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Veröffentlicht am 20.12.2017

Holland in Not?

Und es schmilzt
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Nein, Belgien, aber dafür nicht zu knapp! Eva wächst in dem kleinen Ort Bovenmeer in einer scheinbar intakten Familie auf: es ist alles da, was man braucht: Bruder, Schwester und vor allem beide Eltern. ...

Nein, Belgien, aber dafür nicht zu knapp! Eva wächst in dem kleinen Ort Bovenmeer in einer scheinbar intakten Familie auf: es ist alles da, was man braucht: Bruder, Schwester und vor allem beide Eltern. Dass dennoch ganz gewaltig der Wurm drin ist, fällt nur den wenigsten auf und die sind sich nicht sicher, was genau sie sehen. Evas kleine Schwester Tesje ist nämlich verhaltensgestört - kommt ja in jeder besseren Familie vor, sowas. Denken die Nachbarn.

Und Eva hat Freunde, sie wächst in einem Dreierklübchen mit zwei gleichaltrigen Jungs auf, manche nennen sie auch die drei Musketiere - von der Schulbank bis zum späten Abend machen sie jahrelang alles gemeinsam.

Aber trotzdem, irgend etwas stimmt nicht und das offenbart sich erst allmählich, auch Eva selbst. Sie muss das Dorf erst verlassen und neun Jahre meiden, bis sie weiß, was sie will.

Und dann kommt sie zurück mit einem riesigen Eisblock im Gepäck und setzt ein Ausrufezeichen.

Ein Roman, der Trauer transportiert, Einsamkeit und Hilflosigkeit. Wie um Himmels Willen war die junge Autorin Lize Spit dazu imstande, aus diesen Elementen eine kraftvolle Geschichte zu konstruieren, in einem ganz eigenen Stil, einer eigenen Sprache, einen, der einige überaus eindringliche Charaktere beinhaltet. Evas Freunde sind es allerdings nicht, sie bleiben eher grau, es sind die Nebenfiguren, die farbig werden, diejenigen, an die auch Eva nicht nahe genug herankommt. Nicht nahe genug, um ihre Welt bunt werden zu lassen.

Eine Geschichte, die von einer Gesellschaft zeugt, in der mehr Schein als Sein ist, von Menschen, die aneinander vorbeigehen und zwar in Dörfern, in denen doch eigentlich jeder jeden kennt. In Bovenmeer nicht und der Umgang der Akteure miteinander ist auch nicht gerade ohne. Was ist sozial schwach? Es sind nicht diejenigen, die nicht arbeiten, keine Familie haben, sondern es sind die, die ihren Nächsten das Leben zur Hölle machen. Auf die ein oder andere Art, aus unterschiedlichen Beweggründen, mit unterschiedlichen Treibern, teilweise unbeabsichtigt.

Lize Spit - eine Powerfrau? Nein, eine Trauerfrau, jedenfalls in diesem Roman. Den man aber dennoch lesen sollte, weil er aufrüttelt und bewegt. Wäre die Autorin nicht so jung, würde ich sagen - diese Zitrone hat (noch) viel Kraft. Ja, also doch Power. Auf eine ganz eigene Art: sie gibt den Evas und Tesjes dieser Welt eine Stimme!

Verstörend und lesenswert!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Familientreffen für einen Sommer

Damals
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Eine Familie - vier Geschwister und ihr Anhang unterschiedlicher Art - trifft sich nach langer Zeit in ihrem gemeinsam Haus. Viele Erinnerungen hängen daran, hier wurden gemeinsame Sommer verbracht und ...

Eine Familie - vier Geschwister und ihr Anhang unterschiedlicher Art - trifft sich nach langer Zeit in ihrem gemeinsam Haus. Viele Erinnerungen hängen daran, hier wurden gemeinsame Sommer verbracht und zwar nicht wenige. Auch an die Verstorbenen, die Mutter und die Großeltern, kann man sich an diesem Ort ganz besonders gut erinnern - wenn man will. Das ist nicht bei jedem so und zudem ist eine schwere Entscheidung zu fällen: soll das Anwesen verkauft oder behalten werden? Dafür gibt man sich etwas Zeit - einen ganzen, gemeinsamen Sommer.

Obwohl die Handlung nur an einem Setting und zu zwei Zeitpunkten stattfand, empfand ich den Roman als jahrzehntelanges Über-die-Schulter-Schauen bei einer englischen Familie über Generationen hinweg. Trotz des gekonnten Stils empfand ich dieses Buch als überaus anstrengend und habe es nach der Lektüre so erschöpft beiseite gelegt, als hätte ich den ganzen Tag körperliche Schwerstarbeit geleistet.

Für meinen Geschmack gibt Tessa Hadley zu viel preis, erzählt mitunter zu ausgiebig, bezieht zu viele Nebenfiguren mit ein - wobei das bei einer ganzen Armee von Hauptdarstellern eigentlich nicht verwunderlich ist. Dadurch kommt zwar ein Stimmungsbild zustande, das durch den Einschub aus der Vergangenheit mehr Kraft und Vehemenz erhält, mich jedoch relativ emotionslos zurücklässt. Und ich bin ganz sicher, dass dies gerade nicht die Intention der Autorin ist. Was Ian McEwan - an ihn fühlte ich mich aufgrund der Thematik erinnert - bei mir mühelos vermag, nämlich mich mit einer alltäglichen Problematik tief zu beeindrucken - das konnte diese Autorin nicht erreichen.

Dies ist der erste Roman der in ihrer englischen Heimat bereits seit längerem bekannten Autorin Tessa Hadley, der ins Deutsche übersetzt wurde. Aus meiner Sicht braucht nichts weiter nachgeschoben zu werden, da ich sowieso nicht zu den Büchern greifen werde, doch warne ich Sie: lassen Sie sich nicht zu sehr von meiner etwas mißmutigen Stellungnahme beeinflussen. Ich gebe zu, ich hatte entsprechend hohe Erwartungen und bin nun etwas enttäuscht. Aber es kann sein, dass dieser Stil, dieser Blick auf eine Familie, der in England durchaus Tradition hat - man denke nur an Jane Austen oder auch an Virginia Woolf - sie anders als mich zu fesseln oder gar zu beflügeln vermag!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Vater werden ist nicht schwer

No. 9677 oder Wie mein Vater an fünf Kinder von sechs Frauen kam
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vor allem, wenn die Befruchtung im Reagenzglas erfolgt und man als Erzeuger nicht großartig irgendwelche Konsequenzen zu tragen hat. Als Samenspender nimmt man keinerlei finanzielle Verpflichtung auf sich, ...

vor allem, wenn die Befruchtung im Reagenzglas erfolgt und man als Erzeuger nicht großartig irgendwelche Konsequenzen zu tragen hat. Als Samenspender nimmt man keinerlei finanzielle Verpflichtung auf sich, im Gegenteil, man wird dafür bezahlt.

Will Bardo hat sich so als Collegestudent etwas dazuverdient und ist auf diese Weise im Alter von 38 Jahren Vater von fünf Kindern im Teenageralter. Ein stolzer? Man weiß es nicht, denn er kennt sie nicht.

Von diesen fünf Kindern, aufgewachsen in vier Familien, machen sich vier auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater. Das Ganze geht von Milo und Hollis aus, die bei lesbischen Elternpaaren aufgewachsen sind und sich im Alter von 14, 15 auf die Suche nach ihren Wurzeln machen wollen. Aus ihrer Perspektive ist die Geschichte auch geschrieben, sie erzählen abwechselnd. Außer ihren Mitstreitern, die ja auch ihre Halbgeschwister sind, spielt auch JJ eine nicht gerade kleine Rolle: er wurde als Baby adoptiert, ist Milos Freund - bald auch der von Hollis - und nimmt ungeheuren Anteil an ihrem Schicksal.

Abgesehen von der Vatersuche gibt es mehrere andere relevante Themen wie bspw. Homosexualität und das Teenagerdasein an sich. Autorin Natasha Friend geht das Thema locker und eloquent an und gibt dem Leser das überaus angenehme Gefühl, dass lesbische Eltern etwas völlig Normales sind. Sind sie ja auch in Zeiten der Ehe für alle, oder nicht? Ist bloß noch nicht jeder drauf gekommen.

Ein warmherziges Buch mit gut entwickelten Figuren - ganz eindeutig eine Stärke der Autorin - das in ihrer Heimat, den Vereinigten Staaten in Zeiten von Trump sicher nicht nur auf Zustimmung stößt. Also auch ein mutiges Buch, was in der Hinsicht schade ist, dass sowas überhaupt nötig ist. Und es schlägt eine Bresche für Kinder, die in etwas anderen als der üblichen Familienkonstellation aufwachsen.

Absolut lesenswert, vor allem, da die Geschichte eine ganz andere Entwicklung nimmt als die eigentlich erwartete. Unkonventionell und warmherzig - einfach gut!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Viele Fragezeichen auf der Stirn

Homo Deus
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und mehr noch im Gehirn hatte ich nach der Lektüre des Buches "Homo Deus" des israelischen Wissenschaftlers Yuval Noah Harari. In seiner ebenso klugen wie polarisierenden Geschichte von Morgen taucht Harari ...

und mehr noch im Gehirn hatte ich nach der Lektüre des Buches "Homo Deus" des israelischen Wissenschaftlers Yuval Noah Harari. In seiner ebenso klugen wie polarisierenden Geschichte von Morgen taucht Harari tief in die Geschichte und Kultur, die Natur und die Entwicklung des menschlichen Werdens, seiner unterschiedlichen (Um)wege ein.

Wozu ist eine Geschichte der Zukunft überhaupt notwendig? Nun, diese Antwort fällt nicht schwer im Hinblick auf die Sorgen, die der Mensch der Gegenwart - sowohl im Allgemeinen als auch als Individuum zu tragen hat: Bedrohung der Umwelt, Radikalisierung der Gesellschaft(en), Kampf gegen Krankheiten, gegen Armut und vor allem für den Frieden und die Gerechtigkeit. Da schadet es nichts, Visionen zu entwickeln bzw. dazu einzuladen, selbiges zu tun. Denn Harari bezieht den Leser durchaus in seine Überlegungen und Darstellungen, in sein gesamtes Modell mit ein. Es sind - aus meiner Sicht - mehr Darstellungen, ja Präsentationen als Überlegungen, denn der Professor - Harari ist Historiker, hat u.a. in Oxford studiert und lehrt an der bekannten Hebrew University - ist ausgesprochen eitel. Und unbescheiden (wozu er allen Grund hat, auch wenn dies nicht jedermanns Sache ist). Vor allem ist er ausgesprochen mutig, denn es war vorauszusehen, dass er sich mit seinen Thesen angreifbar macht.

Ja, die Thesen - sie betreffen, wie bereits erwähnt, ein überaus breites Spektrum an Themen, in dieser Hinsicht ist das Buch also ausgesprochen rund, denn der Autor bringt seine gesamten Überlegungen in Bezug auf die Zukunft des Menschen und die im Titel enthaltene Fragestellung, ob es ihm möglich sein wird, gottähnlich zu agieren, definitiv auf den Punkt. Nun, das möchte ich an dieser Stelle nicht näher definieren, sondern vielmehr darauf verweisen, dass eine Lektüre auf jeden Fall ein Gewinn ist, selbst wenn man - liegt im Bereich des Möglichen - irgendwann völlig genervt ist und das Buch in die Ecke pfeffert. Dann hat der Autor zumindest gewisse menschliche Instinkte des Lesers geweckt, wenn auch ablehnende. Und ihn damit zum Denken gebracht, ein zentraler Punkt.

Denn dieses kluge Buch enthält ein wahres Konvolut an Anregungen. Hararis Gedanken zur Religion bspw. konnte ich in vielem nicht teilen, aber sie haben mich zum Nachdenken, zu einer Auseinandersetzung nicht nur mit Gott, sondern vor allem mit mir selbst gebracht, die noch andauert. Ein sehr wichtiger Aspekt des Buches ist die Nachhaltigkeit, die Langlebigkeit der Gedanken. Denn obwohl der Autor aus der aktuellen Situation heraus argumentiert, wird dies auch noch in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren seine Relevanz haben.

Yuval Noah Harari - ein moderner Philosoph? Definitiv, würde ich sagen und zwar einer, dessen Namen man auch noch in späteren Jahrhunderten kennen wird. Ein Trendsetter sozusagen, denn er benennt die Themen, die für uns und die nachfolgenden Generationen von Bedeutung sind und zwar in der Sprache seiner Zeit. Es muss nicht unbedingt gefallen, was der Autor schreibt, aber bewegen sollte es!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Auf der Suche nach der verlorenen Frau

Wer hier schlief
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ist Philipp, nachdem er für besagte Schönheit namens Myriam alles aufgegeben hat. Alles - das ist ein komfortables Leben inklusive gut situierter Partnerin, in deren Unternehmen für Sicherheitstüren er ...

ist Philipp, nachdem er für besagte Schönheit namens Myriam alles aufgegeben hat. Alles - das ist ein komfortables Leben inklusive gut situierter Partnerin, in deren Unternehmen für Sicherheitstüren er einen sicheren und guten Job hat. Aber nur, bis er sie verlässt, dann bricht alles zusammen, denn auch Myriam ist auf einmal unauffindbar. Und bevor sie das wurde, hat sie sich ganz schön geleistet.

Wobei sich Philipp - wie im Laufe der Lektüre mehr und mehr deutlich wird - schon immer so durchs Leben gestromert hat. Auch in den Zeiten vor Myriam. Doch jetzt wird es ernst. Allmählich - und das geht schnell - verliert er sich selbst, zunächst ohne es zu merken. Er hat auf Risiko gesetzt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Und irendwie klappt nichts, denn "möglicherweise hatte er nicht das Geringste von dem, was irgendwer brauchte". (S.124)

Das Buch lebt durch ungewöhnliche Settings und interessante Nebenfiguren wie einen plötzlich auftauchenden alten Herrn oder auch Philipps Schwester Andrea oder auch die SUHOs (Abkürzung für Suddenly Homeless, eine ebenso realistische wie intensive Bewegung, die es wirklich geben könnte). Eine Art Roadtrip könnte man Philipps Odysee, zu der der beabsichtigte Start in ein neues Leben quasi wird, auch nennen.

Gelegentliche Abstecher ins Tragikomische offenbaren die wunden Stellen des Protagonisten Philipp, der "nie gelernt hat, sich vor Verletzungen zu schützen" (S. 118). Er und auch die meisten der anderen Akteure sind wahrlich keine Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens weilen. Aber wenn man es an sich heranlässt, ist es trotzdem ein positives Buch, weit davon entfernt, für Frustration zu sorgen.

Die Ursache dafür ist nur durch die Lektüre desselben herauszufinden, aber glauben Sie mir - es lohnt sich, in diese von Isabella Straub geschaffene Welt einzutauchen. Ihre Sätze sind treffend - auf wenigen Seiten skizziert sie eine Fülle von Charakteren, auf die man erstmal kommen muss - und die man so schnell nicht vergisst - und auch die Handlung ist nicht ohne. Hier zeigt sich, dass das Alltägliche oft die besten Geschichten birgt - wobei es diesmal durchaus noch Luft nach oben gibt, wenn auch nur ein kleines bisschen!