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Veröffentlicht am 12.03.2017

Der letzte Überlebende - Gegen das Vergessen!

Der letzte Überlebende
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Bei Sam Pivnik's "Der letzte Überlebende" (erschienen bei Theiss, 2017) handelt es sich um eine bewegende, nein: erschütternde Autobiografie des Autors, der am 1. September 1926 in Loslau, Polen geboren ...

Bei Sam Pivnik's "Der letzte Überlebende" (erschienen bei Theiss, 2017) handelt es sich um eine bewegende, nein: erschütternde Autobiografie des Autors, der am 1. September 1926 in Loslau, Polen geboren wurde. Im Prolog beschreibt Sam Pivnik die Begegnung mit dem berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele im Lager Auschwitz-Birkenau...

In den 15 Kapiteln dieses zeitdokumentarisch sehr wichtigen Buches beschreibt Pivnik sein Leben. Seine Kindheit nennt er fortan "Der Garten Eden".Sam Pivnik wuchs als Sohn eines Schneiders mit vielen Geschwistern in einem liebevollen Elternhaus auf, An seinem 13. Geburtstag marschierten die Deutschen in Polen ein (1.9.1939) und der 2. WK begann; seither feierte Sam niemals mehr seinen Geburtstag...

In den ersten Kapiteln wird deutlich, wie die Welt, die er kannte in Kindes- und Friedenszeiten, nach und nach zerbrach; der Druck auf die jüdische Bevölkerung und die antisemitischen Anweisungen aus Berlin immer größer wird: Wie Schindler gelingt es vorerst Alfons Rossner, den Vater und Sam als 'kriegswichtige' Arbeiter einzusetzen, um Uniformen zu nähen (1940/41). Bereits in der Besatzungszeit werden viele Juden deportiert (die offizielle Nazi-Variante lautete 'Umsiedlung in den Osten') und Familie Pivnik landet eines Tages wie die anderen jüdischen Familien in einem ehemaligen Steinbruch namens Kamionka; de facto all ihrer Habe beraubt. Aus Kamionka führt der Leidensweg von Sam und seiner Familie ins Lager Auschwitz-Birkenau. In dieser Hölle schubst ihn die geistesgegenwärtige Mutter (gibt es dafür überhaupt ein Wort in irgendeiner Sprache? Ich glaube eher nicht...) in die Reihe der 'arbeitsfähigen' Männer, zu dieser Zeit ist Sam 17 Jahre alt: Seine Familie sollte er nie mehr wieder sehen...

Dies ist nicht der erste Roman für mich, der sich mit dem Holocaust und der widerwärtigen, menschenverachtenden 'Endlösung', dem Mord an über 6 Millionen Juden während der Nazi-Diktatur Hitlers beschäftigt - aber er ist (mit dem Tagebuch von Anne Frank) einer der Authentischsten, da es die Erinnerungen eines heute 90jährigen Mannes widerspiegelt, der die Hölle, den Sadismus und die Brutalität der SS und Nazi-Schergen beschreibt, die er erleben musste.
Die Betroffenheit, das Fehlen von Wörtern, die dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte in mir wachrufen wie auch das ungute Gefühl, dass in Deutschland wie auch anderen europäischen Staaten derzeit Populisten und Nationalisten abermals auf dem Wege sind, "Stimmen zu fangen", lässt sich kaum benennen.

Sam muss nach weiteren sog. "Selektionen", die nur die stärksten Häftlinge überlebten, auf der 'Rampe' arbeiten, wo er den hilflos Ankommenden (und unterwegs mangels Essen und Trinken sowie durch Entkräftung bereits Verstorbenen) gegenübertreten muss....
In der Mitte des Buches verstärken und ergänzen Fotos seiner Familie und aus dem Lager die Aussagekraft dieser Autobiografie. Auch die preussische Detailversessenheit, die Listenführungen und die teuflische Bürokratie des Nazi-Regimes wird gut beschrieben und anhand 2 Listen im Anhang deutlich gemacht.

Man ist als Leser mehr als bewegt, wenn man sich das spätere Zusammentreffen Sam's mit seinem Bruder Nathan vorstellt. Dafür gibt es wohl keine Worte, die dies emotional beschreiben könnten. Der Autor gibt auch viele Hintergrundinfo's zur Zeit, als sich der 2. WK dem Ende naht; allerdings beurteilt er die Schweizer positiver, als mir dies zu Ohren kam: Soviel ich weiß, wurden Juden, die sich in die neutrale Schweiz retten wollten (bis auf sehr wenige Ausnahmen mutiger Zollbeamter), von diesen zurück "ins Reich" und damit in den sicheren Tod geschickt wurden.

Er beschreibt die Nachkriegsjahre, seine Zeit in London, seine Zeit als Soldat um die Gründung des heutigen Israels (Staatsgründung 1949) und bedauert ebenso wie ich, dass Auseinandersetzungen und Kämpfe zwischen Palästina und Israelis bis heute andauern. Er kehrt nach London zurück (worüber er jedoch keine Gründe angeben möchte) und lebt heute in einem Altersheim. Quellen, Literaturhinweise, ein Anhang mit Tabellen und ein Register runden die Autobiografie ab.

Fazit:

Sam Pivnik ist mit der Veröffentlichung seiner Autobiografie und seinem Überlebenswillen im Holocaust, dem dunkelsten Kapitel jüngerer deutscher Geschichte, ein Denkmal und ein literarischer "Stolperstein" gelungen, der von jedem gelesen werden sollte. Ein Buch gegen das Vergessen; unbedingt lesens- und empfehlenswert!Ich vergebe 5 * und 100° auf der "Histo-Couch".

Veröffentlicht am 29.10.2016

Wünsche mit Herz

Das Café der guten Wünsche
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"Das Café der guten Wünsche" von Marie Adams erschien 2016 (tb) bei Blanvalet. Cover und Titel ergänzen sich und harmonieren; die bunten Tassen um den Romantitel sind ein farbenfroher Blickfang und machen ...

"Das Café der guten Wünsche" von Marie Adams erschien 2016 (tb) bei Blanvalet. Cover und Titel ergänzen sich und harmonieren; die bunten Tassen um den Romantitel sind ein farbenfroher Blickfang und machen das "Café Juliette", um das dieser Liebesroman kreist, zum Hauptort der Handlung.

Buchbeschreibung/Inhalt:

"Julia führt mit ihren Freundinnen Laura und Bernadette ein kleines Café mit einem ganz besonders charmanten Konzept: Jedem Gast wird heimlich ein guter Wunsch hinterhergeschickt. Julia wundert sich nicht, dass alle Gäste das Café glücklicher verlassen, schließlich glaubt sie an die Macht der guten Gedanken - die auch ihre große Liebe Jean zurückbringen soll. Alle anderen Männer hält sie deshalb auf Abstand - bis Robert sich mit (anfangs) unlauteren Mitteln in ihr Herz schleicht. Ist es seine Schuld, dass auf einmal manches schiefläuft? Oder braucht sie nicht nur Glück, sondern auch eine große Portion Mut, um sich wirklich auf die Liebe einzlassen?"
(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Wir lernen die Hauptprotagonisten Julia, ihren Bruder Nick, ihre Freundinnen Bernadette und Laura kennen: Das Café ist der Lebensinhalt von Julia, die es von ihrer Großmutter mitsamt einem "Glücksbüchlein" erbte. Sie glaubt an die Kraft guter Gedanken und wird etwas naiver und gutgläubiger dargestellt, als sie es tatsächlich ist; Laura, deren Misstrauen auf schlechte Erfahrungen mit Männern beruht und Bernadette, die als Einzige hervorragend Französisch spricht und die Chance eines Stipendiums in Frankreich ergreift...
Jean, ein Franzose, den Julia vor Jahren kennenlernte, dessen Bild sie seither vor Augen hat, ihn wiedersehen möchte und sich die große Liebe mit ihm vorstellt, spielt ebenfalls eine Rolle in diesem Roman. Julias Bruder, ein BWL-Student, möchte sich als ewige "no. 2" in der Familie Heller endlich etwas Eigenes aufbauen, Julia an Erfolg noch übertrumpfen und neigt zu Skrupellosigkeit und Prunksucht, die seine Schwester und auch das Café in den finanziellen Ruin treiben könnten....
Nick ist mit Robert befreundet, ein Journalist in einem Provinzblatt, eher mürrisch, mit diesem Schicksal hadernd, Macho mit einem Hang zum Zynismus. Als er Julia kennenlernt und beide eine WG auf Zeit beschließen, geht in Robert eine wundersame Wandlung vor und es entwickelt sich eine zarte, aber nicht unverletzbare erste Freundschaft zwischen ihnen. Sowohl Julia als auch Robert wie auch Jean müssen sich letztendlich ihren wahren Gefühlen stellen, die ihre Zukunft verändern sollten.....

Die Hauptthemen dieses Liebesromans, vor allem für Frauen geeignet, zeigen sich in den "Regeln des Glücks", die von den 3 Freundinnen nochmals bekräftigt und manifestiert werden: Es geht um die Macht und auch die Kraft guter, positiver Gedanken, die die Welt besser machen könnten.
Eine sehr schöne Grundidee, wie ich finde, aus der man noch mehr hätte machen können; auch in puncto Humor. Weitere Themen sind Dankbarkeit, Loslassen und auch, um etwas oder jemanden zu kämpfen, das oder der einem wichtig ist. Die Geschichte ist sehr unterhaltsam zu lesen, jedoch finden sich leider einige Klischees in der Handlung. Auch die Nebenfiguren bleiben recht flach und oberflächlich. Gut gefallen hat mir hingegen die Beschreibung wahrer Freundschaft am Beispiel von Robert und Carsten. Der Stil der Autorin, die hier unter Pseudonym scheibt und bereits einige Romane veröffentlichte, ist eingängig, flüssig und klar zu lesen. Auch an einer passenden Emotionalität fehlt es durchaus nicht.

Fazit:

Ein Liebesroman mit hohem Unterhaltungsfaktor, sympathischen Figuren, einer schönen Grundidee, der allerdings zuweilen nach einem Geschmack etwas zu trivial und klischeebehaftet ist. Daher konnte er mich nicht ganz überzeugen, für die Handlung, die in sich stimmig ist und den hohen Unterhaltungswert vergebe ich gerne 3,5 Sterne und bin überzeugt, dass es sicher noch 'Luft nach oben' gibt!

Veröffentlicht am 16.09.2024

Seltsame Sally Diamond - außergewöhnliches Leseerlebnis!

Seltsame Sally Diamond
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Von der irischen Autorin Liz Nugent, deren Buch (Genre Psycho-Thriller) "Seltsame Sally Diamond" in deutscher Übersetzung von Kathrin Ranzum im Steidl-Verlag (2024, HC, 336 S.) veröffentlicht wurde, hatte ...

Von der irischen Autorin Liz Nugent, deren Buch (Genre Psycho-Thriller) "Seltsame Sally Diamond" in deutscher Übersetzung von Kathrin Ranzum im Steidl-Verlag (2024, HC, 336 S.) veröffentlicht wurde, hatte ich zuvor noch nichts gelesen. Dies wird sich höchstwahrscheinlich seit diesem außergewöhnlichen Lesegenuss aber fortan ändern!


"Als Ihr Adoptivvater stirbt, tut Sally Diamond genau das, was er ihr aufgetragen hatte und entsorgt seine Leiche mit dem Müll. Ein Fehler, denn plötzlich interessieren sich alle für die seltsame Frau, die am liebsten für sich bleibt: Polizei, Nachbarn, Medien - und eine unheimliche Stimme aus der Vergangenheit, von der sie nichts mehr weiß. Während sie nach und nach von den schrecklichen Geheimnissen ihrer frühen Kindheit erfährt, nähert sich Sally zum ersten Mal vorsichtig der Welt. Sie übt sich in Vertrauen, schließt Freundschaften, trifft große Entscheidungen und lernt, dass Menschen nicht immer meinen, was sie sagen und nicht immer sind, wer sie vorgeben zu sein.


Ein Buch, das unter die Haut geht, düster, hoch spannend und ergreifend - und mit einer Hauptfigur, die so entwaffnend ehrlich, liebenswert und einzigartig ist, dass man sie nicht vergisst." (Quelle: Buchrückentext des Verlags)


Ein sehr außergewöhnliches Buch, eine tolle Autorin, die hier einen unnachahmlichen Sog entwickelt hat, der auch mich gefangen nahm...


Sally Diamond (ihr Geburtsname lautet anders, sie wurde adoptiert), lebt bei ihren Adoptiveltern sehr zurückgezogen. Beide sind Psychiater und Thomas Diamond, inzwischen hochbetagt, äußert sich Sally gegenüber so, dass sie ihn nach dessen Tod in der Tonne (hinter dem Haus) verbrennen soll. So äschert sie ihn weisungsgemäß ein, ohne die Folgen zu bedenken...

Denn dass, was Sally gut kann, sind grundsätzlich Anweisungen zu befolgen. So liebt sie z.B. Rezepte, die sie hervorragend nachkocht und spielt leidenschaftlich gerne Klavier (was sie sehr beruhigt). Denn: Sie ist "sozial defizitär"; zeitlebens hat Thomas Diamond sie von PsychologInnen ferngehalten (ausser von sich selbst) und die ausgeprägte Sozialphobie Sallys wachsen lassen (was ebenfalls nach dessen Tod Folgen haben sollte). Wäre da nicht Dr. Angela Caffrey, der Sally vertraut und die früher mit ihrer verstorbenen Adoptivmutter zusammenarbeitete, dieser nahestand und um Sally's "anderssein" wusste.


Bereits in der Schule separierte sich Sally selbst, nahm an keinen gemeinschaftlichen Ausflügen teil und ging direkt nach Hause. Nur ein stotterndes Mädchen, ebenso gemieden wie Sally von den MitschülerInnen, sah in ihr nicht "die seltsame Sally", sondern nur, dass sie eben anders war als die anderen.


Weshalb war dies so? Dieser Frage geht dieses Buch so subtil nach, dass man immer wieder Gänsehaut bekommt und einem zuweilen der Atem stockt, wenn man sich vor Augen führt, was Sally bis zu ihrem 4. Lebensjahr erlebt haben mag....


So verfolgt man aufmerksam, in kurzen Kapiteln, die hochspannend und oft dramatisch, aber auch mit außergewöhnlichem psychologischem Feinschliff beschrieben sind, die Lebensstationen von Sally nach dem Tod von Thomas, der ihr vieles "lebenspraktische" nicht beigebracht hatte. Man freut sich mit ihr über ihre Fortschritte und bedauert es, dass sie ab einem gewissen Zeitpunkt wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt.


Durch das Auftauchen ihres Bruders Peter bzw. Steve, von dem sie lange nichts wusste und dessen schwierigen Lebensweg der Roman im zweiten Erzählstrang beschreibt, und dem Herausfinden von Tatsachen, was mit ihrer Mutter Denise geschehen ist, wird sie lange Zeit psychisch sehr herausgefordert, nimmt jedoch auch Hilfe in Form von therapeutischen Sitzungen an und will lernen, "zwischen den Zeilen zu lesen", was die Menschen wirklich meinen (lange dachte man, sie könne gar nicht sprechen; auch hier ist sie anfangs hilflos und überfordert).


Auf die Details gehe ich bewusst nicht ein an dieser Stelle, da ich damit spoilern würde und diesem Buch viele LeserInnen wünsche, die es mit ebenso stockendem Atem lesen möchten, wie ich es tat. Auch nicht auf die Hintergründe, denn diese sind grausam und oftmals unmenschlich, jedoch durch den Stil der Autorin durchaus lesbar und erkenntnisreich: Ein Psycho-Horror-Roman mit Krimielementen, der es wahrlich in sich hat!


Fazit:


Verstörend, faszinierend, außergewöhnlich und auch brillant mit psychologischer Finesse entführt Liz Nugent (ihr Name sollte man sich merken!) ihre Leserschaft in tiefste menschliche Abgründe, wo zuweilen dennoch Gutes und auch die Hoffnung durchblitzt. Mehr von Liz Nugent gibt es im Steidl-Verlag, dem ich sehr dafür danke, sich für irische AutorInnen einzusetzen, ganz besonderen Dank in diesem Zusammenhang an Claudia Glenewinkel! Ein ganz außergewöhnliches, absolut empfehlenswertes Leseerlebnis - und Roman! 5*

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Veröffentlicht am 16.09.2024

Die Hallig-Gräfin

Die Gräfin
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"Die Gräfin" von Irma Nelles erschien (2024, geb., HC, 169 S.) im Hanser-Verlag (Reihe hanserblau). Um die historisch verbriefte "Hallig-Gräfin"; Gräfin Diana von Reventlow-Criminil, ranken sich noch ...


"Die Gräfin" von Irma Nelles erschien (2024, geb., HC, 169 S.) im Hanser-Verlag (Reihe hanserblau). Um die historisch verbriefte "Hallig-Gräfin"; Gräfin Diana von Reventlow-Criminil, ranken sich noch heute Mythen und Geheimnisse.

Die Autorin (geb. 1946), selbst auf Nordstrand aufgewachsen, hat sich hier einem der Geheimnisse gewidmet, das in der nationalsozialistischen Diktatur Deutschlands im Jahre 1944 auf der Hallig Südfall verortet ist:


Inhalt:


Ende August besteigt der RAF-Pilot John Philip Gunter sein Flugzeug, um alleine und ohne Kontakt zum Kontrollzentrum einen Beobachtungsflug Richtung Norddeutschland/Schleswig durchzuführen; der Auftrag erfüllt ihn mit Stolz, ist er doch als erfahrener Bomberpilot immer lebend nach England zurückgekehrt...


12 Stunden später schlägt Hunter, der Hund von Gräfin Diana, an und lässt sich kaum beruhigen: Kurzentschlossen reitet die Gräfin ins Watt und findet den Grund von Hunter's Beunruhigung, die sie zuerst der herrschenden Hitze zuschreiben wollte: Sie findet ein Flugzeug, in dessen Cockpit ein verletzter Pilot sitzt. Nur mit Hilfe von Maschmann, ihrem langjährigen Kutscher und Hausmeister, gelingt es ihr, den Mann zu befreien und auf die Warft zu bringen. Dort sieht am nächsten Tag das befreundete Ärzte-Ehepaar Carl und Käthe Braack nach dem Patienten, der sich gesundheitlich während der nächsten Tage erholen sollte....


Meine Meinung:


Dieser zeitgeschichtliche Roman, der mit wenig Personal auskommt, ist sehr atmosphärisch und tiefgründig; spannungsvoll erzählt die Autorin von Gräfin Diana, die hier die Hauptprotagonistin darstellt und eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein muss: Geboren auf Schloss Emkendorf nahe Rendsburg wohnte sie, bereits erwachsen, nach dem Tod beider Eltern wenige Jahre mit Bruder und Schwägerin im Schloss; in dem sich der europäische Hochadel zu dieser Zeit die Klinke in die Hand drückte. Sie merkte jedoch immer mehr, dass sie diesen ausschweifenden, exzentrischen Lebensstil eher ablehnte und reiste Richtung Norden (sie hatte in Dänemark bei ihrer Tante wunderschöne Jahre verbracht), als sie vom Verkauf einer Warft auf der Hallig Südfall erfuhr: Sie sollte ihr Domizil hier gefunden haben, in dem sie eine schlichtere Lebensweise vorzog, "zurückgezogen von allen ihr widerstrebenden Einflüssen und Machenschaften, fern von Rücksichtslosigkeit und Demütigung, die Menschen einander zufügen konnten, kam sie in Ruhe ihren täglichen Pflichten nach" (Zitat, S. 16).


Mit dem Auftauchen des englischen Piloten wird jedoch in der Gräfin, (die hochgebildet ist, sich nicht gerne in etwas hineinreden lässt, Briefkontakte in aller Welt besitzt und diese auch nutzt, um z.B. flüchtigen Juden zu helfen, die auf den Nationalsozialismus nichts hält und unerschrocken gewissermaßen im Untergrund agiert), etwas zutage gefördert, das sie an ihr junges Ich erinnert: Hier liegt das m.E. Tragische in diesem Roman: Da sie sich niemals einem Mann unterordnen wollte, ließ sie Liebe niemals zu und sperrte sie vollkommen aus ihrem Leben aus.


Wer den Roman liest (und ich hoffe, er stößt auf viel Resonanz, da ich ihn für sehr lesenswert halte), wird erfahren, aus welchem Grund das Leben dieser sehr starken, selbstbestimmten Frau so verlaufen ist, die noch im Alter von über 80 Jahren gerne anderen hilft; selbstlos ist, wenn es um Gerechtigkeit geht und bar allem nationalsozialistischen Denkens. Wie im Übrigen auch Maschmann, ihr Kutscher, der am liebsten Plattdeutsch spricht (da er Hochdeutsch nie lernen mochte) und seit Langem für die Gräfin gerne arbeitet: Ein sehr sympathischer Mann, ebenso wie Sörensen, der ihm hilft, das Wrack von John in den Hangar zu bringen. Auch das junge Hausmädchen Meta ist ein Glücksgriff für die Gräfin - und als Figur ebenso sympathisch. Der Arzt, Carl Braak, der gerne BBC hört und aufpassen muss, was er zu wem sagt, stimmt völlig mit den anderen überein, dass der Krieg schon lange verloren ist und dem Piloten geholfen werden muss, bis dieser reisefähig ist.


Besonders gut gefielen mir die Naturbeschreibungen; die raue Welt der Halligen, die öfter "Land unter" sind und dem "Blanken Hans" völlig ausgeliefert. Das verwendete Plattdeutsch (Maschmann) verleiht dem Roman sprachlich viel Authentizität. Auch ein Stück Geschichte der Halligen findet sich in diesem wundervollen Roman; ebenso ein Stück Zeitgeschichte, das sich genau so abgespielt hätte haben können.


So erlebt man sechs Tage dieser zusammengewürfelten Hallig-Gemeinschaft, die zwar nicht ganz frei von Misstrauen ist, letzten Endes jedoch voller Menschlichkeit, Unerschrockenheit und Großmut besteht. Allen voran "die Hallig-Gräfin". Das Ende lässt die Autorin offen; was mich nicht störte. Gibt es doch Raum für eigene Gedanken und Hoffnung, dass alles bis zum Kriegsende gut ausging für John, die Gräfin, Meta, Maschmann und das Ehepaar Braack!

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Veröffentlicht am 27.08.2024

Die Gemeinschaft der außergewöhnlichen Köpfe - und ihr größtes Rätsel

Das größte Rätsel aller Zeiten
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"Das größte Rätsel aller Zeiten", das Début des britischen Autors Samuel Burr, erschien (HC, 443 Seiten) 2024 im Dumont-Verlag, Köln. Der lesenswerte Roman, der die Themen Herkunft (eigene), Gemeinschaft, ...

"Das größte Rätsel aller Zeiten", das Début des britischen Autors Samuel Burr, erschien (HC, 443 Seiten) 2024 im Dumont-Verlag, Köln. Der lesenswerte Roman, der die Themen Herkunft (eigene), Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft, Selbstfindung, Puzzles und Rätsel sowie Freundschaft und Vertrauen beinhaltet, hat mir gut gefallen, da er interessante Leitsätze in sich trägt, auf denen menschliche Beziehungen gegründet sein sollten - und durch die kurzen Kapitel, die sich auf zwei Zeitebenenen in England (London und Südengland) bewegen, auch bis zur letzten Seite Spannung enthält. Zudem ist der Hauptprotagonist (Clayton Stumper - für die Gemeinschaft der Rätselmacher das größte Rätsel) sehr sympathisch und man folgt mit Spannung seinem eigenen Weg der Selbstfindung.


"Clayton ist das mit Abstand jüngste Mitglied der "Gemeinschaft der Rätselmacher. Und gleichzeitig ihr größtes Geheimnis. Wer hat ihn vor fünfundzwanzig Jahren in einer Hutschachtel vor den Toren von Creighton Hall ausgesetzt? Clayton liebt seine exzentrische Wahlfamilie, doch die Rätselmacher werden nicht jünger und zunehmend vergesslich. Als der erste Bewohner im hauseigenen Irrgarten verlorengeht und ein Todesfall die Gemeinschaft erschüttert, weiß Clayton, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, um das Rätsel seines Lebens zu lösen. Kein Problem, schließlich hat er von den Besten gelernt. Aber wie löst man eigentlich eine U-Bahn-Fahrkarte? Das Abenteuer beginnt." (Quelle: Buchrückentext des Verlags)


In diesem etwas skurrilen, aber wirklich lesenswerten Roman begegnet man außergewöhnlichen Denkern; allen voran die liebenswerte Pippa Alsbrook, die eines Tages einen Säugling in einer Hutschachtel auf der Treppe vor Creighton Hall, dem Sitz ihres Familienerbes und später Wohnort der Gemeinschaft, findet: Vom ersten Augenblick war klar, dass zwischen ihr und Clayton eine innige Bindung entstehen sollte (sie war zu diesem Zeitpunkt 64 und kinderlos), die bis zu ihrem Tode anhielt: Mit 89 Jahren stirbt Pippa und Clayton wird klar, dass er seinen eigenen Weg finden muss; das Rätsel seiner Herkunft lösen muss.


Der geneigte Leser, (vor allem jene, die Rätsel mögen), begleitet nun Clayton auf seinem zuerst holprigen Weg, wobei er weiß, dass alle "Rätselmacher" der Gemeinschaft; besonders Nancy Stone (Quiz-Königin) , aber auch Hector Haywood (Künstler und Erfinder fröhlicher Puzzles; wobei er selbst immer griesgrämig ist); Earl Vosey, der Meister der Labyrinthe - zu dem er ein besonders enges Verhältnis hat - und die anderen ihm helfend zur Seite stehen. Er geht mit wachen Augen auf seine Reise und macht neue Erfahrungen; Pippa hat ihm allerdings auch nach ihrem Ableben eine Reihe von Rätseln mit auf seinen Lebensweg gegeben, die er jedoch nach und nach lösen kann und einem Hinweis nach dem anderen folgt (besonders gefiel mir der Tresor bei Harrods, er erinnerte ein wenig an die Verfilmung von Harry Potter und die Kobolde in "Tresorraum 713"); aber auch bei den weiteren Aufgaben, die Pippa Clayton gab, rätselt man als LeserIn mit... Auch die Hilfsmittel für Rätselmacher (Alphabetibox, Kryptogitter u.a., die teils im Buch abgebildet sind) fand ich sehr interessant.


Der Stil S. Burr's ist schnörkellos und klar; die Figuren wirken authentisch und es macht Spaß, mit Clayton seine "Rätsel des Lebens" und seiner Herkunft zu lösen. Die kurzen Kapitel, die zwischen der Such nach Lösungen der Rätselteile Claytons auf der Such nach seiner Herkunft - und den Rückblicken in die Geschichte der Gemeinschaft der Rätselmacher wechseln, entwickeln mehr und mehr einen Sog, dem man sich als LeserIn schwer entziehen kann (besonders rätsel- und geheimnisliebender LeserInnen). Die positiven Leitsätze (Themen Gemeinschaft, Hilfe suchen, wenn es nötig ist, Freundschaft, coming-out, Selbstfindung etc.) haben mir sehr gefallen und mich gut unterhalten.


Fazit:


Die Suche eines jungen Mannes, dessen Herkunft Rätsel aufgibt - und der sich auf seinen eigenen Weg aufmacht, dieses Rätsel zu lösen, empfehle ich allen LeserInnen sehr, die gerne unterhaltsame, spannende, tiefgründige und authentische, warmherzige Geschichten lesen, die im Ergebnis eine Selbstfindung darstellen. Passend hierzu scheint mir das Nachwort des Autors, der den Wunsch mit dem Roman verbindet, dass der Leser "selbst die noch fehlenden Puzzleteilchen in seinem Leben" finden wird und das Buch hierzu eine literarische Anregung geben kann! Von mir für dieses unterhaltsame Début, das lesenswert ist, 4 Sterne und eine Empfehlung!

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