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Veröffentlicht am 06.09.2017

Feinsinniger Roman über einen russischen Adeligen und die eigene, kleine Welt in einem Hotel

Ein Gentleman in Moskau
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Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass in diesem Roman nicht viel passiert. Gleich zu Anfang, wir befinden uns im Jahr 1922 in Moskau, wird die Hauptfigur Graf Alexander Rostov zu lebenslangem Hausarrest ...

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass in diesem Roman nicht viel passiert. Gleich zu Anfang, wir befinden uns im Jahr 1922 in Moskau, wird die Hauptfigur Graf Alexander Rostov zu lebenslangem Hausarrest an seinem aktuellen Wohnort verurteilt. Dieser ist jedoch nicht das heimische Gut, da der Adelsstand schon einige Jahre zuvor abgeschafft wurde und Graf Rostov es längst verlassen musste. Seitdem lebt er im Hotel Metropol, dem ersten Haus am Platze in Moskau. Es verfügt unter anderem über zwei Restaurants, eine Bar, einen geschlossenen Blumenladen und eine Nähstube, so dass dem 33-jährigen Grafen immerhin nicht sofort die Decke auf den Kopf fällt.

Doch der Hausarrest des Grafen geht über Jahrzehnte, und als Leser begleitet man ihn dabei. Werden seine Begegnungen und Erlebnisse anfangs noch ausführlich geschildert, gibt es schließlich vermehrt Zeitsprünge. Diese wirken jeder Monotonie entschieden entgegen. Und auch sonst ist Graf Rostovs Leben im Hotel nur eine kleinere Ausgabe des Lebens in der richtigen Welt: Auch hier wird geliebt, gelacht und einander geholfen. Aber es wird auch bespitzelt und intrigiert – gegen die ehemals herrschende Klasse und eigentlich gegen jeden, der nicht zu den Bolschewiki zählt, kritisch hinterfragt oder auf die Äußerung seiner eigenen Meinung wert legt.

Bei der Lektüre dieses Romans habe ich einiges über das Leben im Russland des 20. Jahrhunderts gelernt; nicht zuletzt durch die gelegentlichen Fußnoten, die eine Brücke zwischen Fiktion und Wirklichkeit schlagen. Trotz der zerstörerischen Politik dieser Jahre handelt „Ein Gentleman in Moskau“ auch von Idealisten wie Graf Rostovs Freund Michail Fjodorowitsch, von selbstbewussten Frauen wie der Näherin Marina, von gutherzigen Parteimitgliedern wie Ossip Iwanowitsch Glebnikow und nicht zuletzt von Gentlemen wie Graf Rostov. Amor Towles hat als Hauptfigur einen beeindruckenden Philanthropen geschaffen, dessen Gedanken das Buch zu einem Lesevergnügen macht. Stets freundlich, höflich und so heiter wie möglich vermittelt er direkt und indirekt, was es heißt, ein Gentleman zu sein. Das Klischee vom grobschlächtigen Russen wird einem nach der Lektüre dieses Buches kaum mehr in den Sinn kommen.

Graf Rostovs teils philosophische Gedanken zu Heimat, Freundschaft und dem Leben generell machen diesen Roman so bemerkenswert. Ich habe mir ganze Passagen markiert, während ich das E-Book las. Es ging viel zu schnell, um sich alles zu merken, aber ich wollte die Sätze auch nicht einfach so an mir vorüberziehen lassen. Auch sprachlich überzeugen die Inhalte.
Und so ist es zwar größtenteils ein ruhiges Buch, aber es gibt auch dramatische Szenen. Zwar passieren oft nur Kleinigkeiten, doch durch die Sprache und die geschilderten feinsinnigen Gedankengänge werden auch diese interessant. Ein wohlkomponiertes, weises Buch mit genau dem richtigen Ende. Mir hat es sehr gefallen!

Veröffentlicht am 28.08.2017

Spannend, charmant, exotisch. Rundherum empfehlenswert, nicht nur für Kinder!

Thabo. Detektiv & Gentleman 3. Der Rinder-Dieb
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„Der Rinderdieb“ ist der dritte Band um den swasiländischen Jungen Thabo, der bei seinem Onkel, einem Safari-Ranger aufwächst und einen, bzw. sogar zwei klare Berufswünsche hat: Er will Detektiv und Gentleman ...

„Der Rinderdieb“ ist der dritte Band um den swasiländischen Jungen Thabo, der bei seinem Onkel, einem Safari-Ranger aufwächst und einen, bzw. sogar zwei klare Berufswünsche hat: Er will Detektiv und Gentleman werden! In beidem übt er sich schonmal: In diesem Band wird er bereits das dritte Mal in einen Kriminalfall verwickelt, denn erst verschwinden Rinderherden und dann auch noch seine ältere Freundin Miss Agatha, mit der er ab und zu Miss Marple-Filme schauen darf. Außerdem wurden mehrere Hütten abgebrannt. Was geht in und um das Dorf Hlatikulu nur vor sich? Thabo und seine Freunde Emma und Sifiso versuchen, den Fall zu lösen. Dabei zeigt sich, dass Ich-Erzähler Thabo bereits ein Gentleman ist: Höflich hält er seine ausländischen Leser auf dem Laufenden, spricht sie immer wieder direkt an und erläutert ihnen seine Sichtweise der Dinge. Die Urlauber, die in der Lodge von Emmas Mutter leben, geben ihm zum Beispiel oft Rätsel auf: „Touristen sind merkwürdig. Wenn sie sich bei ihrer Safari nicht wenigstens ein bisschen fürchten, sind sie unzufrieden. Andererseits möchten sie aber auch gerne lebend nach Hause zurückkommen.“ Als Leser kann man gar nicht anders, als Thabo, der sein Alter nicht verrät (als Gentleman spricht er nicht darüber) in sein Herz zu schließen.

Dieses Buch war der erste Thabo-Band, den ich gelesen habe – aber nicht der letzte! Auch ohne Vorkenntnisse habe ich mich von Anfang an bestens zurechtgefunden. Die Hauptfigur Thabo hat es mir sofort angetan; Autorin Kirsten Boie schildert seine Perspektive so charmant wie nachvollziehbar. Boie hat durch viele Reisen selbst einen liebevollen Blick auf Land und Leute entwickelt und den gekonnt auf ihre Hauptfigur übertragen. Dadurch, dass sie sich im südlichen Afrika offensichtlich sehr gut auskennt, vermittelt das Buch außerdem einiges an Wissen über die Lebensumstände dort. Das geschieht ganz nebenbei, ohne die eigentliche Geschichte zu stören, da Thabo einfach immer wieder von sich, seinem Kumpel Sifiso und seiner Freundin Emma erzählt. Diese lebt als Tochter der (weißen) Lodge-Inhaberin ein völlig anderes Leben als die Waisen Thabo und Sifiso; letzterer ist mit drei Geschwistern auf sich alleine gestellt, während Thabo bei seinem Onkel aufwächst. Aber als Freunde sind sie alle gleichberechtigt, wenn sie auch ab und an unterschiedliche Sichtweisen auf die Dinge haben. Für die Lösung des Falls sind dann auch alle drei unentbehrlich.

Kirsten Boie vermittelt, dass weder unterschiedliche Besitzverhältnisse noch Lebensumstände noch Hautfarbe etwas über den Charakter eines Menschen aussagen. Was zählt, sind Aufrichtigkeit und Freundschaft. Ich war einfach nur beeindruckt, wie sie nebenbei auch schwierige Themen anspricht, nichts verschweigt oder beschönigt, dabei aber kindgerecht bleibt und eben auch zeigt, dass die äußeren Umstände nicht das Herz eines Menschen definieren. Ich werde „Thabo“ sicher an einige Kinder verschenken, denn dieses Reinschnuppern in ein weit entferntes Land und das Kennenlernen von Thabo, Emma und Sifiso, die bei aller Pfiffigkeit doch ganz normale Kinder sind – das kann nur bereichernd sein und den Blick auf diese Welt wieder etwas mehr öffnen. Ich kann dieses Buch nur empfehlen.

Veröffentlicht am 17.08.2017

Liebeserklärung an la familia mit all ihren Macken

Ein Haus voller Träume
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Die drei längst erwachsenen Geschwister Jo, Tom und Lucy treffen sich ein letztes Mal in ihrem Elternhaus, bevor dieses verkauft werden soll. Anlass ist der Tod ihrer Mutter Hope, deren Asche sie an diesem ...

Die drei längst erwachsenen Geschwister Jo, Tom und Lucy treffen sich ein letztes Mal in ihrem Elternhaus, bevor dieses verkauft werden soll. Anlass ist der Tod ihrer Mutter Hope, deren Asche sie an diesem Wochenende verstreuen wollen. Davor soll, gemäß Hopes letztem Wunsch, noch einmal eine Party steigen, wie sie die gebürtige Engländerin selbst oft in ihrem spanischen „Haus voller Träume“ veranstaltet hat. Nachbarn, Freunde und Verwandte sind eingeladen und die Geschwister haben alle Hände voll zu tun – und neben der Trauer um ihre Mutter außerdem noch mit einigen persönlichen Problemen zu kämpfen. Es wird für alle Beteiligten ein intensives Wochenende, an dem sich einiges für immer verändern wird …


Auch für den Leser ist „Ein Haus voller Träume“ ein intensives Erlebnis. Die Handlung des immerhin 475 Seiten dicken Buches erstreckt sich über vier Tage, an denen man hautnah Hopes letzte (posthume) Feier in der "Casa de Suenos“ miterlebt. Sie rollt anfangs sehr gemächlich an und stellenweise hat das Buch einige Längen; zum Teil wurde mir die Spannung über zu viele Seiten aufgebaut. Doch die Ereignisse sind nachvollziehbar, schließlich werden auch einige Geheimnisse gelüftet und trotz der vielen Figuren und ihrer unterschiedlichen Biografien ist der Roman nicht überladen. Eine der großen Stärken von Fanny Blake ist ihr Talent, Atmosphäre zu erzeugen: Im „Haus der Träume“ würde man nach der Lektüre am liebsten selbst den nächsten Urlaub verbringen, so gut hat man es während des Lesens kennen und lieben gelernt. Auch die drei charakterlich extrem unterschiedlichen Geschwister und ihre Sichtweisen bringt die Autorin dem Leser so nahe, dass man sich doch irgendwie in jede der Figuren einfühlen kann. Am Ende sind sie wie gute Bekannte, die man am liebsten weiterbegleiten möchte. Ein schöner Sommerroman, der sowohl Lust auf Spanien als auch Lust auf ein Familientreffen macht, denn wie heißt es im Roman so schön: „Was zählt, ist doch die Familie, oder?“

Veröffentlicht am 27.07.2017

Drama, Baby!

Kopf aus, Herz an
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Die Ich-Erzählerin dieses Romans ist die 24-jährige Lilly, und ihr vorzuwerfen, dass sie eine Dramaqueen ist, scheint auf den ersten Blick ziemlich unfair. Schließlich hat Lilly jeden Grund, komplett durchzudrehen: ...

Die Ich-Erzählerin dieses Romans ist die 24-jährige Lilly, und ihr vorzuwerfen, dass sie eine Dramaqueen ist, scheint auf den ersten Blick ziemlich unfair. Schließlich hat Lilly jeden Grund, komplett durchzudrehen: Das Buch beginnt damit, dass sie an ihrem Hochzeitstag von ihrem Bräutigam sitzengelassen wird. Komplett neben sich stehend, beschließt sie, die Flitterwochen in Thailand alleine anzutreten. Und macht bereits im Flugzeug die Bekanntschaft des etwas abgewrackt aussehenden, tätowierten Damien, woran ihr Outfit (grellpinker Schlafanzug und Stofftier-Pantoffeln) sicher nicht unschuldig ist. Die Gute hat nämlich vergessen, sich an diesem Morgen anzuziehen …
Die abgeblasene Hochzeit, Thailand und nicht zuletzt ihre Fähigkeit, in jedes sich ihr bietende Fettnäpfchen zu stolpern, bringen Lilly immer wieder an ihre Grenzen. Als Leser folgt man ihren ungefilterten Gedanken und stellt dabei ziemlich schnell fest, dass sie ständig überfordert ist, weil sie gerne alles in schwarz und weiß einteilt und plötzlich ganz viel passiert, was nicht in ihr Weltbild passt. Vor dem Hintergrund ist ihre permanente Aufregung zwar irgendwie verständlich, aber auch etwas ermüdend – genau wie der permanente Wortwitz, der doch ziemlich gewollt erscheint: „Gerade jetzt brauchte ich Brot wie der Junkie seinen Morgenschuss“ oder „Miese Typen zogen sie an wie Batikshirts und Weltfrieden den Hippie“ sind typische Sätze in diesem Buch und diesen übertrieben flapsigen, pseudo-lustigen Stil empfand ich als sehr aufgesetzt. Allerdings sollte er vielleicht auch nur das Innenleben von Lilly wiederspiegeln, das mir ebenfalls etwas viel war. Zwar macht sie im Verlauf des Buches eine gewisse Wandlung durch, aber so richtig nachvollziehbar war das für mich alles nicht und endete für meinen Geschmack dann auch zu abrupt. Als leichte Sommerlektüre war das Buch durchaus okay, mehr aber auch nicht. Thailand-Urlaubern würde ich es eventuell sogar empfehlen, denn die Beschreibungen von Shopping in Phuket und verlassenen kleinen Inseln machen durchaus Lust auf das Land. Unterhaltungsromane mit Liebesgeschichten gibt es aber weitaus Bessere.

Veröffentlicht am 05.02.2019

Vielversprechender Buchbeginn, schwache Charaktere

Deine letzte Lüge
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In Clare Mackintoshs „Deine letzte Lüge“ hat die Mittzwanzigerin Anna bereits zu Beginn der Geschichte eine furchtbare Zeit hinter sich: Innerhalb von sieben Monaten hat sie beide Elternteile verloren. ...

In Clare Mackintoshs „Deine letzte Lüge“ hat die Mittzwanzigerin Anna bereits zu Beginn der Geschichte eine furchtbare Zeit hinter sich: Innerhalb von sieben Monaten hat sie beide Elternteile verloren. Unfassbar: Beide sind offenbar freiwillig aus dem Leben geschieden und haben sich vom Beachy Head, dem höchsten Kreidefelsen Großbritanniens, in den Tod gestürzt. Oder? Am ersten Todestag ihrer Mutter erhält Anna eine geschmacklose Klappkarte, die nur drei Wörter enthält: „Selbstmord? Von wegen.“ Für sie der ultimative Beweis, dass sich zumindest ihre Mutter nicht umgebracht hat. Und an dieser Stelle war ich dann auch schon zum ersten Mal leicht irritiert – da trauert jemand seit 19 Monaten und lässt sich dann von einer anonymen Postsendung in nullkommanix überzeugen, dass alles ganz anders war?
Natürlich muss Protagonistin Anna anfangen, Nachforschungen zu stellen, sonst wäre dieses Buch schon zuende gewesen, bevor es richtig angefangen hätte. Aber ihr Denken und Handeln erschien mir dabei längst nicht immer schlüssig dargestellt und das bleibt meiner Meinung nach eine sich durch das Buch ziehende Schwäche. Viele Charaktere verhalten sich – im Nachhinein meist grundlos – seltsam oder bleiben durchgängig sehr blass, als hätte die Autorin sie bewusst vernachlässigt, um sich mehr Optionen für die weitere Handlungsgestaltung offen zu halten. Eine Ausnahme bildet Murray, ein Polizist im Ruhestand, der als Zivilangestellter weiterhin auf einer Polizeiwache arbeitet und für den Annas Geschichte eine willkommene Ablenkung von der Sorge um seine Ehefrau ist, die unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet. Murray und auch seine Frau hat Mackintosh etwas achtsamer gestaltet, ihr Schicksal berührt, während mir Anna bald vor allem auf die Nerven ging.

Was mich an „Deine letzte Lüge“ zusätzlich gestört hat: Die Autorin versucht mehrmals, ihre Leser auf die falsche Fährte zu locken. Vollkommen legitim bei einem Thriller, könnte man einwenden, aber hier kam mir das Ganze sehr überkonstruiert vor. Zum Teil war die falsche Fährte so nachvollziehbar geschildert, dass die richtige Lösung kaum mithalten konnte. Auch die Auflösung überzeugte mich nicht komplett. Das Buch hat ein paar kaum vorhersehbare Twists, auf das Ende wäre ich von alleine sicher nicht gekommen. Aber über das öfters irritierende Verhalten der Figuren konnte mich das kaum hinwegtrösten. Die Grundidee des Psychothrillers versprach weitaus mehr, als die Autorin dann einlösen konnte. Rückblickend ist die Geschichte dann auch mehr Drama als Thriller und hat mich doch eher unzufrieden zurückgelassen
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Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar bekommen und sage an dieser Stelle nochmal danke an die Lesejury, dass ich mitlesen dürfte!

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