchten Rezepts und ein letztes Familienfoto schließt dieses sehr persönliche - und für mich ganz besondere - Kochbuch von Oma Ediths Rezepten ab. Ich bin sicher, sie hätte sich über dieses Buch sehr gefreut und gebe eine absolute Lese- und Nachkoch- bzw. backempfehlung mit Bestwertung! 5*

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Veröffentlicht am 02.09.2021

3 Frauen verschiedener Generationen auf 1 Hof - Selbstverwirklichung vs. Erwartungshaltungen

Wildtriebe
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"Wildtriebe" von Ute Mank erschien (HC, geb.,2021) im dtv-Verlag und entführt den Leser auf den "Bethches-Hof" in Hessen, den die im Roman alt gewordene Großbäuerin Lisbeth Ende des 2. Weltkrieges erbte, ...

"Wildtriebe" von Ute Mank erschien (HC, geb.,2021) im dtv-Verlag und entführt den Leser auf den "Bethches-Hof" in Hessen, den die im Roman alt gewordene Großbäuerin Lisbeth Ende des 2. Weltkrieges erbte, da ihre Brüder gefallen waren. In die Rolle der Bauersfrau hineingewachsen, arbeitet sie an der Seite ihres Mannes Karl zeitlebens auf dem Milchbauernhof und übernimmt alle traditionellen Rollen klaglos, die auf einem Hof für sie anfallen.

Als Sohn Konrad Marlies heiratet, kommt damit eine neue Frau auf den Hof, die von nun an "Bethches-Marlies" ist. Beide Frauen spüren, dass es nicht leicht sein wird, miteinander auszukommen: Während Lisbeth so aufgewachsen ist, sich alles von den älteren Frauen (und der Mutter) abzugucken, macht Marlies trotz aller Bemühungen vieles anders, was zuweilen für Zündstoff sorgt. Marlies möchte mehr vom Leben als eine Bäuerin sein; diese Rolle liegt ihr nicht wirklich: Während Lisbeth ganz selbstverständlich in diese Rolle und ihre Aufgaben hineinwuchs, hat Marlies das Bedürfnis, einen Ausgleich zu haben: So macht sie den Jagdschein und später lernt sie, Traktor zu fahren. Sie hilft mit, wo sie kann, unterstützt ihren Mann Konrad, aber möchte auch ins Modehaus zurückkehren, wo sie vor ihrer Heirat gearbeitet hat.

Nach einigen Jahren (auch wann sich Nachwuchs einstellt, mochte Marlies nicht dem Zufall überlassen, sondern dann, wann sie es für richtig hielt) kommt Tochter Joanna auf die Welt: Einige Zeit ist das Verhältnis von Marlies und Lisbeth ein wenig entspannter, doch Freundinnen werden sie nie. Joanna wächst heran und macht nach dem Abitur erst einmal ein soziales Jahr; sie fliegt nach Afrika und sollte später innerlich und äußerlich verändert zurückkommen: Sie wollte mit ihren Freunden die Realschule besuchen, während ihre Mutter sie zum Besuch des Gymnasiums drängte, da sie "ja immer nur ihr Bestes" wollte...

In diesem Roman, der die HauptprotagonistInnen sehr sensibel ausleuchtet und für so manches Kopfschütteln beim Lesen sorgt, geht es um Traditionen, die von der älteren Lisbeth aufrecht erhalten werden wollen; um Selbstbestimmtheit und sich anpassen; um Erwartungshaltungen und tradierte Rollenvorstellungen, die sich nicht nur auf dem Land - aber eben auch dort - in den letzten 70 Jahren für Frauen sehr gewandelt haben:

Während Lisbeth niemals eine andere Wahl hatte, als Bäuerin zu werden, den Hof weiterzuführen "so wie es immer war" und nach Jahren der Kinderlosigkeit doch noch hofft, Mutter zu werden, bestimmt Marlies diesen Zeitpunkt selbst: Setzt sich über die unausgesprochene Erwartungshaltung der Großeltern hinweg, um ihnen dann doch noch Joanna als Enkelkind zu präsentieren: Diese geht jedoch ihren ganz eigenen Weg, auf den Marlies schon längst keinen Einfluss mehr hat. Hier tat mir die Mutter etwas leid, da sich zwischen Joanna und ihrer Großmutter Lisbeth eine engere Bindung offenbarte als dies zwischen Marlies und Joanna der Fall war: Ihre Beziehung empfand ich als eher unterkühlt mit wenig Nähe und Offenheit. Gegen Ende des Romans stimmen diese "emotionalen Proportionen" jedoch wieder und vielleicht hat Joanna ihrer Mutter unbewusst geholfen, "den Weg frei zu machen, um sich selbst zu entfalten"?

Die Dialoge fand ich sehr interessant wie auch den geradlinigen, schnörkellosen Schreibstil von Ute Mank, der mir gut gefallen hat: Ich bin sicher, dass sich hier viele Frauen in Lisbeth, in Marlies oder auch in Joanna wiederfinden, da auch ein Stück Zeitgeschichte transparent gemacht wird: Was für unsere Großmütter undenkbar schien, ist heute absolut möglich; z.B. ein Kind auch ohne einen Vater aufzuziehen.

Etwas bedauert habe ich, dass die männlichen Protagonisten Karl, Konrad und auch der Knecht Alfred, der zeitlebens auf dem Hof gearbeitet hat, im Dunkeln blieben: Hier ging es mehr um die Sicht der Frauen, auch die Beziehungen betreffend: So wird z.B. klar, wie sehr sich Marlies und Konrad bereits auseinanderlebten, als sie zusammen den leeren Kuhstall ausfegen; es ist eher ein sich-aus-dem-Weg-gehen als ein "aufeinander zugehen". Hier litt ich eher mit Konrad, dessen Lebensinhalt der Bethches-Hof eben auch war und der fortan in der Fabrik arbeitete als die - dennoch verständliche - Reaktion von Marlies teilen zu können: Das Fehlen der Kühe bedeutete für sie auch eine Erleichterung, eine positive Veränderung...

Das Leben auf einem Hof (damals ohnehin und heute sicher ebenso) unterliegt ganz eigenen Gesetzen, die naturbedingt von den Tieren und den Arbeiten "diktiert" werden. Nicht jeder ist für solch' ein Leben geschaffen, dem ich (als Enkelin eines Landwirts) sehr großen Respekt entgegenbringe und dessen "Aura" ich durch eine Freundin, deren Eltern einen 400 Jahre alten Hof in der Pfalz hatten, ich selbst kennenlernen durfte. Die Autorin hat auch Sozialkritik anklingen lassen: Viele Milchhöfe wurden durch die EU-Gesetze sanktioniert, wenn sie zu viel Milch produzierten und viele haben aufgrund der schlechten Bezahlung der Landwirte ihren Betrieb aufgeben müssen, da es sich einfach nicht mehr rentierte. Sehr traurig, wie ich finde.

Ich fand besonders Lisbeth sehr authentisch und mochte sie; ebenso wie Marlies, die meiner Generation angehört und deren analytische Gedanken ich oft sehr klug und richtig fand

"Aussuchen können musste man es sich, was man werden wollte. Frei darüber entscheiden" (S. 110)

Ein schönes Abschlussbild "krönt" diesen sehr lesenswerten Roman um drei Frauen, die ihre typischen Generationskonflikte hier auf dem Bethches-Hof austragen: Großmutter und Enkelin sitzen einträchtig auf der Bank und Lisbeth sieht den Bethches-Hof, auf dem es nun keine Kühe mehr gibt, mit ganz anderen Augen, "so, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen".
Gerne empfehle ich "Wildtriebe" weiter; viele Frauen aller Generationen werden sich in ihm teilweise wiederfinden - und sich angesprochen fühlen. (Und ausser Generationskonflikten trägt der Roman eine Menge Potential in sich, aufzuzeigen, wo die verschiedenen Generationen auch durchaus voneinander lernen können - und es auch tun!).
4,5 * von mir und Leseempfehlung

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Veröffentlicht am 25.08.2021

Flucht voller Hoffnung: Spannend, abenteuerlich, dramatisch!

Die Straße der Hoffnung
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Bei "Die Straße der Hoffnung" von Felicity Whitmore (erschienen tb 2021 bei dtv) handelt es sich um Band 2 der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hill" (Untertitel).

Nach dem Lesen von "Der Faden der ...

Bei "Die Straße der Hoffnung" von Felicity Whitmore (erschienen tb 2021 bei dtv) handelt es sich um Band 2 der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hill" (Untertitel).

Nach dem Lesen von "Der Faden der Vergangenheit", Bd. 1 der Trilogie, war ich sehr gespannt, wie es mit Melody (Gegenwart) und Abigail (Mitte 19. Jhd; England und Oregon, Amerika) weitergeht. Übrigens würde ich empfehlen, mit Bd. 1 zu beginnen, auch wenn dies nicht unbedingt notwendig ist. Der zweite Teil hat mich wiederum sehr gut unterhalten und mir fast noch einen Tick besser gefallen als der erste Band:

Die Staatsanwältin Melody Stewart hat eine alte Villa geerbt: "Abigail's Place" und verschollen geglaubte Tagebücher einer Vorfahrin gefunden, deren Spuren sie nun verfolgt:

Abigail, Lady von Mahony, musste England mit ihrem Geliebten, Oliver Rashleigh, verlassen, um einem Todesurteil zu entfliehen. Mit neuer Identität eines Gönners, der von der Unschuld Olivers weiß, überqueren sie den Ozean und treffen (1842) in New York ein: Unterwegs begegneten sie dem Schriftsteller Charles Dickens, der wie Abigail gegen soziale Ungerechtigkeiten ist. In NY müssen sie jedoch feststellen, dass sich der Dichter täuschte, da auch hier soziale Probleme zu finden sind. Sogleich hat Abigail eine Idee, wie diesem Notstand abgeholfen werden könnte. Leider übersieht sie bei ihrem sozialen Engagement, dass sich jemand an ihre Fersen heftete, der von besessener Liebe zu ihr entflammt ist. Von nun an beginnt eine abenteuerliche Flucht ins Landesinnere, wobei sich Abigail und Oliver einem Treck anschließen, um den Verfolger endlich hinter sich zu lassen: Wird dieses Vorhaben gelingen?
Ebenezer, Abigails Sohn, nimmt nach einiger Zeit der Trauer die Geschäfte von Hampton Mill auf und auch er hat so manches Abenteuer durchzustehen, das für die damalige Zeit nicht ungefährlich ist. Auch Uman, ein Konkurrent, will Ebenezer als Schwiegersohn sehen und sich - berechnend wie er ist - langfristig Hampton Mill einverleiben, um sein eigenes Unternehmen noch zu vergrößern.

Melody erhält eines Tages einen Brief aus Oregon und es stellt sich heraus, dass es noch eine leibliche Verwandte gibt, die sie zu sich einlädt: Louise, 92 und Besitzerin eines Hauses, das sie Abigail vererben will, nachdem sie das Tagebuch ihrer gemeinsamen Urahnin Abigail gelesen hat: Wird Melody das Erbe antreten? Und wie wird sich die Beziehung zu Dan Rashleigh entwickeln, der ihren Enthusiasmus, das Schicksal Abigails enthüllen zu wollen, nicht absolut mit Melody teilt?

Felicity Whitmore schreibt sehr gute Unterhaltungsliteratur, oftmals wie auch hier mit historischen Bezügen, die mit Familiengeheimnissen, hier auch sozialer Ungerechtigkeit, Liebe, krankhafter Besessenheit, Flucht und Neubeginn zu tun hat: Diese Themen verarbeitet die Autorin so gekonnt und einfühlsam, dass der Leser praktisch an den Zeilen hängt und die Dramatik sowie auch eine hohe Authentizität immer gegeben ist. So wachsen einem Melody und besonders die mutige, starke und kämpferische Abigail sehr ans Herz. Die zwei Zeitebenen, in denen die Geschichte spielt, erhöhen hierbei ebenfalls noch die spannenden Handlungsstränge. In diesem Band gefiel mir die zweite Hälfte des Romans noch besser, so dass es mir nicht möglich war, ihn zur Seite zu legen: Hochspannend und dramatisch sowie sehr abenteuerlich, da Abigail vielen Gefahren ausgesetzt ist und eine Reise in einem Treck gen Westen in Amerika anno 1843 nicht eben ungefährlich war. Wohin wird die Reise sowohl Abigail als auch Melody weiter führen? Hier muss man sich wohl noch bis Februar 1922 (ET Band 3) gedulden....

Fazit:

Ein spannender, atmosphärischer, abenteuerlicher und dramatischer Teil der Trilogie, der mir sehr gut gefallen hat und den ich gerne weiterempfehle: Wer Familiengeheimnisse, authentische Figuren und Handlungen sowie eine Reise ins 19. Jahrhundert gerne mag, ist hier gut beraten, die Trilogie von Felicity Whitmore zu lesen: Der Unterhaltungswert ist großartig! Daher gibt es von mir 4,5 * Ich freue mich bereits auf den 3. und letzten Teil (Die Heimat des Herzens).

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Das mysteriöse Verschwinden der Leuchtturmwärter

Die Leuchtturmwärter
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"Die Leuchtturmwärter" der englischen Autorin Emma Stonex ist eine fiktive Story, die im Jahre 1972 und 1992 auf "Maiden Rock", einem Leuchtturm vor der Küste in Cornwall,verortet ist. Angelehnt ist der ...

"Die Leuchtturmwärter" der englischen Autorin Emma Stonex ist eine fiktive Story, die im Jahre 1972 und 1992 auf "Maiden Rock", einem Leuchtturm vor der Küste in Cornwall,verortet ist. Angelehnt ist der Roman an die wahre und bis heute nicht aufgeklärte Geschichte drei verschwundener Leuchtturmwärter, die auf der schottischen Insel Eilean Mòr im Jahre 1900 spurlos verschwanden. Erschienen ist der Roman (HC, gebunden, 430 Seiten) im S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2021.

Das im Roman dargelegte Szenario ist identisch mit der Geschichte aus dem Jahre 1900: 1972 kommt ein Boot zur Ablösung zum Leuchtturm, findet jedoch die Tür von innen verriegelt vor. Von den Leuchtturmwärtern Arthur, Bill und Vince fehlt jede Spur. In der Küche des Turms finden sich zwei Gedecke und äußerlich scheint alles in Ordnung. Zwei Uhren sind um dieselbe Zeit stehengeblieben: Was ist Arthur, dem Oberwärter, Bill und Vince zugestoßen?

Dieser Frage geht dieser stilistisch interessante Roman nach: Man lernt die drei Hauptprotagonisten Arthur, Bill und Vince in der Zeit der 70er kennen und - nach dem Verlust der Ehemänner, ihre Frauen Helen, Jenny und Michelle, die aus ihrer Sicht die Ereignisse von damals dem Journalisten Dan Sharp nach 20 Jahren Schweigens erzählen. Die Charaktere werden mit jeder Seite des Romans mehr offengelegt; wie Wellen, die an den Strand spülen, werden die Gedanken und auch einige Geheimnisse dem Leser nach und nach preisgegeben. Der sehr atmosphärische Roman, dessen weiterer Protagonist das Meer selbst ist, lebt von der Atmosphäre des Leuchtturms "Maiden Rock" und von vielen "Andeutungen", die Stonex in die Geschichten um Arthur und Helen, Bill und Jenny sowie Vince und Michelle eingeflochten hat. Mir kam es zuweilen vor, als ob ich eine Leine oder ein Schiffstau zugeworfen bekam, das ich jedoch nur millimeterweise zu fassen bekam: Bis zur Hälfte des Romans faszinierte mich dies; jedoch ab der anderen Hälfte war es mir dann etwas zuviel: Nicht immer war klar (eher selten), was Fiktion, Illusion, Wahnvorstellungen oder gar Realität ist. Die Konturen verschwammen trotz konzentrierten Lesens und einige Fragen wurden für meine Begriffe zwar aufgeworfen, aber nicht geklärt.

Die Themen sind sehr vielfältig: Es geht um Hoffnung, Verlust, Isolation, Geheimnisse, Sturm, Meer, Trauer, Liebe Einsamkeit und Rätsel. Es handelt sich m.E. um Beziehungsdramen, die sich durch viel Ungesagtes, Unausgesprochenes noch verschlimmern, was ich sehr bedauert habe. So waren mir Arthur und Helen als Figuren sehr sympathisch; auch Vince hatte meine Zuneigung und Michelle trat dann ebenso authentisch sehr viel später auf: 20 Jahre hatten die Frauen, die das gemeinsame Schicksal der Hinterbliebenen hätte einen können, nichts miteinander am Hut. Bis der Autor Dan Sharp auftrat, der der Wahrheit nochmals auf den Grund gehen wollte und die Frauen um Interviews bat. Seine Rolle war für mich eine sehr nachvollziehbare und positive, die mich erstaunt und auch ein wenig begeistert hat. In den Roman von Emma Stonex flossen aufgrund der sturmumtosten See, die oft sehr aufgewühlt war und dem Leser klar machte, dass die Arbeit auf einem Leuchtturm sehr hart und eher das Gegenteil von romantisch zu nennen war, auch mystische Elemente ein und das Ende hatte auch ein wenig 'mystery crime'. Durch die Zeitsprünge wurde auch eine anhaltende Spannung geschaffen. Am Nahesten gingen mir im Grunde die tragischen Verkettungen der jeweiligen Umstände, in denen sich Arthur, Helen, Bill und Jenny sowie Vince und Michelle befanden: So viel Ungesagtes, Unausgesprochenes....

Fazit:

Ein fiktiver, sehr interessant geschriebener Roman im Genre anspruchsvolle Literatur, der an den wahren Fall auf Eilean Mòr und dem Verschwinden dreier Leuchtturmwärter (1900) angelehnt ist; in dem jedoch einige Konturen für mich allzu verschwommen bleiben, um sich ein definitiv klares Bild von allen ProtagonistInnen machen zu können. Der Roman spürt jedoch auf gekonnte Weise Verlusten nach und was dies für die Hinterbliebenen bedeuten kann, wenn das Schicksal der Verlorenen unklar ist: Verluste können dann traumatisieren und trennen und verändern das Leben Hinterbliebener für alle Zeit.

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Wundervoll erzählte Geschichte um eine schüchterne Bibliothekarin

Die letzte Bibliothek der Welt
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Wundervoll erzählte Geschichte um eine schüchterne Bibliothekarin

"Die letzte Bibliothek der Welt" von Freya Sampson erschien (HC, gebunden, 365 Seiten) bei Dumont, August 2021 und ist eine herzerwärmende ...

Wundervoll erzählte Geschichte um eine schüchterne Bibliothekarin

"Die letzte Bibliothek der Welt" von Freya Sampson erschien (HC, gebunden, 365 Seiten) bei Dumont, August 2021 und ist eine herzerwärmende Geschichte um die etwas schüchterne Bibliothekarin June Jones im kleinen englischen Dorf Chalcot. Als das Weiterbestehen der Bibliothek durch die Kreisverwaltung Sparmaßnahmen zum Opfer fallen soll, ist nicht nur June auf den Plan gerufen:

June Jones, die bereits als Kind die Bibliothek und vor allem die Bücher sehr liebte, besuchte diese gemeinsam mit ihrer Mutter Beverley mehrmals die Woche. Später arbeitete sie ebenfalls in der Bibliothek von Chalcot. Seit ihre Mutter vor 8 Jahren starb, widmet sich June leidenschaftlich nach wie vor ihrer Arbeit und den Menschen, die sie in der Bibliothek fast täglich antrifft. Außerhalb der Arbeit bleibt sie jedoch lieber für sich und teilt ihre freie Zeit am liebsten mit ihren Romanen und ihrem Kater "Alan Bennett" (den Namen fand ich übrigens köstlich, den Kater auch).

June ist sehr schüchtern und bringt es nicht über's Herz, vor vielen Menschen zu reden. Dies fordert sie sehr heraus, als Marjorie Spencer, die Leiterin und ihre Chefin, ihr eröffnet, dass sie die Vorlesestunde in der Kinderabteilung übernehmen muss; sie will nochmal bei der Kreisverwaltung vorsprechen...

June ist es gewohnt, von Mrs. Bransworth immer die Mitteilung zu bekommen, dass dieses oder jenes ausgeliehene Buch "Schrott" war, denn Mrs. B. liebt es einfach, sich lautstark über jeden und alles zu beschweren. Chantal hingegen ist froh, dass sie Zeit für ihre Hausaufgaben in der Bibliothek ungestört verbringen kann, denn zu Hause wäre dies nicht möglich. Der 80jährige Stanley lässt sich gerne beim PC helfen, da er seinem in den USA lebenden Sohn gerne e-Mails schreibt und oft kleine Hilfen benötigt, um die Kreuzworträtsel zu lösen. Leila, die noch nicht richtig Englisch spricht, aber sehr gerne backt, hilft June, die richtigen Koch- und Backbücher auszusuchen. Eines Tages taucht der ehemalige Klassenkamerad Alex auf, der seinem Vater im Imbiss aushilft und ansonsten als Anwalt in London lebt. Er ist June mehr zugetan, als diese zuerst wahrnimmt und langsam bahnt sich ein Vertrauensverhältnis an, so dass June ihre Vorsicht vor den Mitmenschen fallen lässt und sich Alex anvertraut:

Die Bibliothek soll geschlossen werden und sie darf, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren, nicht aktiv an der Protestbewegung teilnehmen! June lernt nach und nach, zu ihren Überzeugungen zu stehen und arbeitet sie anfangs undercover mit, so schließt sie sich doch später aktiv der Protestbewegung an, die alles daran setzt, die geliebte (und gebrauchte!) Bibliothek vor der Schließung zu bewahren...

June und alle "Aktiven" wachsen dem Leser schnell ans Herz und mich freute ungemein, dass sich die allzu schüchterne June doch ihren Ängsten stellte und erkannte, dass die Kraft der Gemeinschaft viel bewirken kann: Sie schafft es, aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen und ihr Leben zu verändern: Auch die neuen Gefühle gegenüber Alex spielen hierbei eine nicht unbeträchtliche Rolle. Auch mit humorvollen und augenzwinkernden Einlagen hat die Autorin nicht gespart. Etwas Sozialkritik kommt in den Personen Vera und Leila auf, wobei besonders Vera lernen muss, Schritte auf ihr fremde Menschen zuzugehen:

In manchen Bibliotheken (so auch in meiner) gibt es mittlerweile "Bibliothekscafés", die es ermöglichen, sich mit Menschen anderer Kulturen zu treffen. Auch viele SchülerInnen nutzen die Ruhe der Räume, um gemeinsam ihre Hausaufgaben zu erledigen (und sich dabei gegenseitig zu helfen, wie mir immer wieder positiv auffiel). Aufgaben der (oftmals Budgetgefährdeten!) Bibliotheken sind heute vielfältig: Auch PC-Plätze und Internetmöglichkeiten sind Teile davon.

"Eine Bibliothek ist mehr als ein Haus voller Bücher, dort hat man nicht nur Zugang zu Informationen, die einen stärken und im Leben weiterbringen können, sondern auch zu anderen Menschen" (S. 305)

Einziger Wermutstropfen in dieser schönen Beschreibung, der ich mich voll und ganz anschließen kann (ich besuche seit meiner Kindheit Bibliotheken und liebe sie) ist die Tatsache, dass auch hier immer mehr Automatisierung stattfindet; z.B. bei der Rückgabe der Bücher, wo in meiner Bibliothek ein Fließband die vorher menschliche Hand der Bibliotheksmitarbeiter ersetzt. Schade!

Fazit:

Ein sehr warmherzig, zuweilen humorvoller Roman über eine sehr sympathische, hilfsbereite junge Bibliothekarin, die lernt, ihre Schüchternheit zu überwinden und zu ihren Überzeugungen zu stehen. Eine absolute Leseempfehlung von mir an alle, die Bücher und Bibliotheken lieben; besonders auch an schüchterne Menschen, da dieser Roman ein Teil der "literarischen Hausapotheke" mit Therapieangebot für sie werden kann. Nicht zuletzt auch ein Buch über Trauerbewältigung und den Mut, das eigene Leben zu leben. Von mir gibt es sehr gute 4* am Bibliothekshimmel und der Hoffnung, dass es diese immer geben wird!

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