Profilbild von Webervogel

Webervogel

Lesejury Star
offline

Webervogel ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Webervogel über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.09.2023

Stimmung & Atmosphäre

Die Neapolitanische Saga 1: Meine geniale Freundin
0

Dass ich „Meine geniale Freundin“ gelesen habe, ist schon eine ganze Weile her. Tatsächlich ist es damals für mich beim ersten Band der neapolitanischen Saga geblieben, da mich die Geschichte nicht ganz ...

Dass ich „Meine geniale Freundin“ gelesen habe, ist schon eine ganze Weile her. Tatsächlich ist es damals für mich beim ersten Band der neapolitanischen Saga geblieben, da mich die Geschichte nicht ganz so sehr gepackt hat. Die Hassliebe von Lila und Lenù fand ich anstrengend, die meist nur flüchtig auftauchenden männlichen Protagonisten teilweise schwer auseinanderzuhalten und etwas deprimiert hat mich die Geschichte auch. Aber es kann ja immer sein, dass man ein Buch ein paar Jahre später anders bewertet und die Idee, mich dem Ganzen nochmal mit Hilfe einer Graphic Novel zu nähern, fand ich reizvoll.

Tatsächlich ist der Zugang zur illustrierten Adaption von „Meine geniale Freundin“ viel leichtfüßiger. Die Zeichnungen vermitteln sofort Atmosphäre. Stimmungen werden durch kühle Farben und ausdrucksvolle Augenpartien ausgedrückt, Armut und Trostlosigkeit des Rione, wo die Geschichte spielt, sind sofort greifbar. Als ich den Roman gelesen habe, hatte ich danach den Eindruck, dass mir einiges an Wissen über das damalige Italien fehlt, um die Situation der Protagonistinnen richtig erfassen zu können ... nach der Graphic Novel habe ich zumindest ein besseres Gefühl dafür.

Obwohl er großformatig ist und mehr als 250 Seiten fasst, kann der Comicroman die Geschehnisse natürlich längst nicht so detailliert schildern wie das Original. So werden viele Episoden nur angedeutet oder sehr verkürzt erzählt, zudem verleiten die plakativen Illustrationen, schnell durch die Seiten zu fliegen. Dadurch geht natürlich einiges verloren. Die Graphic Novel als Ergänzung zum Roman zu lesen, ist vermutlich ideal und wird der Geschichte am ehesten gerecht. Ich frage mich nur: Machen das so viele Menschen, dass sich das für den Verlag wirtschaftlich lohnt? Oder richtet sich die Graphic Novel vor allem an richtige Ferrante-Fans? Ich habe sie gerne durchgeblättert, gekauft hätte ich sie mir aber nicht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.08.2023

Anti-Pretty-Woman

Die Einladung
0

Diesen Roman habe ich in kurzer Zeit verschlungen, obwohl die Handlung oft träge vor sich hin wabert. Er hat mir gefallen, aber wenn mich jemand nach einem Buchtipp fragt, werde ich ihn vermutlich nicht ...

Diesen Roman habe ich in kurzer Zeit verschlungen, obwohl die Handlung oft träge vor sich hin wabert. Er hat mir gefallen, aber wenn mich jemand nach einem Buchtipp fragt, werde ich ihn vermutlich nicht nennen. Die Autorin Emma Cline merke ich mir allerdings – von ihr würde ich gerne noch mehr lesen!

Die 22-jährige Alex arbeitet als Escort und scheint schon einiges hinter sich zu haben. Aber jetzt hat sie’s in ihren Augen geschafft: Sie lebt seit ein paar Wochen mit dem mehr als doppelt so alten Simon in seinem Haus in den Hamptons, passt sich perfekt an seine Bedürfnisse an und genießt dafür Komfort und Luxus. Kennengelernt haben sie sich in einer Bar – nicht ganz zufällig, obwohl er das vermutlich denkt. In New York lief es nicht mehr gut für sie: verärgerte Mitbewohner, ein sie stalkender Ex-Kunde, Schulden. Simon kann Alex das bieten, wonach sie sich sehnt: Zutritt zu der Welt der Reichen, Schönen, Sorglosen. Allerdings ist ihr Arrangement nicht so dauerhaft, wie sie gehofft hat. Alex hat jedoch schon eine Idee, wie sie wieder Teil seines Lebens werden will …

Wer hier auf eine Liebesgeschichte à la „Pretty Woman“ hofft, wird schwer enttäuscht werden (wobei weder Cover noch Klappentext irgendwelche Hoffnungen auf Romantik wecken). Alex ist eine Antiheldin, die schwer greifbar bleibt, obwohl man als Leser*in durchgehend dicht an ihr dran ist. Klar ist: Sie ist abgebrüht, nutzt aus und manipuliert, ist aber gleichzeitig verzweifelt, medikamentenabhängig und selbstzerstörerisch. „Die Einladung“ umfasst nur ein paar heiße Sommertage, in denen man sie in den Hamptons begleitet – erst mit Geld, dann ohne. Der Roman liest sich intensiv: Eine träge Atmosphäre überlagert alles; die Schilderungen von der Hitze, dem Meer, den Pools und dem Dreck hinter der Fassade brennen sich ein. Stellenweise wirkt „Die Einladung“ handlungsarm, gleichzeitig jedoch fesselnd und irritierend. Viele Fragen bleiben offen, trotzdem erscheint mir der Roman im Rückblick rund und stimmig. Das mag widersprüchlich klingen, passt aber wiederum bestens zu dieser Geschichte um Anti-Pretty-Woman Alex.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.07.2023

Wiedersehen mit Marcus Goldman

Die Affäre Alaska Sanders
0

Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch ...

Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch „Die Affäre Alaska Sanders“ ist die dritte Begegnung mit seinem Ich-Erzähler Marcus Goldman, auf die ich mich sehr gefreut habe. Als einziges bedauert habe ich bei der Lektüre, dass es schon eine ganze Weile (achteinhalb Jahre?) her ist, dass ich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen habe – die Bezüge in „Die Affäre Alaska Sanders“ sind zahlreich, die Protagonisten zum Teil die gleichen und ich konnte mich an viele leider nur noch rudimentär erinnern. Dicker-Fans, die mehr Lesezeit als ich haben, würde ich daher empfehlen, den Marcus-Goldman-Erstling nochmal zu lesen. Man kann „Die Affäre Alaska Sanders“ aber auch sonst sehr genießen, und genau das habe ich getan.

Die titelgebende Alaska Sanders – 22 Jahre alt, bildhübsch, zielstrebig und immer freundlich – wird Anfang April 1999 in der Nähe der Kleinstand Mount Pleasant, New Hampshire, ermordet. Der Fall kann postwendend gelöst werden: Ihr Ex Walter gesteht nach seiner Festnahme den Mord und begeht noch auf der Polizeistation Suizid. Seinen besten Freund Eric hat er vorher als Mittäter verraten, worauf dieser zu lebenslanger Haft verurteilt wird.
Das alles ist elf Jahre her, als der Schriftsteller Marcus Goldman, beruflich erfolgreich, privat etwas verloren, durch seinen alten Bekannten Sergeant Perry Gahalowood auf den Fall stößt. Gahalowood war damals an den Ermittlungen beteiligt und bekommt nun den Hinweis, dass etwas faul ist. (Das ist die Kurzversion – hierbei spielen eine private Tragödie, Irrungen und Umwege eine Rolle, die fast eine eigene Geschichte in der Geschichte sind – typischer Dicker-Stil eben.) Und so ermitteln der Sergeant und der Schriftsteller wieder. Marcus Goldman versucht außerdem, seinen früheren Mentor Harry Quebert ausfindig zu machen, kommt dabei aber genauso wenig voran wie in der Affäre Alaska Sanders.

Der Roman hat 592 Seiten und dabei keinerlei Längen. Er wird zum Teil in Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven erzählt und hat mich nicht losgelassen. Auch wenn ein Mord im Zentrum steht, ist „Die Affäre Alaska Sanders“ von einem herkömmlichen Krimi weit entfernt mit den vielen Schleifen, die Dicker erzählt. Trotzdem ist der Roman spannend und hat mich keine Sekunde gelangweilt. Joël Dickers Erzählkunst begeistert mich einfach und ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus Goldman und Sergeant Gahalowood – das gelungene Ende macht Hoffnung, dass irgendwann vom Mordfall Gaby Robinson erzählt werden wird. Darauf freue ich mich jetzt schon!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.07.2023

Mutter werden ist nicht schwer ...

Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden
0

Na ja, eigentlich doch. Wege zur Schwangerschaft verlaufen sehr unterschiedlich und können durchaus steinig sein, ebenso wie die Zeit, die das Austragen eines Babys dauert. Doch auch das Muttersein ist ...

Na ja, eigentlich doch. Wege zur Schwangerschaft verlaufen sehr unterschiedlich und können durchaus steinig sein, ebenso wie die Zeit, die das Austragen eines Babys dauert. Doch auch das Muttersein ist kein Spaziergang, zumindest kein Selbstläufer.

Die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Chelsea Conaboy räumt mit einem Irrglauben auf, der seit langer Zeit tief im Menschen verwurzelt ist: dem der unfehlbaren Mutter, die bei der Geburt gleichermaßen mit Mutterinstinkt, intuitivem Wissen und grenzenloser Liebe beschenkt wird und ab da eine mehr oder weniger perfekte Vollblutmama ohne größere eigene Bedürfnisse ist. „Dieses Narrativ hat mit der Erfahrung erster Mutterschaft ungefähr ebenso viel zu tun wie die Märchenprinz-Geschichten von Disney mit der heutigen Dating-Welt“ ist einer meiner Lieblingssätze aus ihrem pointierten Sachbuch „Mutterhirn“.
Die Lektüre ist einerseits entlastend, weil sie der Tatsache nachgeht, dass Mutterwerdung trotz aller Hormone ein Prozess mit Höhen und Tiefen ist. Gleichzeitig zeigt Conaboy auf, dass das Gehirn durch Mutterschaft durchaus große und unwiderrufliche Veränderungen erfährt. Dabei ist weniger entscheidend, dass man ein Kind geboren hat, sondern dass man es als eine Hauptbezugsperson aufzieht. Wer seine eigenen Bedürfnisse konstant hintenanstellt, um sich um einen kleinen Menschen zu kümmern, verändert sich. Conaboy geht sowohl auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse ein als auch darauf, dass diese Veränderungen einem Angst machen können, z.B. in Form von Sorgen, die man sich plötzlich macht. Sie schreibt von Schuldgefühlen, die entstehen können, weil man nicht wie erwartet funktioniert und erläutert, wie Geschichte, Politik und Gesellschaft das Mutterbild geformt haben. Dabei bringt sie viele Beispiele, die „Mutterhirn“ zu einer lebendigen Lektüre machen, mich aber gleichzeitig öfters zu Lesepausen verleitet haben: Zu viel mit den Sorgen, Ängsten und Komplexen anderer Mütter wollte ich mich dann doch nicht beschäftigen. Dennoch ein sehr interessantes Buch über ein wenig erforschtes Themenfeld, das von Idealvorstellungen befreit und mehr Platz für wissenschaftliche Realität schafft.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.06.2023

Starker Start, lässt dann jedoch nach

Zwei Fremde
0

Die 33-jährige Remie Yorke tritt ihre letzte Schicht als Nachtmanagerin des Mackinnon an. Am nächsten Tag beginnt die Winterpause des einsam in den Highlands gelegenen Hotels, nach der sie nicht mehr zurückkehren ...

Die 33-jährige Remie Yorke tritt ihre letzte Schicht als Nachtmanagerin des Mackinnon an. Am nächsten Tag beginnt die Winterpause des einsam in den Highlands gelegenen Hotels, nach der sie nicht mehr zurückkehren möchte. Es ist ein ruhiger Abend mit nur noch zwei Hotelgästen im Haus und zunächst wird Remies Vorfreude nur durch einen aufziehenden, schweren Schneesturm getrübt. Doch dann klingelt ein Mann, der sich als Police Constable Gaines ausweist und berichtet, dass es bei einem Gefangenentransport ganz in der Nähe einen Unfall gab und der Schwerverbrecher Troy Foley flüchtig ist. Über eine Stunde später klingelt ein weiterer Verletzter in Uniform, der die gleiche Geschichte erzählt und sich ebenfalls als Gaines vorstellt. Einer von ihnen lügt offensichtlich und Remie, die bis zum nächsten Morgen die einzige Hotelangestellte vor Ort ist, muss sich entscheiden: Wem kann sie vertrauen? Und wie kann sie sich und ihre Gäste schützen?

Die Ausgangssituation in „Zwei Fremde“ sorgt sofort für Spannung: Eine Frau, fast auf sich alleine gestellt, muss eine Einschätzung treffen, von der vermutlich ihr Leben abhängt. Unweigerlich stellt sich die Frage, wie man an Remies Stelle handeln würde und wer denn nun der echte Gaines ist. Das undurchsichtige Katz-und-Maus-Spiel, das die ersten zwei Drittel des Thrillers prägt, fand ich dann auch am Fesselndsten, obwohl das Verhalten der verschiedenen Figuren mehr und mehr Rätsel aufgab.

Doch nach und nach geht dem Thriller etwas die Luft aus und Ungereimtheiten häufen sich. Im Nachhinein ist klar, dass fast alle Protagonistinnen und Protagonisten die Möglichkeit gehabt hätten, ihr jeweiliges Ziel schneller und risikoloser zu erreichen. Die durchaus überraschenden Wendungen verhindern leider auch nicht, dass „Zwei Fremde“ mehr und mehr an Nachvollziehbarkeit einbüßt. Schade, es begann alles sehr vielversprechend.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere