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Veröffentlicht am 06.09.2019

Einstein wird ins Rollen gebracht

Einsteins Versprechen
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Ja, das Schema ist altbekannt: mehr oder weniger junger Mann (meist Schreiberling, Büchermensch oder Wissenschaftler), der ein relativ langweiliges, eintöniges Leben fristet und immer ein wenig zu wenig ...

Ja, das Schema ist altbekannt: mehr oder weniger junger Mann (meist Schreiberling, Büchermensch oder Wissenschaftler), der ein relativ langweiliges, eintöniges Leben fristet und immer ein wenig zu wenig Geld verdient wird plötzlich mit einem „Geheimnis“ konfrontiert, dessen Auflösung meist Menschenleben und viele zurückgelegte Meilen kostet. Natürlich darf die mysteriöse Fremde nicht fehlen, die nach einer spröden Anfangsphase beginnt mit dem Protagonisten zusammenzuarbeiten (vielleicht auch zu schlafen). Erst im Verlauf des Buches wird sich herausstellen, auf welcher Seite sie wirklich ist oder was sie mit dem „Geheimnis“ zu tun hat.

„Einsteins Versprechen“ ist ein Buch nach genau diesem Schema-F und trotzdem: es hat mich sehr unterhalten, auch wenn sich manche Erwartungen bzw. Befürchtungen im Laufe des Lesens erfüllt haben. Ja, ja, die „spektakuläre“ Schnitzeljagd durch Europa und Amerika mit den mysteriösen Hinweisen und Morden und der arme Javier (so heißt die Hauptperson) mittendrin! Dann geht es auch noch um Albert Einstein, einen Mann, dessen Theorien und Leben ihm zwar oberflächlich bekannt sind, aber dass er jetzt plötzlich eine Biographie über ihn fertigschreiben soll, weil deren Verfasser um die Ecke gebracht wurde ist eine Situation, die latente Beunruhigung bei dem 40jährigen Journalisten verursacht.

Formeln und Frauen: die beiden wichtigen Eckpfeiler in Einsteins Leben sind es auch in diesem Buch. Da werden genealogische Linien verfolgt, die Mitwirkung von Frauen an seinem Werk beleuchtet und schließlich die bekannteste aller physikalischen Formeln neu interpretiert. Das klingt spannend, ist es auch, zumindest für mich und die meiste Zeit. Gelegentlich wähnt sich der Leser aber auch als Zuschauer eines schlechten Theaterstücks, das hanebücherne Theorien, etwas Sexappeal und allzu stromlinienförmige Charaktere einmal verquirlt und in Romanform ausspuckt. Wie gesagt: gelegentlich. Die meiste Zeit habe ich mich amüsiert und wollte wissen wie es weitergeht, wer hinter dem ganzen Spießrutenlauf um Einstein steckt und wo das Ganze terminiert. Die Zeit, ein wichtiges Element bei Einstein, vergeht schnell und so auch die Lektüre.

Obwohl der Roman von zwei Autoren verfasst wurde, fällt an keiner Stelle auf dass der Schreibstil divergiert, da muss ein guter Lektor am Werk gewesen sein. Besonders schön fand ich die Zitate am Anfang jedes Kapitels und auch die angenehme Kürze derselben (natürlich endet fast jedes Kapitel mit einem spannenden Cliffhanger). Ich vergebe 3 Sterne, auch wenn es sich hier um banale „Unterhaltungswissenschaftsverschwörungstheorienschnitzeljagden-literatur“ à la Dan Brown handelt. Allerdings amüsant und – nicht zuletzt durch die vielen eingestreuten Fakten – sogar ein wenig lehrreich.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Lauwarm wie die Frühlingsluft…

Hyddenworld
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gestaltete sich für mich im Großen und Ganzen auch das Leseerlebnis von „Hyddenworld“.

Zunächst hatte ich große Anfangsschwierigkeiten in das Buch zu finden, erst nach ca. 150 Seiten habe ich in einen ...

gestaltete sich für mich im Großen und Ganzen auch das Leseerlebnis von „Hyddenworld“.

Zunächst hatte ich große Anfangsschwierigkeiten in das Buch zu finden, erst nach ca. 150 Seiten habe ich in einen angenehmen Lesefluss hineingefunden. Woran mag das liegen? Vielleicht an meiner mangelnden Fähigkeit mich auf die Geschichte einzulassen? Möglich ist es, denn das In- und Nebeneinander von mystischem Überbau (Beornamund, Imbolc), der versteckten, für den modernen, von der Natur entfremdeten Menschen nicht mehr erfahrbare Welt der „Hydden“ und der realen Welt, in der sich das Wissenschaftlerehepaar Foale, der Riesengeborene „Exil-Hydde“ Jack und die Familie von Clare und Katherine finden bzw. immer wieder verlieren hat zunächst Verwirrung und Unruhe in mir ausgelöst. Nach einer Zeit habe ich aber wie gesagt in die Geschichte hineingefunden und sie auch in mich aufnehmen können.

Was ich da lesend inhalieren konnte war aber leider ein bisschen anders, als es die vielversprechende Plotzusammenfassung erwarten ließ. Natürlich, eine Fantasy-Geschichte in der die Grenzen zwischen den Welten, Menschen und fantastischen Figuren verschwimmen hat der Leser wie versprochen durchaus bekommen. Aber inwiefern haben wir es hier mit besonders guter, innovativer Fantasy zu tun? Ich jedenfalls konnte keine Anzeichen dafür finden dass dieses Buch mehr ist als – eher auf Jugendliche abzielender – Mainstream, in dem Schwarzweißdenken herrscht, ein Teenager (mit für ihn bestimmtem jungem Mädchen) eine bedeutende Queste zu erfüllen hat und gegen die dunkle Seite der Macht kämpfen muss um die Welt zu retten. Der Autor beherrscht zwar sein Handwerk (der Roman ist in einer erzählerisch schönen Weise verfasst worden), aber am Inhaltlichen hätte er durchaus etwas mehr arbeiten können.

Die Idee den Zyklus der Jahreszeiten ins Spiel zu bringen und entsprechende symbolische Anleihen in die Geschichte einzuweben ist nett, aber auch nicht mehr. Nach einiger Zeit ist die Überpräsenz von Erwachens-Metaphorik sogar etwas penetrant, so dass der wissende Leser die Augen verdrehen mag und sich denkt: „Ja, alles in diesem Band hat mit Frühling, Jugend und Neubeginn zu tun, wir haben es kapiert!“

Die Hauptfigur Jack bleibt für mich eine schemenhafte Figur, einzig Arthur Foale vermag als verzweifelt an seine „Wahrheit“ glaubender verschrobener Wissenschaftler etwas an Tiefgang zu gewinnen. Die Liebesgeschichte zwischen Jack und Katherine finde ich auch mehr als anstrengend und eben für eine jugendliche Leserschaft (ach, die beiden gehören zueinander…) konzipiert wirkend.

Das Lektorat des Buches lässt leider – wie schon vielfach von meinen Vorschreibern angemahnt - zu wünschen übrig, obwohl sich der Verlag bei der Gestaltung (Cover, Satz, Grafik) viel Mühe gegeben hat. Das ist schade und es bleibt zu hoffen, dass im endgültigen Verkaufsexemplar die Fehler ausgemerzt wurden.

Insgesamt ist "Hyddenworld" ein ambitioniertes Buch, das seinem eigenen Anspruch nicht gerecht werden kann.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Schöner Krimi mit fader Auflösung

Bretonische Verhältnisse
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Bei Krimis bin ich sehr wählerisch, denn ich mag nur solche, die nach klassischem Muster aufgebaut sind und ohne blutrünstige Detailschilderungen auskommen. Von Thrillern und soziopathischen Serienkillern ...

Bei Krimis bin ich sehr wählerisch, denn ich mag nur solche, die nach klassischem Muster aufgebaut sind und ohne blutrünstige Detailschilderungen auskommen. Von Thrillern und soziopathischen Serienkillern halte ich deshalb gebührenden Abstand. Nur altmodische „Whodunits („Wer-hat-es-getan-Krimis“) mit einem Ermittler und vielen möglichen Verdächtigen, die sich auf einem begrenzten Areal (Region, Stadt, Hotel, Landhaus) tummeln bzw. dieses entern, kommen für mich in Frage. Meistens passiert am Anfang und zur Mitte hin ein Mord und die – meist sehr gut auscharakterisierte individualistische – Ermittlerfigur befragt die Verdächtigen und trägt Kenntnisse zur Geschichte der Ermordeten zusammen, um auf das Motiv und letztlich den Täter zu kommen. So mag ich das und deshalb hab ich mich bei lovelybooks.de zum ersten Mal für eine Leserunde beworben, wo ein gewisser „Kommissar Dupin“ seine ermittlerische Premiere in „Bretonische Verhältnisse“ von Jean-Luc Bannalec erleben durfte. Der Vorstellungstext ließ genau so einen altmodischen Krimi erwarten, wie ich sie gerne lese.

Französische Krimis, da fällt einem sofort Georges Simenon ein! In der Tat erinnert Bannelec an den Altmeister was die Herausarbeitung des Französischen angeht. Die Bretagne als Handlungsort hat einen ganz eigenen Charme, den man fast einzigartig nennen möchte. Felsklippen, salzige Meeresluft, mediterranes Atlantikklima und eigenbrötlerische, aber ehrliche Menschen, die sich dem rauen und einfachen Leben, das von viel poetischem Zauber durchsetzt ist und deshalb viele Künstler in ihre Region gelockt hat, angepasst haben.

Mit dem – wie sollte es anders sein – schrulligen Pariser Kommissar Dupin lernen wir die Bretagne und ihre Menschen aus der Sicht einer Person kennen, die nie ganz Bretone sein wird und sich dennoch dem eigentümlichen Charme der Region nicht entziehen kann. Die Sichtweise des staunenden Außerstehenden, „Zugereisten“ also, den seine Sekretärin Nolwenn immer wieder an die Eigenheiten ihrer bretonischen Heimat erinnern muss.

Der Krimi spielt im Hotel- und Kunstmilieu. Der 91jährige Hotelbetreiber Pennec wurde ermordet-warum, das ist hier die Frage. Sehr schnell wird klar, dass die Kunstwelt, die mit dem Tourismus in Pont Aven und Umgebung seit Anfang des 20. Jahrhunderts unmittelbar verknüpft ist, etwas damit zu tun haben muss. Da ich den zukünftigen Lesern die Spannung nicht verderben möchte, verrate ich jetzt nicht zu viel von der Handlung. Nur so viel: es wird früh klar, dass es eine überschaubare Reihe von Verdächtigen gibt – ob Bannalec sich aus diesem Pool bedient oder auf eine externe Erklärung zurückgreifen wird? Ich bin von der Auflösung des Verbrechens jedenfalls überrascht gewesen, allerdings nicht positiv. Die Erklärung für den Mord ist so offensichtlich, dass es eigentlich keinen Spaß macht. Mir fehlt die Raffinesse, der „Aha“-Moment in der Plotgestaltung. Bezeichnend ist dafür am Ende der Satz Dupins: „Wie Sie sagen, am Ende war es kein komplizierter Fall, Monsieur le Préfet. Und das Wichtigste: Der Fall ist gelöst.“ (S. 296) Hm: da frag ich mich doch: soll ein „klassischer“ Krimi nicht genau das liefern: einen „komplizierten“ Fall und einen Ermittler, der diesen trotz seiner Schwierigkeit aufzulösen weiß? Nun ja, ich denke letztlich ist auch das Geschmackssache.

Von seiner Erzählstruktur (4 Ermittlungstage = 4 Kapitel) ist „Bretonische Verhältnisse“ für mich sehr ansprechend. Man steht mit dem Ermittler auf, vergisst mit ihm zu essen um dann letztlich doch ausgehungert ein Bistro aufzusuchen (dabei lernt man ganz nebenbei bretonische Spezialitäten kennen), führt Telefonate, trifft Verdächtige, erkennt die Schönheit der Bretagne um zum Schluss eines jeden Kapitels/Tages todmüde „mit ihm“ ins Bett zu fallen. Dadurch wird versucht ein Gefühl von „Echtzeit“ beim Leser zu erzeugen (man ist bei der ganzen Ermittlung „dabei“ und kann sich selbst ein Bild machen, Kommissar spielen), was ich auf jeden Fall auf der positiven „Haben“-Seite verbuchen möchte. Ich mag die Charakterisierung der Figuren, vor allem die der Frauen (Madame Lajoux, Nolwenn, Madame Pennec, Madame Cassel). Bannalec hat irgendwie ein Händchen dafür individuelle Frauenfiguren zu erfassen, wobei mir die Männer Stromlinienförmiger erscheinen.

Der Debütroman Bannalecs und erste Fall Dupins ist im Großen und Ganzen gelungen. Die Kriminalhandlung ist klassisch und dennoch abwechslungsreich, das Setting liefert bezauberndes Lokalkolorit und die Thematik ist außerdem informativ. Nur die Auflösung und das Verbrechen an sich sind nicht ganz nach meinem Geschmack, ich hätte wie gesagt da einfach „mehr“, etwas anderes erwartet.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Leider nicht...

Nachricht von dir
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„Nachricht von dir“ ist in Frankreich ein Bestseller gewesen. Wenn ich das Buch mit einem Wort beschreiben müsste würde ich wahrscheinlich den Begriff „modern“ verwenden. Der Roman ist nämlich ein Buch ...

„Nachricht von dir“ ist in Frankreich ein Bestseller gewesen. Wenn ich das Buch mit einem Wort beschreiben müsste würde ich wahrscheinlich den Begriff „modern“ verwenden. Der Roman ist nämlich ein Buch des 21. Jahrhunderts indem es unsere Gegenwart abzubilden versucht. Die Möglichkeit qua Smartphone immer und überall erreichbar zu sein und sich mit diesem einzigen Gegenstand auch noch ein tragbares Lebensarchiv zu erschaffen ist ein zentrales Motiv des Buches. Im Mittelpunkt stehen zwei Menschen: Zum einen Jonathan. Der ehemalige französische Starkoch, derzeit in San Francisco lebend, hat die Trümmer seiner gescheiterten Beziehung und seiner Karriere vor Augen. Seine Existenz ist bescheiden geworden, genauso wie sein Restaurant und seine Perspektiven. Die zweite Protagonistin ist die englische Floristin Madeline, die in Paris einen kleinen Blumenladen betreibt und gerade frisch verlobt ist mit Raphael. Diese zwei Menschen treffen kurz in einem Flughafenlokal in New York aufeinander, streiten sich wegen eines Sitzplatzes und vertauschen beim Zusammenprall ihre Smartphones. Die Geschichte nimmt ihren Lauf…

Nach Buchbeschreibung und Covergestaltung hatte ich mich – wie so viele andere potentielle Leser - auf eine Liebesgeschichte eingestellt ohne freilich zu ahnen, dass sich nach ca. 150 Seiten Abgründe auftun, die dem Buch einen sehr düsteren Anstrich geben. Man wusste zu diesem Zeitpunkt zwar schon dass sowohl Jonathan als auch Madeline eine Krise durchzustehen hatten, das Ausmaß konnte man aber nicht abschätzen.

Ich kann sagen, dass ich von dem Buch enttäuscht bin, weil es sich in ein so unangenehme Richtung entwickelt hat. Dieser Eindruck hat sich bei mir verstärkt eingestellt, weil ich von den ersten 150 Seiten begeistert und gepackt war. Das Buch hat eine interessante Story versprochen und zunächst auch geliefert, ich habe mit Jonathan und Madeline mitgefiebert und mich gefragt, wie sie wohl zueinander finden würden. Die Schreibweise von Musso hat mir trotz ihrer Einfachheit gut gefallen und auch die Struktur seiner Geschichte. Als dann aber die Handlung rund um Alice einsetzte und die Rückblicke erfolgten, kam ich mir vor als wäre ich in einen anderen Roman eingetaucht, der nichts mehr mit dem erfrischenden Buch zu tun hatte, in das ich so vertieft war. Nein, ich wollte keine Geschichte mit einer gebrochenen Polizistin lesen, ihr Charakter war mir plötzlich unsympathisch. Dass es um eine verschwundene Jugendliche, ein grausames Verbrechen gehen würde hat mich geschockt, weil ich normalerweise keine Thriller lese. Dennoch: es war ab Seite 150 kein Buch mehr für mich. Zu allem Übel kam hinzu, dass sich die klischeehaften Handlungsmomente und Unglaubwürdigkeiten häuften und ich eigentlich nur zu Ende gelesen habe, weil das Buch an sich gut ist und ich wissen wollte, wie es denn nun ausgeht und welchen Twist Musso noch hineinbringen würde.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Italienische Lebenswirklichkeit

Der Duft von Erde und Zitronen
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Ich hatte keine allzu hohen Erwartungen als ich an dieses Buch herangegangen bin. Die Beschreibung bei vorablesen.de klang interessant – es sollte um das Lesen und um Italien gehen sowie um ein Mädchen, ...

Ich hatte keine allzu hohen Erwartungen als ich an dieses Buch herangegangen bin. Die Beschreibung bei vorablesen.de klang interessant – es sollte um das Lesen und um Italien gehen sowie um ein Mädchen, das durch die organisierte Kriminalität dazu gezwungen wird unterzutauchen – und die Leseprobe war auch nach meinem Geschmack. Dennoch habe ich nicht viel mehr erwartet als einen soliden Roman. Letztlich hat sich das Buch aber als kleines Juwel herausgestellt. Obwohl ich es bei dem schweren Thema nicht erwartet hatte liest sich dieser Roman mit einer Leichtigkeit als würde man ein Dessert essen. Margherita Oggero, von der bereits zwei Krimis im Piper-Verlag auf Deutsch erschienen sind, war mir vorher leider kein Begriff, aber ich bin sehr froh dass sich das jetzt geändert hat.

„Der Duft von Erde und Zitronen“ ist ein erzähltes Familienpanorama! Es geht um die Mitglieder einer italienischen Familie (mit Angeheirateten und „über-5-Ecken-Verwandten“) und ihre jeweilige Geschichte. Zwischendrin ist immer wieder die Ich-Erzählung der Protagonistin Imma geschaltet, die fernab ihrer süditalienischen Heimat bei einer Nenn-Tante inkognito leben muss, weil sie unfreiwillig mit der Mafia in Kontakt gekommen ist: sie hat den Sohn des örtlichen Mafia-Paten mit einem Stein attackiert, nachdem dieser sie vergewaltigen wollte. Mit dem Gedanken ihn erschlagen zu haben muss sie im Norden Italiens bei Rosaria untertauchen. Auch deren Hintergrundgeschichte erfährt der Leser nach und nach. Imma ist mit ihren 13 Jahren bereits schwer vom Schicksal gezeichnet: die Mutter (Melina) wurde vom untreuen Vater verlassen und starb früh bei einem Autounfall, den Imma mit ansehen musste. Auch von einem grausamen Verbrechen wurde die träumerische Jugendliche Zeugin, verübt ausgerechnet von dem Mann, der ihr eigener Peiniger werden sollte…

Das Buch wurde als ein Roman verkauft, in dem es um das Lesen geht und darüber, wie es einem aus einer schlimmen Lebenssituation qua Eskapismus hinweghelfen kann. Ich würde sagen: es geht auch darum, aber nicht an erster Stelle. Imma verliebt sich am Ort ihres Exils in einen Studenten, der für seinen Onkel Bücher auf dem Markt verkauft. Auf Nachfrage nach ihren Lektürevorlieben sagt sie, dass sie Bücher über Kinder bzw. Jugendliche lesen, die eingesperrt sind oder sich stark angesichts ihren harten Schicksals verhalten. So kommt sie in Kontakt mit Anne Frank und Oliver Twist, aber auch mit Guy Montag, dem es in „Fahrenheit 451“ verboten ist zu lesen und der es trotzdem tut. Auch Immas Lesen ist zunächst geheim, hat sie doch von Zuhause nur Schulbücher mitgebracht und eigentlich darf sie nicht nach draußen (die neuen Bücher würden verraten, dass sie doch rausgegangen ist). Sie liest die Bücher und holt sich immer wieder Nachschub von Paolo.

Nebenbei wird die Geschichte Immas und ihrer Familie erzählt, der Leser erfährt immer mehr Details und kann sich aus der Rückschau ein kompletteres Bild machen.

Mir ist aufgefallen, dass das Buch weitaus weniger pathetisch ist, als es vermarktet wurde. Es ist von einem warmen Humor durchsetzt und stellt die Lebenswirklichkeit der Personen so dar dass es nie artifiziell oder konstruiert wirkt. Das ist für mich die absolute Stärke dieses Buches – weniger der scheinbarere Überbau (Emanzipation, Lektüre als Befreiung). Man fühlt sich in diese italienische Familie und ihr Umfeld hinein, kann mit ihr lachen und weinen ist nicht zuletzt entsetzt über die tatsächliche Allmacht der mafiösen Strukturen, die den italienischen Süden wie ein starres Korsett umschließen. Italienische Tradition (Familie steht an erster Stelle, die Schönheit des Landes, kulinarische Highlights, die Mafia) und globalisierte Moderne (Jobs in anderen Ländern, die Zerstreuung von Familien durch Mobilität und der hohe Einfluss der Technik) prallen aufeinander in diesem Roman. Hier wird Gegenwart erzählt und spürbar gemacht.

Man merkt zwar, dass Oggero eine Kriminalautorin ist, denn Mord, Tod und Totschlag spielen eine große Rolle. Dennoch durchzieht das Buch der Gedanke, dass man sich davon nicht einschüchtern lassen darf und das Leben feiern wo es geht – sei es durch Essen, Familie, Lektüre oder die bedingungslose Liebe eines Hundes.

Fazit: Ein einnehmender Roman voller Lebenswirklichkeit und Wärme, den ich jedem ans Herz legen möchte!