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Veröffentlicht am 21.04.2025

Gegen Wut hilft nur Liebe

Wut und Liebe
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Noah ist mit Anfang dreißig ein erfolgloser Künstler. Seine fast gleichaltrige Freundin Camilla verdient das Geld für das gemeinsame Leben, trennt sich aber schließlich von Noah. Sie hat sich mehr vom ...

Noah ist mit Anfang dreißig ein erfolgloser Künstler. Seine fast gleichaltrige Freundin Camilla verdient das Geld für das gemeinsame Leben, trennt sich aber schließlich von Noah. Sie hat sich mehr vom Leben erhofft und folgt daher ihrem Verstand. Noah will Camilla unbedingt zurückzugewinnen, koste es, was es wolle. Er trifft zufällig auf eine ältere Dame, die ihm einen Deal anbietet, einen sehr zweifelhaften allerdings. Denn sie will dem Künstler ein Vermögen vermachen, wenn er ihr einen Gefallen tut ...
Am Cover das Gesicht einer Frau mit traurigen Augen, deren Kopf auf einen Polster gebettet ist. Dabei könnte es sich um Camilla handeln, oder aber um die ältere Frau in jüngeren Jahren; oder um eine andere Frau im Roman. Ein schlichtes Bild und doch einnehmend, wie alle Diogenes-Cover. Der Roman besteht aus drei Teilen, die jeweils in sehr kurze Kapitel gegliedert sind. Der Schreibstil ist sehr ansprechend, ruhig, mit detaillierten Beschreibungen und knappen Dialogen; und mit vielen Nuancen, die man zwischen den Zeilen erspüren darf.
Alle Charaktere sind sehr realistisch gezeichnet. Man nimmt ihnen das Leben, das sie führen und auch ihre Denkweise ab. Noahs Verzweiflung ist zu spüren, nachdem er von Camilla verlassen wurde, und auch die Handlungen aller anderen Personen in diesem Roman sind nachvollziehbar.
Daher weiß man gleich nach den ersten Seiten, worauf die Geschichte hinausläuft und wie sie enden könnte – zumindest glaubt man es zu wissen, weil die Geschichte einfach zu überzeugend vermittelt wird. Wären da nicht die vielen Wendungen in der Handlung, die einen immer wieder auf einen anderen Weg bringen, und die bisherigen Überlegungen zunichte machen. Suter geht sehr raffiniert an diese Geschichte heran: ein junger Mann will seine verlorene Liebe zurückgewinnen und würde alles dafür tun. Man versteht ihn, man versteht die Beweggründe der älteren Frau, auch die Konsequenzen von Camilla. Doch je weiter man in die Geschichte eindringt, desto klarer wird, dass nicht alles so ist, wie es scheint oder geschienen hatte. Sowohl Wut als auch Liebe aus dem Titel existieren in dieser Geschichte – und zwar in vielfältiger Weise.
Dieser Roman bietet beste Unterhaltung, er behandelt verschiedene Themen wie Liebe und Gesellschaft, ist aber auch ein Kriminalroman. Ich gestehe, dies war mein erster Suter. Bleiben wird er es aber ganz sicher nicht. Hiervon will ich unbedingt mehr.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.04.2025

Vom kleinen Glück

Die Magnolienkatzen
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Schriftstellerin Noriko fehlt es an Inspiration und sie bittet daher bei einem Shinto-Schrein um Glück. Am nächsten Tag findet sie unter dem Magnolienbaum, den ihr Vater gepflanzt hatte, die Streunerkatze ...

Schriftstellerin Noriko fehlt es an Inspiration und sie bittet daher bei einem Shinto-Schrein um Glück. Am nächsten Tag findet sie unter dem Magnolienbaum, den ihr Vater gepflanzt hatte, die Streunerkatze Mimi mit fünf Jungen. In der Nachbarschaft will sich niemand um die Katzenfamilie kümmern, und auch Noriko kann mit Katzen nichts anfangen. Doch nach und nach wächst die Zuneigung zwischen ihr und den schnurrenden Persönlichkeiten. Und Norikos Leben beginnt sich völlig zu verändern ...
Das Cover ist farblich sehr schlicht gehalten und spricht einen mit den Aquarellen oder Tuschezeichnungen der Magnolienzweige und der gemusterten Katze doch sofort an. Diese Motive trifft man auch an jedem Kapitelbeginn wieder. Das Buch besteht aus sechs Kapiteln, die jeweils wieder in Unterkapitel mit Titeln gegliedert sind. Die Ich-Erzählerin spricht ihr Publikum direkt an, und erzählt sehr detailreich nicht nur über das neue Leben mit den Katzen, sondern verknüpft auch immer wieder Erinnerungen. Schließlich ist Noriko bereits über fünfzig und lebt unverheiratet mit Ihrer Mutter zusammen.
Sehr berührend beschreibt sie, wie sich die Katzenfamilie mit all ihren Eigenarten schrittweise in das Leben der Schriftstellerin schleicht, und nicht nur ihren Tagesablauf, sondern auch ihre Ansichten verändert. Denn die Katzen eröffnen ihr mit ihren unterschiedlichen Charakteren eine bislang unbekannte Welt. Auch die Symbolik des Magnolienbaums und die Verbindung zu Norikos verstorbenem Vater wird sehr gut spürbar. Nie geschieht all dies aber in übertriebener oder gar kitschiger Form, sondern eigentlich recht unaufgeregt und auf beruhigende Weise. So erfährt man beim Lesen gleichsam eine Art Entschleunigung – selbst wenn man kein Katzenmensch ist.
Ein Roman, der einen wunderbar ausspannen lässt, und der sehr gut auch als Geschenk eignet. Und das nicht nur wegen der hochwertigen Ausführung mit Lesebändchen.

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Veröffentlicht am 16.03.2025

Die Apokalypse in uns

Überleben ist alles
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Haley ist 15, als sie und ihr jüngerer Bruder Ben von ihrem genialen, aber psychisch schwierigen Vater entführt wird. Er bringt sie in die schottischen Bergen, wo er die Familie auf einen Lockdown vorbereiten ...

Haley ist 15, als sie und ihr jüngerer Bruder Ben von ihrem genialen, aber psychisch schwierigen Vater entführt wird. Er bringt sie in die schottischen Bergen, wo er die Familie auf einen Lockdown vorbereiten will. Denn seiner Meinung nach bedroht eine neue Pandemie die Welt, schlimmer als Covid, denn die Einwohnerzahl der Erde soll dadurch drastisch verringert werden. Im völlig isolierten Prepper-Compound soll die Familie weitestgehend von Chaos, Bürgerkrieg, Atavismus und Armageddon verschont bleiben.
Abgeschnitten von der Zivilisation, ohne Kommunikationsmittel und Informationen von außen, macht sich Haley ihre Gedanken über die gesamte Situation; und darüber, ob es die vom Vater vermutete Bedrohung überhaupt gibt – oder sie einfach der Fantasie seines von verschwörungsbesessenen Gehirns entsprungen ist.
Das Cover ist in auffälligem Rot gehalten, mit dem Titel in großen weißen Buchstaben und schwarzen Umrissen von Personen, Tieren und Bäumen. Unter der Umschlagklappe gibt es vorne einen Ausschnitt aus Haleys Survivalguide und am Ende des Buchs eine Checkliste zum Überleben in der Wildnis. Kurze Kapitel mit aussagekräftigen Titeln geben einen Überblick über die Situation im Camp, zeigen Überlebenspläne und Strategien auf, wie man der Pandemie entgegentreten kann. Diese Strategien stammen teils von Haley, sind aber teilweise auch von ihrem Vater übernommen. Die fünfzehnjährige Haley Cooper Crowe ist die Ich-Erzählerin des Buchs. Der Schreibstil ist ihrer Sprache angepasst und daher sehr locker gehalten. Haley spricht das Publikum direkt an, spricht über die Situation im Prepper-Compound, ihre Gedanken über die Lage insgesamt und auch über Ihre erste Liebe.
Das Buch kann als Jugendbuch gelesen werden, spricht aber genauso Erwachsene an. So fiktiv die Prepper-Gemeinde sein mag, die Charaktere sind alle lebensnah und detailliert gezeichnet. Der Roman ist unterhaltsam geschrieben, regt aber auch zum Nachdenken an. Immer wieder gab und gibt es Weltuntergangsszenarien und vorhergesagte Weltuntergänge, die letztendlich nicht stattgefunden haben. Die Prepper um Haleys Vater erschaffen sich ihre eigene Welt, mit eigenen Plänen und Gesetzmäßigkeiten. Alles schwebt jedoch noch in der Theorie. Die Frage bleibt, sollte die vorhergesagte Pandemie tatsächlich Realität werden, könnten dann alle Pläne umgesetzt werden oder wird schließlich alles über den Haufen geworfen und gerät aus dem Ruder?

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Veröffentlicht am 16.03.2025

Die erste Generation baut das Haus …

Die Fletchers von Long Island
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Der wohlhabende Carl Fletcher wird 1980 vor seinem Haus in Long Island gekidnappt und nach Zahlung des Lösegelds wieder freigelassen. Doch selbst vierzig Jahre später bleiben die Spuren dieser Entführung ...

Der wohlhabende Carl Fletcher wird 1980 vor seinem Haus in Long Island gekidnappt und nach Zahlung des Lösegelds wieder freigelassen. Doch selbst vierzig Jahre später bleiben die Spuren dieser Entführung noch in der ganzen Familie spürbar. Wie sich dieser dramatische Einschnitt bei jedem einzelnen der Fletchers auswirkt, beschreibt die Autorin auf humorvolle und doch teils beunruhigende Weise.
Das Cover erinnert mit seinen bunten Lettern an die 1980er Jahre, führt also gleich in die Zeit der Entführung; die Zeichnung des Hauses, aus welchem Flammen schlagen, verweist auf Unheil. Das Familienepos ist nach einer Einleitung in drei große Abschnitte unterteilt, diese wiederum in längere Kapitel. Schritt für Schritt und Familienmitglied für Familienmitglied wird die Geschichte um die reiche jüdische Fabrikantenfamilie aufgerollt. Die Sätze sind lang und verschachtelt, haben aber eine gewisse Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Die Schreibart ist so intensiv wie die Geschichte selbst.
Die Autorin lässt die jüdisch-amerikanische Familiengeschichte während einiger Jahrzehnte spielen. Dabei beobachtet sie die Charaktere und deren Leben sehr genau. Ein Personenverzeichnis gibt es nicht, dies ist aber auch gar nicht notwendig, da man alle Familienmitglieder sehr genau kennenlernt.
Der Vater des Entführten ist quasi mit leeren Händen in New York angekommen um den jüdisch-amerikanischen Traum zu verwirklichen, seine Nachkommen konnten bereits im Wohlstand aufwachsen, hatten alle Möglichkeiten, gehen aber auf ganz unterschiedliche Weise mit diesem Erbe um. Dazu kommen die Auswirkungen der Entführung, deren Trauma an die Kinder vererbt wurde. Sie alle leben regelrecht im Schatten dieser Entführung, ohne sich dessen aber bewusst zu werden.
Der Roman bietet zudem einen guten Einblick in das Leben einer jüdischen Familie, in deren Gebräuche, ihren Glauben und Aberglauben; außerdem erfährt man auch die Meinung von Außenstehenden, wie Nachbarn, über die Situation der reichen Fletchers.
Der Roman startet mit einer tatsächlich geschehenen Entführung, ist aber dennoch eine fiktive Geschichte. Eine Geschichte, die akribisch erzählt ist, die trotz der hohen Seitenanzahl nie langatmig wirkt; teils schockiert, immer fesselt und an sehr vielen Stellen auf humorvolle Weise verfasst ist.

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Veröffentlicht am 16.02.2025

Ein Bruch mit der Gewohnheit

Bis die Sonne scheint
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Daniel träumt 1983 vom blauen Samtsakko für seine Konfirmation, hört aber zufällig, dass seine Eltern pleite sind. Der sechsköpfigen Familie Hormann fehlt es überall an Geld, weil die Eltern trotz vieler ...

Daniel träumt 1983 vom blauen Samtsakko für seine Konfirmation, hört aber zufällig, dass seine Eltern pleite sind. Der sechsköpfigen Familie Hormann fehlt es überall an Geld, weil die Eltern trotz vieler Einfälle einfach nicht damit umgehen können. Dabei ging es ihnen einmal recht gut mit der eigenen Firma, die durch Selbstbau-Verfahren vielen Menschen ein eigenes Haus ermöglichte. Als die Aufträge zurückgehen, verkauft Vater Siegfried Wasserfilter, Mutter Marlene Wolle. Dennoch kommt es zur Zwangsversteigerung, von der die Großmütter nichts erfahren sollen. Den Schein wahren, das können die Hormanns, auch wenn alles bergab geht. Dann steigen sie einfach ins Auto und fahren Richtung Sonne.
Hinter Leineneinband und typischem Diogenes-Cover verbirgt sich auch inhaltlich Wertvolles. In kurzen Kapiteln erfahren wir die Familiengeschichte der Hormanns. In der Gegenwartsschiene aus der Perspektive des fünfzehnjährigen Ich-Erzählers Daniel, im Vergangenheitsstrang das Schicksal der beiden Großmütter über eine Erzählerstimme. Daniels Geschichte wird jeweils von deutsch-französischen Wortpaaren eingeleitet, die sich dann im Text wiederfinden, und ist in der Vergangenheitsform verfasst. Das Leben der Vorfahren wirkt durch die Verwendung der Gegenwart recht greifbar und authentisch.
Der Schreibstil ist sehr angenehm, leicht zu lesen, aber inhaltsreich und glaubwürdig. Die Handlung, sowie auch die Charaktere sind sehr authentisch. Obwohl die Familie über keine Rücklagen verfügt, und zu leben scheint, als gebe es kein Morgen, wirkt die Geschichte niemals trostlos oder gar deprimierend. Sie ist glaubwürdig, mit einer Leichtigkeit verfasst und nie wertend. Das mag auch am jungen Ich-Erzähler liegen, der mit einer gewissen Naivität an die Familiensituation herangeht. So bleibt die Grundstimmung immer positiv und menschlich. Durch eine Art (Galgen-)Humor wird klar, dass eben irgendwo doch immer die Sonne scheint.
Das Buch spiegelt sehr gut die Atmosphäre der Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts wider, arbeitet aber auch die Situation der Kriegsgeneration heraus, die durch Entbehrung, Flucht und Vertreibung eine ganz andere Ausgangssituation hatte als ihre Nachkommen. Die Geschichte zeigt dadurch auch gut, dass unsere Entscheidungen oder eben auch Fehlentscheidungen stark von unserer Vergangenheit, unseren Erinnerungen und unserer Wahrnehmung abhängig sind.
Schünemann ist hier ein absolut lesenswerter Roman gelungen, der fesselt, ohne über viel Spannung zu verfügen.

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