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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.08.2020

Künstlerisch wertvoll

Ein Mann der Kunst
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Der Förderverein eines Frankfurter Museums macht eine Kulturreise zu einem zurückgezogen lebenden Maler. Dem Werk des verehrten KD Pratz könnte ein Neubau gewidmet werden – wenn er sich des Vorhabens würdig ...

Der Förderverein eines Frankfurter Museums macht eine Kulturreise zu einem zurückgezogen lebenden Maler. Dem Werk des verehrten KD Pratz könnte ein Neubau gewidmet werden – wenn er sich des Vorhabens würdig erweist. Blöd, wenn die Gastgeberqualitäten des Genies sich als überaus eingerostet erweisen. Schon bald ist nicht mehr klar, was Kunst ist, was wegkann und wie das alles weitergehen soll.

Kristof Magnusson erzählt plaudernd-amüsant mit einem ganz besonderen Händchen für die von ihm erschaffenen Figuren. Sie sind nicht nur sehr nahbar, sondern voller liebevoll ausgestalteter Marotten. Bildungsbürger, Neureiche, Pensionäre und Fans – alle sorgen für kurzweilige Dialoge und werden augenzwinkernd karikiert. Wer Kunstliebhaber ist oder kennt, schmunzelt sicher noch etwas mehr als andere. Im überraschenden Finale nimmt der Roman dann richtig Fahrt auf. Eine originelle Lektüre!

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Veröffentlicht am 04.08.2020

Snow landet immer oben

Die Tribute von Panem X. Das Lied von Vogel und Schlange
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„Die Tribute von Panem“ ohne Katniss und Peeta – geht das? Ich war selbst überrascht, wie sehr mich Suzanne Collins Vorgeschichte „Das Lied von Vogel und Schlange“ gefesselt hat. Dieses Buch handelt von ...

„Die Tribute von Panem“ ohne Katniss und Peeta – geht das? Ich war selbst überrascht, wie sehr mich Suzanne Collins Vorgeschichte „Das Lied von Vogel und Schlange“ gefesselt hat. Dieses Buch handelt von den 10. Hungerspielen und daran, dass der 18-jährige Coriolanus Snow eines Tages Präsident des Kapitols werden könnte, glaubt höchstens seine greise und leicht verwirrte Großmutter. Mit ihr und seiner Cousine Tigris lebt Coriolanus zusammen; seine Eltern, Onkel und Tante sind während des Krieges gestorben. Die drei verbliebenen Snows halten sich so gerade über Wasser, doch Geld fehlt ihnen an allen Ecken und Enden und auch Coriolanus Universitätsstudium werden sie nicht bezahlen können. Seine einzige Hoffnung ist ein Stipendium, auf das er Chancen hat, wenn sich sein Tribut gut schlägt – bei den 10. Hungerspielen von Panem.

Coriolanus ist ein Stratege – sonst bleibt ihm allerdings auch wenig übrig. Er versucht, dem Namen Snow Ehre zu machen, niemanden merken zu lassen, wie schlecht es um die einst erfolgsverwöhnte Familie steht. „Snow landet immer oben“ ist nach wie vor ihr Motto, aber die Sonnenseite des Lebens scheint in weite Ferne gerückt. In der Akademie, wo sein Schulabschluss kurz bevorsteht. ist Coriolanus erfolgreich und beliebt, doch seine Zukunft ist unsicher, und so lastet ein ziemlicher Druck auf dem jungen Mann, der immer drei Schritte vorausdenkt. „Das Lied von Vogel und Schlange“ ist aus seiner Perspektive geschrieben und als Leserin konnte ich gar nicht anders, als Verständnis für ihn aufzubringen – und ihn zu mögen. Das ist spannend, denn Snow ist durchaus eine ambivalente Figur: Auf den eigenen Vorteil bedacht, aber auch mitfühlend. Manipulativ, aber auch verzweifelt.
Sein Gegenpart ist sein eigenes Tribut: Lucy Grey, die zierliche Musikerin aus dem ärmlichen Distrikt 12, der keiner zutraut, auch nur einen Tag in der Arena zu überleben. Doch Lucy Grey ist schlau und zäh – genau wie Coriolanus. Die Begleitung dieses ungleichen, sich aber doch auf Augenhöhe begegnenden Teams macht den Reiz des Romans aus. Überhaupt lebt er von den Gegensätzen: Was ist wichtiger – Macht oder Freiheit? Liebe oder Vertrauen? Freundschaft oder Loyalität? Die Geschichte hat einige verblüffende Wendungen. Und dann sind da noch die Hungerspiele, die man ja aus der Trilogie hinreichend kennt, die aber 64 Jahre vor Katniss und Peeta noch längst nicht so entwickelt waren.
Das Ganze ergibt einen gleich dreifach spannenden Pageturner: Hungerspiele, Lucy Greys ungewisses Schicksal, Coriolanus Kampf gegen den sozialen Abstieg. Dazu das Lied vom „Hanging Tree“, Spott- und Schnattertölpel – und man ist wieder komplett in Panem. Ich kann die Verfilmung fast schon vor mir sehen und freue mich sehr darauf. Collins hat eine Vorgeschichte geschrieben, die ihrem Hauptwerk in jeder Hinsicht ebenbürtig ist. Ich hoffe, das war nicht der letzte Ausflug nach Panem!

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Veröffentlicht am 28.07.2020

Bedrückendes Thema, packend erzählt

Zwei fremde Leben
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Frank Goldammer erzählt in „Zwei fremde Leben“ die Geschichte zweier Frauen: Ricarda, noch keine 20 Jahre alt, bekommt 1973 ihr erstes Kind in einem Dresdener Frauenklinikum. Obwohl sie eine problemlose ...

Frank Goldammer erzählt in „Zwei fremde Leben“ die Geschichte zweier Frauen: Ricarda, noch keine 20 Jahre alt, bekommt 1973 ihr erstes Kind in einem Dresdener Frauenklinikum. Obwohl sie eine problemlose Schwangerschaft hatte und die Wehen pünktlich am errechneten Stichtag einsetzen, läuft die Geburt fürchterlich schief und ihr Baby kommt tot zur Welt – behauptet zumindest das Krankenhauspersonal. Ricarda darf ihr Neugeborenes noch nicht mal sehen. Von nun an bestimmt dieses Trauma ihr Leben, sowie nagende Zweifel, ob man ihr wirklich die Wahrheit gesagt hat. Denn vielleicht lebt ihr Kind ja doch noch?
Die 16-jährige Claudia erfährt dagegen 1989 eine Wahrheit, die ihr Leben verändert: Sie ist nicht die leibliche Tochter der linientreuen Funktionäre, die sie aufgezogen haben. Doch wer ist sie dann – und wie kann sie das herausfinden, wenn alle schweigen?

Nach den ersten paar Kapiteln hatte ich die Befürchtung, dass dieser Roman doch etwas vorhersehbar sein könnte. Überdies kamen mir die Personen ziemlich holzschnittartig vor: Da gab es die sympathischen, mitfühlenden Regelbrecher und die herzlosen Parteisoldaten – letztere natürlich immer am längeren Hebel. Doch „Zwei fremde Leben“ überraschte mich positiv. Es ist dann doch nicht alles so einfach, wie es anfangs scheint, und einige Figuren sind viel komplexer angelegt als erwartet. Zeit- und Perspektivsprünge tragen dazu bei, dass sich der Roman sehr abwechslungsreich liest. Dem Autor gelingt es außerdem bestens, die Verzweiflung und Hilflosigkeit der beiden weiblichen Hauptfiguren einzufangen. Wie sie sich Autoritäten ausgeliefert fühlen, liest sich nachvollziehbar und beklemmend. Man bekommt einen Eindruck, was es bedeutet, wenn man in einem totalitären Staat nicht wie gewünscht funktioniert und es nicht schafft, unter dem Radar zu bleiben.
Aber auch die Wende lässt Goldammer nicht unkommentiert und für viele seiner Figuren ist sie nicht der erhoffte Heilsbringer. Die Handlung zieht sich bis ins Jahr 2018. Ricardas deutsch-deutsches Leben begleiten die Lesenden so über fast fünf Jahrzehnte; ihre Darstellung hat mich dann auch am meisten überzeugt.

Sicher ist kein Zwangsadoptionsschicksal wie das andere. „Zwei fremde Leben“ nähert sich dem Thema von verschiedenen Seiten und geht dabei behutsamer vor, als der Anfang vermuten lässt. Ich war positiv überrascht.

Ich habe dieses Buch als Leseexemplar erhalten.

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Veröffentlicht am 17.07.2020

Auszeit vom Alltag

Sommerby 2. Zurück in Sommerby
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„Zurück in Sommerby“ ist der Nachfolgeband von „Ein Sommer in Sommerby“. Den ersten Roman habe ich nicht gelesen, würde das aber jedem empfehlen, bevor er „Zurück in Sommerby“ zur Hand nimmt. Zwar lässt ...

„Zurück in Sommerby“ ist der Nachfolgeband von „Ein Sommer in Sommerby“. Den ersten Roman habe ich nicht gelesen, würde das aber jedem empfehlen, bevor er „Zurück in Sommerby“ zur Hand nimmt. Zwar lässt sich der Geschichte auch so problemlos folgen, aber es fehlt eben doch einiges an Hintergrundwissen. In diesem zweiten Band verbringen Mats, Mikkel und Martha, drei Geschwister zwischen ungefähr vier und 13 Jahren, das zweite Mal die Ferien bei ihrer Großmutter Inge – die sie im ersten Band überhaupt erst kennengelernt haben. Inzwischen ist man vertraut mit den kleinen Eigenheiten des anderen, die aber dennoch Konfliktpotential bieten: So kann Tierfreund Mikkel nicht ertragen, dass seine Oma ihre Gänse irgendwann schlachten möchte. Sie dagegen findet es ärgerlich, dass er heimlich ihre Mausefalle entsorgt. Der kleine Mats möchte ausreißen und Martha fiebert vor allem dem Wiedersehen mit einem Dorfjungen entgegen. Doch das alles tritt in den Hintergrund, als ein alter Bekannter aus „Ein Sommer in Sommerby“ auftaucht: Ein windiger Makler, der den alten, idyllisch auf einer Landzunge gelegenen Hof von Oma Inge kaufen möchte. Und dem kein Trick zu schmutzig ist, um sein Ziel zu erreichen.

Kirsten Boie entwirft ihre Figuren wie gewohnt sehr liebevoll, mit viel Herz und kleinen Marotten. Sie schildert die Gedankenwelten aller drei Kinder höchst einfühlsam und nachvollziehbar, was oft amüsant und manchmal auch bedrückend ist. Die Erwachsenen sind eher Nebenfiguren, auch wenn Oma Inge ein echtes Original ist und ich sie förmlich vor mir sehen konnte. Trotzdem sind alle Charaktere komplex, bis auf den Makler, der einfach nur ein Schurke ist, aber auch das passt hier bestens. Die Geschichte ist mit unzähligen kleinen Anekdoten ausgestattet. Sommerby ist nicht das große Abenteuer, sondern der gemütliche Zufluchtsort, an dem die Uhren anders ticken. Die internetfreie Wohlfühloase, wo noch Marmelade eingekocht, mit der Hand gespült und Dialekt gesprochen wird. So, wie man es vielleicht aus seiner eigenen Kindheit von Besuchen bei den Großeltern in Erinnerung hat.

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar gelesen.

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Veröffentlicht am 09.07.2020

Gläserne Zukunft

Paradise City
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Schon der Klappentext dieses Thrillers löst ein leichtes Gruseln aus: „Deutschland in der Zukunft. Die Küsten sind überschwemmt, die großen Pandemien überstanden, weite Teile des Landes sind entvölkert ...

Schon der Klappentext dieses Thrillers löst ein leichtes Gruseln aus: „Deutschland in der Zukunft. Die Küsten sind überschwemmt, die großen Pandemien überstanden, weite Teile des Landes sind entvölkert (…)“ … und dann spielt auch noch eine staatliche Gesundheits-App eine Rolle, deren Gemeinsamkeiten mit der Corona-App allerdings schon nach dem Wort „App“ enden.

„Paradise City“ mutet nur auf den ersten Blick erschreckend aktuell an, wartet aber dennoch mit zeitgemäßen Themen auf: Staatliche Kontrolle, Überwachung und Big Data im Gesundheitswesen bilden den Rahmen von Zoë Becks neuester Dystopie. Hauptfigur Liina wohnt in der Verwaltungseinheit Frankfurt, einer 10 Millionen Megacity, die gleichzeitig deutscher Regierungssitz ist. Vom Nahverkehr bis hin zum Grundeinkommen ist alles optimiert, nicht zuletzt der Mensch, der durch die Gesundheits-App KOS komplett überwacht wird, natürlich zu seinem eigenen Besten. KOS überwacht Vitalwerte, analysiert Blut- und Urinproben, verschreibt Medikamente und organisiert auch gleich ihre Lieferung per Drohne. Die App mahnt zu ausreichendem Schlaf, gesunder Ernährung und Sport und ruft, wenn nötig, auch eigenständig einen Krankenwagen. Liinas Chef, Mitinhaber einer der letzten nichtstaatlichen Nachrichtenagenturen, kann sie allerdings nicht mehr helfen: Er stürzt vor eine Bahn, während die Investigativjournalistin, mit der er zusammengearbeitet hat, ermordet wird. Kann das ein Zufall sein?

Ich mag Dystopien, die noch einen gewissen Bezug zur Realität haben und „Paradise City“ gehört ganz klar in diese Kategorie. Beck erklärt zwar nicht im Detail, welche Entwicklungen zu der beschriebenen Zukunft geführt haben, streut aber immer wieder kleine Erklärungen ein. Das liest sich gut. Auch die Handlung beginnt recht vielversprechend und thematisiert komplexe Trade-offs: Exzellente Versorgung und Wohlstand versus Freiheit – was ist größtmögliche Bequemlichkeit wert? Wieso keinem Algorithmus das Denken überlassen, wenn der doch viel schlauer ist – und zudem streng darauf programmiert, nur das Beste für Individuum und Gesellschaft zu wollen? Und was ist eigentlich objektiv das Beste?

Die Handlung enthält verschiedene Perspektiven auf diese Konflikte. Allerdings fand ich enttäuschend, dass ich weder an Liina noch an die anderen Figuren so dicht ran kam, dass ich mit ihnen gezittert oder gelitten hätte. Geschilderte Emotionen waren zwar nachvollziehbar, der Funke sprang aber einfach nicht über; da blieb immer eine gewisse Distanz. Und am Ende von „Paradise City“ fallen den Protagonisten jede Menge Erkenntnisse einfach so in den Schoß. 100 Seiten mehr hätten dem Ganzen vielleicht gutgetan – die Geschichte hätte sich langsamer aufbauen und glaubwürdiger entwickeln können, eventuell wären dann auch die Figuren greifbarer geworden. Dennoch: Die Grundidee ist spannend. Letztendlich geht es auch hier um die Frage, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen und um was es sich zu kämpfen lohnt.

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

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