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Veröffentlicht am 18.08.2019

Ein erschütterndes Buch zu Seenotrettung im Mittelmeer und Flucht nach Europa

Grenzlandtage
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Jule hatte sich eigentlich auf zwei Wochen Urlaub mit ihrer besten Freundin gefreut. Doch nun ist diese krank und sie muss alleine ihre Reise auf die griechische Insel antreten. Der Ort wirkt wie das reinste ...

Jule hatte sich eigentlich auf zwei Wochen Urlaub mit ihrer besten Freundin gefreut. Doch nun ist diese krank und sie muss alleine ihre Reise auf die griechische Insel antreten. Der Ort wirkt wie das reinste Urlaubsparadies, doch dann begegnet sie einem Jungen mit verbundenen Händen und alles ändert sich.

Dieses Buch ist so ein Buch, bei dem man irgendwann seinen europäischen Pass verflucht und sich die eigenen Privilegien als EU-Bürger*in bitter bewusst wird. Es geht um Seenotrettung im Mittelmehr (oder eben ihre Abwesenheit), um Ertrinken, um Flucht, um Abschiebung, um die Zustände in den unterschiedlichen Ländern und um die Verteilungsverfahren. Wut, Ohnmacht und Fassungslosigkeit waren nur einige der Gefühle, die ich beim Lesen empfand.
Die vielen Tode im Mittelmeer bekommen ein Gesicht und werden in diesem fiktiven Werk real.

Antonia Michaelis und Peer Martin haben beide einen ungewöhnlichen, poetischen Schreibstil, der hier in diesem Buch perfekt harmoniert. Wie in vielen Büchern von Antonia Michaelis wirkt Jule manchmal naiv, verträumt, idealistisch, aber nicht zwingend auf eine anstrengende Art.
Zu ihrer Sicht kommt zwischendurch die des Jungen hinzu. Und natürlich könnte man argumentieren, dass ihr Zusammentreffen und die Entwicklung in dieser Form nicht zwingend realistisch sind, aber es eröffnet einen Raum der Möglichkeiten, der die Realität zerschmettert. Es ist eine Geschichte der Hoffnung, der Verzweiflung, es ist ein Märchen, das wie eine Metapher für das steht, was man sich wünscht, was aber nicht ist, und doch orientiert es sich an Tatsachen. Entscheidungen wirken nicht immer rational, aber darum geht es nicht. Es ist ein Jugendbuch, das sich eines brandaktuellen, aber viel verschwiegenen Themas annimmt. Das die Geschichte einer deutschen Abiturientin erzählt, die aus ihrer privilegierten Welt rausgerissen wird und ohnmächtig diesem ungerechten Phänomen gegenübersteht, und eines Jungen, der zu viel verloren hat, zu erwachsen geworden ist und doch die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hat. Und es ist die Geschichte, die zeigt, dass Seenotrettung kein Verbrechen, sondern Menschlichkeit ist.

Veröffentlicht am 17.08.2019

Sehr jugendliche und vorhersehbare Geschichte mit einer naiven Protagonistin und wenig Tiefe

Faye - Herz aus Licht und Lava
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Ich wünschte, ich hätte das Buch mögen können, aber ich fürchte, es war leider nicht mein Fall. Es geht da einigen anders, aber ich kam aus verschiedenen Gründen nicht ganz mit dem Buch klar.
Aber fangen ...

Ich wünschte, ich hätte das Buch mögen können, aber ich fürchte, es war leider nicht mein Fall. Es geht da einigen anders, aber ich kam aus verschiedenen Gründen nicht ganz mit dem Buch klar.
Aber fangen wir doch erst mal mit einem positiven Punkt an: Man merkt, dass die Autorin selbst in Island war und die verschiedenen Schauplätze besucht hat, denn ihre Beschreibungen von der einzigartigen Landschaft wecken problemlos Fernweh. Generell - Island als Kulisse ist ungewöhnlich, aber sehr cool. (Nebenbei ist übrigens auch Umweltschutz ein zentrales Thema.)

Passend dazu hat die Autorin Aspekte aus der nordischen Mythologie in die Geschichte eingeflochten, wenn auch auf abgeänderte Weise. Hier hätte ich mir aber zum Beispiel gewünscht, dass das in einigen Aspekten, gerade in Bezug auf die Magie, deutlich stärker ausgearbeitet worden wäre. Hintergründe waren kaum vorhanden und viele Ideen wurden gar nicht aktiv umgesetzt bzw. man hätte deutlich mehr daraus machen können. Die Mythologie bietet da unheimlich viel Potenzial, das leider kaum genutzt wurde, was ich ein bisschen schade fand.

Eins meiner Hauptprobleme war, dass ich mit der Protagonistin nicht klarkam, deren Charakter sich eben auch in dem Stil widerspiegelte. Letzteren fand ich anfangs noch unterhaltsam, da er stark von sarkastischen Kommentaren geprägt ist, auf Dauer wurde er für mich jedoch anstrengend, da er sehr jugendlich gehalten ist.
Das zeigt sich auch in der Protagonistin, die mir mit ihrem Verhalten teilweise deutlich jünger als 17 Jahre vorkam. Überhaupt hatte ich teilweise das Gefühl, ein Buch für jüngere LeserInnen vor mir zu haben (der Verlag empfiehlt es ab 14). Faye verhält sich oft sehr naiv. Sie wirkte auf mich leichtgläubig und trotzig, und zusammen mit ihrer starken Naivität habe ich persönlich das oft als anstrengend empfunden.
Ich konnte auch nicht nachvollziehen, wieso sie plötzlich felsenfest an Elfen glaubt und daran, dass sie den Baum retten muss bzw. das auch besser kann als alle Einheimischen, die dafür seit Jahren kämpfen. Generell akzeptierte sie mir Dinge viel zu schnell und hinterfragte deutlich zu wenig. Manchmal hätte ich mir mehr - authentische - Skepsis und längere Akzeptanzprozesse gewünscht.

Generell hatte ich ein paar Problem damit, dass ich einige Handlungsaspekte nicht ganz glaubwürdig und logisch fand. Allen voran die Liebesgeschichte. Aron legt das klassische leicht toxische Bad-Boy-Verhalten vor, wirkte auf mich allerdings weniger düster und gefährlich, als vielmehr sehr launisch und ein wenig gemein. Er gab mir zumindest keinerlei Anlass, ihn zu mögen, aber Faye, die eigentlich gerade erst schlechte Erfahrung mit pseudo-coolen Typen gemacht hat, ist plötzlich hin und weg.
Ich konnte die Liebesgeschichte nicht im Geringsten nachvollziehen, ebenso wenig wie Arons Motive und Gefühle. Nicht, dass die Liebesgeschichte nicht an sich Potenzial gehabt hätte, hier hätte ich mir einfach deutlich mehr Entwicklung und auch mehr gemeinsame Momente gewünscht.

Insgesamt blieben gerade die Nebencharaktere in meinen Augen eher blass. Der/die AntagonistIn war ziemlich stereotypisch ohne wirkliche Tiefe und mit einem in meinen Augen eher oberflächlichem Motiv. Generell war das Meiste auch relativ vorhersehbar und somit gab es auch keine wirklichen Überraschungen.

Fazit: Vorhersehbare Fantasy-Geschichte mit einer tollen Kulisse, die aber zu wenig aus dem Potenzial der zugrundeliegenden Mythen macht. Die ausgeprägte Naivität der Protagonistin ist manchmal anstrengend und trägt gemeinsam mit dem sehr jugendlichen Schreibstil dazu bei, dass ich persönlich die Zielgruppe eher bei jüngeren Leser*innen sehe als der Verlag. Die meisten Charaktere und Motive bleiben eher blass und oberflächlich, und gerade die Liebesgeschichte wirkte auf mich alles andere als glaubwürdig.

Veröffentlicht am 06.08.2019

Erschütternde Biografie

Ich bin eure Stimme
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Der IS hat unzählige JesidInnen umbringen lassen und die Frauen verschleppt und versklavt. Dafür, das Schweigen aufzulösen und für die Rechte der JesidInnen und der Anerkennung der an ihnen begangenen ...

Der IS hat unzählige JesidInnen umbringen lassen und die Frauen verschleppt und versklavt. Dafür, das Schweigen aufzulösen und für die Rechte der JesidInnen und der Anerkennung der an ihnen begangenen Verbrechen durch den IS zu kämpfen, dafür setzt sich Nadia Murad ein, die heute in Deutschland wohnt.

Diese Autobiografie ist ihre Geschichte. Die Geschichte, wie sie in einem kleinen Dorf im Norden des Iraks in einer jesidischen Gemeinschaft aufwuchs, wie der Großteil ihrer Familie ermordet wurde, wie sie vom IS versklavt wurde und schließlich floh.
Sie beginnt damit, ihren Heimatort zu schildern, und die Situation der JesidInnen, die seit Jahrhunderten wegen ihres Glaubens verfolgt und als Spielball der Politik instrumentalisiert werden. Nadia Murad schildert, wie sie in einer Atmosphäre der stets präsenten Angst, aber auch inmitten einer Gemeinschaft in einem eher einfachen, ländlichen Leben aufwuchs, das sie geliebt hat. Sie gibt einen Einblick in die jesidische Kultur, in ihr Alltagsleben, und diskutiert auch die Fragen der Identität als JesidInnen, die auf vernichtende Weise stets zentral waren. Somit lernt de/die LeserIn neben der Kultur der JesidInnen auch die politische Geschichte des Iraks kennen.

Nadia Murad schildert die vergebliche Hoffnung und die steigende Verzweiflung während der Belagerung ihres Heimatortes, ebenso wie die nachfolgenden Ereignisse, die so unmenschlich und grausam waren, dass es mir schwerfiel, das zu begreifen. Sie gibt den abstrakten Verbrechen und dem abstrakten Phänomen des IS ein Gesicht und ließ sie real werden. Ich war betroffen, schockiert, fassungslos, entsetzt ... gibt es Worte, die ein solches Leseerlebnis beschreiben können? Sie schildert die Vergewaltigungen, die sie durchlitten hat, die Gewalt, die Ermordungen ihrer Familie, und gibt all dem so ihre Stimme.
Gleichzeitig ist es aber auch die Geschichte einer starken, jungen Frau, die niemals aufgegeben hat, die gekämpft hat, die unheimlichen Mut bewiesen hat und die letztendlich geflohen ist.
Und somit ist dies ein Buch, das erschüttert, aber das auch ein Zeugnis des Genozids an eine Gruppe ist, deren Geschichte von Unterdrückung und Gewalt geprägt ist. Ein Zeugnis der Schrecken des IS, die hier auf einmal real werden und damit nicht weniger grausam oder brutal.

Fazit: Erschütternde Biografie einer starken Jesidin, die den Genozid an ihrer Glaubensgemeinschaft schildert und die Verbrechen des IS real werden lässt.

Veröffentlicht am 06.08.2019

Poetisch, tiefgründig, unvorhersehbar und mitreißend!

Strange the Dreamer - Der Junge, der träumte
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Allein der Schreibstil wäre schon ein Grund, dieses Buch zu lesen. Laini Taylor gehört zu den AutorInnen, die sich durch ihren ganz individuellen, hervorstechenden Schreibstil auszeichnen. Auf poetische ...

Allein der Schreibstil wäre schon ein Grund, dieses Buch zu lesen. Laini Taylor gehört zu den AutorInnen, die sich durch ihren ganz individuellen, hervorstechenden Schreibstil auszeichnen. Auf poetische Weise beschreibt sie die Geschehnisse, und ich habe es geliebt, einfach nur ihre Beschreibungen zu lesen, die so ungemein malerisch und bildhaft sind, voller Metaphern, aber ohne, dass es zu viel wird.

Aber auch ansonsten sticht dieses Buch aus der Masse hervor. Das Setting ist eine High Fantasy-Welt und der Protagonist Lazlo Strange auf den ersten Blick alles andere als ein Held. Nichtsdestotrotz verbirgt sich dahinter aber ein durchaus vielschichtiger Charakter.
Dabei wird ausgedrückt, wie wenig das Äußere manchmal über das Innere eines Menschen sagt (ein Thema, das durchaus von Bedeutung ist): Obwohl sein Äußeres als brutal und hart beschrieben wird, ist Lazlo vielmehr freundlich, selbstlos und unbekümmert, und auf diese Weise unheimlich liebenswert. Er kümmert sich um seine Mitmenschen, geht offen an sie heran, verurteilt sie nicht und generell ist er einfach ein unheimlich sympathischer Charakter.

Generell lässt sich sagen, dass die Charaktere oft vielschichtig sind. Selbst der unsympathischte Charakter verbirgt mehr, wird nicht einseitig gezeichnet, sondern mit Ängsten, Schwächen, Wünschen. Einige Dialoge sind dabei durch ihren Humor auch sehr unterhaltsam.
Das Buch zeichnet sich auch dadurch aus, dass alle gewissermaßen nachvollziehbare Gründe für ihr Handeln haben, sodass man bei Konflikten oftmals beide Seiten verstehen kann. Somit sind diese Konflikte sehr authentisch. Und so führt das unter Umständen dazu, dass man auch scheinbar moralisch verwerfliche Handlungen bis zu einem gewissen Grad verstehen kann und einem der entsprechende Charakter ein wenig leid tut. Die Autorin zeigt, wie Geschehnisse Hass erzeugen können, der wiederum zerstört.

Ich will euch nicht zu viel von dem World Building verraten, damit ihr es selbst noch entdecken könnt, aber die Ideen der Autorin fand ich unheimlich faszinierend. Wie in einem Sog wurde ich in diese fremde Welt hineingezogen. Und gleichzeitig erhöhte die Ausweglosigkeit der Konflikte die Spannung ungemein. Schon der Prolog lastet wie ein Damoklesschwert über dem ganzen Buch und das Ende hat mich noch einmal komplett geschockt und mitgenommen.

Fazit: Ein unheimlich poetischer und bildhafter Schreibstil entführt in eine faszinierende Welt mit einem unauffälligen, aber sehr sympathischen, freundlichen, offenen und eher ungewöhnlichen Protagonisten und generell sehr vielschichtigen und nachvollziehbar handelnde Charakteren - unterhaltsam, unvorhersehbar und mitreißend!

Veröffentlicht am 03.08.2019

Eine Identitätssuche zwischen zwei Ländern

Sechzehn Wörter
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Dieses Buch ist die Geschichte einer jungen Frau, die im Iran geboren ist, in ihrer Kindheit nach Deutschland gezogen ist und dort nun lebt. Anlässlich des Todes ihrer Großmutter reist sie gemeinsam mit ...

Dieses Buch ist die Geschichte einer jungen Frau, die im Iran geboren ist, in ihrer Kindheit nach Deutschland gezogen ist und dort nun lebt. Anlässlich des Todes ihrer Großmutter reist sie gemeinsam mit ihrer Mutter in den Iran. Der Rückflug ist schon gebucht und doch beginnt dort ein wenig auch die Suche nach ihrer eigenen Identität, inmitten dieser beiden Länder.

Und das ist auch der zentrale Punkt: Mona, ihr Leben und ihre Suche nach ihrer Identität. Das Buch ist sehr ruhig, ohne wirklichen Spannungsbogen und besteht aus sehr vielen Rückblicken. Anhand sechzehn einzelner persischer Worte, die den Kapiteln vorangestellt das Buch strukturieren, verknüpft Mona Erinnerungen – an ihren Vater, der nie wirklich in Deutschland angekommen ist, an Alltagsrassismus, an ihre Kindheit, an das Jahr, das sie im Iran gelebt hat. Und trotz des so eher flachen Spannungsbogens habe ich das Buch keineswegs als langweilig empfunden – vielmehr entpuppte sich der Schreibstil als sehr fesselnd, sodass ich ein paar Seiten lesen wollte und dann nur schwerlich von dem Buch wieder losgekommen bin. Lediglich hin und wieder hatte ich Probleme, die Gegenwart von einem Rückblick zu unterscheiden, wobei das eigentlich durch die gewählte Zeitform deutlich wird.
Obgleich man die ganze Geschichte aus Monas Sicht liest und durch die Rückblicke und Reflexionen auch sehr tief in ihrem Inneren versunken ist, werden nicht alle Zusammenhänge offengelegt und manchmal weiß das Buch mit Enthüllungen zu überraschen.

An der Authentizität der Geschichte habe ich dabei keinen Zweifel, denn die Autorin Nava Ebrahimi teilt wesentliche Eigenschaften mit der Protagonistin. Auch sie ist im Iran geboren und als Kind nach Deutschland gekommen, auch sie hat in Köln gelebt und Journalismus studiert.

Es wird ein Bild von dem Iran gezeichnet, das ein wenig einlädt, dieses Land und seine Kultur kennenzulernen, was vielleicht manchmal etwas kritisch ist, manchmal ironisch, aber manchmal eben auch von einer unterschwelligen Sehnsucht Monas geprägt.
Mit Sexualität wird relativ offen umgegangen. Besonders Monas Großmutter charakterisiert sich dabei durch sehr unverfrorene sexualisierte Sprüche und empört sich darüber, dass ihre Enkelin noch keinen Mann gefunden hat. Mona wiederum hat während ihres Jahres in Teheran mehrere Nächte mit einem verheirateten Mann verbracht, ganz unverbindlich, was kaum problematisiert wird.

Fazit: Die Reise in ihr Geburtsland, dem Iran, wird für die Protagonistin auch ein wenig zu einer Identitätssuche - ein eher ruhiges, aber dennoch fesselndes Buch mit leicht poetischem Schreibstil, das ein ganz eigenes Bild von dem Iran zeichnet, aber auch das Aufwachsen in Deutschland als Migrantin reflektiert, und das nicht zuletzt durch die eigenen Erfahrungen der Autorin authentisch wirkt.