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Veröffentlicht am 14.06.2021

Einfach nur enttäuschend

Zeiten des Sturms (Sheridan-Grant-Serie 3)
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Sheridan Grants Leben könnte perfekt sein: Weit entfernt von der Willow Creek Farm, ihrer mit traurigen Erinnerungen behafteten Heimat, hat sie sich ein neues Leben aufgebaut. Ihr Verlobter Paul Sutton ...

Sheridan Grants Leben könnte perfekt sein: Weit entfernt von der Willow Creek Farm, ihrer mit traurigen Erinnerungen behafteten Heimat, hat sie sich ein neues Leben aufgebaut. Ihr Verlobter Paul Sutton ist attraktiv, erfolgreich und würde alles für sie tun. Doch die Vergangenheit lässt Sheridan keine Ruhe – und holt sie kurz vor der Hochzeit wieder ein. Sheridan muss einsehen, dass sie sich nicht auf ewig selbst verleugnen kann und kehrt an den Ausgangspunkt zurück: Nach Nebraska zu ihrer Familie. Dass dies sich als großes Glück herausstellen soll, ahnt Sheridan zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch tatsächlich weckt ihr Gesangstalent die Aufmerksamkeit eines einflussreichen Mannes, der ihr ihren größten Traum erfüllen kann.

Ich bin großer Fan von Nele Neuhaus Taunus-Krimis und war deshalb umso gespannter darauf, die Autorin auch in einem anderen Genre kennen zu lernen. Aber was soll ich sagen… wäre Frau Neuhaus mal besser im Krimi-Bereich geblieben hätte sie mich als Fan jetzt nicht verloren. Ihr eigentlich toller Schreibstil ist hier nicht mehr zu erkennen, mir haben komplett die anschaulichen Beschreibungen, die spannungsgeladenen Momente und großen Emotionen gefehlt, die ich in ihren anderen Büchern so geliebt habe. „Zeiten des Sturms“ aus der „Sheridant-Grant“-Reihe konnte mich überhaupt nicht überzeugen und kann bei weitem nicht an die Krimi-Erfolge der Taunus-Ermittler heranreichen – weder sprachlich, noch inhaltlich.

Insbesondere letzteres empfand ich bei „Zeiten des Sturms“ alles andere als gelungen. Es ist der dritte Band der Reihe und ich habe eigentlich das ganze Buch über nicht durchgeblickt. Ohne die ersten Bände zu kennen bleiben permanent Fragezeichen, es werden ständig irgendwelche Ereignisse reflektiert oder angedeutet, die man ohne die beiden ersten Bände überhaupt nicht verstehen und zuordnen kann. Des Weiteren hat sich das Buch über weite Teile sehr in die Länge gezogen und war häufig zäh und schlichtweg langweilig. Der Protagonistin geschehen ständig wie zufällig lebenseinschneidende Erlebnisse, die aber gefühlt wahllos aneinandergereiht und emotionslos „nebenbei“ abgearbeitet wurden – alles andere als authentisch und überzeugend. Auch kommen ständig Personen vor, die vielleicht aus den ersten Bänden bekannt sind, hier aber nicht eingeführt wurden und bei mir somit ausschließlich für Verwirrung sorgten.

Am schlimmsten fand ich aber die Protagonistin Sheridan Grant selbst. Dass Neuhaus sie im Klappentext als „absoluten Lieblingscharakter all ihrer Heldinnen“ vorstellt kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Mich persönlich hat sie einfach wahnsinnig genervt: Sie wird als der tollste Mensch der Welt dargestellt, alle lieben sie und stehen bedenkenlos für sie ein, sie hat das größte Gesangstalent der Welt und ist zudem menschlich und empathisch. Da kann man ihr auch mal so Kleinigkeiten wie einen Mord verzeihen, da der Ärmsten in ihrem jungen Leben schon mehr schreckliche, dramatische, aber auch aufsehenerregende Zufälle und Ereignisse passiert sind, als dies eigentlich möglich ist. Immer ist die arme Sheridan das Opfer, das eigentlich für nichts etwas kann – unglaubwürdig, unsympathisch und unauthentisch. Ich konnte mich keine Sekunde mit ihr identifizieren und war froh, am Ende des Buches mit ihr abzuschließen.

Offenbar hatte ich als großer Fan von Nele Neuhaus´ Taunus-Krimis zu hohe Erwartungen an ihre Romane – und deshalb war meine Enttäuschung auch unermesslich. Nele Neuhaus sollte besser beim Krimi-Schreiben bleiben, leider ist sie durch dieses schreckliche Buch von der Liste meiner Lieblings-Autoren heruntergefallen. Schade.

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Veröffentlicht am 13.06.2021

Bezaubernder Schreibstil

Tage mit Gatsby
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Wer kennt ihn nicht – den „großen Gatsby“ des berühmten amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald? Kaum ein Buch hat die Atmosphäre und das Lebensgefühl der „Roaring Twenties“ so eingefangen, wie dieses. ...

Wer kennt ihn nicht – den „großen Gatsby“ des berühmten amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald? Kaum ein Buch hat die Atmosphäre und das Lebensgefühl der „Roaring Twenties“ so eingefangen, wie dieses. Doch wie kam es zu dem Roman und was steckt dahinter? Dieser spannenden Frage hat sich die Autorin Joséphine Nicolas in ihrem Erstlingswerk „Tage mit Gatsby“ gewidmet. Ihren Ansatz, die Geschichte hinter der Geschichte zu erzählen finde ich wahnsinnig interessant und faszinierend - eine Art Entstehungsgeschichte mit realen Bezügen als Buch.

Beim Lesen wird deutlich spürbar, wie viel Herzblut und Recherche in diesem Buch steckt: Joséphine Nicolas hat sich intensiv mit dem Leben Zelda Fitzgeralds und der damaligen Zeit auseinandergesetzt und besitzt hier eine große Kompetenz. Unter anderem hat sie sogar sämtliche Orte, an denen das Buch spielt, bereist und sich stark an der damaligen Korrespondenz der Fitzgeralds orientiert. Teilweise konnte ich allerdings nur schwer einordnen, was auf wahren Begebenheiten beruht und was im kreativen Schaffungsprozess fiktiv ausgeschmückt wurde. Insgesamt hat das Buch mich aber sehr neugierig auf das Leben des Glamour-Paares Fitzgerald gemacht, so dass ich sehr motiviert war, im Anschluss selbst über das Leben der echten Zelda nachzuforschen. Erleichtert wurde dies durch die umfassende Literaturauflistung am Ende des Buches.

Besonders hervorheben möchte ich jedoch die Sprache des Buches: Joséphine Nicolas hat es geschafft, mich mit ihrem wunderschönen Schreibstil absolut zu verzaubern! Selten habe ich so einen mitreißenden Umgang mit Sprache erlebt, der mich absolut in seinen Bann gezogen hat. Davon abgesehen, dass er sehr zeitgemäß für die zwanziger Jahre ist empfand ich ihn als sehr durchdacht, filigran und künstlerisch, beinahe schon poetisch. Es wird aus Zeldas Perspektive erzählt, so dass der Leser tiefe Einblicke in ihre fragile Persönlichkeit und manchmal etwas weltfremde Wahrnehmung erhalten. Die Dialoge im Stil der damaligen Zeit sind ebenfalls gelungen und gespickt mit wunderschönen Zitaten. Auch durch ihre anschaulichen und bisweilen schillernden Beschreibungen der Lebensumstände der Fitzgeralds, wie z.B. deren Partys und Shoppingtouren, aber auch von Landschaften und Räumlichkeiten hat mich die Autorin in die zwanziger Jahre zurückgebeamt. Lediglich das Cover hätte ich nicht auf Anhieb dorthin verortet. Es passt zwar optisch gut zum Kapitel in Südfrankreich, ist aber ehrlich gesagt nicht mein Stil und ich hätte wohl auch nicht zugegriffen, wenn ich es in einer Buchhandlung ausliegen gesehen hätte. Beim weiteren Fortschreiten des Buches wird die tiefe Melancholie Zeldas immer deutlicher, die Gesamtstimmung wird beklemmend, so dass der Leser das Unglück zum Ende deutlich heranziehen spürt, ohne dass dies explizit benannt wird. Besonders hervorzuheben ist hier der Epilog, der das Schicksal der wahren Zelda auf kunstvoll-tragische, aber auch wieder nur auf implizit-sensible Weise darlegt.

Was für meinen Geschmack aber leider zu kurz kam war der eigentliche Inhalt: Für ein Buch von 400 Seiten ist irgendwie doch recht wenig wirklich passiert, Zeldas Leben dreht sich irgendwie im Kreis und erfährt viele Redundanzen. Wo ich die Beschreibungen ihrer Beziehung zu Scott, Festivitäten und Gedanken anfangs noch faszinierend fand, wurden deren Wiederholungen gegen Ende hin eher ermüdend. Viele Szenen und Begebungen ähneln sich stark. Auch die ständigen Dispute des Paares waren auf Dauer etwas langatmig. Insgesamt hätte für meinen persönlichen Geschmack das Erzähltempo schneller sein könnten, so wirkte sie eher handlungsarm. Zeldas affektiert-naive Art und Scotts Arroganz empfand ich auf Dauer als störend, beide wurden mir im Verlauf des Buches immer unsympathischer – ich konnte leider keinen richtigen Zugang zu den Protagonisten entwickeln. Weitere Personen sind eher blasse Randfiguren geblieben, ich konnte relativ wenig mit den meist kurzen Begegnungen anfangen.

Insgesamt bleibt mir „Tage mit Gatsby“ aber schon als interessanter Roman im Gedächtnis, der mir das wilde Leben von Zelda und Scott Fitzgerald in den zwanziger Jahren nahe gebracht und mir Lust darauf gemacht hat, mich näher mit dieser Zeit zu befassen. Die Entstehungsgeschichte des „großen Gatsby“ aus andere Sicht zu betrachten war spannend und ich möchte das Buch nun unbedingt noch einmal mit diesen neuen Eindrücken im Hinterkopf lesen. Das eigentlich Herausragende ist aber der wunderschöne Schreibstil, der die überschaubare Handlung absolut wieder wettmacht. Das Lebensgefühl der „Roaring Twenties“ wurde perfekt transportiert und ich habe die bildhaften Beschreibungen und den außergewöhnlichen Umgang mit Sprache der Autorin sehr genossen.

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  • Geschichte
Veröffentlicht am 07.06.2021

Falsche Gerechtigkeit

Dein böses Herz
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Kommissarin Sandra Rehbein hat es nicht leicht: Sie fühlt sich ständig zerrieben zwischen ihrem anspruchsvollen Job mit Führungsverantwortung für schwierige Kollegen und ihrer Rolle als alleinerziehende ...

Kommissarin Sandra Rehbein hat es nicht leicht: Sie fühlt sich ständig zerrieben zwischen ihrem anspruchsvollen Job mit Führungsverantwortung für schwierige Kollegen und ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter des kleinen Tim. Gerade letzterem scheint sie kaum gerecht zu werden und so freut sie sich umso mehr darauf, ein freies Wochenende mit ihrem Sohn zu verbringen. Doch leider wird wieder nichts daraus, da Sandra kurzfristig zu einem Tatort gerufen wird. Das Opfer ist ein Mann, dem auf brutale Art und Weise das Herz herausgeschnitten wurde. Bei den Ermittlungen zu diesem Fall stoßen die Ermittler auf ein Video, welches der Ehefrau des Opfers zugeschickt wurde: Es zeigt den Ermordeten bei einem Seitensprung. Hat dieser etwas mit der Tat zu tun? Kurz darauf wird ein ähnlich zugerichteter Mann gefunden – worin besteht der Zusammenhang zwischen den beiden? Und wer hat so viel Hass auf sie, dass das Herz auf so grausame Weise entfernt wird? Sandra Rehbein muss sich mit ihren Ermittlungen beeilen, denn es ist zu befürchten, dass es nicht bei den beiden Opfern bleibt…

„Dein böses Herz“ ist das zweite Buch des deutschen Autors und Arzt Paul Buderath. Das Cover ist eher unauffällig und aufgrund des Motives Nichts aussagend, verrät so aber auch noch nichts vom Inhalt. Durch die dezent abgebildeten Blutstropfen auf den Blättern wird jedoch deutlich, dass es sich um einen Thriller handelt.

Wie auch in Paul Buderaths erstem Werk „Der Künstler“ hat mich auch in „Dein böses Herz“ der Schreibstil des Autors absolut überzeugt: Er liest sich flüssig, treibt die Geschichte voran und behält jederzeit eine Grundspannung bei. Zu dieser tragen auch die kurzen Kapitel, sowie die verschiedenen Perspektiven bei, aus deren Sicht der Autor erzählt. Diese machen das Buch abwechslungsreich und geben dem Leser interessante Hintergrundeinblicke, da beispielsweise auch aus Sicht des Schuldigen berichtet wird. Aus dieser Perspektive wird der tiefe Hass deutlich spürbar und gut transportiert, aber auch andere Emotionen werden greifbar und sind anschaulich beschrieben. Gut gefallen hat mir auch die spannungsgeladene Grundatmosphäre und die düsteren Beschreibungen von beispielsweise dem verfallenen Kloster – an einigen Stellen habe ich mich richtig gegruselt.

Die Geschichte beginnt mitten im Geschehen und steigert sich immer weiter, was auch an den überraschenden Wendungen liegt. Gegen Ende wird sehr schnell klar, wer hinter den Morden steckt und der Spannungsbogen flacht etwas ab. Hier liegt der Fokus dann darin, das Motiv des Mörders und seine Beweggründe zu verstehen, weshalb mich diese doch relativ leicht zu durchschauende Auflösung auch nicht weiter gestört hat. Die persönliche Eingebundenheit der Kommissarin in den Fall war ein weiteres gutes Stilmittel, um die Spannung zu erhöhen, auch wenn es in der Realität wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass sie von dem Fall abgezogen worden wäre. Ansonsten scheint mir die polizeiliche Ermittlungsarbeit aber authentisch beschrieben. Der Epilog des Buches hat noch einmal passend die Geschehnisse mit all seinen Hintergründen zusammengefasst und somit zu einem runden Ende beigetragen.

Die Protagonistin Sandra Rehberg habe ich sofort ins Herz geschlossen, sie wird sehr authentisch und sympathisch dargestellt. Ihre Zerrissenheit als alleinerziehende Mutter in einem anspruchsvollen Beruf werden sehr nachvollziehbar geschildert, ebenso der tägliche Kampf, es allen Recht machen zu wollen und sich dabei noch gegen aufmüpfige Kollegen wie Ronny behaupten zu müssen. Die Mischung aus Privat- und Berufsleben stand in einem passenden Verhältnis und war sehr gelungen. Als Leser konnte man sich sehr gut in Sandra hineinversetzen, da sie absolut nahbar und menschlich rüber kam – eine absolut gelungene Protagonistin, von der ich gerne mehr lesen würde.

Insgesamt ist „Dein böses Herz“ ein absolut gelungener Thriller, der trotz früher Auflösung permanent spannend bleibt und durch seine sympathische Protagonistin und seinen gut durchdachten Aufbau überzeugt.

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  • Spannung
Veröffentlicht am 25.05.2021

Actionreiche Jagd einer (zu?) taffen Protagonistin

Tote ohne Namen
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In San Diego werden zwei Mädchen tot aufgefunden, beide weisen dieselbe Art von Wunden auf und beide scheinen mexikanischen Ursprungs zu sein, doch niemand kennt ihre Identität. Dem Police Department ...

In San Diego werden zwei Mädchen tot aufgefunden, beide weisen dieselbe Art von Wunden auf und beide scheinen mexikanischen Ursprungs zu sein, doch niemand kennt ihre Identität. Dem Police Department liegt keine Vermisstenanzeige vor und die Toten trugen keine Dokumente bei sich – dafür hatte eines der Mädchen einen Zettel in ihrer Faust, auf dem ein Name steht: Alice Vega. Die taffe Privatermittlerin gilt als Spezialistin für Vermisstenfälle und wird deshalb gemeinsam mit ihrem Partner Max Caplan von der Polizei als externe Ermittler hinzugerufen. Doch auch das DEA, die Drogenbehörde, hat Interesse an dem Fall und möchte Vega von dem Fall abziehen. Doch Vega und Max ermitteln auf eigene Faust weiter und finden sich plötzlich in einem gefährlichen Netz aus Zwangsprostitution, Menschenhandel und verfeindeten mexikanischen Kartellen wieder…
„Tote ohne Namen“ von Louisa Luna ist der zweite Band ihrer Reihe rund um die schlagkräftige Protagonistin Alice Vega. Beim Lesen wird immer wieder deutlich, dass es bereits eine Hintergrundgeschichte gibt und einige wenige Stellen sind ohne deren Kenntnis nicht zu verstehen. Für den aktuellen Fall sind diese jedoch auch nicht relevant und als Quereinsteiger versteht man die Zusammenhänge trotzdem. Etwas merkwürdig finde ich allerdings, dass der erste Band bisher gar nicht auf Deutsch erschienen ist, sondern nur im englischen Original zu beziehen ist – das nimmt dem Leser die Chance, die Protagonisten von Beginn an kennenzulernen. Schade.
Gut gefallen hat mir das Cover, welches vor allem durch seine tolle Farbkombination besticht. Die abnehmende Schriftgröße von Autorenname bis Titel suggeriert eine optische Weite, als würde man die abgebildete Straße entlang laufen. Das Foto selbst wirkt typisch westamerikanisch, etwas trostlos und im Nirgendwo. Trotz seiner Schlichtheit wirkt das Cover sehr atmosphärisch und auch etwas bedrohlich auf mich – super für einen Thriller! Zudem fühlt sich das Buch haptisch interessant an, da die Prägung der Schrift etwas von Schmirgelpapier hat.
Die im Cover angedeutete Atmosphäre zieht sich auch durch das gesamte Buch durch, es ist durchweg spannend und düster und zeigt unverstellt die Schattenseiten des Lebens. Passend dazu ist Louisa Lunas treibender Schreibstil, der sich flüssig und aufregend lesen lässt. Grausame Szenen werden nicht in aller Ausführlichkeit behandelt, was ich als angenehm empfinde – und an diesen mangelt es dem Buch nicht.
Es geht direkt mitten im Geschehen los, wir lernen ein Mädchen und ihren traurigen Alltag als Zwangsprostituierte kennen. Die Trostlosigkeit und Verzweiflung macht mich direkt betroffen und lässt mich mit dem Mädchen mitfühlen. Im weiteren Verlauf wird der Fokus eher auf Vega und Cap gelenkt, wir lernen beide als Personen sowie im gemeinsamen beruflichen Umfeld kennen. Sie werden in den Fall einbezogen und beginnen zu ermitteln. Dieser Mittelteil hat sich leider in Teilen etwas gezogen, aber nach und nach erhalten die beiden – wenn auch des Öfteren auf fragwürdige und unkonventionelle Art und Weise – neue Kenntnisse und immer mehr Puzzlestücke fügen sich zusammen. Als Leser kann man gut mitraten, in welche Richtung sich der Fall entwickeln wird und wird trotzdem von unvorhersehbaren Ereignissen überrascht. An manchen Stellen haben mir Hintergrundinformationen gefehlt, um die Zusammenhänge vollständig durchdringen zu können, wie beispielsweise im Fall der mexikanischen Kartelle. Dafür hat mich Alice Vega durch ihren platten Aktionismus einige Male gestört, ich hätte mir mehr Erklärungen und raffiniert-durchdachte Vorgehensweisen anstatt brutaler Gewaltszenen gewünscht. Die Auflösung des Falles war dennoch stimmig, aber etwas schnell „abgehakt“.
Mit Alice Vega und Max Caplan haben wir es mit zwei Protagonisten zu tun, bei denen die typischen Geschlechterrollen ausgetauscht wurden: Wo Max häufig angreifbar und emotional wirkt ist Alice durch und durch die taffe Powerfrau. Ich war hin und hergerissen, was ich von ihr halten soll: Einerseits mag ich ihre ausgeprägte Beobachtungs- und clevere Kombinationsgabe. Ab und an lässt sie eine menschliche Seite durchblicken, aber meist reagiert sie überstürzt und sehr aggressiv. Auch mochte ich es nicht, dass sie nicht nur sich, sondern auch Max einige Male unnötig in Lebensgefahr bringt. So richtig schlau bin ich leider aus ihr nicht geworden, ich fand sie an vielen Stellen überzeichnet und deshalb unglaubwürdig und unsympathisch. Auch die Beziehung untereinander bleibt unklar, da wir nichts über die Hintergründe und Vergangenheit ihrer Zusammenarbeit erfahren.
Insgesamt haben mir die Story und der spannungsgeladene Schreibstil gut gefallen, Alice Vega als Protagonistin war mir aber zu aggressiv und gewalttätig.

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Veröffentlicht am 16.05.2021

Vom traurigen Leben und Sterben dementer Menschen auf der Straße

Tödliches Vergessen
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Ein Spaziergänger in der Berliner Hasenheide macht eine grausige Entdeckung: Unter einem blauen Regenschirm verborgen liegt eine tote Obdachlose, in ihrer Hand steht ein Psalm geschrieben. Hauptkommissar ...

Ein Spaziergänger in der Berliner Hasenheide macht eine grausige Entdeckung: Unter einem blauen Regenschirm verborgen liegt eine tote Obdachlose, in ihrer Hand steht ein Psalm geschrieben. Hauptkommissar Breschnow, frisch aus dem Alkoholentzug entlassen und noch auf dem Weg mit der neuen Situation klarzukommen, nimmt sich des Falles an. Doch bevor die Ermittlungen in Gang kommen wird ein weiterer toter Obdachloser gefunden, ebenfalls mit einem blauen Regenschirm. In welchem Zusammenhang stehen die beiden Toten? Und handelt es sich um einen Serienmörder? Breschnow taucht tief ein in die Welt der Berliner Obdachlosen und muss mit Erschrecken feststellen, dass eine sowieso schon grausame Krankheit wie Demenz auch vor den Ärmsten der Gesellschaft nicht Halt macht – mit dramatischen Folgen.
Bereits das Cover des Buches sticht direkt ins Auge: Der passend zum Titel blau-türkisene Schirm fällt auf dem schwarz-weiß gehaltenen Hintergrund sehr auf und stellt einen Eyecatcher dar. Insgesamt ist das Cover eher minimalistisch, aber durch die Hervorhebung des Schirmes wird sofort klar, dass er eine wichtige Bedeutung im Buch haben wird. Dass er defekt ist lässt ebenfalls darauf schließen, dass etwas Schlimmes geschehen ist – ein passendes Cover also für ein spannungsgeladenes Buch.
„Tödliches Vergessen“ ist der 4. Fall für Hauptkommissar Stefan Breschnow, wurde aber nicht als Teil einer Reihe angekündigt. Ich war somit zunächst einmal etwas verwirrt und hatte das Gefühl, wichtige Hintergrundinformationen zu Breschnows Vergangenheit überlesen zu haben. An manchen Stellen hätte ich mir etwas mehr Aufklärung gewünscht, aber insgesamt war der Fall dann doch abgeschlossen und auch ohne Kenntnis der ersten drei Teile gut verständlich.
Der Einstieg ins Buch beginnt spannend aus Sicht des ersten Mordopfers. Sofort wird der blaue Regenschirm als Symbol für das Unglück eingeführt. Gleich danach geht es gemächlicher weiter, der Leser lernt Hauptkommissar Breschnow in seinem aktuellen Zustand nach dem Alkoholentzug kennen. Sein erster Arbeitstag steht bevor und er weiß noch nicht wirklich mit der neuen Situation umzugehen. Dieser persönliche Kampf ums Trockenbleiben wird an vielen Stellen des Buches auf authentische Art und Weise eingebaut und zeigt die innere Zerrissenheit, denen sich ehemalige Süchtige stellen müssen. Auch weitere Beteiligte werden in den ersten Kapiteln langsam eingeführt und das Setting in der Berliner Obdachlosenszene beschrieben. Die Geschichte nimmt mit dem zweiten Todesfall an Dynamik zu und zieht mich immer tiefer in ihren Bann, das Motiv hinter den Morden und der tatsächliche Täter bleiben bis zum Schluss rätselhaft und überraschen mich in ihrer Auflösung. Des Weiteren rückt immer deutlicher das Krankheitsbild der Demenz in den Mittelpunkt des Geschehens und berührt mich emotional sehr. Es werden zahlreiche tragische Einzelschicksale beschrieben, die es tatsächlich so geben könnte und mich nachdenken lassen. Das Buch ist so authentisch beschrieben, dass man sich vorstellen kann, dass jeder in unserer Gesellschaft in eine derartige traurige Situation kommen kann – es zeigt somit die bittere Realität auf ungeschönte Art und Weise.
Auch wenn ich die im Buch geschilderten Themen als sehr wichtig empfunden habe kam bei mir nicht die große Spannung eines Thrillers oder Krimis auf, es wirkte eher wie ein gut recherchierter Tatsachen- oder Hintergrundbericht über die Berliner Obdachlosenszene. Diese empfand ich als sehr informativ und bedanke mich für diese schockierenden, aber wichtigen Einblicke. Inhaltlich gab es für meinen Geschmack etwas zu viele Zufälle, besonders hinsichtlich der früheren Verbindungen der Beteiligten und deren Zusammentreffen in ein und derselben Einrichtung. Auch ist für mich am Ende ein Tod unerklärt geblieben.
Insgesamt hat mir das Buch aber dennoch sehr gut gefallen, die Einblicke sowohl in die Welt der Obdachlosigkeit, als auch die der Demenz waren authentisch und nachvollziehbar geschildert. Und die Kombination aus beidem hat mich ehrlich betroffen gemacht und zum Nachdenken angeregt. Diese Menschen tun mir unendlich leid. Insofern ist es umso wichtiger, dass auch ihnen mal ein Buch gewidmet wird - ein ungewöhnliches, wie wichtiges Thema, das in "Tödliches Vergessen" eindrücklich geschildert wird.

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