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Veröffentlicht am 20.07.2019

Psychologisch einfühlsame Familiengeschichte mit beeindruckend ungewöhnlichem Schreibstil

Kieloben
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"Kieloben" ist ein ungewöhnlicher, feinfühliger Roman über...ja, über was? Viele Dinge werden hier behandelt, trotz der relativen Kürze des Buches mit bemerkenswertem Tiefgang.

Wir werden gleich mitten ...

"Kieloben" ist ein ungewöhnlicher, feinfühliger Roman über...ja, über was? Viele Dinge werden hier behandelt, trotz der relativen Kürze des Buches mit bemerkenswertem Tiefgang.

Wir werden gleich mitten in das Geschehen hineingesetzt, zu Beginn war ich ein wenig überfordert von den unbekannten Namen, den Verwandtschaftsverhältnissen und zurückliegenden Ereignissen. Man muß dieses Buch konzentriert lesen. Die Informationen werden (größtenteils) nach und nach enthüllt. Wir begleiten zu Beginn Inga, die nach dem Unfalltod ihres Mannes eine Reise nach Norwegen macht. Handlung gibt es hier kaum, es geht hier um Ingas Gedanken. Auch im weiteren Verlauf des Buches werden einige solch kontemplativer Kapitel folgen, manche, wie dieses am Anfang, fand ich sehr gelungen, manche etwas zu langatmig. Für mich schien Ingas Reise zu sich selbst letztlich der Hauptfokus des Buches. Das entsprach nicht den Erwartungen, die ich hatte, was aber natürlich nicht Buch und Autorin anzulasten ist und auf die Rezension keinen Einfluß hat. - Ingas Vater war während des Zweiten Weltkriegs mit der Marine vor Norwegen stationiert und so erweckt diese Reise auch Ingas Erinnerungen, Fragen. Diese versucht sie, per Email mit ihren Brüdern Markus und Matthias zu klären. Der Emailaustausch dieser drei Geschwister ist hervorragend dargebracht. Ohne einleitende Worte, ohne Drumherum lesen wir ausschließlich die Emailtexte, die Absender sind jeweils in Klammern mitgeteilt. Dieses etwas ungewöhnliche Herangehen gefiel mir ausgezeichnet und so wirkten die Emailinhalte viel unmittelbarer und ich als Leser war mittendrin im Austausch.

Der Teil des Buches, in dem die drei Geschwister gemeinsam versuchen, ihre (durchaus unterschiedlichen) Erinnerungen und Gesichtspunkte in Einklang zu bringen und mehr über den Vater herauszufinden, war für mich der absolut beste Teil. Wir erfahren die Fakten nach und nach, wie Puzzleteile, oft nur in einem Nebensatz, einem kleinen Wort. Auch hier ist wieder aufmerksames Lesen und Mitdenken gefragt. Schnell wird deutlich, daß die drei Geschwister eine unschöne Kindheit hatten und beide Eltern vom Krieg psychisch schwer gezeichnet waren. Was genau damals passiert ist, das erfahren wir nach und nach, allerdings nur teilweise. Es bleiben doch einige Fragen offen.

Der bemerkenswerte Schreibstil paßt sich der Situation stets wundervoll an. Bei Ingas "Gedankenkapiteln" das Langsame, das Verharren in nebensächlichen Informationen (was mir teilweise nicht so gut gefiel), bei den Emailabschnitten das völlige Weglassen des Drumherums. Bei der einzigen Begegnung der drei Geschwister dann wieder eine andere stilistische Umrahmung. Die Probleme im Geschwisterverhältnis werden hier bildhaft dargestellt, wir erlesen sie nicht durch Erklärungen, wir erfahren sie unmittelbar. Einige Abschnitte dieser Unterhaltung waren mir etwas zu sprunghaft, anstrengend, aber es ist im Ganzen eine meisterhaft ausgearbeitete Szene. Hier tauchen wir auch ein die norwegisch-deutsche Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Ich weiß wenig davon, deshalb war es ausgesprochen interessant. Auch die in späteren Kapiteln folgende Sicht der Norweger auf vieles, die Erlebnisse der Norweger während und nach des Krieges waren sehr lesenswert. Davon hätte ich gerne noch viel mehr gehabt.

Der zweite Teil des Buches läßt dann zu meinem Bedauern die für mich interessantesten Personen fast gänzlich hinter sich und widmet sich hauptsächlich Ingas innerer Reise, hier kommt nun auch die Norwegerin Mette zu Wort. Diese Kapitel sind sehr ruhig, an manchen Stellen für mich zu langgezogen, gerade nach dem fulminanten Klimax der Begegnung der drei Geschwister und ihrer Nachforschungen. Segelfreunde werden mit den teils doch recht detaillierten Segelinformationen mehr anfangen können als ich - diese nahmen mir an mehreren Stellen des Buches zu viel Raum ein. Ein ausführliches Kapitel über einen Segeltörn verband für mich diese Segeldetails, das Verharren in nebensächlichen Informationen und das Langatmige und hat mir nicht gefallen.

Ingas Finden zu sich selbst wird ebenso einfühlsam beschrieben wie die Auswirkungen, die die Kriegstraumata nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf die nachfolgende Generation haben können. Die Autorin ist Psychologin, das merkt man im Buch auf angenehme Weise.

So haben wir hier also mehrere, miteinander verwobene Themen - die norwegisch-deutsche Geschichte, die Familiengeschichte (die beiden kamen mir persönlich etwas zu kurz), die psychologischen Aspekte verschiedener Lebensereignisse und den langen Arm der Kriegstraumata. Alles erzählt mit Wissen, Können und eben diesem so ungewöhnlichen, teils faszinierendem Schreibstil, der auch nach dem Lesen noch zum Nachdenken anregt. Ein Buch, das Eindruck macht.

Veröffentlicht am 18.07.2019

Visuell ansprechender und informativer Bildband

Elisabeth - Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn
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Dieser großformatige Bildband begleitet das Leben Elisabeths, Kaiserin von Österreich und ab 1867 Königin von Ungarn, mit zahlreichen Abbildungen und zeitgenössischen Zitaten. In 12 thematischen Kapiteln ...

Dieser großformatige Bildband begleitet das Leben Elisabeths, Kaiserin von Österreich und ab 1867 Königin von Ungarn, mit zahlreichen Abbildungen und zeitgenössischen Zitaten. In 12 thematischen Kapiteln werden uns die Aspekte dieser komplizierten Persönlichkeit in mehr oder weniger chronologischer Form nahegebracht. Jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, den Hauptraum nehmen die erwähnten Zitate und Abbildungen ein.

Die Einführungen sind informativ und angesichts der Tatsache, daß sie aufgrund des Fokus auf die Bilder thematisch etwas knapper sein müssen, werden erstaunliche viele Themen angesprochen. Natürlich bleibt vieles an der Oberfläche, Vorkenntnisse über das Leben Elisabeths oder eine entsprechende ausführlichere Begleitlektüre sind hilfreich. Für eine Übersicht, bzw einen Bildbandbegleittext sind sie aber gut. Der Ton gleitet öfter ab ins Pathetische und von Objektivität herrscht keine Spur. Johannes Thiele scheint ein großer Elisabeth-Bewunderer zu sein, zeigt keine kritische Distanz und reagiert sogar recht ungehalten auf jene, die Elizabeth kritischer betrachten. An manchen Stellen klingt seine Reaktion auf manche Textstellen in Biographien (insbesondere jener von Brigitte Hamann) geradezu beleidigt. Die unzweifelhaft vorhandenen psychologischen Probleme Elisabeths werden hier fast trotzig weggewischt und die Betonung, wie unverstanden sie doch sei, legt sich über die ganzen Einführungstexte. Das war auf Dauer etwas anstrengend.

Die Bildervielfalt ist beeindruckend, viele Abbildungen sind durchaus bekannt, aber erstaunlich viele habe ich noch nicht vorher gesehen. Die thematische Einordnung führt zudem auch zu neuen Blickwinkeln. Wir sehen Gemälde, Fotografien, Radierungen, Zeitungsartikel und diverse andere Materialien. Interessant auch die Erklärungen zur häufig verwendeten Fotomontage (da Kaiserin und Kaiser selten gemeinsam fotografiert werden konnten) und Retuschierung in späteren Jahren (da Elisabeth nach ihrem 40. Geburtstag keine Fotografien von sich mehr erlaubte). Das Hauptmotiv ist natürlich Elisabeth, aber auch andere Familienangehörige begegnen uns durch das Buch hindurch. Hofangestellte und Geschwister Elisabeths bekamen ihre eigenen Bereiche im Buch, die bei den Geschwistern auch mit kurzen Lebensläufen versehen wurden - eine gute Idee, interessant und informativ. Räume und Schlösser bekommen wir zu sehen, Bilder großer Ereignisse wie der Hochzeit, der Krönung in Ungarn, Beerdigungen. Kleider und einige Gebrauchsgegenstände der Kaiserin. Es ist eine gut gemischte Vielfalt, die die jeweiligen Themen gelungen illustriert. Auch die Seiten des Buches sind liebevoll gestaltet, visuell ist es alles sehr ansprechend.

Die Zitate sind ebenfalls hauptsächlich von Elisabeth (und die Geballtheit ihrer häufig vor Larmoyanz triefenden Aussagen ist durchaus ab und an anstrengend) und sagen uns über ihre Persönlichkeit durchaus mehr als die subjektiven Einführungstexte. Die Trauer und Enttäuschung der jungen Braut ist berührend, die Korrespondenz zwischen ihr und Kaiser Franz Joseph erhellend. Die wenigen Aussagen des Kaisers selbst haben mich in ihrer Schlichtheit und ihren ehrlichen Gefühlen weit mehr angerührt, auch ihre Würde fällt neben der selbstbezogenen Jammerei seiner Frau sehr auf. Während sie ihrer jüngten Tochter zur Hochzeit Dinge schreibt wie "Ich kann dich nur bedauern. (...) Was nutzt es, daß ich Mutter ward, und dir zu Lieb entsagte Dem Leben, wo nach Feenart Ich wild die Welt durchjagdte? Fort zieht es dich aus meiner Näh' Zu jenem blassen Knaben, Trotzdem ich ehrlich dir gesteh', Ich möchte ihn nicht haben", gibt es ein schlichtes Zitat Franz Josephs zur Beerdigung seine Sohnes, welches mir ins Herz schnitt: "Ich habe mich gut gehalten. Nur in der Gruft, da ging's nicht mehr."
Lesenswert sind auch die Zitate von Zeitzeugen über die Kaiserin oder ihr Verhältnis zum Kaiser. Die Kinder des Kaiserpaars kommen ebenfalls ab und an zu Wort. So ist auch die Zitatenvielfalt gelungen.

Für mich war dieses Buch eine gelungene Mischung aus Visuellem und Informativem. Ein wenig mehr Objektivität und weniger Pathos hätten nicht geschadet, aber zum Glück relativieren die Zitate manches aus den Einführungstexten. Wer ein wenig in k.u.k.-Pracht schwelgen möchte, dem kann ich das Buch nur empfehlen.

Veröffentlicht am 17.07.2019

Konnte mich weder erzählerisch noch atmosphärisch überzeugen

Der Garten über dem Meer
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Die Prämisse des Buches hat mich gereizt: ein Sommerhaus am Meer, ein Einblick in das Leben in Spanien vor dem Bürgerkrieg und der Diktatur, das Ganze berichtet durch einen eher unbeteiligten Beobachter. ...

Die Prämisse des Buches hat mich gereizt: ein Sommerhaus am Meer, ein Einblick in das Leben in Spanien vor dem Bürgerkrieg und der Diktatur, das Ganze berichtet durch einen eher unbeteiligten Beobachter. Ich dachte ein wenig an "The Enchanted April" - eine atmosphärische Geschichte, die uns die Schicksale und Hintergründe der Personen allmählich aufdeckt. Leider hat mich der vielbeschworene Zauber nicht erreicht.

Erzähler ist hier der Gärtner des Sommerhauses, der den üppigen Garten mit Hingabe und Können pflegt, in Trauer um seine früh verstorbene Frau gefangen ist und die Geschehnisse recht lakonisch berichtet. Das Haus gehört einem jungen wohlhabenden Paar, das die Sommermonate dort mit einem Kreis von Freunden verbringt. Über sechs Jahre hinweg berichtet uns der Gärtner von diesen Freunden, aber auch ihrem Umkreis.

Zu Beginn ist alles denkbar heiter, eine Gruppe Leute mit zu viel Geld und zu viel Zeit amüsiert sich recht oberflächlich und teils recht albern. Das Personal hat seine eigenen Querelen und der Gärtner beobachtet und berichtet uns. Es sind viele Personen, es werden auch immer mehr und die meisten davon blieben mir völlig fremd. Das war für mich der eine große Nachteil der Geschichte - wir erfahren die Charaktere aus der Distanz, manche tauchen Jahr für Jahr nur als vorbeischwebende Namen auf. Nur vereinzelt konnten sie mich etwas anrühren, die meisten blieben mir so weit entfernt, daß auch die Geschehnisse mich nicht berühren konnten.

Die Methode, alles über den Gärtner zu erfahren führt zudem zu für mich etwas seltsamen Konstrukten. Er beobachtet einiges, aber das meiste wird ihm zugetragen, vom Hauspersonal, von Nachbarn, von Dorfbewohnern, von anderen Angestellten usw. Das führt dazu, daß sich alle möglichen Leute umgehend zum Gärtner hingezogen fühlen und ständig bei seinem Häuschen auftauchen, um ihm ihre Seele zu entblößen oder ihm alles Mögliche über andere Menschen zu erzählen. Das ist unglaubwürdig und ging mir auch ein wenig auf die Nerven. Einmal sagt auch jemand: "Und wie kommt es, dass ich Ihnen das alles erzähle?" - Ja, genau das habe ich mich beim Lesen auch immer gefragt. Das Konstrukt hakt für mich schlichtweg.

Im Nachwort wird erwähnt: "Das eigentliche Element dieses Romans, das ist die Luft zwischen den Informationen, das ist seine Atmosphäre voller Schwingungen und Halbtöne." Ja, vieles wird nicht gesagt, vieles ergibt sich aus dem Zusammenhang, was an sich ganz interessant ist. Leider führt dies in Zusammenhang mit der o.e. Distanz zu den Figuren dazu, daß die Geschehnisse an mir vorbeiflossen. Von der Atmosphäre hatte ich mir ebenfalls mehr erwartet, auch wenn Haus und Garten durchaus reizvoll vor dem geistigen Auge auferstehen und die sich verändernde Stimmung über die Jahre gut eingefangen wird. Die "Luft zwischen den Informationen" führt an vielen Stellen zu nichtssagenden banalen Dialogen. Banal fand ich hier vieles. Auch stilistisch war dies nicht mein Buch. Ich habe es inspiriert vom sprachlich fulminanten "Nada" gelesen. Hier ist der Schreibstil aber leider so gar nicht bemerkenswert, oft nahezu flach und auch wieder: banal.

Insofern kann ich mich dem Lob für dieses Buch nicht anschließen. Die vielversprechenden Elemente waren für mich nicht gelungen umgesetzt, ich war nicht sonderlich berührt und auch nicht sehr beeindruckt.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Die Umsetzung dieses interessanten Themas war leider nicht mein Geschmack

Die Luftvergolderin
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In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. ...

In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. Es ist eine gute Idee, die Biographie dieser Frau zu erzählen, denn erzählenswert ist sie, und ich kann vorab sagen, daß ich durch das Buch viel über Anna von Ungarn gelernt habe.

Die Autorin wählt den Weg, das auf auf dem Titel gezeigte Brautportrait Annas in die Geschichte einzubinden, gewissermaßen als roten Faden für das Buch zu nehmen. Das ist ein origineller Ansatz und von der Idee her gut, geht aber leider doch sehr auf Kosten des eigentlichen Themas. Es wurde mir leider fast durchweg zu viel auf Nebenschauplätzen verweilt. Die ersten hundert Seiten führten uns in die Hintergründe von Annas Situation als junge Frau ein - sie wurde fast noch als Kind mit Kaiser Maximilian von Österreich vermählt, der hier als Stellvertreter für seine Enkel agierte, die zu dem Zeitpunkt noch zu jung waren, um Anna selbst zu heiraten (ja, zwei Enkel, wer nun Anna letztlich tatsächlich heiratet, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht raus). Nach Maximilians Tod sitzt Anna erst mal herum und wartet darauf, daß einer dieser Enkel sie heiratet. Dies ist der Zeitpunkt der Entstehung des erwähnten Bildes und ihre Sitzungen mit dem Maler Hans Maler bilden in jenen ersten 100 Seiten eine Art Rahmenhandlung. Es werden immer einzelne Sätze aus verschiedenen Dialogen und Sitzungen der beiden herausgenommen, was auf mich ziemlich ungeordnet wirkt und auch zu mehreren Wiederholungen führt. So findet keine Unterhaltung statt, sondern man liest eben immer nur herausgerissene Sätze, die dann von ausführlichen erklärenden Absätzen unterbrochen werden. In diesen Absätzen erinnern sich sowohl Hans Maler wie auch Anna selbst an das bereits Geschehene. So erfahren wir über Annas Kindheit und Herkunft, über die kurzen Jahre der Ehe mit Maximilian und können uns Stück für Stück - passend zum roten Faden - ein geistiges Bild malen. Das ist an sich keine schlechte Methode und gerade Annas Erinnerungen und die persönlichen Einblicke in Maximilians Persönlichkeit, sind interessant. Leider aber gibt es auch sehr detailverliebte historische Informationen, die für die Geschichte oft gar keine Relevanz haben. Nun liebe ich Geschichte, lese sehr gerne darüber, aber es muß schon im Zusammenhang stehen und wenn die historischen Ausführungen die Handlungen ständig und lange unterbrechen, dann macht sogar mir das Lesen über Geschichte keinen Spaß mehr. Die Sprunghaftigkeit, die langen Einschübe ohne Relevanz für die Geschichte, die Wiederholungen...all das machte es schwierig und unerfreulich, sich durch diesen ersten Teil zu arbeiten. Fünfzig Seiten dieses ersten Teils sind dann einer ausführlichen Beschreibung der Kindheit und Jugend Hans Malers gewidmet, inklusive fast handbuchartiger Erklärungen zur Farbherstellung. An der Stelle habe ich den Klappentext noch mal konsultiert, weil es hier einfach so weit vom Thema entfernt war, daß ich dachte, ich hätte im Klappentext etwas übersehen. Nach diesen ersten 100 Seiten haben wir über Anna ziemlich wenig und über Hans Maler viel zu viel erfahren. Ich war an dieser Stelle kurz davor, das Buch abzubrechen und ohne Leserunde hätte ich das auch getan.

Der Mittelteil ist dann wesentlich erfreulicher und da hat sich das Weiterlesen doch gelohnt. Es geht hier endlich wirklich um Anna und ihre Ehe zu dem Maximiliansenkel Ferdinand. Hier wird der sich vorher fast wie ein Sachbuch lesende Roman auch etwas mehr zu Roman, mit Szenen, die sich vom rein Beschreibenden wegbewegen und Emotionen zeigen. Leider sind diese Szenen auch immer wieder mit langen Einschüben voller Hintergrundinformationen unterbrochen. Insgesamt las sich das gesamte Buch über weite Strecken eher wie ein Sachbuch, nicht wie ein Roman. Der Schreibstil an sich ist sehr gut, man merkt, die Autorin kann mit Sprache umgehen, schreibt auf gehobenem Niveau und es war erfreulich zu lesen. Nur hätte sie sich vielleicht entscheiden sollen, ob sie nun einen Roman oder ein Sachbuch schreiben möchte, denn so ist es doch eine etwas unbefriedigende Mischung aus beidem geworden. Einige der Romanszenen sind richtig herrlich, gerade Annas Sterbeszene bewegt zutiefst und ist literarisch ein Vergnügen. Von solchen Szenen hätte ich mir viel mehr gewünscht und bei einem solchen Umgang mit Sprache hätte das hier ein absolutes 5-Sterne-Buch sein können. Anna und auch ihr Mann Ferdinand nehmen Kontur an, die Beziehung zwischen ihnen ist facettenreich und lebendig geschildert, die Szenen mit ihnen beiden zusammen sind die besten des Buches. Sehr berührend, farbig, die historischen Namen werden zu Menschen.

Weniger gut gelungen ist weiterhin die Vermittlung der Hintergrundinformationen. Die langen sachbuchartigen Einschübe habe ich bereits erwähnt, wobei mir diese noch lieber waren, als das häufig verwendete Dialog-Infodumping. Die Autorin greift hier vorwiegend auf Dialoge zwischen Anna und ihrer Kinderfrau Jeanne zurück - diese Dialoge (eigentlich eher Monologe Annas, unterbrochen von einzelnen Ausrufen Jeannes) dienen ausschließlich dazu, uns geschichtliche Details zu berichten und wirken unecht, weil niemand solche Dialoge führen würde. Besonders deutlich wird es, wenn auch noch erwähnt wird, daß Jeanne das, was Anna ihr erzählt, schon weiß oder unzählige Male gehört hat. Ich fühle mich als Leser dann immer nicht ernst genommen, wenn dieses Dialog-Infodumping angewendet wird. Hinzu kommt, daß einige dieser in den Dialogen beschriebenen Dinge wundervoll farbige Romanszenen abgegeben hätten anstatt so lieblos heruntererzählt zu werden.

Im letzten Teil des Buches springt die Autorin dann überraschend in die späten 1930er und berichtet uns in ziemlicher Detailfreude von einem Jungen aus einer Familie, der das Brautportrait nun gehört. Damit greift sie zwar ein wichtiges Thema auf, nämlich das der Beutekunst, aber abgesehen davon, daß einem die starke Verbindung des Jungen zu dem Gemälde nicht nachvollziehbar erscheint, daß vierzig Seiten lang viel Belangloses berichtet wird, das nichts mit dem Gemälde und Anna von Ungarn zu tun hat, paßt dieser Teil meines Erachtens nicht ins Buch. Da wäre vielleicht ein sachliches Nachwort sinnvoller gewesen, denn so wundert man sich, warum man minutiös über die Tagesabläufe eines Jungen, das Berufsfeld und den Werdegang einer Kaltmamsell und anderes liest. Insgesamt sind von den knapp über 300 Seiten ungefähr 100 Seiten Nebenhandlungen gewidmet, die mit Anna von Ungarn letztlich nichts zu tun haben. Wen das nicht stört, der kann mit diesem Buch durchaus glücklich werden, denn der Schreibstil an sich, die vielen historischen Informationen und die gute Recherche sind erfreulich. Ich war aber leider doch etwas enttäuscht.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Heiterer anspielungsreicher Blick auf unsere Klassikergrößen im Jahre 2019

Unsterblichkeit ist auch keine Lösung
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Der Gedanke, zu sehen wie mein verehrter Goethe in der heutigen Zeit zurechtkommt, ist sehr reizvoll und daß es eine hervorragende Buchidee ist, habe ich in "Anna und der Goethe" bereits erfreut bemerkt. ...

Der Gedanke, zu sehen wie mein verehrter Goethe in der heutigen Zeit zurechtkommt, ist sehr reizvoll und daß es eine hervorragende Buchidee ist, habe ich in "Anna und der Goethe" bereits erfreut bemerkt. Christian Tielmann geht diesen Gedanken von einem originellen Blickwinkel an - Goethe und Schiller machen keine Zeitreise, sondern sind einfach nicht gestorben und leben deshalb 2019 als rüstige Herren von 270 bzw 260 Jahren. Warum das so ist und warum manche Gefährten (die Ehefrauen, Cotta, Eckermann ua) ebenfalls noch leben, andere dafür nicht, wird leider nicht erklärt. Letztlich ist es aber auch nicht wirklich wichtig, man muß sich eben auf diese Idee einfach mal einlassen.

Und so begegnet uns Goethe zu Buchanfang auf dem Bahnsteig von Weimar, wo er auf den Regionalexpress und Schiller wartet. Ein gelungener Einstieg, der uns gleich in die Geschichte hineinführt und die notwendigen Hintergrundinformationen gut vermittelt. Wie dann Schiller in letzter Minute erscheint und wie unterschiedlich die beiden Geistesgrößen ihre Bahnreise angehen, das ist unterhaltsam und gut geschildert. Genau so könnte ich es mir vorstellen. Überhaupt hat Christian Tielmann meines Erachtens sowohl Schiller wie auch Goethe gut in die neue Zeit transportiert, die meisten Verhaltensweisen erscheinen mir absolut nachvollziehbar, oft habe ich innerlich mit dem Kopf genickt und gedacht: "Ja, genau so würde Goethe das heute angehen." Einige nette Text- und Zitatanspielungen finden sich auch immer wieder, und gerade Goethefans werden einige schöne Stellen finden. Schiller kam im Buch leider weniger vor, als ich es von einem "Goethe-Schiller-Desaster" (so der Untertitel des Buches) erwartet hätte. Wir erleben alles aus Goethes Sicht, das paßt auch gut, aber Schiller kommt irgendwie nur am Rande vor. Ich hätte mir viel mehr Interaktionen zwischen den beiden gewünscht.

Der Schreibstil ist eingängig und läßt sich sehr leicht lesen. Ich hatte das Buch als Geschenk einer lieben Freundin im Urlaub als Abendlektüre dabei und es war dafür auch genau richtig - von Stil und Inhalt her heiter-leicht, zum Lesen sehr entspannend. An wenigen vereinzelten Stellen fand ich einige Formulierungen ziemlich holprig, wie zB auf Seite 174: "Schiller stand auf: 'Wir sehen dich dann nachher bei der Lesung,' schlug Schiller vor." Dies sind aber wirklich nur Ausnahmen. Nicht so gut gefiel mir, daß es manchmal etwas platt wurde, so finde ich den Gag, daß Goethe von Kohlensäure rülpsen muß, einfach zu flach, versehentliche Rülpser waren vielleicht in den 1970ern noch etwas, was das Publikum zu Lachen brachte, und die dreimalige Verwendung von "Schiller, die Sau" war mir ebenfalls zu flach und wäre außerdem nichts, was Goethe (noch dazu wiederholt) sagen würde. Da hätten die Eigenheiten unserer Klassikerfreunde doch wesentlich geistvolleren Humor ermöglicht.

Interessant ist die Begegnung von Goethe und Schiller mit ihrem größtenteils jugendlichen Publikum in einer Welt, in der diese beiden Autoren (leider!) nicht mehr die Bedeutung haben, die ihnen früher zuteil wurde. Beide gehen im Buch ganz anders damit um, und auch hier habe ich innerlich oft genickt und mir gedacht, daß es sehr gut ausgearbeitet ist und ihren Persönlichkeiten entspricht. Man sieht an vielen Stellen, daß Christian Tielmann tiefgehendes Wissen über Goethe und Schiller hat und sich sorgfältige Überlegungen zu ihren Reaktionen und Gedanken gemacht hat. Es sind viele originelle Szenen enthalten. Die Lesungsszenen (unsere beiden Weimarer Größen sind auf einer Lesungstour) wiederholen sich leider manchmal doch ein wenig und an manchen Stellen hatte ich mir etwas mehr erwartet, aber ich habe an keiner Stelle das Interesse verloren und war immer gespannt, was ihnen als nächstes widerfährt und wie sie damit zurechtkommen. Auch die teils trostlose Welt der Kleinstädte, der veralteten Pensionen und oft desinteressierten Lesungsgastgeber war richtig gut einfangen.

Das Ende hat mir leider überhaupt nicht gefallen. Nachdem das Buch sich durch Humor und Leichtigkeit auszeichnete, war mir dieses Ende für den allgemeinen Tenor einfach zu viel, zu heftig. Es ging so weit weg von der Ausrichtung des Buches, daß es leider eben auch die Wertung stark beeinflußt hat. Die letzten Zeilen des Buches sind dagegen wieder sehr passend. Insgesamt kann ich das Buch durchaus empfehlen, weil man sich auf eingängige Art mit Goethe und Schiller beschäftigen kann, die Anspielungen und kleinen Zitate Spaß machen und unsere zwei Klassiker gut in die heutige Zeit transportiert wurde.