Zwischen Anpassung und Aufbruch
Evil EyeEs gibt Bücher, die liest man durch – und dann gibt es Bücher, die graben sich in einen hinein. Evil Eye gehört für mich ganz klar zur zweiten Sorte. Dieses Buch hat mich nicht nur beschäftigt, es hat ...
Es gibt Bücher, die liest man durch – und dann gibt es Bücher, die graben sich in einen hinein. Evil Eye gehört für mich ganz klar zur zweiten Sorte. Dieses Buch hat mich nicht nur beschäftigt, es hat mich durchgeschüttelt, aufgewühlt, nachdenklich gemacht. Ich habe es an einem Wochenende gelesen – und Tage später noch über Yara nachgedacht.
Yara ist palästinensisch-amerikanisch, Mutter zweier Töchter, Ehefrau. Jeden Abend steht sie in der Küche, zaubert köstliches Essen, wartet auf ihren Mann. Sie funktioniert. Außen wirkt alles rund. Doch innen ist da diese Unruhe. Diese Müdigkeit. Diese Sehnsucht nach etwas anderem – etwas Eigenem. Sie arbeitet halbtags an der Uni, obwohl sie das eigentlich gar nicht „müsste“. Ihr Mann und ihre Schwiegermutter betonen das gerne. Und dass sie sich um die Kinder zu kümmern hat. Klar. Alles andere wäre ja… auffällig.
Und dann passiert etwas auf der Arbeit. Ein Vorfall, der sie zwingt, sich Hilfe zu holen. Psychologische Hilfe – nicht unbedingt gern, aber nötig. Und plötzlich wird da etwas aufgebrochen. Nicht nur in ihr, sondern auch in ihrer Familiengeschichte. Sie beginnt zu hinterfragen. Wer sie ist. Wer sie sein darf. Und warum es ihr so schwer fällt, Wut zuzulassen. Oder Freiheit.
Evil Eye ist ein eindrucksvoll erzähltes Buch über die Schwere von Erwartungen. Über die Kraft – und Last – von Mutterschaft. Und über den unaufhörlichen Kampf gegen die Stimmen im Kopf, die einem sagen, man sei nicht genug – oder zu viel. Es ist die Geschichte einer Frau, die den leisen Aufstand probt. Die begreift, dass Traumata nicht einfach verschwinden. Dass sie weitergegeben werden können. Dass sie vielleicht erst viel später ihre ganze Wucht entfalten.
Etaf Rum schreibt dabei mit einer Intensität, die weh tut. Es ist keine laute Geschichte. Keine mit großen Gesten. Aber eine, die bleibt. Die in Wellen kommt. Und mit jeder Seite mehr Tiefe gewinnt.
Die deutsche Übersetzung von Heike Reissig ist herausragend. So feinfühlig und klar – sie trägt genau das weiter, was das Original vermutlich auch geleistet hat: Gefühle spürbar machen.
Ich habe beim Lesen oft Wut gespürt. Über das, was Yara sich gefallen lassen muss. Über das, was sie sich selbst nicht erlaubt. Und ich habe gleichzeitig Bewunderung empfunden. Für diesen stillen Mut. Für diesen Wunsch, es anders zu machen. Für sich. Und für die Töchter.
Evil Eye ist keine leichte Lektüre – aber eine wichtige. Eine, die ein Licht auf all das wirft, worüber oft geschwiegen wird. Über das, was eine Frau sein soll. Und das, was sie vielleicht lieber wäre.
Ein Buch, das bleibt.