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Veröffentlicht am 08.03.2021

Fesselndes Doppelportrait zweier faszinierender Frauen

Sie haben mich nicht gekriegt
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INHALT
Eine Buchhändlerin wider Willen und eine Revolutionärin aus guten Gründen: zwei Frauen, deren Lebenswelten kaum unterschiedlicher sein könnten. Marie wächst behütet in Bayern auf und wird schon ...

INHALT
Eine Buchhändlerin wider Willen und eine Revolutionärin aus guten Gründen: zwei Frauen, deren Lebenswelten kaum unterschiedlicher sein könnten. Marie wächst behütet in Bayern auf und wird schon früh von ihrem Vater dazu bestimmt, eines Tages seine Buchhandlung zu übernehmen. Was sie zunächst als Zwang empfindet, entwickelt sich bald zu einer großen Leidenschaft und nach ihrer Flucht in die USA zur Lebensaufgabe. Tina wird als Arbeiterkind in bitterer Armut in Norditalien geboren und über den Umweg Hollywood zur Fotografin und kommunistischen Revolutionärin. Sie engagiert sich bis zur Erschöpfung, wo auch immer sie die Partei hinschickt: vom spanischen Bürgerkrieg bis ins revolutionäre Mexiko.
Welcher Lebensentwurf ist geglückter? Die Revolution zwischen Buchdeckeln oder die mit dem Einsatz von Leib und Leben?
Souverän verknüpft Felix Kucher die sehr unterschiedlichen Lebenswege zweier Frauen, die jede auf ihre Art dem Faschismus überzeugend entgegentreten.

(Quelle: Picus Verlag - Erscheinungsdatum: 2.3.20 - ISBN: 9783426282328)

MEINE MEINUNG
MEINE MEINUNG
In seinem beeindruckenden historischen Roman „Sie haben mich nicht gekriegt“ hat sich der österreichische Autor Felix Kucher den faszinierenden Lebensgeschichten zweier starker Frauen angenommen, die kaum gegensätzlicher sein könnten und die zeitgleich im 20. Jahrhundert völlig unterschiedliche Lebensentwürfe lebten. Während die Revolutionärin und überzeugte Kommunistin Tina Modotti als bekannte historische Persönlichkeit in die Zeitschreibung einging, die als armes Arbeiterkind aus Italien eine schillernde Karriere als Schauspielerin in Hollywood, Avantgarde-Fotografin begann und als Komintern-Agentin für Stalin um die halbe Welt reiste und für die Gleichheit aller Menschen, eine klassenlose Gesellschaft und gegen den Faschismus kämpfte, ist die jüdische Buchhändlerin Marie Rosenberg aus Fürth kaum jemandem ein Begriff, obwohl auch sie nach ihrer Flucht vor den Nazis in den USA eine erstaunliche Erfolgsgeschichte aufzuweisen hat.
Kucher ist es hervorragend gelungen, uns mit auf eine ereignisreiche und schicksalhafte Reise in die erste Hälfte des 20. Jahrhundert zu nehmen und uns die in den historischen Kontext hervorragend eingebetteten Biografien der beiden Frauen sehr abwechslungsreich und anschaulich näher zu bringen. Hierbei verknüpft er geschickt ihre bewegten Lebensläufe und zeigt in verschiedenen Episoden auf, wie jede auf ihre ganz eigene Art – ob nun mit Mut und Beharrlichkeit oder Kampfeswillen, Wagemut und Rebellion – ihren eigenen Weg beschritten, sich den vielfältige Widrigkeiten jener Zeit entgegen gestellt und dem Faschismus in verschiedensten Ausprägungen widersetzt hat.
Nach einer packenden, im Jahr 1937 während des Spanischen Bürgerkriegs angesiedelten Szene zum Einstieg setzt die chronologisch erzählte Handlung im Jahr 1902 ein und wird in zeitlich entsprechend gekennzeichneten Kapiteln fortgeführt. Der Autor hat die äußerst faszinierende Gegenüberstellung der so gegensätzlichen Biografien seiner beiden Protagonistinnen sehr fesselnd umgesetzt. Gekonnt verzahnt er die beständigen Wechsel der Erzählperspektiven zwischen seinen Charakteren Tina und Marie, indem er die Worte des letzten Satzes in der neu beginnenden Szene mit aufgreift. Die so geschaffenen fließenden Übergänge haben mir aber hervorragend gefallen und sind äußerst raffiniert gewählt; sie sorgen anfangs zwar für eine gewisse Irritation beim Lesen, doch schon nach wenigen Sätzen wird klar, aus welcher Sichtweise die Geschehnisse erzählt werden.
Man merkt deutlich, dass der Autor sich eingehend mit den Biografien der beiden außergewöhnlichen Frauen beschäftigt hat. Zudem hat er ihr Umfeld sowie das politische und zeitgeschichtliche Geschehen jener Zeit sehr gründlich recherchiert und diese äußerst anschaulich und authentisch in die jeweilige Handlung eingebaut. Neben historisch verbürgten Begebenheiten gibt es aber auch viele Episoden, in denen er sich dramaturgische Freiheiten in Bezug auf Schauplätze, Figuren und zeitliche Abläufe genommen hat. So schildert er in seiner Geschichte beispielsweise drei kurze Begegnungen der Frauen miteinander, die sich in Realität sicherlich nicht zugetragen haben werden. Schade finde ich allerdings, dass der Autor auf ein ausführliches Nachwort mit einigen Anmerkungen zu Fakten und Fiktion verzichtet hat.
Mit seinem ansprechenden und recht ruhigen Schreibstil gelingt es Felix Kucher sehr schnell uns in seine faszinierende, vielschichtige Geschichte hineinzuziehen und uns die so unterschiedliche Welt der beiden Protagonistinnen nahezubringen.
Sehr abwechslungsreich und einfühlsam portraitiert er in sorgfältig ausgewählten Episoden nicht nur den außergewöhnlichen Lebensweg von Marie und Tina, in dem er uns an bedeutsamen Stationen ihres wechselvollen Lebens teilhaben lässt, sondern gewährt uns auch sehr aufschlussreiche Einblicke in ihre so konträre Persönlichkeit, ihr Innenleben und ihren Ambivalenzen.
Zwar ist es mir nicht leicht gefallen, Bezug zu den ihnen aufzubauen, doch haben mich die überzeugend und authentisch gezeichneten Frauenschicksale mit ihren faszinierenden Lebensentwürfen schließlich sehr in den Bann gezogen. Die außergewöhnlich schöne, selbstbewusste kommunistische Revolutionärin Tina Modotti führt ein umtriebiges Leben an der Seite vieler berühmter Gefährten, hat sich voller Leidenschaft, Todesmut und ideologischer Verblendung ganz dem Klassenkampf verschrieben und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Die behütet aufgewachsene, eher unpolitische Fürther Buchhändlerin Marie Rosenberg hingegen, die aus einer assimilierten jüdischen Familie stammt, verkriecht sich angesichts der antisemitischen Repressalien der Nazis und dem zunehmenden Judenhass in ihre Welt der Bücher und hofft noch lange auf bessere Zeiten. Erst 1939 flüchtet sie schließlich fast in letzter Sekunde vor den Nazis nach New York und eröffnet der finanziellen Notlage gehorchend als Mary S. Rosenberg in ihrem Wohnzimmer am Broadway eine Buchhandlung, die schon bald zu einer Institution für alle an deutschsprachiger Literatur Interessierten, Anlaufstelle für berühmte Emigranten in Amerika und eine beeindruckende Lebensaufgabe wurde.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.03.2021

Fesselnde, aber etwas überladene Familiengeschichte

Die vier Gezeiten
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MEINE MEINUNG
„Die vier Gezeiten“ von der deutschen Autorin Anne Prettin ist ein spannender und Familienroman, der mit vielen Familiengeheimnissen, traurigen wie dramatischen Entwicklungen sowie zahlreichen ...

MEINE MEINUNG
„Die vier Gezeiten“ von der deutschen Autorin Anne Prettin ist ein spannender und Familienroman, der mit vielen Familiengeheimnissen, traurigen wie dramatischen Entwicklungen sowie zahlreichen Wendungen zu unterhalten weiß.
Hinter dem ungewöhnlichen und etwas rätselhaften Titel „Vier Gezeiten“, dessen Bedeutung sich einem im Laufe der Handlung erschließt, verbirgt sich eine opulente, mitreißend erzählte Familiengeschichte über die angesehene Juister Hoteliersfamilie Kießling, die sich über vier Generationen hinweg erstreckt und geschickt einen Bogen über viele Jahrzehnte mit verschiedenen Zeitepochen spannt.
Im Mittelpunkt der ereignisreichen Geschichte stehen die verschiedenen, außergewöhnlichen Frauen der Familie mit ihren faszinierenden Lebensgeschichten, die teilweise erschreckende parallele Entwicklungen aufweisen, ihren sorgsam gehüteten Geheimnissen und folgenschweren Entscheidungen, die bis in die Gegenwart nachwirken und das Leben der nachfolgenden Generationen mit beeinflusst haben.
Angelegt ist der Roman in zahlreichen, sich abwechselnden Handlungssträngen, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden und auf verschiedenen Zeitebenen und Zeitepochen angesiedelt sind, so dass sich die komplexe Familiengeschichte erst allmählich durch die unterschiedlichen Rückblenden zusammenfügt. Gerade zu Beginn des Romans hat man als LeserIn allerding mit der verwirrenden Vielzahl der Charaktere, ihrem Bezug zueinander inklusive der verzwickten Verwandtschaftsverhältnisse zu kämpfen. Später fällt einem die Zuordnung dann naturgemäß sehr viel leichter. Dennoch hätte ich mich sehr über ein kurzes Personenregister gefreut, um einen schneller Überblick über die vielen Figuren zu erhalten.
Nach dem packenden Einstieg in die Geschichte mit dem rätselhaften und verhängnisvollen Tagebucheintrag einer jungen Frau von 1978, setzt die eigentliche Handlung in der Gegenwart von 2008 auf der Nordseeinsel Juist ein. Mit dem überraschenden Auftauchen der jungen Neuseeländerin Helen, die aufgrund ihrer frappierenden Ähnlichkeiten mit den Kießlings auf irgendeine Weise verwandt zu sein scheint, entspinnt sich für uns eine spannende Suche nach ihrer leiblichen Mutter. Gemeinsam mit ihr lernen wir allmählich die verschiedenen Familienmitglieder und ihre Besonder- und Eigenheiten kennen. Plötzlich scheint das jahrzehntelange beharrliche Schweigen der Familie ins Wanken zu geraten, bislang streng gehütete Geheimnisse warden enthüllt und in vielen Rückblenden erfahren wir schrittweise immer neue Details aus dem bewegten Leben von Johanne aber auch ihrer Tochter Adda, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte, Träume, Verluste und Enttäuschungen.
Einfühlsam und mit angenehmer Leichtigkeit zeichnet die Autorin in den Rückblicken bedeutsame Lebensstationen ihrer Figuren aus der Vergangenheit nach und nimmt uns mit auf eine faszinierende Zeitreise. So tauchen wir gemeinsam mit der jungen Johanne ins Juist der 1934ger Jahre ein, lernen die bekannte Roformschule „Die Schule am Meer“ kennen und bekommen die erstarkenden nationalsozialistischen Einflüsse auf der Insel mit oder erleben gemeinsam mit der jungen Adda nach der schwierigen Nachkriegszeit die Aufbruchstimmung der 1950er Jahren.
Die Autorin versteht es hervorragend, das tolle Inselflair von Juist und die unterschiedlichen Schauplätze der Insel von der Wattlandschaft, den Stränden bis hin zur Inselbahn atmosphärisch dicht und anschaulich zu beschreiben, so dass man alles wunderbar vor Augen hat. Auch das sorgsam recherchierte Zeitkolorit zu den jeweiligen Epochen aber auch die Zwänge der damaligen gesellschaftlichen Realität im Wandel der Zeiten hat sie sehr authentisch und plastisch in die Handlung mit einfließen lassen.
Anne Prettin hat mit ihrer Familiengeschichte beeindruckende, facettenreiche Frauen-Figuren geschaffen, die mit ihren Eigenheiten, Stärken und Verletzlichkeiten einerseits lebensnah und lebendig wirken, mich aber in vielerlei Hinsicht leider nicht erreichen konnten. Viele ihrer Handlungsweisen und zugrunde liegenden persönlichen Entwicklungen waren für mich nicht nachvollziehbar bzw. glaubhaft, so dass ich mit keiner der Hauptfiguren wirklich warm werden konnte.
Während die Spurensuche Helens, ihre geheimnisvolle Herkunft und die Mutmaßungen um ihre leibliche Mutter sich anfangs noch sehr fesselnd gestalteten, so tritt dieser Handlungsstrang leider zunehmend in den Hintergrund. Für meinen Geschmack wirkte die Geschichte irgendwann leider durch die Fülle an Familiengeheimnissen, klischeehaften Verwicklungen und Schicksalsschlägen zu überfrachtet, konstruiert und unglaubwürdig, um mich noch begeistern zu können.
Zum Ende hin verdichtet die Autorin ihre Geschichte nach einigen sehr konstruiert wirkenden Wendungen und überraschenden Enthüllungen immer weiter, führt die vielen losen Handlungsfäden zusammen und lässt ihre schließlich etwas überladene Familiengeschichte zwar überstürzt aber recht versöhnlich ausklingen.
Schade, diese Familiengeschichte hatte wirklich viel Potential, konnte mich aber ab dem Mittelteil immer weniger überzeugen.

FAZIT
Eine komplexe Familiengeschichte mit fesselnden Familiengeheimissen, tollem atmosphärischen Inselflair und lebendigem, stimmigem Zeitkolorit, die leider nicht ganz überzeugend und etwas klischeebehaftet umgesetzt wurde.

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  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Story
Veröffentlicht am 01.03.2021

Unterhaltsame, aber auch nachdenklich stimmende Nachkriegsgeschichte

Als das Leben wieder schön wurde
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INHALT
Mit Lippenstift und Lebensmut. Drei Frauen bringen mit ihrem mobilen Schönheitssalon Farbe in das Hamburg der 50er Jahre.

1954 sind die dunklen Jahre vorbei, die Wunden des Krieges jedoch noch ...

INHALT
Mit Lippenstift und Lebensmut. Drei Frauen bringen mit ihrem mobilen Schönheitssalon Farbe in das Hamburg der 50er Jahre.

1954 sind die dunklen Jahre vorbei, die Wunden des Krieges jedoch noch lange nicht verheilt. Greta Bergström hat fast ihr gesamtes Leben in Stockholm verbracht, bei ihrer Ankunft in Hamburg ist der Himmel über der Stadt so grau wie die Seelen der Menschen. Mit ihrer offenen Art eckt die fröhliche Schwedin überall an, eine Stelle als Kosmetikerin sucht sie vergebens. Alles ändert sich, als Greta sich mit zwei Frauen anfreundet: Marieke, die aus Ostpreußen fliehen musste und den Nachbarinnen in den Altonaer Nissenhütten die Haare macht; und Trixie, die im feinen Blankenese lebt und unglücklich in einen amerikanischen Soldaten verliebt ist. Gemeinsam beschließen die drei Frauen, einen mobilen Schönheitssalon zu eröffnen. Ihre Kundinnen sollen sich wieder wohl in ihrer Haut fühlen, das Leben endlich wieder genießen. Nach den schweren Jahren ein Stück vom Glück zu finden, davon träumen auch die drei Freundinnen…
(Quelle: Wunderlich)

MEINE MEINUNG
Momentan erscheinen eine Menge Romane mit jungen, starken Frauenfiguren, die vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der deutschen Nachkriegszeit und der beginnenden Wirtschaftswunderjahre spielen, so beispielsweise der Auftakt zur „Wunderfrauen“-Trilogie von Stephanie Schuster oder zu Carmen Korns neuer Histo-Saga „Und die Welt war jung“.
In diesen Trend fügt sich auch der interessante historische Roman „Als das Leben wieder schön wurde“ der deutschen Autorin und Journalistin Kerstin Sgonina ein, der ebenfalls in dieser Zeit im Hamburg von 1954 angesiedelt ist.
Im Mittelpunkt der unterhaltsamen, aber zugleich auch nachdenklich stimmenden Geschichte stehen die drei jungen Frauen Greta, Marieke und Trixie, die sich zu Beginn der 1950ger Jahre kennenlernen, anfreunden und beschließen, gemeinsam in einem ausgemusterten, umgebauten Lastwagen einen mobilen Schönheitssalon zu betreiben. In den Zeiten des allgemeinen Aufbruchs und Neubeginns wollen auch sie es wagen, hiermit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Nach den finsteren Kriegsjahren und der entbehrungsreichen Nachkriegszeit wollen sie ihren Kundinnen mit einer neuen Frisur oder wohltuenden Gesichtsbehandlung etwas Gutes tun und ihnen neue Lebensfreude schenken.
Rasch war ich gefangen von der lebendig und einfühlsam erzählten Geschichte, die zwischen verschiedenen Erzählsträngen hin und her wechselt. Dank des angenehmen, anschaulichen Erzählstils gelingt es der Autorin rasch, uns in die historische Vergangenheit der Hamburger Nachkriegszeit eintauchen zu lassen und die verschiedenen Charaktere zum Leben zu erwecken.
Die Geschichte wird in der 3. Person aus der Perspektive der Hauptfigur Greta Bergström erzählt, einer gelernten Kosmetikerin, die nach dem Tod ihrer geliebten Großmutter von Schweden nach Hamburg kommt. Man verfolgt gebannt den ersten Versuchen der jungen Schwedin Greta in Deutschland Fuß zu fassen und sich allmählich mit der wenig freundlichen und sehr distanzierten Familie ihres Vaters Harald Buttgereit, dem ehemaligen Ehemann ihrer Mutter Linn, zu arrangieren, bei der sie für den Anfang untergekommen ist. Nach und nach lernen wir auch die übrigen interessanten Charaktere kennen wie die aufgeweckte, aus Ostpreußen stammende Marieke kennen, die sich als Friseurin über Wasser hält, um endlich ihren kleinen Sohn zu sich holen zukönnen, Trixie, die aus betuchtem Hause stammt, ihre alte Mutter pflegt und sich für Mode interessiert, oder Gretas lebenshungrigen, jazzbegeisterten Halbbruder Mickey. Schrittweise erleben wir hautnah mit, was das Leben für die einzelnen Charaktere an Überraschungen, Herausforderungen und Problemen bereit hält und welche Entwicklungen sie im weiteren Verlauf nehmen. Sehr abwechslungsreich und glaubwürdig schildert die Autorin auch wie sich die Freundschaft zwischen den so unterschiedlichen Frauen entwickelt und wie diese manchmal auch auf die Probe gestellt wird.
Es gelingt der Autorin hervorragend, das damalige Zeitkolorit sehr anschaulich einzufangen und uns sehr lebendig und authentisch zu vermitteln. Durch die Dialoge ihrer Charaktere und anhand der sehr unterhaltsamen und anschaulich beschriebenen Episoden rund um das Schönheitsmobil mit seiner bunten Mischung an unterschiedlichsten Kundinnen führt uns die Autorin geschickt den typischen Zeitgeist und exemplarische Frauenschicksale jener Epoche vor Augen. Hierbei greift sie auch beklemmende und sehr problembehaftete Themen auf wie beispielsweise die immer noch allgegenwärtigen Folgen des Kriegs, die Wohnungsnot, die Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern, das Schicksal der traumatisierten Kriegsheimkehrer, die geächteten Beziehungen zu den Besatzern oder auch das Schicksal der Behinderten und psychisch Kranken während der Nazi-Diktatur. Auch die Animositäten und Vorurteile gegenüber den Ostflüchtlingen, die Ausgrenzung der Alleinerziehenden, das hartnäckige Verdrängen und Schweigen über die Vergangenheit, die Haltung der altgestrigen, unverbesserlichen Nazianhänger und die unzureichende Aufarbeitung der Nazigräuel werden angesprochen. Für meinen Geschmack wirkte die Handlung durch die vielen, oftmals nur angerissenen Aspekte thematisch ein wenig zu überladen.
Für viel Spannung sorgt ein weiterer Handlungsstrang, in dem wir Gretas Nachforschungen zum rätselhaften Verbleib ihrer Mutter Linn miterleben. Kurz vor dem Krieg ließ diese ihre Mutter mit der kleinen Greta nach Schweden übersiedeln, bleib allein in Hamburg zurück mit dem Versprechen später nachzukommen, und ließ niemals mehr von sich hören. In die beschwingte Aufbruchsstimmung um den hoffnungsvollen Neubeginn der jungen Frauen mischt sich mit den weiter voranschreitenden Erkenntnissen zum tragischen Schicksal von Gretas Mutter zunehmend eine unerwartet beklemmende und düstere Atmosphäre in die Geschichte. Die Auflösung macht schließlich sehr betroffen und fügt sich nicht so recht in die unterhaltsamen, amüsanten Geschehnisse rund um die „Schnieke Deern“ ein.
Durch ihre einfühlsamen Schilderungen erweckt die Autorin die verschiedenen Charaktere geschickt zum Leben. Ihre Figuren sind trotz der großen Vielzahl lebendig, vielschichtig und liebevoll ausgearbeitet. Insbesondere wirken die drei Frauenfiguren mit ihren gegensätzlichen Persönlichkeiten, ihren Eigenheiten aber auch ihren Geheimnissen und Traumata aus der Vergangenheit recht lebensnah. Es sind bemerkenswert tatkräftige, starke Frauenfiguren, die das traditionelle Rollenbild hinter sich lassen wollen und ein selbstbestimmtes, freies Leben für sich suchen. Bei einigen von ihnen hätte ich mir allerdings etwas mehr Tiefgang gewünscht. Bis zum Ende hin blieb mir zudem das distanzierte Verhalten von Gretas Vater sehr befremdlich und völlig unverständlich.
Die in sich abgeschlossene Geschichte endet mit einigen losen Fäden, so dass man für sich weiterspinnen kann, wie sich die Geschicke in der Hoffnung auf bessere Zeiten und ein glücklicheres Leben für drei Freundinnen weiterentwickeln werden.

FAZIT
Eine unterhaltsame, aber auch nachdenklich stimmenden Geschichte über drei junge Frauen während der Nachkriegszeit - abwechslungsreich erzählt, mit authentischem Zeitkolorit und interessanten Frauenfiguren!

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Veröffentlicht am 28.02.2021

Faszinierende Lebensgeschichte

Fast hell
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MEINE MEINUNG
Nach seinem opulenten Roman „Die Leben der Elena Silber“ hat der mehrfach ausgezeichnete Journalist, langjährige Spiegel-Reporter und Schriftsteller Alexander Osang mit seinem neuesten Buch ...

MEINE MEINUNG
Nach seinem opulenten Roman „Die Leben der Elena Silber“ hat der mehrfach ausgezeichnete Journalist, langjährige Spiegel-Reporter und Schriftsteller Alexander Osang mit seinem neuesten Buch „Fast hell“ einen faszinierenden und sehr persönlichen Roman vorgelegt.
Ursprünglich geplant als eine Geschichte für ein Sonderheft des Spiegels im Jahr 2019 über „ die seltsame, verkorkste ostdeutsche Seele“, in deren Mittelpunkt das Portrait von Uwe als Prototyp eines rätselhaften Ostdeutschen stehen sollte, wurde diese schließlich doch nicht veröffentlicht.
„Uwes Leben klingt wie ein Broadway-Musical.“
Den Faktencheckern des Spiegel erschien Uwes zu spektakulär klingendem Leben und seine abenteuerlichen Anekdoten doch unglaubwürdig und mit zu vielen Leerstellen behaftet – und so wurde aus Osangs New Yorker Bekanntschaft schließlich eine Romanfigur und ein faszinierender Protagonist mit so manchen Widersprüchlichkeiten und Geheimnissen.
Das gesammelte Recherchematerial hat Osang zu einer fesselnden Mischung aus Reisebericht, Memoir und autobiografischen Geschichte verwoben.
Seinen Ausgang nimmt die Geschichte mit einer gemeinsamen Schiffsreise von Uwe und seiner 80-jährigen Mutter über die Ostsee nach St. Petersburg 30 Jahre nach dem Mauerfall, begleitet werden sie von dem damals in Tel Aviv lebenden Journalisten Osang, der Uwe interviert und sich unfassbar spannende Episoden aus dessen bewegter, schillernden Biographie in mehreren alkoholgetränkten Nächten erzählen lässt. Dieser homosexuelle, charismatische und weltgewandte Mann ist ein wahrhaftiger Weltbürger aus dem Osten, lehrt in New York ostdeutsche Kulturgeschichte, kennt Gott und die Welt, spricht etliche Sprachen fließend und scheint aber überall auf der Welt schon gewesen zu sein. Gebannt lauscht man den unglaublichen Erlebnisse und überraschenden Verwicklungen, die Uwe zum Besten gibt, meint hautnah dabei zu sein und doch beschleicht einen das ungute Gefühl, diesen Menschen mit seinen tollen Geschichten nicht recht fassen zu können.
Etwas sprunghaft und keineswegs chronologisch erzählt Osang über Uwes eindrucksvolle Lebensgeschichte und präsentiert uns ganz nebenbei die eigenen Erinnerungen an seine Schulzeit und Jugend in der DDR und seine ungezügelte Zeit nach der Wende. Sehr einfühlsam stellt der Autor die Lebensgeschichten der beiden einander gegenüber, verwebt sie gekonnt miteinander und lässt ihre aufschlussreichen Einblicke in die Vergangenheit immer mehr ineinanderfließen. So erhalten wir schließlich ein höchst faszinierendes Doppelportrait der beiden ostdeutschen Freunde, in dem auch ihre Beziehung zu ihren Familien, ihr Verhältnis zum Staat und die unvermeidliche Stasi-Vergangenheit nicht ausgespart werden. Zunehmend wird die Fahrt über die Ostsee für Osang zu einer Reise in die eigene Vergangenheit und zu sich selbst. Ähnlich wie Osang hat es Uwe aus der beklemmenden Enge der DDR in die Freiheit und in die weite Welt gezogen, stets aber auch auf der Flucht vor den eigenen Dämonen, angetrieben von der Angst vor Anpassung und Stillstand. Geschickt spürt Osang der Frage nach, wie stark ein Charakter von den Erfahrungen der Geschichte geprägt wird. Zugleich beleuchtet der Autor die Hintergründe für seine permanente Getriebenheit, hinterfragt seine Erwartungen und einstmals gesetzten Ziele und deckt dabei auch seine unlösbaren inneren Widersprüche auf. Nach und nach wird deutlich, wie trügerisch die eigenen Erinnerungen an die zurückliegenden 30 Jahre und persönlichen Erlebnisse in jener Zeit sind, und sie unbewusst zu einer Art persönlich eingefärbter Erzählung eines jeden einzelnen werden. Schrittweise werden eventuelle Erinnerungslücken oder auch gewissen Schwachstellen im Leben durch individuell angepasste Erzählungen ausgefüllt und Prioritäten gesetzt, so dass wir schließlich unsere eigenen Biografien erfinden und faszinierende, aber nicht belegbare Legenden erzählen.
Äußerst gelungen ist der grandiose Epilog des Romans, der die Geschichte über Uwe nochmals in einen anderen Kontext rückt und uns die Entstehung dieser „absurden, aber wahren Novelle“ erklärt, die noch lange nachklingt und sehr zum Nachdenken anregt – über das Leben, prägende Veränderungen, Wahrheiten, unser lückenhaftes Gedächtnis und unsere ganz eigenen Erinnerungen!
FAZIT
Eine fesselnde Mischung aus Reisebericht, Memoir und autobiografischen Geschichte und ein wundervoll erzählter, melancholischer und nachdenklich stimmender Roman, der noch lange nachhallt!

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Veröffentlicht am 28.02.2021

Nettes Geschenkbüchlein

Bücherliebe – Was Bücherregale über uns verraten
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MEINE MEINUNG
Die britische Autorin Annie Austen entführt uns in ihrem kleinen, aber feinen Büchlein „Bücherliebe - Was Bücherregale über uns verraten“ in die faszinierende Welt der Bücher und gibt uns ...

MEINE MEINUNG
Die britische Autorin Annie Austen entführt uns in ihrem kleinen, aber feinen Büchlein „Bücherliebe - Was Bücherregale über uns verraten“ in die faszinierende Welt der Bücher und gibt uns interessante Einblicke in das sensible und bisweilen etwas befremdliche Seelenleben von Bücherliebhabern. Es ist eine unterhaltsame und humorvoll geschriebene Sammlung von allerlei Interessantem, Wissenswertem und Skurrilem rund um das Thema Bücher. Die Autorin hat einen sehr angenehmen, abwechslungsreichen und witzigen Schreibstil, stellt durch ihre persönliche Ansprache rasch eine Nähe zu uns LeserInnen her und hat mich öfters mal zum Schmunzeln gebracht,
In zahlreichen, meist recht kurzen Kapiteln hat Austen viele kurzweilige Anekdoten, informative und lehrreiche Geschichten und nette „Fun facts“ zusammengestellt – mit eingestreuten Aphorismen von mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten und Schriftstellern über Literatur und Bücherleidenschaft sowie hübschen, zum Thema passenden Zeichnungen zur Auflockerung.
Auf knapp 190 Seiten geht Austen mit herrlichem Augenzwinkern den wirklich wichtigen Fragen im Leben von BuchliebhaberInnen nach. Sehr vergnüglich widmet sie sich beispielsweise der Frage, was unsere Bücherregale über uns aussagen, da sie ja ähnlich wie Kleidung viel über die stolzen Regalbesitzer preisgeben und eine Form der Selbstdarstellung sind. Bücherregale als heimliche Stars unter den Wohnzimmermöbeln beherbergen heißgeliebte Bücherschätze – egal ob nun alphabetisch nach Autoren oder nach Genres sortiert oder sogar liebevoll farblich angeordnet, sie offenbaren dem Kenner auch so manches Geheimnis. So wagt Austen sogar die These aufzustellen, dass unsere Bibliothek mit unserer Autobiografie gleichzusetzen ist. Außerdem erzählt die Autorin uns auch von verschiedensten Bücherregalen, wie dem „Bücherregal des Volkes“ in Lettland oder 5 tollen Bücherregalen in Kinofilmen. Für Liebhaber von Fakten und Kuriositäten finden wir neben einer Zusammenstellung der Lieblingstitel von Barack Obama, Marilyn Monroe oder der jungen J.K. Rowling sowie Büchern, die im Unterschlupf von Osama Bin Laden gefunden wurde, ebenfalls Insiderwissen über 10 verworfenen Titel für berühmte Bücher, 12 Bücher, die in Filmen gelesen werden oder 6 völlig schräge Buchtitel.
Austen geht aber auch auf einige interessante Probleme ein, mit denen sich diejenigen von uns beschäftigen müssen, die viel lesen, nicht unbedingt nach den Tipps von Aufräum-Guru Marie Kondo vorgehen möchten und sich nur schwer von Büchern trennen können: Wie behalte ich den Überblick und bringe Ordnung in mein Bücherregal? Sehr interessant und unterhaltsam fand ich auch Austens Ausführungen zu dem Thema, ob man Bücher unbedingt zu Ende lesen muss und wie man die heikle Sache des Bücher-Ausleihens angeht.
In vielen der geschilderten Episoden wird man sich selbst wiederfinden, wenn auch vielleicht nicht in einer derart extremen Ausprägung, und wird zugleich beruhigt feststellen, dass man glücklicherweise unter Gleichgesinnten und nicht allein mit seinen ‚Ticks‘ ist.
Doch ob dies nun alles so überaus interessant, lesens- und ja bemerkenswert ist, sei dahin gestellt und ist sicherlich Geschmackssache.

FAZIT
Ein unterhaltsames und lehrreiches Büchlein über die Liebe zu Büchern, kein Must-have aber ein humorvolles Nice-to have für das Bücherregal aller Bücher-LiebhaberInnen, Book Nerds und Bibliomane!
Vor allem ein tolles Geschenkbuch, mit dem man eigentlich nicht viel falsch machen kann!

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