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Veröffentlicht am 05.03.2021

Grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt

Never Never
0

Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die ...

Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die Taschenbuchauflage herausgebracht hat, habe ich meine Chance ergriffen und ein Rezensionsexemplar ergattert. Und, was soll ich sagen: dieses Gemeinschaftsprojekt der Autorinnen Hoover und Fisher hat mich zuerst verwirrt, dann begeistert und dann enttäuscht, in dieser Reihenfolge!


Silas: "Ich ziehe es vor, dich zu lieben, wenn du ganz unten angekommen bist, anstatt dich an der Spitze zu verachten."


Um das zu verstehen muss man wissen, dass sich hinter dem typischen, pink-weißen Hoover-meets-dtv-Verlag-Cover mit den dunklen Silhouetten, eine dreigeteilte Geschichte verbirgt. Da jede weitere Information, die über den Klapptext hinausgeht, ein schwerwiegender Spoiler ist, sollten alle, die die Geschichte noch nicht gelesen haben, JETZT aufhören, weiterzulesen und sofort zum Fazit springen (Spoiler Alert!!!). Das Autorinnenduo hat "Never Never" ursprünglich in drei getrennten Kurzromanen veröffentlicht, die deutsche Ausgabe vereint also alle drei Teile und den Epilog. Da jeder der drei Teile mit einem Gedächtnisverlust mitten in der Handlung endet, ist es mehr als sinnvoll, alle drei Abschnitt direkt hintereinander zu lesen, weshalb ich dem dtv Verlag für die Zusammenlegung sehr dankbar bin.


Erster Satz: "Ein Poltern."


Im ersten Teil lernen wir die beiden Highschool-Seniors Charlie und Silas kennen, welche nicht nur beste Freunde seit ihrer Kindheit, sondern auch seit mehreren Jahren in einer Beziehung sind... zumindest sagen ihre Freunde das. Denn die beiden können sich an nichts mehr erinnern. Nicht wer sie selbst sind, nicht wer der andere ist, nicht wer ihre Familie und Freunde sind - nichts. Und das, obwohl sie sich geschworen haben "Niemals aufzuhören, niemals zu vergessen" - "Never Never". Abwechselnd aus der Sicht von Charlie und Silas erzählt, folgen wir den beiden auf der verwirrenden Suche nach der Wahrheit und stehen ihnen bei ihren Schwierigkeiten bei, sich mit weggewischten Erinnerungen durch den Schul- und Familienalltag zu kämpfen. Dieser erste Teil führt also auf äußerst intensive und verwirrende Art und Weise in die Geschichte ein und baut eine immense Spannung auf, da man natürlich wissen will, was, oder wer zu dem gemeinsamen Gedächtnisverlust geführt hat.


Silas: "Alles an ihr ist faszinierend - so wie die Auswirkungen einer Naturkatastrophe, an denen die Menschen sich nicht erfreuen sollen, doch sie gaffen trotzdem. Charlie ist die Schneise der Zerstörung, die ein Tornado hinter sich lässt."


Ist der erste Teil Spannung und Verwirrung pur, geht es im darauffolgenden Teil 2 vor allem um die Annäherung der beiden Figuren und deren zurückliegende Beziehungsgeschichte. Sehr interessant ist, dass man trotz der ständigen Amnesien alle 48 Stunden relativ schnell ein Gefühl für die Figuren bekommt und sie ihre zentralen Attribute behalten, auch wenn ihr autobiografisches Gedächtnis komplett ausradiert ist. So schließt man den liebevollen, charmanten Silas mit dem Fotografenauge und den lahmen Witzen sofort ins Herz, während man die eher trockene, abweisende Charlie mit mehr Skepsis beobachtet. Doch auch wenn man die beiden Hauptfiguren nicht zu jedem Zeitpunkt der Geschichte mag und enthüllte Geheimnisse das Bild, das wir uns von ihnen gemacht haben, immer wieder zerrüttet, ist es wahnsinnig interessant, den beiden zuzusehen, wie sie sich immer neu verlieben. Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier also eine sehr unkonventionelle, kreative Art und Weise gefunden, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Die Entwicklung der aktuellen Anziehung und Nähe zwischen den Figuren wird nämlich begleitet durch die nicht lineare Erzählweise der Vergangenheit, bei der der Leser selbst die Beziehungsgeschichte aus bruchstückhaften Informationen zusammenpuzzeln muss, welche wir durch Videos, Liebesbriefe, Tagebucheinträge, Nachrichtenverläufe und Erzählungen von Außenstehenden erhalten.


Charlie: "Das heißt, du hast es auch gespürt?", fragt er und rennt um mich herum, um sich vor mich zu stellen. Ich erwäge, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass, wenn ich tot wäre, wie Schneewittchen und er mich so küssen würde, mein Herz bestimmt wieder anfangen würde zu schlagen. Dass ich bereit wäre, Drachen zu erlegen für diesen Kuss. Aber wir haben nicht die Zeit, uns so zu küssen. Wir müssen herausfinden, was passiert ist und wie wir es rückgängig machen können. "Ich habe gar nichts gespürt."


"Never Never" ist also ganz anders als erwartet keine typische Liebesgeschichte, sondern eine atmosphärisch dichte Schnitzeljagd, während der Charlie und Silas der Wahrheit immer näherkommen und sich dabei immer wieder aufs Neue verlieben... Soweit so gut. Leider ist diese grandiose Grundidee zwar spannend umgesetzt, aber nicht konsequent zu Ende geführt. Denn was in Teil 1 spannend schmackhaft gemacht und in Teil 2 mit viel Fingerspitzengefühl vertieft wurde, sollte in Teil 3 eigentlich zufriedenstellen aufgelöst werden. Dass dies aber nicht gelingt ist das große Manko der Geschichte, denn die abrupte, unspektakuläre Auflösung zerstört leider einen Großteil der zuvor aufgebauten Magie. Was rasant und spannend beginnt, verliert schon nach wenigen Seiten an Drive - es fehlen neue Erkenntnisse, die Weiterentwicklung von Familiendynamik und ein richtiger Höhepunkt. Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen und ungeklärt. Ganz schmerzhaft habe ich zum Beispiel die Auflösung des Hauptmotivs, also dem Schwur "Never Never" vermisst. Wie kommen zwei 14jährige dazu, sich das zu schwören und in welchem Zusammenhang steht es mit den späteren Entwicklungen?


Silas: "Niemals darfst du vergessen. dass dein erster Kuss mir gehörte. Niemals darfst du vergessen, dass dir auch mein letzter gehören wird. Und zwischen diesem ersten und dem letzten darfst du niemals aufhören, mich zu lieben. Niemals aufhören, Charlie. Niemals vergessen. Never Never."


Fast alle auf den vorherigen 300 Seiten ausgestreuten Hinweise verlaufen sich im Sand und werden nicht weiter aufgegriffen, auch wenn einige durchaus Potential gehabt hätten. Die Auflösung kommt also komplett aus dem Blaue heraus, was sehr enttäuscht, da man sich als Leser natürlich seine eigenen Theorien bastelt. Bis zum dritten Abschnitt ist alles offen - ob die Geschichte in Richtung Mystery, Psychodrama, Krimi oder Wissenschaftsthriller gehen wird lässt sich schwer abschätzen und gerade die Ratlosigkeit, was hinter alldem steckt, ist ein Hauptantrieb der Geschichte. Was sich die beiden Autorinnen hier jedoch schlussendlich überlegt haben, ist eher lasch und klingt nach einem lauen Kompromiss zwischen verschiedenen Ideen.


Silas: "Ich schließe die Augen und weiß, dass es genau so sein sollte, wie jetzt.
Charlie und Silas.
Zusammen."


Spoiler: Ich hatte entweder etwas düsteres, Voodoo-mäßiges, eine komplexe Familienintrige, oder etwas wissenschaftlich Erklärbares erwartet, aber Schicksal und Liebe? Das klang in meinen Ohren zu schwammig und vage, um als Erklärung durchgehen zu können. Nicht nur rein inhaltlich ist die Wendung eher enttäuschend, auch handwerklich ist die Erklärung für alles nicht besonders gekonnt eingefügt. Eine richtig gute Wendung ist meiner Meinung nach dadurch ausgezeichnet, dass man leise Hinweise und Andeutungen finden würde, wenn man die Geschichte mit dem neuen Wissen nocheinmal lesen würde, sie aber zu subtil sind, als dass sie einem beim Lesen sofort auffallen würden. Hier gibt es keine solche Hinweise und somit erscheint die Auflösung leider, als wären sich Colleen Hoover und Tarryn Fisher bis zum Ende nicht einig gewesen, wie ihre Geschichte enden soll.


Silas: "Meine Mutter sagt immer, Menschen in unserem Alter können noch nicht richtig lieben, aber das glaube ich nicht. Die Erwachsenen tun immer so, als wären unsere Gefühle nicht so groß und wichtig wie ihre - als wären wir zu jung, um zu wissen, was wir wirklich wollen. Aber ich glaube, dass wir letztlich etwas ganz Ähnliches wollen wie sie. Wir wollen jemanden finden, der an uns glaubt. Der zu uns steht und uns ein Stück der Einsamkeit nimmt."


Bevor ich zu meinem Fazit kommen, will ich eines nochmal hervorheben: In vielen Rezensionen habe ich gelesen, wie Colleen Hoover Fans alles Schwächen von "Never Never" gerne der Co-Autorin Tarryn Fisher zuschreiben. Ich finde das äußerst schwierig und kurzsichtig, da wir einfach nicht beurteilen können, wer nun genau was geschrieben hat und es demnach meines Erachtens müßig ist, in einem gemeinsamen Projekt einer Schriftstellerin die Schuld für Versäumnisse und einer anderen das Lob für Gelungenes zuzuweisen. Ich kenne Tarryn Fishers Stil noch nicht aus anderen Romanen, während ich schon einiges von Colleen Hoover gelesen habe, dennoch konnte ich nicht feststellen, welche Autorin welchen Part geschrieben hat. Bücher kann man meiner Meinung nach nur als Gesamtpaket beurteilen und mein Urteil fällt gemischt aus: Einem spannenden ersten Teil folgt ein genialer Mittelteil, der auf ungewöhnliche Art und Weise eine Liebesgeschichte erzählt, bevor der letzte Teil leider vieles verpasst.


Zum Abschluss noch eines meiner liebsten Zitate:


Charlie: "Wessen Meinung zählt eigentlich im Leben? Die der Eltern? Meine Meinung kann ich schonmal vergessen. Die des Freundes? Wenn man nicht gerade mit einem Heiligen wie Silas Nash zusammen ist, könnte das ganz schön schiefgehen. Ich überlege, was ich wohl Janette raten würde, sollte sie mir diese Frage stellen. "Vetrau deinem Instinkt", sage ich laut.
"Wovon redest du?", fragt Silas. Er kramt in einer Schachtel herum, die er in seinem Schrank gefunden hat, doch er hockt sich zurück auf die Fersen, um mich anzusehen.
"Vertrau deinem Instinkt und nicht deinem Herzen, denn dein Herz will es allen recht machen, und auch nicht deinem Hirn, weil es sich zu sehr auf die Logik verlässt."





Fazit:


Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier eine grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt. "Never Never" begeistert mit einem hochspannenden Einstieg, einer feinfühligen Charakterisierung der Figuren und einer kreativen Erzählart, leider kann das Ende und die Auflösung des großen Rätsels jedoch nicht übe

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.03.2021

Grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt

Never Never
0

Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die ...

Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die Taschenbuchauflage herausgebracht hat, habe ich meine Chance ergriffen und ein Rezensionsexemplar ergattert. Und, was soll ich sagen: dieses Gemeinschaftsprojekt der Autorinnen Hoover und Fisher hat mich zuerst verwirrt, dann begeistert und dann enttäuscht, in dieser Reihenfolge!


Silas: "Ich ziehe es vor, dich zu lieben, wenn du ganz unten angekommen bist, anstatt dich an der Spitze zu verachten."


Um das zu verstehen muss man wissen, dass sich hinter dem typischen, pink-weißen Hoover-meets-dtv-Verlag-Cover mit den dunklen Silhouetten, eine dreigeteilte Geschichte verbirgt. Da jede weitere Information, die über den Klapptext hinausgeht, ein schwerwiegender Spoiler ist, sollten alle, die die Geschichte noch nicht gelesen haben, JETZT aufhören, weiterzulesen und sofort zum Fazit springen (Spoiler Alert!!!). Das Autorinnenduo hat "Never Never" ursprünglich in drei getrennten Kurzromanen veröffentlicht, die deutsche Ausgabe vereint also alle drei Teile und den Epilog. Da jeder der drei Teile mit einem Gedächtnisverlust mitten in der Handlung endet, ist es mehr als sinnvoll, alle drei Abschnitt direkt hintereinander zu lesen, weshalb ich dem dtv Verlag für die Zusammenlegung sehr dankbar bin.


Erster Satz: "Ein Poltern."


Im ersten Teil lernen wir die beiden Highschool-Seniors Charlie und Silas kennen, welche nicht nur beste Freunde seit ihrer Kindheit, sondern auch seit mehreren Jahren in einer Beziehung sind... zumindest sagen ihre Freunde das. Denn die beiden können sich an nichts mehr erinnern. Nicht wer sie selbst sind, nicht wer der andere ist, nicht wer ihre Familie und Freunde sind - nichts. Und das, obwohl sie sich geschworen haben "Niemals aufzuhören, niemals zu vergessen" - "Never Never". Abwechselnd aus der Sicht von Charlie und Silas erzählt, folgen wir den beiden auf der verwirrenden Suche nach der Wahrheit und stehen ihnen bei ihren Schwierigkeiten bei, sich mit weggewischten Erinnerungen durch den Schul- und Familienalltag zu kämpfen. Dieser erste Teil führt also auf äußerst intensive und verwirrende Art und Weise in die Geschichte ein und baut eine immense Spannung auf, da man natürlich wissen will, was, oder wer zu dem gemeinsamen Gedächtnisverlust geführt hat.


Silas: "Alles an ihr ist faszinierend - so wie die Auswirkungen einer Naturkatastrophe, an denen die Menschen sich nicht erfreuen sollen, doch sie gaffen trotzdem. Charlie ist die Schneise der Zerstörung, die ein Tornado hinter sich lässt."


Ist der erste Teil Spannung und Verwirrung pur, geht es im darauffolgenden Teil 2 vor allem um die Annäherung der beiden Figuren und deren zurückliegende Beziehungsgeschichte. Sehr interessant ist, dass man trotz der ständigen Amnesien alle 48 Stunden relativ schnell ein Gefühl für die Figuren bekommt und sie ihre zentralen Attribute behalten, auch wenn ihr autobiografisches Gedächtnis komplett ausradiert ist. So schließt man den liebevollen, charmanten Silas mit dem Fotografenauge und den lahmen Witzen sofort ins Herz, während man die eher trockene, abweisende Charlie mit mehr Skepsis beobachtet. Doch auch wenn man die beiden Hauptfiguren nicht zu jedem Zeitpunkt der Geschichte mag und enthüllte Geheimnisse das Bild, das wir uns von ihnen gemacht haben, immer wieder zerrüttet, ist es wahnsinnig interessant, den beiden zuzusehen, wie sie sich immer neu verlieben. Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier also eine sehr unkonventionelle, kreative Art und Weise gefunden, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Die Entwicklung der aktuellen Anziehung und Nähe zwischen den Figuren wird nämlich begleitet durch die nicht lineare Erzählweise der Vergangenheit, bei der der Leser selbst die Beziehungsgeschichte aus bruchstückhaften Informationen zusammenpuzzeln muss, welche wir durch Videos, Liebesbriefe, Tagebucheinträge, Nachrichtenverläufe und Erzählungen von Außenstehenden erhalten.


Charlie: "Das heißt, du hast es auch gespürt?", fragt er und rennt um mich herum, um sich vor mich zu stellen. Ich erwäge, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass, wenn ich tot wäre, wie Schneewittchen und er mich so küssen würde, mein Herz bestimmt wieder anfangen würde zu schlagen. Dass ich bereit wäre, Drachen zu erlegen für diesen Kuss. Aber wir haben nicht die Zeit, uns so zu küssen. Wir müssen herausfinden, was passiert ist und wie wir es rückgängig machen können. "Ich habe gar nichts gespürt."


"Never Never" ist also ganz anders als erwartet keine typische Liebesgeschichte, sondern eine atmosphärisch dichte Schnitzeljagd, während der Charlie und Silas der Wahrheit immer näherkommen und sich dabei immer wieder aufs Neue verlieben... Soweit so gut. Leider ist diese grandiose Grundidee zwar spannend umgesetzt, aber nicht konsequent zu Ende geführt. Denn was in Teil 1 spannend schmackhaft gemacht und in Teil 2 mit viel Fingerspitzengefühl vertieft wurde, sollte in Teil 3 eigentlich zufriedenstellen aufgelöst werden. Dass dies aber nicht gelingt ist das große Manko der Geschichte, denn die abrupte, unspektakuläre Auflösung zerstört leider einen Großteil der zuvor aufgebauten Magie. Was rasant und spannend beginnt, verliert schon nach wenigen Seiten an Drive - es fehlen neue Erkenntnisse, die Weiterentwicklung von Familiendynamik und ein richtiger Höhepunkt. Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen und ungeklärt. Ganz schmerzhaft habe ich zum Beispiel die Auflösung des Hauptmotivs, also dem Schwur "Never Never" vermisst. Wie kommen zwei 14jährige dazu, sich das zu schwören und in welchem Zusammenhang steht es mit den späteren Entwicklungen?


Silas: "Niemals darfst du vergessen. dass dein erster Kuss mir gehörte. Niemals darfst du vergessen, dass dir auch mein letzter gehören wird. Und zwischen diesem ersten und dem letzten darfst du niemals aufhören, mich zu lieben. Niemals aufhören, Charlie. Niemals vergessen. Never Never."


Fast alle auf den vorherigen 300 Seiten ausgestreuten Hinweise verlaufen sich im Sand und werden nicht weiter aufgegriffen, auch wenn einige durchaus Potential gehabt hätten. Die Auflösung kommt also komplett aus dem Blaue heraus, was sehr enttäuscht, da man sich als Leser natürlich seine eigenen Theorien bastelt. Bis zum dritten Abschnitt ist alles offen - ob die Geschichte in Richtung Mystery, Psychodrama, Krimi oder Wissenschaftsthriller gehen wird lässt sich schwer abschätzen und gerade die Ratlosigkeit, was hinter alldem steckt, ist ein Hauptantrieb der Geschichte. Was sich die beiden Autorinnen hier jedoch schlussendlich überlegt haben, ist eher lasch und klingt nach einem lauen Kompromiss zwischen verschiedenen Ideen.


Silas: "Ich schließe die Augen und weiß, dass es genau so sein sollte, wie jetzt.
Charlie und Silas.
Zusammen."


Spoiler: Ich hatte entweder etwas düsteres, Voodoo-mäßiges, eine komplexe Familienintrige, oder etwas wissenschaftlich Erklärbares erwartet, aber Schicksal und Liebe? Das klang in meinen Ohren zu schwammig und vage, um als Erklärung durchgehen zu können. Nicht nur rein inhaltlich ist die Wendung eher enttäuschend, auch handwerklich ist die Erklärung für alles nicht besonders gekonnt eingefügt. Eine richtig gute Wendung ist meiner Meinung nach dadurch ausgezeichnet, dass man leise Hinweise und Andeutungen finden würde, wenn man die Geschichte mit dem neuen Wissen nocheinmal lesen würde, sie aber zu subtil sind, als dass sie einem beim Lesen sofort auffallen würden. Hier gibt es keine solche Hinweise und somit erscheint die Auflösung leider, als wären sich Colleen Hoover und Tarryn Fisher bis zum Ende nicht einig gewesen, wie ihre Geschichte enden soll.


Silas: "Meine Mutter sagt immer, Menschen in unserem Alter können noch nicht richtig lieben, aber das glaube ich nicht. Die Erwachsenen tun immer so, als wären unsere Gefühle nicht so groß und wichtig wie ihre - als wären wir zu jung, um zu wissen, was wir wirklich wollen. Aber ich glaube, dass wir letztlich etwas ganz Ähnliches wollen wie sie. Wir wollen jemanden finden, der an uns glaubt. Der zu uns steht und uns ein Stück der Einsamkeit nimmt."


Bevor ich zu meinem Fazit kommen, will ich eines nochmal hervorheben: In vielen Rezensionen habe ich gelesen, wie Colleen Hoover Fans alles Schwächen von "Never Never" gerne der Co-Autorin Tarryn Fisher zuschreiben. Ich finde das äußerst schwierig und kurzsichtig, da wir einfach nicht beurteilen können, wer nun genau was geschrieben hat und es demnach meines Erachtens müßig ist, in einem gemeinsamen Projekt einer Schriftstellerin die Schuld für Versäumnisse und einer anderen das Lob für Gelungenes zuzuweisen. Ich kenne Tarryn Fishers Stil noch nicht aus anderen Romanen, während ich schon einiges von Colleen Hoover gelesen habe, dennoch konnte ich nicht feststellen, welche Autorin welchen Part geschrieben hat. Bücher kann man meiner Meinung nach nur als Gesamtpaket beurteilen und mein Urteil fällt gemischt aus: Einem spannenden ersten Teil folgt ein genialer Mittelteil, der auf ungewöhnliche Art und Weise eine Liebesgeschichte erzählt, bevor der letzte Teil leider vieles verpasst.


Zum Abschluss noch eines meiner liebsten Zitate:


Charlie: "Wessen Meinung zählt eigentlich im Leben? Die der Eltern? Meine Meinung kann ich schonmal vergessen. Die des Freundes? Wenn man nicht gerade mit einem Heiligen wie Silas Nash zusammen ist, könnte das ganz schön schiefgehen. Ich überlege, was ich wohl Janette raten würde, sollte sie mir diese Frage stellen. "Vetrau deinem Instinkt", sage ich laut.
"Wovon redest du?", fragt Silas. Er kramt in einer Schachtel herum, die er in seinem Schrank gefunden hat, doch er hockt sich zurück auf die Fersen, um mich anzusehen.
"Vertrau deinem Instinkt und nicht deinem Herzen, denn dein Herz will es allen recht machen, und auch nicht deinem Hirn, weil es sich zu sehr auf die Logik verlässt."





Fazit:


Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier eine grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt. "Never Never" begeistert mit einem hochspannenden Einstieg, einer feinfühligen Charakterisierung der Figuren und einer kreativen Erzählart, leider kann das Ende und die Auflösung des großen Rätsels jedoch nicht überzeugen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.03.2021

Konnte mich leider nicht wirklich abholen...

Working Late
1

Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer ...

Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer Autorin Helene Holmström, der letzte Woche im LYX Verlag erschienen ist, war da die perfekte Gelegenheit mit diesem Klischee aufzuräumen. Leider bin ich von Anfang an nur schwer in die Geschichte hineingekommen und muss nach 464 durchwachsenen Seiten feststellen, dass mich der Roman nicht wirklich abholen konnte.

Das Cover ist eine typische LYX-Schönheit inklusive Skyline, geometrischen Figuren und verträumten Lichtpunkten. Ich kenne mich mit Skylines zwar nicht besonders gut aus, vermute aber, dass hier die des Settings Stockholm abgebildet ist, in dem der Großteil der Handlung spielt. Durch die blau-lila-Farbgebung wirkt das Cover zudem klassisch-schick und leidenschaftlich. Was die sonstige Gestaltung anbelangt war ich in erster Linie erstaunt über die Dicke der Geschichte - mit fast 500 Seiten und 46 Kapiteln ist die Liebesgeschichte ein bisschen über dem Durchschnitt -, welche ich nach dem eher holprigen Start jedoch bald verflucht habe.


Erster Satz: "Schon am ersten Tag bei Svärdh & Partner war Charlotta Kvist klargeworden, dass die Dozenten an der Uni nicht die Wahrheit gesagt hatten."


Ich hatte hier eine typische Office-Romance mit anspruchsvollen Chefs, Überstunden im Büro, After-Work-Partys mit Unmengen an Champagner, fiese Konkurrenten um Beförderungen und einer leidenschaftlichen, verbotenen Affäre erwartet. Ersteres habe ich auch alles erhalten, ganz als hätte die Autorin die insgeheime Office-Romance-Checkliste abgearbeitet, was die leidenschaftliche Liebesgeschichte anbelangt, schneidet die Geschichte jedoch sehr schlecht ab, was an verschiedenen Aspekten gelegen hat. Der erste und wichtigste Grund zuerst: Der juristische Fall und die folgenden Gerichtsverhandlungen, in die Charlotta und Ignacio verwickelt sind, sowie deren berufliche Entwicklungsgeschichten nehmen sehr viel Raum ein. Bevor ich anfange zu meckern muss ich zugeben, dass ich ein substanzielles Thema, um das sich eine Liebesgeschichte dreht, grundsätzlich als positiv einschätze, da ich es schade finde, wenn sich die Handlung auf das reine Aufeinandertreffen der Love Interest beschränkt und andere Kontexte nur als Vorwand benutzt wird, um deren Anziehung zu steigern. Leider nehmen die juristischen Abhandlungen und die Schilderungen des Arbeitsalltags der Figuren hier für meinen Geschmack zu stark Überhand, sodass sich manche Stellen stark ziehen und eher trocken lesen.


"Wenn es etwas gibt, was Carl-Adam mir beigebracht hat, dann, dass man stärker davon wird, wenn man sich traut, von jemandem abhängig zu sein."


Die Frage nach der Verantwortung eines Großunternehmens für einen Unfall in einer südamerikanischen Fabrik, die für den Konzern zum Dumpingtarif billige Kleider produziert, ist definitiv ein wichtiges und aktuelles Thema und wird durch die Autorin, die selbst Juristin ist, realistisch und ausführlich dargelegt. So ausführlich, dass ich zwischendurch eher an einen Wirtschaftskrimi erinnert war, statt an eine Liebesgeschichte. Versteht mich also nicht falsch - für die detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Thema verdient die Autorin meinen Respekt, ich hätte mir aber einen Mittelweg in der Umsetzung gewünscht, der mehr Raum für Gefühle und Atmosphäre lässt. An letzteren mangelt es "Working Late" nämlich leider, was auch im Schreibstil der Autorin mitbegründet ist. Nicht dass es nicht um emotionale Themen gehen würde - Helene Holmström spricht unter anderem Mobbing, Flucht, Wurzeln und Insuffizienzgefühle an -, es fehlte mir hier einfach der Zauber, der die dargestellten Emotionen auf den Leser überträgt. Dazu trägt auch die eher distanzierte, auktoriale Erzählweise bei, die in manchen Szenen aus einer einfachen Aneinanderreihung von "Sie tat dies. Sie tat das. Danach sagte sie folgendes" bestand. Sehr sachlich und konstruiert wirkten auch die wenigen erotischen Szenen und beinahe alle romantischen Annäherungen der Figuren. Ob die Autorin nun von sich aus sehr nüchtern schreibt, oder die fehlende Magie von der Übersetzung aus dem Schwedischen herrührt, kann ich schlecht einschätzen.


"Lass es uns versuchen und einander eine Chance geben. Lass uns dem hier eine Chance geben."


Fest steht, dass das nicht das ist, was ich mir von einer Liebesgeschichte wünschen würde und mich keiner der Handlungsstränge wirklich catchen konnte. Jaaa, ihr habt richtig gelesen, Handlungsstränge, Plural. Helene Holmström erzählt uns im Grunde drei Liebesgeschichten parallel. Neben der Prozessanwältin Charlotta und dem Experten für Menschenrechte des angeklagten Unternehmens Gaia, Ignacio, erzählen auch jeweils deren Vorgesetzte, die Kanzleipartnerin Dessie und Gaia-Geschäftsführer Christopher aus ihrer Perspektive von ihren Liebesabenteuern. Zudem verfolgen wir die Hochzeitsvorbereitungen von Carl-Adam und Jack, welche die jeweils besten Freunde von Charlotta und Ignacio sind. Auch dabei gilt: grundsätzlich habe ich über zusätzliche Perspektiven und Handlungsstränge überhaupt nichts einzuwenden, in "Working Late" haben mich aber einige Dinge gestört. Erstens kamen die Nebenhandlungsstränge sehr unerwartet, da die anderen Figuren im Klapptext mit keinem Wort erwähnt sind. Zweitens wird der Wechsel der Perspektiven nicht angezeigt, was in Kombination mit dem auktorialen Erzähler in einigen Szenen zu Verwirrungen bei mir geführt hat. Und drittens bringen die zwei zusätzlichen Geschichten die Haupthandlung weder inhaltlich weiter, noch schaffen sie es, mit Spannung über Flauten hinwegzuhelfen. Im Gegenteil: Dessies und Christophers Geschichte lenkt meines Erachtens nur noch mehr von den beiden Hauptfiguren ab, deren Beziehung aufgrund des sehr dominanten Falls ohnehin schon wenig Zeit blieb und bleibt so oberflächlich, dass sie am Ende noch nicht einmal richtig aufgelöst wurde. Ich schließe mich also auch vielen meiner VorrezensentInnen an und schließe, dass ich die Nebenhandlungsstränge lieber weggelassen hätte.

Ich halte fest: der inhaltliche Kern der Geschichte hatte definitiv Überlänger, was zu einigen trockenen Passagen geführt hat, welche die drei im Grunde sympathischen Liebesgeschichten aufgrund mangelnder emotionaler Tiefe auch nicht aufpeppen konnten. Ein richtiger Reinfall war "Working Late" aber dennoch nicht und das lag nicht nur an den zuvor schon berichteten spannenden Grunddiskussionen zu Nachhaltigkeit, Menschenrechten und Verantwortung, sondern auch am Setting in Stockholm. Denn während Helene Holmström es versäumt, uns große Gefühle zu vermitteln, kommt man in den 464 Seiten ganz schön rum, ohne sich jedoch wie auf einer Sightseeing-Tour zu fühlen. Wir besuchen mit den Figuren zusammen Cafés, Bars, Clubs, Restaurants, Feste, sowie ein Food-Festival und merken dabei jeder Schilderung an, dass die Autorin mit ihrer Familie in Stockholm lebt und deren Lebensgefühl dadurch sehr authentisch einfangen kann. Am besten gefallen haben mir die Ausflüge aufs Land und in die Vergangenheit der Figuren, bei denen man die schwedische Lebensweise wunderbar kennenlernen kann. All das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass "Working Late" nicht gerade Begeisterungsstürme bei mir ausgelöst hat. Auch das Ende wirkt ein bisschen fad, emotions- und einfallslos - es hatte einfach kaum etwas Besonderes an sich und hätte auch hinter 10 andere Romane gepasst - und lässt mich deshalb sehr unsicher zurück, ob ich die beiden kommenden Bände der Trilogie auch noch lesen will.




Fazit:


"Working Late" ist ein eher komplizierter Roman mit überlangem Prozess und zu vielen Nebenhandlungen, um die Liebesgeschichte lebendig werden zu lassen. Zwar sind Setting und inhaltlicher Kern grundsätzlich interessant, mir haben jedoch emotionale Tiefe, eine packende Atmosphäre und ein zufriedenstellendes Ende gefehlt.

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.03.2021

Konnte mich leider nicht wirklich abholen...

Working Late
0

Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer ...

Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer Autorin Helene Holmström, der letzte Woche im LYX Verlag erschienen ist, war da die perfekte Gelegenheit mit diesem Klischee aufzuräumen. Leider bin ich von Anfang an nur schwer in die Geschichte hineingekommen und muss nach 464 durchwachsenen Seiten feststellen, dass mich der Roman nicht wirklich abholen konnte.

Das Cover ist eine typische LYX-Schönheit inklusive Skyline, geometrischen Figuren und verträumten Lichtpunkten. Ich kenne mich mit Skylines zwar nicht besonders gut aus, vermute aber, dass hier die des Settings Stockholm abgebildet ist, in dem der Großteil der Handlung spielt. Durch die blau-lila-Farbgebung wirkt das Cover zudem klassisch-schick und leidenschaftlich. Was die sonstige Gestaltung anbelangt war ich in erster Linie erstaunt über die Dicke der Geschichte - mit fast 500 Seiten und 46 Kapiteln ist die Liebesgeschichte ein bisschen über dem Durchschnitt -, welche ich nach dem eher holprigen Start jedoch bald verflucht habe.


Erster Satz: "Schon am ersten Tag bei Svärdh & Partner war Charlotta Kvist klargeworden, dass die Dozenten an der Uni nicht die Wahrheit gesagt hatten."


Ich hatte hier eine typische Office-Romance mit anspruchsvollen Chefs, Überstunden im Büro, After-Work-Partys mit Unmengen an Champagner, fiese Konkurrenten um Beförderungen und einer leidenschaftlichen, verbotenen Affäre erwartet. Ersteres habe ich auch alles erhalten, ganz als hätte die Autorin die insgeheime Office-Romance-Checkliste abgearbeitet, was die leidenschaftliche Liebesgeschichte anbelangt, schneidet die Geschichte jedoch sehr schlecht ab, was an verschiedenen Aspekten gelegen hat. Der erste und wichtigste Grund zuerst: Der juristische Fall und die folgenden Gerichtsverhandlungen, in die Charlotta und Ignacio verwickelt sind, sowie deren berufliche Entwicklungsgeschichten nehmen sehr viel Raum ein. Bevor ich anfange zu meckern muss ich zugeben, dass ich ein substanzielles Thema, um das sich eine Liebesgeschichte dreht, grundsätzlich als positiv einschätze, da ich es schade finde, wenn sich die Handlung auf das reine Aufeinandertreffen der Love Interest beschränkt und andere Kontexte nur als Vorwand benutzt wird, um deren Anziehung zu steigern. Leider nehmen die juristischen Abhandlungen und die Schilderungen des Arbeitsalltags der Figuren hier für meinen Geschmack zu stark Überhand, sodass sich manche Stellen stark ziehen und eher trocken lesen.


"Wenn es etwas gibt, was Carl-Adam mir beigebracht hat, dann, dass man stärker davon wird, wenn man sich traut, von jemandem abhängig zu sein."


Die Frage nach der Verantwortung eines Großunternehmens für einen Unfall in einer südamerikanischen Fabrik, die für den Konzern zum Dumpingtarif billige Kleider produziert, ist definitiv ein wichtiges und aktuelles Thema und wird durch die Autorin, die selbst Juristin ist, realistisch und ausführlich dargelegt. So ausführlich, dass ich zwischendurch eher an einen Wirtschaftskrimi erinnert war, statt an eine Liebesgeschichte. Versteht mich also nicht falsch - für die detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Thema verdient die Autorin meinen Respekt, ich hätte mir aber einen Mittelweg in der Umsetzung gewünscht, der mehr Raum für Gefühle und Atmosphäre lässt. An letzteren mangelt es "Working Late" nämlich leider, was auch im Schreibstil der Autorin mitbegründet ist. Nicht dass es nicht um emotionale Themen gehen würde - Helene Holmström spricht unter anderem Mobbing, Flucht, Wurzeln und Insuffizienzgefühle an -, es fehlte mir hier einfach der Zauber, der die dargestellten Emotionen auf den Leser überträgt. Dazu trägt auch die eher distanzierte, auktoriale Erzählweise bei, die in manchen Szenen aus einer einfachen Aneinanderreihung von "Sie tat dies. Sie tat das. Danach sagte sie folgendes" bestand. Sehr sachlich und konstruiert wirkten auch die wenigen erotischen Szenen und beinahe alle romantischen Annäherungen der Figuren. Ob die Autorin nun von sich aus sehr nüchtern schreibt, oder die fehlende Magie von der Übersetzung aus dem Schwedischen herrührt, kann ich schlecht einschätzen.


"Lass es uns versuchen und einander eine Chance geben. Lass uns dem hier eine Chance geben."


Fest steht, dass das nicht das ist, was ich mir von einer Liebesgeschichte wünschen würde und mich keiner der Handlungsstränge wirklich catchen konnte. Jaaa, ihr habt richtig gelesen, Handlungsstränge, Plural. Helene Holmström erzählt uns im Grunde drei Liebesgeschichten parallel. Neben der Prozessanwältin Charlotta und dem Experten für Menschenrechte des angeklagten Unternehmens Gaia, Ignacio, erzählen auch jeweils deren Vorgesetzte, die Kanzleipartnerin Dessie und Gaia-Geschäftsführer Christopher aus ihrer Perspektive von ihren Liebesabenteuern. Zudem verfolgen wir die Hochzeitsvorbereitungen von Carl-Adam und Jack, welche die jeweils besten Freunde von Charlotta und Ignacio sind. Auch dabei gilt: grundsätzlich habe ich über zusätzliche Perspektiven und Handlungsstränge überhaupt nichts einzuwenden, in "Working Late" haben mich aber einige Dinge gestört. Erstens kamen die Nebenhandlungsstränge sehr unerwartet, da die anderen Figuren im Klapptext mit keinem Wort erwähnt sind. Zweitens wird der Wechsel der Perspektiven nicht angezeigt, was in Kombination mit dem auktorialen Erzähler in einigen Szenen zu Verwirrungen bei mir geführt hat. Und drittens bringen die zwei zusätzlichen Geschichten die Haupthandlung weder inhaltlich weiter, noch schaffen sie es, mit Spannung über Flauten hinwegzuhelfen. Im Gegenteil: Dessies und Christophers Geschichte lenkt meines Erachtens nur noch mehr von den beiden Hauptfiguren ab, deren Beziehung aufgrund des sehr dominanten Falls ohnehin schon wenig Zeit blieb und bleibt so oberflächlich, dass sie am Ende noch nicht einmal richtig aufgelöst wurde. Ich schließe mich also auch vielen meiner VorrezensentInnen an und schließe, dass ich die Nebenhandlungsstränge lieber weggelassen hätte.

Ich halte fest: der inhaltliche Kern der Geschichte hatte definitiv Überlänger, was zu einigen trockenen Passagen geführt hat, welche die drei im Grunde sympathischen Liebesgeschichten aufgrund mangelnder emotionaler Tiefe auch nicht aufpeppen konnten. Ein richtiger Reinfall war "Working Late" aber dennoch nicht und das lag nicht nur an den zuvor schon berichteten spannenden Grunddiskussionen zu Nachhaltigkeit, Menschenrechten und Verantwortung, sondern auch am Setting in Stockholm. Denn während Helene Holmström es versäumt, uns große Gefühle zu vermitteln, kommt man in den 464 Seiten ganz schön rum, ohne sich jedoch wie auf einer Sightseeing-Tour zu fühlen. Wir besuchen mit den Figuren zusammen Cafés, Bars, Clubs, Restaurants, Feste, sowie ein Food-Festival und merken dabei jeder Schilderung an, dass die Autorin mit ihrer Familie in Stockholm lebt und deren Lebensgefühl dadurch sehr authentisch einfangen kann. Am besten gefallen haben mir die Ausflüge aufs Land und in die Vergangenheit der Figuren, bei denen man die schwedische Lebensweise wunderbar kennenlernen kann. All das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass "Working Late" nicht gerade Begeisterungsstürme bei mir ausgelöst hat. Auch das Ende wirkt ein bisschen fad, emotions- und einfallslos - es hatte einfach kaum etwas Besonderes an sich und hätte auch hinter 10 andere Romane gepasst - und lässt mich deshalb sehr unsicher zurück, ob ich die beiden kommenden Bände der Trilogie auch noch lesen will.




Fazit:


"Working Late" ist ein eher komplizierter Roman mit überlangem Prozess und zu vielen Nebenhandlungen, um die Liebesgeschichte lebendig werden zu lassen. Zwar sind Setting und inhaltlicher Kern grundsätzlich interessant, mir haben jedoch emotionale Tiefe, eine packende Atmosphäre und ein zufriedenstellendes Ende gefehlt.

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Veröffentlicht am 02.03.2021

Konnte mich leider nicht wirklich abholen...

Working Late
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Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer ...

Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer Autorin Helene Holmström, der letzte Woche im LYX Verlag erschienen ist, war da die perfekte Gelegenheit mit diesem Klischee aufzuräumen. Leider bin ich von Anfang an nur schwer in die Geschichte hineingekommen und muss nach 464 durchwachsenen Seiten feststellen, dass mich der Roman nicht wirklich abholen konnte.

Das Cover ist eine typische LYX-Schönheit inklusive Skyline, geometrischen Figuren und verträumten Lichtpunkten. Ich kenne mich mit Skylines zwar nicht besonders gut aus, vermute aber, dass hier die des Settings Stockholm abgebildet ist, in dem der Großteil der Handlung spielt. Durch die blau-lila-Farbgebung wirkt das Cover zudem klassisch-schick und leidenschaftlich. Was die sonstige Gestaltung anbelangt war ich in erster Linie erstaunt über die Dicke der Geschichte - mit fast 500 Seiten und 46 Kapiteln ist die Liebesgeschichte ein bisschen über dem Durchschnitt -, welche ich nach dem eher holprigen Start jedoch bald verflucht habe.


Erster Satz: "Schon am ersten Tag bei Svärdh & Partner war Charlotta Kvist klargeworden, dass die Dozenten an der Uni nicht die Wahrheit gesagt hatten."


Ich hatte hier eine typische Office-Romance mit anspruchsvollen Chefs, Überstunden im Büro, After-Work-Partys mit Unmengen an Champagner, fiese Konkurrenten um Beförderungen und einer leidenschaftlichen, verbotenen Affäre erwartet. Ersteres habe ich auch alles erhalten, ganz als hätte die Autorin die insgeheime Office-Romance-Checkliste abgearbeitet, was die leidenschaftliche Liebesgeschichte anbelangt, schneidet die Geschichte jedoch sehr schlecht ab, was an verschiedenen Aspekten gelegen hat. Der erste und wichtigste Grund zuerst: Der juristische Fall und die folgenden Gerichtsverhandlungen, in die Charlotta und Ignacio verwickelt sind, sowie deren berufliche Entwicklungsgeschichten nehmen sehr viel Raum ein. Bevor ich anfange zu meckern muss ich zugeben, dass ich ein substanzielles Thema, um das sich eine Liebesgeschichte dreht, grundsätzlich als positiv einschätze, da ich es schade finde, wenn sich die Handlung auf das reine Aufeinandertreffen der Love Interest beschränkt und andere Kontexte nur als Vorwand benutzt wird, um deren Anziehung zu steigern. Leider nehmen die juristischen Abhandlungen und die Schilderungen des Arbeitsalltags der Figuren hier für meinen Geschmack zu stark Überhand, sodass sich manche Stellen stark ziehen und eher trocken lesen.


"Wenn es etwas gibt, was Carl-Adam mir beigebracht hat, dann, dass man stärker davon wird, wenn man sich traut, von jemandem abhängig zu sein."


Die Frage nach der Verantwortung eines Großunternehmens für einen Unfall in einer südamerikanischen Fabrik, die für den Konzern zum Dumpingtarif billige Kleider produziert, ist definitiv ein wichtiges und aktuelles Thema und wird durch die Autorin, die selbst Juristin ist, realistisch und ausführlich dargelegt. So ausführlich, dass ich zwischendurch eher an einen Wirtschaftskrimi erinnert war, statt an eine Liebesgeschichte. Versteht mich also nicht falsch - für die detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Thema verdient die Autorin meinen Respekt, ich hätte mir aber einen Mittelweg in der Umsetzung gewünscht, der mehr Raum für Gefühle und Atmosphäre lässt. An letzteren mangelt es "Working Late" nämlich leider, was auch im Schreibstil der Autorin mitbegründet ist. Nicht dass es nicht um emotionale Themen gehen würde - Helene Holmström spricht unter anderem Mobbing, Flucht, Wurzeln und Insuffizienzgefühle an -, es fehlte mir hier einfach der Zauber, der die dargestellten Emotionen auf den Leser überträgt. Dazu trägt auch die eher distanzierte, auktoriale Erzählweise bei, die in manchen Szenen aus einer einfachen Aneinanderreihung von "Sie tat dies. Sie tat das. Danach sagte sie folgendes" bestand. Sehr sachlich und konstruiert wirkten auch die wenigen erotischen Szenen und beinahe alle romantischen Annäherungen der Figuren. Ob die Autorin nun von sich aus sehr nüchtern schreibt, oder die fehlende Magie von der Übersetzung aus dem Schwedischen herrührt, kann ich schlecht einschätzen.


"Lass es uns versuchen und einander eine Chance geben. Lass uns dem hier eine Chance geben."


Fest steht, dass das nicht das ist, was ich mir von einer Liebesgeschichte wünschen würde und mich keiner der Handlungsstränge wirklich catchen konnte. Jaaa, ihr habt richtig gelesen, Handlungsstränge, Plural. Helene Holmström erzählt uns im Grunde drei Liebesgeschichten parallel. Neben der Prozessanwältin Charlotta und dem Experten für Menschenrechte des angeklagten Unternehmens Gaia, Ignacio, erzählen auch jeweils deren Vorgesetzte, die Kanzleipartnerin Dessie und Gaia-Geschäftsführer Christopher aus ihrer Perspektive von ihren Liebesabenteuern. Zudem verfolgen wir die Hochzeitsvorbereitungen von Carl-Adam und Jack, welche die jeweils besten Freunde von Charlotta und Ignacio sind. Auch dabei gilt: grundsätzlich habe ich über zusätzliche Perspektiven und Handlungsstränge überhaupt nichts einzuwenden, in "Working Late" haben mich aber einige Dinge gestört. Erstens kamen die Nebenhandlungsstränge sehr unerwartet, da die anderen Figuren im Klapptext mit keinem Wort erwähnt sind. Zweitens wird der Wechsel der Perspektiven nicht angezeigt, was in Kombination mit dem auktorialen Erzähler in einigen Szenen zu Verwirrungen bei mir geführt hat. Und drittens bringen die zwei zusätzlichen Geschichten die Haupthandlung weder inhaltlich weiter, noch schaffen sie es, mit Spannung über Flauten hinwegzuhelfen. Im Gegenteil: Dessies und Christophers Geschichte lenkt meines Erachtens nur noch mehr von den beiden Hauptfiguren ab, deren Beziehung aufgrund des sehr dominanten Falls ohnehin schon wenig Zeit blieb und bleibt so oberflächlich, dass sie am Ende noch nicht einmal richtig aufgelöst wurde. Ich schließe mich also auch vielen meiner VorrezensentInnen an und schließe, dass ich die Nebenhandlungsstränge lieber weggelassen hätte.

Ich halte fest: der inhaltliche Kern der Geschichte hatte definitiv Überlänger, was zu einigen trockenen Passagen geführt hat, welche die drei im Grunde sympathischen Liebesgeschichten aufgrund mangelnder emotionaler Tiefe auch nicht aufpeppen konnten. Ein richtiger Reinfall war "Working Late" aber dennoch nicht und das lag nicht nur an den zuvor schon berichteten spannenden Grunddiskussionen zu Nachhaltigkeit, Menschenrechten und Verantwortung, sondern auch am Setting in Stockholm. Denn während Helene Holmström es versäumt, uns große Gefühle zu vermitteln, kommt man in den 464 Seiten ganz schön rum, ohne sich jedoch wie auf einer Sightseeing-Tour zu fühlen. Wir besuchen mit den Figuren zusammen Cafés, Bars, Clubs, Restaurants, Feste, sowie ein Food-Festival und merken dabei jeder Schilderung an, dass die Autorin mit ihrer Familie in Stockholm lebt und deren Lebensgefühl dadurch sehr authentisch einfangen kann. Am besten gefallen haben mir die Ausflüge aufs Land und in die Vergangenheit der Figuren, bei denen man die schwedische Lebensweise wunderbar kennenlernen kann. All das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass "Working Late" nicht gerade Begeisterungsstürme bei mir ausgelöst hat. Auch das Ende wirkt ein bisschen fad, emotions- und einfallslos - es hatte einfach kaum etwas Besonderes an sich und hätte auch hinter 10 andere Romane gepasst - und lässt mich deshalb sehr unsicher zurück, ob ich die beiden kommenden Bände der Trilogie auch noch lesen will.




Fazit:


"Working Late" ist ein eher komplizierter Roman mit überlangem Prozess und zu vielen Nebenhandlungen, um die Liebesgeschichte lebendig werden zu lassen. Zwar sind Setting und inhaltlicher Kern grundsätzlich interessant, mir haben jedoch emotionale Tiefe, eine packende Atmosphäre und ein zufriedenstellendes Ende gefehlt.

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