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Veröffentlicht am 28.08.2023

Eine sprachliche Freude

Eigentum
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„Eigentum“ hat mich von der ersten Seite an aufgrund des wundervollen Umgangs mit Sprache gepackt. Wolf Haas teilt seine Gedanken und Beobachtungen mit einem herrlich trockenen Humor mit, ohne daß die ...

„Eigentum“ hat mich von der ersten Seite an aufgrund des wundervollen Umgangs mit Sprache gepackt. Wolf Haas teilt seine Gedanken und Beobachtungen mit einem herrlich trockenen Humor mit, ohne daß die Sensibilität des Themas darunter leidet. Wir begleiten nämlich Wolf Haas‘ Mutter auf ihren letzten beiden Lebenstagen und von dort aus durch Teile ihres Lebens. Es ist eine harte, entbehrungs- und enttäuschungsreiche Lebensgeschichte, welche die Mutter laut Aussage eine Dorfbewohnerin zu einer „schwierigen Person“ macht, während ihr eigener Sohn sie als „verrückt“ bezeichnet. Die Geschichte wird uns in allerlei Zeitsprüngen erzählt, die ausgezeichnet miteinander verwoben sind.
Die Leser sitzen mit dem Autor neben seiner Mutter, gehen mit ihm an Orte seiner und ihrer Vergangenheit, haben teil an seinen gelegentlich mäandernden Überlegungen. Diese resultieren in manchmal sprunghaften Themenwechseln, die interessant zu lesen sind und dafür sorgen, daß der Text wie eine Wundertüte wirkt, bei der man nie weiß, was als nächstes kommt. Es ist vor allem diese Sprachvirtuosität, welche das Buch so überzeugend macht, denn auch wenn die Lebensgeschichte der Mutter nicht uninteressant ist, so ist sie keineswegs so außergewöhnlich, daß sie an sich schon spannende Lektüre ausmacht. Das merkt man insbesondere in den Passagen, in denen Haas‘ Mutter direkt erzählt, wir also ihre eigenen Worte lesen. Es bringt eine persönliche Note in das Buch, die Stimme der Frau zu lesen, von welcher das Buch handelt, aber hinsichtlich des Lesevergnügens fielen diese Passagen vom Stil und den detailreich berichteten Nebensächlichkeiten her ziemlich ab.
Auch der Autor selbst verlor sich oft in weniger interessanten Details und Überlegungen, setzt zudem gerne Wiederholungen als Stilmittel ein (worauf er im Text selbst Bezug nimmt). Letztere schwächten den Text für mich häufig. Auch fehlte mir in der Geschichte ein wenig die spätere Entwicklung der Mutter, hier wird vieles angedeutet und hinterläßt Fragen.
Das Leitthema „Eigentum“, welchem die im Jahr der Hyperinflation Geborene jahrzehntelang trotz harter Arbeit erfolglos hinterherrennt, um schließlich resigniert aufzugeben und das so ersehnte Stück Land erst mit der eigenen Grabstelle zu erlangen, ist ausgezeichnet gewählt und zeigt die Tragik dieses Lebens. Es liegt eine Melancholie über dem Buch, immer wieder kurz aufgehellt von dem lakonischen Humor. Trotz mancher langatmiger Passagen ist „Eigentum“ eine überzeugende und erfreuliche Leseerfahrung, die einen sprachlich und vom Aufbau her elegant konzipierten Einblick in das Leben der Mutter und die Gedanken des Sohnes bietet.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Sehr informativ und gut recherchiert, wenn auch stilistisch nicht gänzlich überzeugend

Marie Curie und ihre Töchter
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Die Idee, Marie Curie und ihren Töchtern eine gemeinsame Biographie zu widmen, finde ich hervorragend und ich kann vorab sagen, daß ich aus diesem Buch eine ganze Menge gelernt habe. Aus der Autobiographie ...

Die Idee, Marie Curie und ihren Töchtern eine gemeinsame Biographie zu widmen, finde ich hervorragend und ich kann vorab sagen, daß ich aus diesem Buch eine ganze Menge gelernt habe. Aus der Autobiographie Marie Curies war mir ihr Leben schon bekannt und ich freute mich darauf, hier in einer Romanbiografie die von ihr sehr sachlich geschilderten Fakten mit Leben gefüllt zu finden. Diese Erwartung wurde leider nicht erfüllt (dafür aber die Erwartung, mehr über sie und ihre Töchter zu erfahren). Das Buch nennt sich Romanbiografie, aber es hat nichts von einem Roman. Beginnt es noch vielversprechend mit einer intensiven Episode aus der Kindheit Marie Curies, wird es doch sehr schnell zu einem sachlichen, faktengefüllten Bericht. Die Bezeichnung „Romanbiografie“ weckt falsche Erwartungen und ist m.E. nicht zutreffend. Die Übersetzung ist dafür fast durchgehend ausgezeichnet.

Der Schreibstil ist ausgesprochen sachlich. Das wirkt zu Beginn noch erfreulich klar, aber es ist ein Stil, der eher zu einem Artikel oder Bericht gepasst hätte. Die vielen kurzen Sätze haben teilweise etwas Abgehacktes und es mangelt ihnen an Charme, wenn sich auch zwischendurch schöne Formulierungen finden. Die Autorin ist keine Romanschriftstellerin und das merkt man deutlich. Bei Emotionen ist das Ausdrucksspektrum recht klein, meistens ist jemand „bewegt“, auch zahlreiche Wiederholungen trüben das Lesevergnügen. Marie Curies jüngere Tochter Eve wird bei jeder Gelegenheit als elegant beschrieben, bis man sich fragt, ob es sonst keine Adjektive für sie gab. Auch „die zweifache Nobelpreisträgerin“ oder „die Nobelpreisträgerin“ findet sich als Beschreibung sehr wiederholend. Manche Dinge werden so oft wiederholt, daß ich mich wunderte, warum ein Lektorat hier nicht ein wenig eingegriffen hat. Ein Beispiel von mehreren:

„Ihr größter Wunsch ist es, etwas Nützliches zu tun, so wie ihre Mutter und ihre Schwester im Ersten Weltkrieg." (S. 219)
"Eve findet ihren Weg im aktiven Handeln (...), ebenso wie ihre Mutter und ihre ältere Schwester zwanzig Jahre zuvor." (S. 235/36)
"Sie war im Krieg, ebenso wie ihre Mutter und ihre Schwester, die zwischen 1914 und 1918 so vielen Menschen das Leben gerettet haben." (S. 255)

Noch extremer ist dies bei dem Thema Frauenrechte. Dieses liegt der Autorin überaus offensichtlich am Herzen und so versucht sie, es unablässig unterzubringen. Das hat angesichts des Lebens der drei Curie-Frauen auch durchaus seine Berechtigung, aber die Autorin übertreibt es sehr und manchmal hatte ich das Gefühl, ein feministisches Manifest zu lesen. Sie wiederholt einige Punkte ständig, schreibt bei diesem Thema stets mindestens drei Sätze, wenn einer gereicht hätte, bewegt sich in manchen Formulierungen auf dem Grat zum Unsachlichen und schreibt mehrere seitenlange Abhandlungen zu Frauenrechtsthemen, die mit den Curies nichts oder allerhöchstens am Rande zu tun haben. Da wird dann z.B. als eher konstruierter Zusammenhang zum eigentlichen Sujet des Buches noch dazugeschrieben: „Diesen Punkt fand möglicherweise auch Irène Joliot-Curie irritierend“ oder ein ähnlich wackliger Bezug hergestellt. Einmal findet sich eine solche Abhandlung mitten in der Beschreibung des Todes von Irène, was unpassend ist. So überlagern die politischen Neigungen der Autorin manchmal das Buchthema und das ist nicht sonderlich professionell und beim Lesen sehr enervierend.

Dem Thema selbst widmet sich die Autorin allerdings auch mit großer Kenntnis und Hingabe, man merkt die sorgfältige Recherche. Sie berichtet detailliert, zwischendurch finden Auszüge aus Briefen oder anderen Texten der Curies und mancher Zeitgenossen Eingang in den Text, was immer gelungen war. Hintergründe werden erklärt und der Respekt, den die Autorin für alle drei Curie-Frauen und einige der Männer in ihrem Umkreis empfindet, wird immer wieder angenehm deutlich. Oft bleiben die Menschen hinter den Fakten etwas zurück, aber es gibt auch Passagen, in denen die Leser unmittelbar berührt werden, in denen leise und eindringlich die Gefühle zum Vorschein kommen – oft jene der Trauer, aber auch der Enthusiasmus während der USA-Reise der drei Frauen in den 1920ern, die stille Freude, welche Marie Curie angesichts ihrer Enkelkinder empfand, oder die Energie Eves. Vom Informationsgehalt ist das Buch enorm und es hat auch mein Interesse an den beiden Töchtern geweckt, die mir vorher kaum ein Begriff waren. Auch wenn mich die Lektüre stilistisch nicht überzeugt hat, hat es sich gelohnt, das Buch – und somit auch Marie, Irène und Eve Curie – kennenzulernen.

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Veröffentlicht am 17.07.2023

Sympathisch und originell, Gewichtung nicht ganz mein Fall

Tobis Städtetrip
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Der Untertitel zu „Tobis Städtetrip“ verspricht: „Hessen ganz besonders entdecken“ und das ist durchaus kein leeres Versprechen. Hier wurde eine hr-Serie in Buchform umgesetzt. Ich kannte die Serie nicht ...

Der Untertitel zu „Tobis Städtetrip“ verspricht: „Hessen ganz besonders entdecken“ und das ist durchaus kein leeres Versprechen. Hier wurde eine hr-Serie in Buchform umgesetzt. Ich kannte die Serie nicht und habe mir erst danach eine Folge angesehen, was mir geholfen hat, einige der Dinge, die mir im Buch nicht zusagten, besser zu verstehen. Das erwähne ich deshalb, weil es hilfreich sein kann, das Konzept der Fernsehsendung zu kennen, um nicht mit falschen Erwartungen an das Buch heranzugehen.

Das Buch nimmt seinen Text letztlich aus den in der Sendung gesprochenen Texten und versieht diese mit vielen Fotos aus den Folgen. Alle Fotos sind in Farbe, fast durchweg gut gelungen, überhaupt ist die visuelle Gestaltung ansprechend. Kleine, zusammenfassende Bemerkungen in blauen, kreisförmigen Feldern lockern den Text noch zusätzlich auf. Der Text liest sich überwiegend gut, teilweise wurde mir die Lesefreude ein wenig beeinträchtigt, wenn es betont locker mit Begriffen wie „Style“, „Tattoo“ oder „Location“ zugange ging, die Leser geduzt werden oder die Lesbarkeit durch die Unterwerfung unter das Gender-Diktat (wenigstens nicht mit grausigen Sonderzeichen) litt. Allgemein aber macht das Lesen Spaß.
Jedes Städtekapitel beginnt mit einer kleinen Einführung und endet mit einem Fazit. Letztere fand ich besonders erfreulich und habe mich immer darauf gefreut. Sie sind sehr persönlich, fassen alles gelungen zusammen und haben Pfiff. Auch der Text selbst ist oft sehr persönlich gehalten. Das hat mir beim Lesen sehr gefallen, denn Tobi läßt uns immer wieder an seinen Gedanken teilhaben. Und wenn man dann zur Unionskirche in Idstein liest, daß Tobi ein paar Klänge auf der Orgel spielen darf und er schlicht berichtet: „Bis in die letzte Reihe klingt der Ton und macht mir eine kleine Gänsehaut. So schön ist das“, dann haben wir wirklich daran teil und empfinden es weit besser als bei jeder kunstvollen, aber unpersönlichen Beschreibung. In einem Luftschutzbunker in Kassel schildert Tobi: „Hier gibt es keinen Komfort, nur raue Steinwände und Stehplätze für Hunderte, dicht gedrängte Menschen. Körper an Körper warteten sie hier, bis das Schlimmste vorbei war. Bei dem Gedanken daran schnürt sich mir die Kehle zu.“ Diese Unmittelbarkeit der Gedanken ist eine große Stärke des Buches und macht den Text ungemein sympathisch.

Die Auswahl der Einträge hat mir oft weniger zugesagt. Da half es, sich auf das Konzept der Sendung zu besinnen und darauf, daß dieses Buch kein Reiseführer im herkömmlichen Sinne ist. Viele herrliche Aspekte der Orte, über die hier berichtet wird, kann man in den Sendungen sehen, ohne daß viele Worte gemacht werden müssen – die Bilder sprechen dann bei malerischen Altstädten oder prächtigen Burgen für sich. Bei der Umsetzung in die Buchform hätte man daran denken sollen, daß sich dies nicht ohne weiteres in die Schriftform transportieren läßt. So war ich bei den Beschreibungen oft befremdet, wenn die wesentlichen Schönheiten eines Ortes gar nicht erwähnt oder mit ein, zwei lapidaren Sätzen abgetan wurden, während man lauter Cafés, Restaurants oder Geschäfte beschrieben bekommt. Bei manchen Orten dachte ich: „Gut, jetzt weiß ich, was ich essen und kaufen kann, aber was kann ich sehen?“ Auch die Geschichten von Leuten, die sich mit ihrem Restaurant/Geschäft o.ä. ihren Traum verwirklicht haben, ähnelten sich irgendwann zu sehr, um so geballt interessant zu sein – das funktioniert in einem Fernsehformat einfach besser. Hier hätte man bei der Übertragung von Fernseh- auf Buchformat etwas besser auf die Stärken und Schwächen jedes Mediums achten und den Inhalt entsprechend anpassen können. Die zeigt sich exemplarisch am Kapitel zu Königstein/Kronberg. So wird im Text die Königsteiner Burg recht ausführlich bedacht, die absolut sehenswerte Kronberger Burg aber mit keinem einzigen Wort erwähnt, während sie in der Fernsehsendung den – wenn auch sehr kurzen – Auftakt bildet. In diesem Kapitel zeigt sich leider auch ein ziemlich dicker Schnitzer: das für Kronberg erwähnte „Sofias Cafe“ gibt es dort gar nicht mehr. Ein solches Café befindet sich weiterhin in Königstein (und es ist auch dieses, welches in der Fernsehsendung besucht wird), in Kronberg wird der Besucher aber etwas enttäuscht vor einer Physiotherapiepraxis stehen. Nicht mehr existierende Lokalitäten sollten in einem gerade erst erschienenen Buch nicht vorkommen, hier wäre mehr Sorgfalt angebracht gewesen.

Sehr oft hatte ich aber auch viel Freude an den kleinen Geschichten und historischen Hintergründen zu diversen Sehenswürdigkeiten. Es wird anschaulich und vielfältig berichtet, immer mit dieser persönlichen Note, die das Buch so angenehm macht. Ich habe hier einiges Bekannte unterhaltsam gelesen und viel Neues erfahren. Es gab zahlreiche Anregungen, was man in Hessen alles entdecken kann und auch wenn mir persönlich insgesamt die Gewichtung nicht zusagte, ist bemerkenswert, welche originellen Orte hier vorgestellt werden und wie unterschiedlich diese sind. Hier und da hätte die Umsetzung von Fernsehsendung auf Buch besser gestaltet werden können, aber „Tobis Städtetrip“ ist eine sympathische Reise durch Hessen, auf dem man dieses Bundesland wirklich „ganz besonders“ entdecken kann.

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Veröffentlicht am 23.06.2023

Unterhaltsame und informative Reise mit vielen tollen Fotos

Lost & Dark Places Sachsen
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„Lost & Dark Places Sachsen“ ist eine vielfältige und unterhaltsam zu lesende Reise durch allerlei ungewöhnliche Orte verschiedenster Art, denen aber eines gemeinsam ist: sie sind mittlerweile verlassen ...

„Lost & Dark Places Sachsen“ ist eine vielfältige und unterhaltsam zu lesende Reise durch allerlei ungewöhnliche Orte verschiedenster Art, denen aber eines gemeinsam ist: sie sind mittlerweile verlassen und/oder haben eine dunkle Geschichte. Wir tauchen tief in die Jahrhunderte ein, lernen Raubritter, von den beiden Unrechtsregimes zwischen 1933 und 1989 Verfolgte, Unternehmer, eine Giftmörderin und viele andere kennen. Das Buch beginnt, wie alle Bücher der Serie, lobenswert mit Verhaltensregeln und Ausrüstungshinweisen für den Besuch der Lost Places, auch jeder Einzeleintrag hat einige praktische Informationen wie Adresse, Anfahrt, Zugangsmöglichkeiten. Den Hinweis, bei ungeklärtem Zugangsrecht das Gelände unbemerkt zu betreten, um „unerwünschte Begegnungen und mögliche Konfrontationen mit der Polizei“ zu vermeiden, fand ich allerdings fragwürdig.
Eine Karte vorne im Einband gibt einen guten Überblick über die Lage der einzelnen Orte, welche sich hauptsächlich in den Räumen Görlitz, Bautzen, Dresden, Leipzig und Chemnitz befinden. Es gibt zahlreiche Farbfotos, die ich fast ausnahmslos ausgezeichnet fand und welche die Atmosphäre gelungen einfangen. Es ist erfreulich, wie reich dieses Buch bebildert ist.
Auch der Text kann erfreuen. Cornelia Lohs schildert uns die Geschichte jedes Ortes und bringt dem Leser auf diese Weise sowohl zahlreiche Schicksale wie auch vielfältige Informationen zur sächsischen Geschichte nahe. Ich war beeindruckt, wie viel ich aus den knapp über 150 Seiten erfahren habe. Nur ganz selten war mir einer der Einträge etwas zu knapp. Die Autorin schreibt, wie ich aus einem früheren Buch von ihr weiß, unterhaltsam und prägnant, so macht die Lektüre Spaß, ist leicht lesbar und trotzdem gehaltvoll. Zusammen mit den vielen Fotos ist das eine perfekte Kombination für Lesen mit hohem Unterhaltungs- und Informationsfaktor. Zu jedem Eintrag gibt es zudem noch einen kleinen Tip für eine Attraktion in der Gegend, was eine ausgezeichnete Idee ist.
Ein absolut lohnendes und lesenswertes Buch!

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Veröffentlicht am 08.05.2023

Inhaltlich eine Freude, aber Katzen sollte man nicht für Bilder kostümieren

Auf Samtpfoten durch die Geschichte
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Die Geschichte der Katzen – das war ein Thema, das mich sofort angezogen hat, denn diese Geschichte ist vielseitig, oft leider tiefdunkel und durchweg interessant. Das Titelbild besticht durch elegante ...

Die Geschichte der Katzen – das war ein Thema, das mich sofort angezogen hat, denn diese Geschichte ist vielseitig, oft leider tiefdunkel und durchweg interessant. Das Titelbild besticht durch elegante Schlichtheit und überzeugte mich ebenfalls sofort. Ein wenig reserviert war ich lediglich, weil das Buch von einer Katze erzählt wird – Tiere als Erzähler, das ist oft albern, auch mag ich es nicht, wenn Tiere vermenschlicht werden. Trotzdem war das Thema zu vielversprechend und es stellte sich bald heraus: die Katze Baba als Erzählerin – das funktioniert, ist gut gemacht. Es gibt zwar immer wieder Passagen, in denen ich etwas die Augen verdrehte, weil Katzen vermenschlicht wurden und es albern wurde, aber der Großteil des Texts ist gut lesbar und Baba hält den Menschen so manchen Spiegel vor, was mit einer Katzenerzählerin tatsächlich besser funktioniert. Der Schreibstil ist locker, plaudernd, leicht lesbar und die Übersetzung ist ganz hervorragend, dies ist mir immer wieder erfreut aufgefallen. Baba gibt es übrigens wirklich, sie ist die Katze des Autors und im Nachwort berichtet er berührend, wie sie ihn im Tierheim gewissermaßen für sich ausgewählt hat.
Die schlichte Gestaltung des – erfreulich festen – Einbands setzt sich im Inneren nicht fort. Beim ersten Durchblättern war ich ein wenig erschrocken ob der verspielten Farbenfreude. Die innere Gestaltung ist liebevoll gemacht, aber für meinen Geschmack wesentlich zu bunt und überladen. Jede Seite hat einen bunten dünnen Rahmen sowie oben und unten eine Borte aus einem zum jeweiligen Kapitel passenden Muster. Auch die Titelseite jedes Kapitel ist aufwendig farbig gestaltet. Das war nicht mein Geschmack, aber ich habe mich beim Lesen daran gewöhnt. Was mich allerdings das ganze Buch hindurch störte, waren die Fotos von Baba in allerlei Kostümen. Dies fand ich gleich aus mehreren Gründen unpassend. Vorwiegend natürlich, weil es nicht artgerecht ist, eine Katze in Kostüme zu stecken (inkl. Perücken und Mützen). Nun erklärt der Autor im Nachwort, Baba wäre ganz verrückt nach den Kostümen und sie scheint ja immerhin freiwillig dort sitzenzubleiben. Wirklich entspannt sieht sie für mich allerdings nicht aus, nur ist das schwer zu beurteilen, wenn man die Katze nicht kennt. Trotzdem fürchte ich, daß so mancher nach der Lektüre auf die Idee kommen wird, seiner Katze ebenfalls so einem Blödsinn zu unterwerfen und es ist schlichtweg keine Art, mit einer Katze umzugehen.
Auch fand ich diese Bilder an sich nicht passend – es wird die Geschichte der Katzen erzählt und diese liefen nie in dieser Kleidung herum, die Bilder ergeben inhaltlich also keinen Sinn. Ohne diese albernen Kostüme hätte mir die bildschöne Baba zudem wesentlich besser gefallen. Eine Katze braucht keine Kostüme, um schön zu sein, und hätten Fotos einer unkostümierten Baba vor den diversen Hintergründen das Buch geziert, wäre ich hellauf begeistert gewesen. So, macht der Autor genau das, von dem er Baba im Vorwort sagen lässt: „Denn diesen ganzen Unsinn hat sich der Mensch ausgedacht, und keine Katze auf dieser Welt würde sich je damit beschäftigen. (…) … vor allem, wenn sie als Spiegel für euer dümmliches menschliches Verhalten herhalten müssen. (…) Sie spülen Geld in eure Kassen, ohne auch nur das Geringste über das stolze Leben einer Katze auszusagen. Bloße Klischees, die suggerieren, wir seien auf der Welt, um süß zu wirken und euch Menschen zu amüsieren. Keine Katze, die etwas auf sich hält, würde sich je für so etwas hergeben.“ Nach einem so zutreffenden Vorwort wirkten die Fotos der kostümierten Baba noch unpassender und geradezu ärgerlich.
Sehr schön dagegen sind die Abbildungen von Katzen in der Kunst, Katzenstatuen, Grabmälern, Zeitungsartikeln über Katzen und dergleichen. Diese haben den Text gelungen untermalt und zu gerne hätte ich einige der Kostümfotos gegen weitere davon ausgetauscht.
Bei aller Verspieltheit der Gestaltung und Lockerheit des Schreibstils enthält das Buch eine ganze Menge Informationen. Auf sechs Kapiteln begleiten wir die Katzen um die Welt und durch die Jahrhunderte. Hier merkt man die gute Recherche und auch das Bewusstsein für die Materie. Ich habe eine ganze Menge Neues erfahren – leider zu häufig über die Abscheulichkeit der Menschen gegenüber den Katzen, aber immer wieder auch Beispiele der Liebe zwischen Mensch und Katze. Katzen haben eine Menge für uns getan – leider oft erzwungen – und sind bemerkenswerte Lebewesen, was der Mensch in seiner Hybris zu selten anerkennt. Deshalb war es eine Freude, hier von so vielen beeindruckenden Katzen zu lesen und auch zu erfahren, wie sich die Sicht auf diese im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt hat. Es war eine erfreuliche und sehr informative Lektüre, eine Bibliografie regt zu weiterer Lektüre an. Abgesehen von den unpassenden Fotos ist das Buch also eine wahre Freude.

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