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Veröffentlicht am 30.03.2023

Das gelbe Tuch

Das gelbe Tuch
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Es herrscht ein ordentliches Getümmel in Nürnberg im April 1449. An diesem Tag der Heiltumsweisung strömen Hunderte aus dem ganzen Umland in die Stadt, um einen Blick auf Insignien und Reliquien wie die ...

Es herrscht ein ordentliches Getümmel in Nürnberg im April 1449. An diesem Tag der Heiltumsweisung strömen Hunderte aus dem ganzen Umland in die Stadt, um einen Blick auf Insignien und Reliquien wie die Heilige Lanze, die Reichskrone oder das Krönungszepter zu werfen.

Mitten unter den Menschen ist auch Anna, die als Dirne arbeiten muss. Vor drei Jahren wurde ihr Dasein vollständig auf den Kopf gestellt, als ihre Brüder sie aus der lieb gewonnenen, sicheren Geborgenheit eines Klosters gerissen und an ein Frauenhaus verkauft haben. Seitdem bietet sie dem Schicksal die Stirn und kämpft ums Überleben.

Endres ist zum ersten Mal nach sechs Jahren wieder in Nürnberg, und alles wirkt dort für ihn vertraut und zugleich fremd. Im geheimen Auftrag seines Herrn, dem Markgraf Albrecht von Ansbach, der im Streit mit der Reichsstadt liegt, führt sein Weg ihn in das Hurenhaus, in dem Anna arbeitet. Der jungen Frau wird schnell klar, dass Endres anders ist als die Männer, die sie sonst aufsuchen, denn er bedient sich ihrer nicht, sondern achtet sie als Person.

Zwischen beiden entstehen erste zarte Bande. Doch die Reichsstadt rüstet zum Krieg gegen den Ansbacher Markgraf, und Endres balanciert als dessen Spion auf schmalem Grat. Und Anna bleibt vom Unglück noch immer nicht verschont ...


„Das gelbe Tuch“ von Priska Lo Cascio ist ein historischer Roman nach meinem Geschmack. Die Autorin beweist bei der ausführlichen Schilderung der Ereignisse vor der Kulisse des mittelalterlichen Nürnberg nicht nur ein fundiertes Hintergrundwissen, sondern sie setzt ihre erdachte Geschichte hervorragend in den historischen Kontext.

In einem Nachwort bringt die Autorin Licht in Dunkel von Wahrheit und Erfindung. Ein Personenregister lässt einen die handelnden Figuren im Auge behalten, während das Glossar notwendige Begriffe erläutert.

Priska Lo Cascio greift auf ein ausgezeichnetes sprachliches Können zurück und stellt die in großen Teilen schweren und schwierigen Lebensverhältnisse der Menschen am Rande der Gesellschaft detailliert und in eindringlicher Intensität dar.

Mitreißend erzählt ziehen einen das Schicksal und die äußeren und inneren Kämpfe der Protagonisten in einem dramatischen und emotionalen Spannungsbogen in seinen Bann, wenn die Autorin das damalige tatsächliche Geschehen und die einst existierende Persönlichkeiten mit fiktiven Figuren verknüpft.

Gerade mit diesen von ihr entworfenen Charakteren überzeugt sie auf ganzer Linie.

Anna, die von vielen wegen ihrer zweifarbigen „Teufelsaugen“ – eines in dunklem Kohlebraun, das andere so hell wie das Kraut der Silberminze – abgelehnt oder sogar gefürchtet wird, hat mich gleich für sich eingenommen, und ich habe mehr als einmal mit ihr gelitten. Sie hat mich beeindruckt mit ihrem Willen und ihrer Kraft, die beide im Verlauf des Geschehens wachsen, aber auch mit ihrer Wissbegierde und Klugheit.

Endres, privilegierter Sohn aus gutem Hause, hat sich von seiner Familie abgewandt, nachdem er in Konflikt mit seinem Vater geraten ist. Lediglich mit seinem Bruder Ulman verbindet ihn Zuneigung. Er ist auf Grund seiner Vergangenheit kein einfacher Mann, jedoch einer, dessen unaufdringliche, manchmal sogar distanzierte Art bei Anna mehr Gutes bewirkt, als sie seit Langem von irgendjemandem erfahren hat.

„Das gelbe Tuch“ bietet einen Rahmen für eine Geschichte, in der Liebe und Freundschaft, Mut und Hoffnung, Vertrauen und Hilfsbereitschaft von großer Bedeutung und Wertigkeit sind.

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Veröffentlicht am 26.02.2023

Licht und Schatten

Blankenese - Zwei Familien
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Als Leni und John im Nachkriegsjahr 1919 aufeinandertreffen, ahnen sie nicht, dass das Schicksal einen Plan mit ihnen hat.

Denn Leni Hansen lebt im Hamburger Treppenviertel, wo ihre verwitwete Mutter ...

Als Leni und John im Nachkriegsjahr 1919 aufeinandertreffen, ahnen sie nicht, dass das Schicksal einen Plan mit ihnen hat.

Denn Leni Hansen lebt im Hamburger Treppenviertel, wo ihre verwitwete Mutter Irma ein kleines Lokal, das „Elbrauschen“, betreibt. John ist Erbe der Reederei Casparius und wohnt in einer stattlichen Villa in Blankenese. Gerade ist er aus dem Krieg zurückgekehrt und muss nicht nur die angespannte finanzielle Situation, sondern auch die Auflösung seiner Verlobung mit Luisa verkraften, als Leni in sein Leben tritt.

Er verliebt sich stehenden Fußes in die unerschrockene junge Frau, nicht nur als sie ihn gegen Anfeindungen verteidigt. Die beiden heiraten, nachdem Lenis Mutter, die für ihre Tochter die Chance gesehen hat, sie versorgt zu wissen, ihr zugeraten hat.

Irma verschweigt, dass die beiden Familien bereits durch vorherige Ereignisse miteinander verknüpft sind. Als diese Verbindungen offenbart werden, reagiert John, der sich und sein Vertrauen in Leni verraten glaubt, mit Ablehnung und lässt seine Frau, die zwar in ihrer Schwägerin Felicitas eine unterstützende Freundin gefunden hat, allein zurück.

Währenddessen gärt es in Deutschland. Die Wirtschaft wird immer desaströser und schlittert in die Weltkrise. Die Situation der Bevölkerung – nach dem ersten Weltkrieg sowieso angespannt – entwickelt sich dramatisch. Das ruft politische Bestrebungen auf den Plan, die Deutschland mit jedem Jahr mehr in den Abgrund reißen.

Werden Leni und John zueinanderfinden und können sie sich und ihre Familien den aufkommenden Bedrohungen entgegenstellen?


Michaela Grünigs Leni Hansen in "Licht und Schatten", dem ersten Band der Reihe "Blankenese. Zwei Familien" ist eine bodenständige junge Frau, die gerade ihre Lehre zur Sattlerin abgeschlossen hat, jedoch wegen der Kriegsheimkehrer ihre Arbeit verliert. Es ist ein Zufall, dass sie John Casparius kennenlernt.

Der Reedersohn, dessen jüdische Mutter bei der Geburt seiner Schwester verstarb, hat sehr unter dem Verlust gelitten. Auch sein Einsatz im Krieg hinterließ Spuren. Mit Leni glaubt er endlich die Frau fürs Leben gefunden zu haben, und als er sie im Grunde gegen den Willen seiner Familie heiratet, hofft er auf Vertrauen und Liebe. Doch er wird enttäuscht und zieht sich in seiner Verzweiflung zurück.

Leni, die sich zuvor der Geringschätzung und Abneigung der Familie erwehren musste, kann sich nur auf Felicitas verlassen. Ihr durchsetzungsfähiger Charakter ermöglicht es ihr, allen Widrigkeiten zum Trotz Selbstbewusstsein aufzubauen und sich in und mit einer ihr fremden Welt zurechtzufinden.

Es erweist sich als mutig von der Autorin, hier ein Paar zu präsentieren, dass – zumindest auf Seiten von Leni – nicht von Anfang an in flammender Liebe entbrannt ist und das bis zum Entdecken der gegenseitigen tiefen Gefühle durch einige ebenso tiefe Täler gehen muss.

Größere Zeitsprünge geben dabei die Gelegenheit für eine Schilderung des wechselhaften Geschehens im Kreis von wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen. Hier beweist die Autorin ihr Können in der beachtlichen Darstellung des historischen Hintergrundes sowie Einbindung der örtlichen Gegebenheiten von Hamburg. Damit entsteht der Eindruck, involviert zu sein, was die herrschende Stimmung erlebbar macht.

Michaela Grünig ist auch „Blankenese – Zwei Familien. Licht und Schatten“ ein großartiges Meisterstück historischer Erzählkunst gelungen.

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Veröffentlicht am 15.02.2023

Marigold. Gegen den Wind

Marigold
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„Die Welt war so viel größer als all das. Einen winzigen Augenblick lang hatte sie ihre Flügel ausstrecken dürfen, um sie zu erkunden, bevor ihr Vater sie erneut in einen goldenen Käfig gesperrt hatte. ...

„Die Welt war so viel größer als all das. Einen winzigen Augenblick lang hatte sie ihre Flügel ausstrecken dürfen, um sie zu erkunden, bevor ihr Vater sie erneut in einen goldenen Käfig gesperrt hatte. Würde sie je wieder Gelegenheit bekommen, daraus auszubrechen?“

Ihre Schönheit und ihr Temperament haben Marigold Clayton, Tochter aus wohlhabenden Hause, kein Glück beschert. Ein unbedachter Kuss, zu dem sie vom Verlobten ihrer Schwester verführt wird, verwickelt sie unverschuldet in einem Skandal und bringt ihr den Ruf als undamenhafter Tollkopf ein. Ein Unding in der Londoner Gesellschaft des Jahres 1769. Marigolds Vater zieht die Konsequenzen, zumal sie nicht nur ihrem Ansehen geschadet, sondern zugleich auch die Heiratsabsichten ihrer jüngeren Schwester Frances zunichte gemacht hat. Obwohl Marigold nicht viel auf das Geschwätz der Leute gibt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen.

An der Seite ihres Onkels Absalom, Handelsbeauftragter der Hudson’s Bay Company in der Provinz Québec reist sie nach Kanada. In Montreal soll sie nicht nur auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden, sondern auch einen passenden Ehemann finden.

Marigold öffnet sich eine völlig andere Welt und ihre Ansichten und ihr Gewissen werden auf eine harte Probe gestellt. Sie erhält leidvolle Einblicke hinter die Fassaden der sogenannten besseren Kolonialgesellschaft, in das Leben der Siedler und Ureinwohner. Letztlich gerät sie in dramatische Konflikte der sich gegenüberstehenden unterschiedlichen Parteien und sodann Gefahr, als sie entdeckt, dass ihr Onkel ein dunkles Geheimnis hütet. Sie muss folgenschwere Entscheidungen treffen und weiß nicht, wem sie vertrauen kann. Ist beispielsweise Kieran, ein Angestellten ihres Onkels, jemand, der es ehrlich mit ihr meint?



„Marigold. Gegen den Wind“ ist ein historischer Roman, der sich neben der Geschichte einer jungen Frau im gesellschaftlichen Kontext einem interessanten Thema widmet: dem Pelzhandel in den britischen Kolonien des 18. Jahrhunderts und der damit einhergehenden begehrlichen Rücksichtlosigkeit gegenüber der ursprünglichen Einwohner – Menschen wie Tieren. Dabei gelingt Camilla Warno die Einbindung dieses eher unbekannten historischen Hintergrundes auf beachtenswerte Art und Weise, weil dies in Form teilweise bedrückender und vielfältiger kämpferischer Momente und mittels überraschender Ereignisse und unerwarteter Wendungen vorgenommen wird. Ab und an wirken diese Wechsel indes zu viel und haben einen unruhigen Verlauf.

Davon einmal abgesehen erzählt die Autorin mit Enthusiasmus und entwickelt eine glaubhafte Schilderung mit einer anschaulichen und lebhaften Beschreibung des Geschehens, in der auch heitere Augenblicke ihren Platz finden. Hierdurch visualisiert sich für uns ein reales Bild vergangener Zeit, das mit einer ans Herz rührende Liebesgeschichte ergänzt wird.

Camilla Warno bindet uns gut in das emotionale Auf und Ab ihrer Protagonisten ein. Sie hat eine recht ausgewogene Charakterzeichnung zwischen „Gut“ und „Böse“ geschaffen, in der Sympathien und Antipathien zwar überwiegend eindeutig verteilt werden, gleichwohl Nuancen in der Gestaltung vorhanden sind.

Marigold nimmt als titelgebende Figur die herausragende Stellung ein. Sie ist eine junge Frau mit kühnem Selbstvertrauen, die ihre Umwelt mit Offenheit und Neugier betrachtet, diese hinterfragt und sich mit ihr auseinandersetzt, großes Interesse an Büchern und der Anhäufung von mehr Wissen hat und liebend gern eigene Träume verwirklichen möchte. Marigold agiert mit Feingefühl, manchmal auch – will man es ihr verdenken – unerfahren, spontan und naiv. Und sie ist nicht frei von Vorurteilen, Skepsis und Misstrauen, wiederum sehr menschliche Eigenarten. Bemerkenswert ist ihr couragiertes Auftreten für andere, das sich im Verlauf der Handlung verstärkt. Und ihr Wille, sich einen Platz in der Welt zu erkämpfen ...

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Veröffentlicht am 28.11.2022

Kinder des Aufbruchs

Kinder des Aufbruchs
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1967 und damit sechs Jahre nach dem Mauerbau ist der Traum von einer deutschen Einheit geplatzt. Die Fronten des Kalten Krieges zwischen Ost und West sind verhärtet und von Misstrauen und Ängsten vor dem ...

1967 und damit sechs Jahre nach dem Mauerbau ist der Traum von einer deutschen Einheit geplatzt. Die Fronten des Kalten Krieges zwischen Ost und West sind verhärtet und von Misstrauen und Ängsten vor dem „Klassenfeind“ geprägt.

Doch auch innerhalb der Gesellschaft gärt es. Besonders die Studenten sind unzufrieden mit den alten Strukturen an den Hochschulen. Ihre Forderungen gelten zeitgemäßen Lerninhalten, einer sozialen Chancengleichheit im Bildungswesen, besseren Lernbedingungen und vor allem auch der Entlassung von Lehrkräften mit Nazi-Vergangenheit. Außerdem erheben sie ihre Stimme für das Ende des Vietnamkrieges und den Stopp der atomaren Aufrüstung. Zusätzlichen Zündstoff bieten die von der Großen Koalition erlassenen Notstandsgesetze, weil sie damit einhergehende gravierende Einschränkungen der demokratischen Grundrechte befürchten.

Im Juni 1967 eskalieren die Ereignisse, als die Studenten in Berlin gegen den offiziellen Besuch des persischen Schahs Reza Pahlevi demonstrierten und dabei Benno Ohnesorg getötet wird. Dadurch tritt eine Radikalisierung der Aktionen ein. Mit dem Attentat auf Rudi Dutschke, der Galionsfigur der deutschen Studentenbewegung, entwickelt sich die bis dahin friedlich Protestbewegung zur Studentenrevolte, die fast alle Universitätsstädte erfasst ...

Inmitten dieses Geschehens finden sich die Zwillinge Emma Laakmann und Alice Weiß wieder, die im geteilten Berlin ihre einstige dramatische Trennung überwunden und ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut haben.

Während Emma als Dolmetscherin arbeitet und eine glückliche Ehe mit Julius führt, die allerdings nach einer Fehlgeburt von dem unerfüllten Kinderwunsch überschattet wird, schreibt die Journalistin Alice unter anderem über die sich entwickelnde Studentenbewegung und engagiert sich für verschiedene Fluchtorganisationen. Mit ihrem Mann Max, dem Vater ihrer Tochter Lisa, hat sie ein Arrangement getroffen, das ihnen beiden jede Freiheit einräumt.

Als die aus dem Ostteil der Stadt geflüchtete Sängerin Irma Assmann, die Alice aus ihrer Vergangenheit in einem DDR-Kinderheim keine Unbekannte ist, ermordet wird, geraten die beiden Paare in einen gefährlichen Strudel unterschiedlicher Ereignisse zwischen den Studentenunruhen und Geheimdienstaktivitäten.

Es stellt sich nicht allein die Frage, ob Irma im Westen als Informantin für den KGB gearbeitet hat. Gerät Alice selbst in den Fokus, weil sie wegen einer vermeintlichen Schuld ihre Unterstützung für eine Gruppe, die Flüchtlinge über ein Tunnelsystem in den Westen schleust, intensiviert? Oder sind Julius und Max wegen ihrer vielfältigen Verbindungen zur DDR Zielscheiben der Staatssicherheit und des Bundesnachrichtendienst?


Mit „Kinder des Aufbruchs“ setzt Claire Winter die in „Kinder ihrer Zeit“ begonnene Geschichte der Zwillinge Emma und Alice fort.

Wie ihre Schwester hat nun auch Alice nach ihrer Flucht in den Westen in Berlin ein neues Zuhause gefunden. Beide arbeiten und haben sich mit ihren Ehemännern Julius und Max sowie Tochter Lisa ein Leben aufgebaut. Doch nicht nur der unerfüllte Kinderwunsch von Emma macht ihr zu schaffen. Es sind auch Geheimnisse aller Beteiligten, mit der die Autorin die Leser zu fesseln vermag. Hinzu kommt ein Mord, bei dem fast schon kriminalistischer Spürsinn gefragt ist.

Insgesamt präsentiert Claire Winter eine wendungsreiche Handlung, mit der es ihr in bemerkenswert authentischer Weise gelingt, die politische Situation und die Lebenssituation der Menschen darzustellen.

Glaubwürdig erzählt sie unter Verwendung von wechselnden Perspektiven im Spannungsfeld des nach dem Mauerbaus schwelenden Ost-West-Konflikts auch von der Aufbruchstimmung in der Bundesrepublik, wo entgegen der im Grundgesetz formulierten Grundrechte eine andere Realität offensichtlich ist: nach wie vor bestehen nicht nur eine Bevormundung im Geschlechterverhältnis, sondern außerdem soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten.

Insbesondere die Studenten wollen sich nicht mehr mit dem Althergebrachten zufrieden geben und gehen für einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft auf die Straße. Außerdem thematisiert die Autorin die gefährliche Arbeit der Fluchthilfe-Organisationen, den Gefangenenaustausch zwischen den beiden deutschen Staaten. Nicht zuletzt haben Angehörige der Geheimdienste durchaus fragwürdige Auftritte.

Die lobenswert intensive Recherche der Autorin zahlt sich aus. Ihre umfangreiche Schilderung der damaligen Umstände und tatsächlichen Ereignisse sowie die Einbindung historischer Personen bietet ein anschauliches Kaleidoskop und wirkt gerade dann sehr realistisch, wenn es mit Gegebenheiten im Dasein ihrer fiktiven Figuren verknüpft wird. In diesem Zusammenhang ist die einfühlsame Charakterzeichnung der Protagonisten mit Stärken und Schwächen hervorzuheben.

Tatsächlich erreicht manches Geschehen den Leser so hautnah, dass es Beklemmung hervorruft. Ebenso lassen sich bei der Lektüre indes neben Empörung, Unverständnis und Ablehnung auch Hoffnung und Freude empfinden, so dass auch mittels dieser Emotionalität „Kinder des Aufbruchs“ zu einer nachhaltigen Lektüre wird.

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Veröffentlicht am 06.11.2022

Drachenbanner

Drachenbanner
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Nach dem Tod seines Vaters verändert sich das Leben des vierzehnjährigen Bedric und seiner Familie für immer. Es wird nie mehr das eines gewöhnlichen Leibeigenen sein.

Bedric hebt sich ab von den anderen, ...

Nach dem Tod seines Vaters verändert sich das Leben des vierzehnjährigen Bedric und seiner Familie für immer. Es wird nie mehr das eines gewöhnlichen Leibeigenen sein.

Bedric hebt sich ab von den anderen, schon deshalb, weil er seinem vorgezeichneten Weg eine Wendung geben will. Ihn verbinden freundschaftliche Bande mit Adela, Tochter von Lord Waringham. Beide sind in derselben Februarnacht geboren und von Bedrics Mutter genährt worden. Nachdem sie die ersten sieben Lebensjahren im Grunde immer zusammen waren, hat sich zwischen ihnen ein festes Band der Verbundenheit entwickelt, das trotz aller Standesunterschiede von besonderer Festigkeit ist.

Während Adela als Hofdame zu Prinzessin Eleanor, der Schwester von König Henry III., geschickt und mit Joshua of Meriden verheiratet wird, arbeitet Bedric unermüdlich auf den Feldern und macht sich als Bogenbauer einen Namen. Sein Ziel ist es, sich aus der Leibeigenschaft freizukaufen. Als der alte Lord Waringham stirbt und sein Sohn Raymond an seine Stelle tritt, verhindert dieser, dass Bedric das Joch der Leibeigenschaft abstreifen kann. Der junge Mann flieht nach London.


Rebecca Gablé schildert in ihrem neuen Roman „Drachenbanner“ die Ereignisse während der Herrschaft von Henry III. in den Jahren 1238 bis 1265, insbesondere den Konflikt um die Reformbemühungen von Simon de Montfort, Ehemann der Schwester des Königs, und seiner Anhänger.

Es gelingt der Autorin auf beachtliche Weise, mit der ihr eigenen Handschrift die historischen Hintergründe darzulegen, dabei die Dramatik zu erhöhen. Im Land gärt es, die politischen Verhältnisse stehen auf dem Prüfstand und den Lesern wird es ermöglicht, das Gerangel um die Macht zu verfolgen und zu betrachten. Dabei werden Entscheidungen und das Agieren einst realer Persönlichkeiten mit den fiktiven Protagonisten in Einklang gebracht sowie deren Entwicklung ausführlich beschrieben.

Mit Bedric Archer steht ein Höriger im Mittelpunkt, so dass sich die Gelegenheit bietet, mehr als nur am Rande über das Dasein von Leibeigenen zu erfahren. Die Autorin schildert in anschaulichen und oft bedrückenden Bildern, wie es ist, als Leibeigener ein Mensch ohne Rechte zu sein und damit nichts weiter als Besitz eines Herrn. Die Darstellung des Alltags, die Sorgen und Nöte der Menschen machen es möglich, ihnen nahe zu kommen und ihre Handlungen und Empfindungen nachzuvollziehen.

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