Ein Buch jenseits der Sprachlosigkeit
ë„Ich lernte früh, das ich schweigen musste, sobald wir die serbische Grenze erreichten. Deine Muttersprache konnte dich in Gefahr bringen, wenn du sie am falschen Ort sprachst.“ (S. 10)
Die Erzählerin ...
„Ich lernte früh, das ich schweigen musste, sobald wir die serbische Grenze erreichten. Deine Muttersprache konnte dich in Gefahr bringen, wenn du sie am falschen Ort sprachst.“ (S. 10)
Die Erzählerin lernt als Kind von Kosovo Geflüchteten recht früh, Ihre Sprache und damit auch ihre Identität zu verstecken. Sinnbildlich dafür steht der Buchstabe „ë“, ein Buchstabe der in der albanischen Sprache eine wichtige Rolle spielt, obwohl er meistens gar nicht ausgesprochen wird.
Die Erzählerin wächst in Deutschland auf und versucht, von Kindergarten über Schule bis zur Universität, verstanden zu werden. Dabei wird sie immer wieder konfrontiert mit Vorurteilen, Unwissen und Gleichgültigkeit.
Den Kosovokrieg, der Ende der 1990er Jahre ausbricht, erlebt sie zwar nur aus der Ferne mit, jedoch sind Krieg und Tod fortwährend präsent in ihrer Umgebung. Ihr Großvater ist im Kosovokrieg gestorben, man hat ihn jedoch nie gefunden. Nur die Umstände, unter denen er gestorben ist, sind bekannt.
„Aber wie soll ein Grab aussehen, das kein Grab ist? Ein Grab als ein Symbol. Es soll die Leerstelle verdecken und hebt sie noch stärker hervor.“ (S. 43)
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Der Roman widmet sich einem Kapitel europäischer Geschichte, das in Deutschland kaum Beachtung fand. Er erinnert an das Leid unzähliger Familien, die ihre Heimat verloren haben und die noch immer auf der Suche nach verschwundenen Angehörigen sind.
„Das Wort „verschwunden“ umschreibt nur, das die Leiche bisher noch nicht gefunden wurde. Erst später lernte ich: Die Hoffnung besteht nicht darin, dass sie wiederkehren, sondern darin, eine Nachricht über ihr Schicksal zu bekommen.“ (S. 44)
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Auf gerade einmal 176 Seiten trifft Jehona Kicaj immer den richtigen Ton und hat eine Erzählung geschaffen, die mir im Gedächtnis bleiben wird. Am meisten beeindruckt hat mich dabei ihre Wortwahl. Dieses Buch ist alles andere als sprachlos, dafür hat es mich ein Stück weit sprachlos gemacht. Als der Kosovokrieg anfing, war ich selbst erst zehn Jahre alt und ich wusste bisher absolut nichts darüber. Daher danke ich Jehona Kicaj dafür, das sie ihre Geschichte mit mir geteilt hat.
Ein Buch, das meiner Meinung nach zurecht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2025 stand und eine Empfehlung für alle, die gern mal über den Tellerrand hinausschauen!