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Veröffentlicht am 15.09.2016

Taschen en gros

Taschen selbst genäht
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Als ich das Buch entdeckte, hat es mich sofort angesprochen. Zwar nähe ich (noch) nicht, doch ich bin ein Fan von genähten Taschen, und einige hübsche Stücke finden sich bei mir zu Hause.
Das Buch ist ...

Als ich das Buch entdeckte, hat es mich sofort angesprochen. Zwar nähe ich (noch) nicht, doch ich bin ein Fan von genähten Taschen, und einige hübsche Stücke finden sich bei mir zu Hause.
Das Buch ist ein Hardcover und so gebunden, dass man es problemlos offen halten kann. Gegliedert ist es vier Abschnitte. Es gibt Anleitungen für Handtaschen, Beutel und große Taschen, kleine Täschchen und die der allgemeinen Art. Warum allerdings die allgemeinen Anleitungen über die perfekte Ausstattung, das Nähgarn, Stoffe, Zuschnitt usw. den Abschluss bilden, erschließt sich mir nicht.
Wie dem auch sei. In den einzelnen Kapiteln lernen wir zunächst die Taschen im Überblick zeichnerisch kennen, dann bekommen wir sie jeweils im Einzelnen vorgestellt, woran sich die Anleitungen anschließen. Alle Taschen tragen Mädchennamen. Da gibt es beispielsweise die "Griffige Emma", die "Anmutige Viola" oder die "Kleine Charlotte". Diese Idee gefällt mir, weil man sich so leichter orientieren kann. Leider haben es die "Kindertasche Mia" (Handtaschen) und die "Weiche Linda" (Beutel und große Taschen) nicht auf die Zeichnung geschafft und das Bild der "Sarah experimentell" (Kleine Täschchen) stellt sich auch als solche für mich dar. Aber geht man in den ersten beiden Abschnitten von 11 bzw. 10 Modellen aus und bekommt dann Anleitungen für 12 bzw. 11 Modelle, hält sich die Enttäuschung darüber in Grenzen.
Die einzelnen Anleitungen sind anschaulich gegliedert, verständlich geschrieben und beinhalten auf einer Doppelseite neben den erforderlichen Angaben auch einen Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad. Das erleichtert gerade Anfängern die Auswahl. Daneben gibt es übersichtliche Schnittmusterbögen.
Die Farben sind in pastelligen und frischen Tönen gehalten und verleihen dem Buch ein fröhliches Kleid. Die Fotos finde ich bis auf "Laura" (Seite 68) gelungen. In der Gesamterscheinung des Buches sind mir Tasche und Outfit des Modells hier einfach zu düster.

Ansonsten habe ich nun ein gutes Anleitungsbuch, dass ich irgendwann auf jeden Fall auch einem Praxistest unterziehen werde.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zu viel des Guten

Das Geheimnis des Felskojoten
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Vor einigen Wochen habe ich das Buch bekommen, das nach der Leseprobe eine nette Lektüre versprach. Sollte es doch um eine Geschichte mit Liebe, Abenteuer und Mystik der Indianer gehen. Mit dem Lesen war ...

Vor einigen Wochen habe ich das Buch bekommen, das nach der Leseprobe eine nette Lektüre versprach. Sollte es doch um eine Geschichte mit Liebe, Abenteuer und Mystik der Indianer gehen. Mit dem Lesen war ich zügig durch, es handelte sich um sogenannte "leichte Kost", und ich kann sagen, dass dies auch alles vorhanden ist. Doch leider fiel mir die Rezension nicht so leicht. Das Ergebnis der Lektüre lässt sich wie folgt zusammenfassen: Liebe - recht gut, Abenteuer - nicht gut genug und Mystik - zu viel des Guten. Dazu später genauer, erst einmal etwas zum Inhalt.

Serena ist 26 und hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihrem älteren Bruder Fabian. Bis zu dem Zeitpunkt als dieser von heute auf morgen ins Kloster geht. Nach einem Anruf stellt sich heraus, dass Fabian das Kloster verlassen hat und sich in Nordamerika auf der Flucht befindet. Vor seinem Klosteraufenthalt war der junge und talentierte Physiker nämlich in Konflikt mit einem großen Konzern geraten, der ihn zur Vertuschung seiner Machenschaften aus dem Weg räumen lassen wollte und das immer noch will. Serena begibt sich sofort auf die Suche nach ihrem Bruder, trifft auf seinen Freund, den Indianer Shane Storm Hawk und ist mitten drin im Geschehen. Verfolgt von Fabians Gegnern wird sie von Shane begleitet und unterstützt, und auch die Liebe lässt nicht lange auf sich warten.

Denn dass Serena und Shane ein Paar werden, ist im Grunde von Anfang an klar. Dies ist alles recht gut und angenehm beschrieben. Eine Entwicklung ist zumindest zu erkennen, und dankbarerweise fallen die beiden nicht gleich beim ersten Treffen übereinander her.

Gelungen sind im Großen und Ganzen auch die Beschreibungen der Natur, da entstehen anschauliche Bilder im Kopf, sowie die der indianischen Bräuche. Allerdings wird immerzu vom "Great Spirit" gesprochen und ständig taucht der Felskojote auf, ob in natura oder in Träumen.

Serena und Shane geraten wiederholt in irgendwelche Gefahren, die aber eher spannungslos beschrieben werden. Für mich jedenfalls war es nicht gut genug. Abenteuer müssen einen vom Hocker hauen, da muss man mitfiebern und -bangen. Das konnte ich hier nicht.

Ganz unglaubwürdig wird es dann, als Serena zum ersten Mal in ihrem Leben aufs Pferd steigt. Nicht nur, dass sie ihre Höhenangst überwindet und einen steilen Berg hinaufreitet. Das mag vielleicht noch angehen. Nein, sie scheint ein wahrhaftiges Naturtalent (das ist wohl so, wenn man aussieht wie eine Indianerin) zu sein und schafft es, sich im schnellen Galopp (ich rede hier also nicht von einem in der Reitersprache sogenannten normalen Arbeitsgalopp) auf dem Pferd zu halten...

Und immer kommt ihnen der Zufall oder "Great Spirit" zur Hilfe. Ich bin ja offen für Mystik (auch als Atheistin), doch das war einfach zu viel des Guten. Besondere Momente sind vielleicht noch die mit der Großmutter von Shane, die die Schwitzhüttenzeromonie durchführt und die einen ungewöhnlichen Hund besitzt, der allerdings - wie sollte es anders sein - ebenfalls vom Großen Geist geleitet wird.

Als oberflächlich empfinde ich auch die Figurenzeichnung. Es werden zwar Aussehen und ebenso ein paar Charaktereigenschaften beschrieben, doch insgesamt bleiben alle Personen farblos. Etwas mehr Tiefe wäre von Vorteil gewesen, um mit den Figuren mitfühlen zu können. So sind die Guten gut, und die Bösen sind böse. Wobei wir bei den Gegenspielern sind. Da gibt es einen Chef und zwei Handlanger, die mir mit ihrem ständigen "Boss" total auf die Nerven gingen, so tumb wie sie dargestellt wurden. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand noch so spricht. Irgendwie kam ich mir beim Lesen vor wie in einem Gangsterfilm der Zwanziger Jahre, als die Ganoven ebenfalls in schwarzen Anzügen herumliefen und den Finger locker am Maschinengewehr hatten. Ein bisschen wie "Manche mögen's heiß" oder noch besser wie Henk und Abdul aus "Knocking on Heavens Door". Nur dass Moritz Bleibtreu wahrscheinlich wesentlich besser aussieht...

Übrigens richtig heroisch wird es zum Schluss natürlich auch, doch davon verrate ich hier nichts. Insgesamt passt es zum Geschehen und hat mich nicht wirklich überrascht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das faszinierende Wesen Alma

Das Wesen der Dinge und der Liebe
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Es gibt Romane, die kann man aus der Hand legen, ein paar Tage ruhen lassen und findet sofort den Einstieg wieder. Das mag an der Überschaubarkeit der Handlung und der Personen liegen. Oder aber auch am ...

Es gibt Romane, die kann man aus der Hand legen, ein paar Tage ruhen lassen und findet sofort den Einstieg wieder. Das mag an der Überschaubarkeit der Handlung und der Personen liegen. Oder aber auch am Erzählstil. Auf "Das Wesen der Dinge und der Liebe" trifft jedenfalls beides zu. Allerdings sei hier gleich zu Beginn angemerkt, dass ich es für ausreichend erachtet hätte, den originalen Buchtitel "The Signature of All Things" ohne das Hinzufügen "der Liebe" in der Übersetzung zu verwenden, weil es die Vermutung hervorrufen könnte, es handelte sich um eine Liebesgeschichte. Das ist der Roman von Elizabeth Gilbert - jedenfalls in der sonst üblichen Form - definitiv nicht. Diesbezüglich halte ich auch den Umschlagtext für irreführend. Das Cover spricht mich sehr an. Gelungen finde ich auch die Gestaltung mit Pflanzentafeln, die sich zu Beginn einen jeweiligen Teils des Romans wiederfinden.

Der Roman erzählt vom Schicksal der brillanten Alma Whittaker, Tochter eines verschrobenen englischen Botanikers und einer ehrbaren Holländerin. Alma wird am 5. Januar des Jahres 1800 geboren. Ihr Vater notiert hierzu mit der ihm eigenen willkürlichen Rechtschreibung in seinem Wirtschaftsbuch "Eine ehrbare noia mittreisende ist Zu uns geschtossen". Und da die ersten fünf Jahre ihrer "Mitreise" uninteressant zu sein scheinen, lernt der Leser auf den ersten gut 60 Seiten zunächst Henry Whittaker genauer kennen. Er hat es mit Spürsinn, Geschick und Durchhaltevermögen zu Wohlstand gebracht und kann damit seiner Familie ein sorgenfreies Leben bieten.

Alma ist die Tochter ihres Vaters. Sie sieht nicht nur so aus wie er, nein sie ist genauso klug und robust, störrisch, forsch, rastlos. Von Anbeginn will sie die Welt verstehen und das dafür notwendige Wissen finden. Unermüdlich fragt sie, und sie hat diesbezüglich Glück mit ihren Eltern, die keine geistige Trägheit dulden und den Wissensdurst ihrer Tochter fördern.

Alma wird eine Spezialistin im Bereich der Bryologie, der Erforschung der Moose. Darüber vergehen die Jahre. Sie ist über fünfzig, als Ambrose kennenlernt. Beide verbindet die gemeinsame Leidenschaft für das Wissen, das Bedürfnis, die Funktionsweise der Welt zu verstehen und den Mechanismus des Lebens zu erkennen. Doch Alma ist eine klar denkende Wissenschaftlerin, Ambrose dagegen Künstler, der Orchideen voller empfindsamer Schönheit malt, weil er in ihnen und anderen Pflanzen göttliche Hinweise über ihr Wesen sieht und sich wünscht, ein Engel Gottes zu sein. Dem kann Alma nicht folgen. Trotzdem bleibt sie stets weiter auf der Suche nach dem Wesen der Dinge und gelangt wie Charles Darwin und Alfred Russel Wallace zu ihrer eigenen Theorie über die Umbildung der Arten. Am Ende ihres Lebens ist sie, die nie etwas anderes kennenlernen wollte als die Welt, glücklich...

Ich mochte Alma, deren Namen im Spanischen/Portugiesischem die Bedeutung von Seele, Geist oder auch Verstand hat, von Anfang an. Diese ungewöhnliche Person, die eben mit einem ausgezeichneten, intelligenten, präzisen Verstand ausgestattet ist, deren Kopf zwar nicht schön, aber vollgestopft mit Wissen ist, das sie aufsaugt wie ein Moospolster. Dazu hat wesentlich beigetragen, dass sich der Roman nicht nur eine bildhafte Sprache auszeichnet, sondern sich auch philosophische Momente entdecken lassen und vor allem eine warmherzige, humorvolle Ausdrucksweise findet. Hier ein Beispiel, ein Gespräch zwischen Alma und der Hanneke de Groot, der holländischen Hauswirtschafterin:

"Jeder Mensch erlebt Enttäuschungen, Kind...
Mir ist durchaus bewusst, dass jeder Mensch Enttäuschungen erlebt, Hanneke...
Da bin ich mir nicht so sicher. Du bist noch jung, deshalb denkst du nur an deine eigene Person Du merkst nichts von den Kümmernissen anderer... Die Jugend ist nun einmal selbstsüchtig... Schade, dass wir einen alten Kopf nicht auf junge Schultern setzen können, dann wärest du jetzt schon klug. Irgendwann wirst du freilich verstehen, dass niemand imstande ist, ohne Leid durchs Leben zu gehen - wie auch immer du das vermeintliche Glück der anderen einschätzen magst...
Aber was tun wir mit unserem Leid?...
Nun Kind, mit deinem Leid kannst du tun und lassen, was du willst...Es gehört dir. Doch ich will dir sagen, was ich mit meinem tue. Ich packe es an den Haaren, werfe es zu Boden und zermalme es unter den Absätzen meiner Stiefel. Ich schlage vor, dass du lernst, es genauso zu halten."

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gesa und der Verrat im Kastell Bürgel

Gesa
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Die Römische Provinz im September 356. Die junge Bauersfrau Gesa entkommt den Männern, die ihr Dorf überfallen und nicht nur ihren Ehemann Bernulf und ihre beste Freundin Osrun getötet haben. Doch gerät ...

Die Römische Provinz im September 356. Die junge Bauersfrau Gesa entkommt den Männern, die ihr Dorf überfallen und nicht nur ihren Ehemann Bernulf und ihre beste Freundin Osrun getötet haben. Doch gerät sie quasi vom Regen in die Traufe und wird innerhalb kürzester Zeit mehrmals vergewaltigt. Zunächst von Soldaten, die sie im Wald aufgreifen. Später begegnet sie Ulfert, den Drillmeister des Kastells Bürgel, in dessen Schatten Gesa wie viele andere Flüchtlinge Schutz und Nahrung sucht. Gegen einen trockenen Platz zum Schlafen und das Versprechen, dass niemand sie anrührt, der es nicht darf, lässt sie sich zur Prostitution zwingen. Währenddessen reift im Kopf des Tribuns Rikulf, des Befehlshabers über die Soldaten des Kastells Bürgel ein Plan zur Ermordung des Neffen und Nachfolgers des Kaisers...

Der Einstieg in den Roman ist "gewaltig", und das Geschehen liest sich zügig und ohne Hänger. Der Autor hat einen flotten, leichten Schreibstil. Die Schilderungen waren für mich sehr deutlich, und mittels meiner Vorstellungskraft hatte ich auch all die üblen Gerüche in der Nase, die genau beschrieben werden. Manchmal stellte das ständige Beschreiben von Körperflüssigkeiten doch als anstrengend und damit zu viel heraus.

Die handelnden Personen sind überschaubar und überfordern den Leser nicht. Denn alle Hauptfiguren hätten eine deutlich vertiefende Charakterisierung vertragen.

Da ist zunächst Gesa. Bewundernswert finde ich, dass sich die 17-Jährige nicht unterkriegen lässt und versucht, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Ihr Lebenswille scheint ungebrochen zu sein. Bis auf die Tatsache, dass Gesa viel Durchhaltevermögen beweist und mir deshalb sympathisch ist, konnte ich jedoch keine wirkliche Verbindung aufbauen. Ein bisschen mehr Hintergrundinformation über das Wenige und Bekannte über die junge Frau (17, blond, Ehemann, Freundin) hinaus wäre - für mich persönlich - wünschenswert gewesen. Vielleicht würde es erklären, warum sie ihre Situation nicht verzweifeln lässt und woher sie die Kraft nimmt, mit den Geschehnissen klar zu kommen.

Daneben fällt Kreka, die Ehefrau Ulferts, auf, deren Vergangenheit als Kriegerin angedeutet, aber dennoch im Dunkeln bleibt und von der ich den Eindruck habe, dass sie vor allem den "Schutz " ihres Ehemannes in dieser von Männern dominierten Zeit und Gegend zu schätzen weiß und darum alles daran setzt, dieses Schutz nicht zu verlieren.
Ansonsten treten viele Männer auf, die - so scheint es mir - bis auf wenige Ausnahmen nur daran denken, bei Gesa Befriedigung zu finden. Zu diesen erfreulichen Ausnahmen gehört Lutto, der damit trotz seiner blutigen und grausamen Vergangenheit ein Lichtstrahl am Horizont ist.
Zum Ende hin geht dann alles sehr schnell. So schnell, dass gar nicht mehr ins Gewicht fällt, dass der Verlag im Klappentext ankündigt, Gesa würde den Verrat aufdecken. Denn wer dies erwartet, wird enttäuscht werden. Und zum weiteren Schicksal von Gesa fällt mit nur "Vom Winde verweht" ein?

Den Einband finde ich in Ordnung. Er passt zum Inhalt. Hilfreich war für mich die handgezeichnete (mal etwas anderes) Karte, mit der ich eine guten Blick bezüglich des Aufbaus eines Kastells bekam.
Alles in allem lässt sich die Geschichte gut lesen, sie ist unterhaltsam, stellt jedoch keine große Leseherausforderung dar.

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Schaut... auf die Stadt! Dort liegt Berlin."

Das Mädchen aus Bernau
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"Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste"_, hätte es vielleicht im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch ...

"Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste"_, hätte es vielleicht im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch empfindliche Ohren und Wesen heute als etwas derb und plautzig wahrnehmen und sich daher eingeschüchtert fühlen. Doch im Gegensatz zum Ruf des Berliners, unfreundlich, rücksichtslos, ruppig und rechthaberisch zu sein, meint der Berliner es meist aber nicht so, wie es vorne rauskommt. Denn im Grunde haben die Berliner immer ein großes Herz, das sie auf der Zunge tragen. Und das trotz ihrer schnoddrigen Art und entwaffnenden Direktheit. Denn die "große Klappe" ist eigentlich nur der Ausdruck ihrer (angeborenen) Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Statt langatmig und arglistig um den Brei herumzureden, wird einfach gesagt, wie es ist, quasi Tacheles geredet.

Mit diesem Bild eines Berliners vor Augen, der kein Blatt vor den Mund nimmt und diesen noch unverhältnismäßig weit aufreißen kann, begeben wir uns 1325 mit der Bernauer Familie Harzer mitten hinein in die lebendige Doppelstadt Cölln-Berlin, die aus zwei jungen aufstrebenden Metropolen besteht, die sich zu beiden Seiten der Spree, im heutigen Stadtbezirk Mitte, aus zwei Kaufmannssiedlungen entwickelten. Da die Lage am Spreeübergang und Schnittpunkt bedeutender mittelalterlicher Handelsstraßen günstig war, nahmen beide Städte innerhalb kurzer Zeit einen schnellen Aufschwung und bildeten 1307 eine Union.

Über 400 Jahre existierten beide Städte in enger Abstimmung und Zusammenarbeit parallel nebeneinander, bevor sie sich 1709/1710 auf Befehl des preußischen Königs Friedrich I. unter Einschluss der weiteren Städte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt zur Residenzstadt Berlin vereinigten.

In der Doppelstadt brodelt es. Ludwig der Bayer und Papst Johannes XXII. streiten darum, wem die Kaiserkrone zusteht. Davon bekommen Magda, "Das Mädchen aus Bernau", und ihre drei Brüder Lenz, Utz und Diether sowie der Großvater zunächst nicht viel mit. Sie haben eigene Sorgen. Als Bierbrauer waren sie in Bernau angesehen, nun versuchen sie nach einigen Schicksalschlägen einen Neustart als Händler am Alten Markt. Doch Utz, den es mit aller Macht zu den Kaufleuten zieht, hat sich übers Ohr hauen lassen, und sie bekommen kein Standrecht. Bis auf Magda versinken die sonst so arbeitsamen Männer sämtlichst in Resignation. Erst als sie sich auf ihr Können, das Brauen von Bier besinnen, geht es aufwärts. Und mit Thomas scheint es auch die Liebe in Magdas Leben wieder zu geben. Währenddessen wird die Stimmung immer gereizter und zusätzlich durch Nikolaus, den Probst von Bernau, mittels seiner bedrohlichen menschenfeindlichen Predigten angeheizt. So kommt es zum Eklat, die Wut der Bevölkerung entlädt sich, und Nikolaus findet vor den Toren der Marienkirche den Tod.

Gekonnt verwebt Charlotte Lyne historische Ereignisse mit den handelnden Personen und lässt die Zeit des Geschehens so bildhaft vor dem Auge erstehen, dass man meint, dabei zu sein. Dazu ist zum einen auch die Karte aus dem 14. Jahrhundert, die den Umschlag innen ziert, hilfreich. Viele Straßen, Plätze und Bauwerke gibt es immer noch, so dass man sich mit ein wenig Kenntnis des heutigen Berlins in der Doppelstadt des 14. Jahrhunderts gut zurechtfindet. Zum anderen verschafft einem die Autorin mit ihrer feinfühligen und ausdrucksvollen, fernab von Klischees gewählten Sprache eine vorstellungsintensive Teilnahme nicht nur am Leben der Menschen unter zum Teil widrigen Umständen, sondern ebenso an ihrem Handeln, Denken und Fühlen, so dass man sich zugehörig fühlt und bereits beim Lesen bedauert, sich irgendwann von den lieb gewonnenen Personen verabschieden zu müssen.

Mir werden sie deshalb alle fehlen: Opa Harzer, dessen Versuch, seine Enkel zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen, nicht in Gänze gelungen, der jedoch immer noch zu Einsichten fähig ist. Diether, den ich trotz seiner Eskapaden schnell ins Herz geschlossen habe. Denn einer, der an sich zweifelt und der Meinung ist, zu nichts zu taugen, weil es es mit Schlägen und Schelte fast täglich belegt bekommt, kann schon dumm und unüberlegt handeln. Doch wenn in so einem Menschen ein guter Kern steckt, der nur freigepellt werden muss, ist er nicht verloren. Nicht vergessen werde ich den "Drachentöter" Hans, der für Freunde auch in die Bresche springt, wenn sie ihm ein X für ein U vormachen wollen, der vorlaute Petter, der wie ein echter Berliner gern mit dem Mund vorneweg ist, aber trotzdem zu seinem Wort steht, und all die anderen, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten, füreinander einstehen und Berlin zu etwas Besonderen machen (werden). Sie haben das Zeug dazu, den Mut und die Hingabe, etwas Neues schaffen zu wollen...

Natürlich werde ich auch Thomas vermissen, dieses kraftstrotzende Mannsbild, das ein Erdrutsch in Mönchskutte ist, das sich schon mal in die Hand beißen lässt und dann trotzdem die Schönheit des Mädchens rühmt und sie küsst. Dessen Augen manchmal wie eine Laute schlagen, und in dessen Wimpern sich ein Funkeln verkriecht.

Vor allem aber werde ich Sehnsucht nach Magda haben, diesem würzschönsten, krautstämmigen, auf guter Brandenburger Erde gewachsenen Mädchen mit ihrem eindrucksvollem Mut und ihrer beachtlichen unversiegbaren Hoffnung, deren bescheidener Wunsch es ist, dass ihre Familie zusammen ist, dass sie es alle warm beieinander haben und dass über dem Feuer stets ein Topf hängt, in dem dicke Erbsen für den Abend köcheln, und die zupackt und nicht viel Gedöns darum macht, die von Innen strahlt und einfach das Herz auf dem rechten Fleck hat. Eine Berlinerin eben...