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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.01.2023

Feinfühlig und präzise

Das glückliche Geheimnis
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Arno Geiger schreibt über Arno Geiger. Dabei kommt ein Buch heraus, das viel über ihn preisgibt, auf eine schonungslose, entblößende Art, eigentlich unspektakulär (auch „das Geheimnis“ ist eigentlich unspektakulär), ...

Arno Geiger schreibt über Arno Geiger. Dabei kommt ein Buch heraus, das viel über ihn preisgibt, auf eine schonungslose, entblößende Art, eigentlich unspektakulär (auch „das Geheimnis“ ist eigentlich unspektakulär), und doch ist es mehr als interessant. Es ist spannend.
Der Autor gesteht, dass er lange Jahre seines Lebens in Papiercontainern nach Brauchbarem suchte. Dass er Bücher, Zeitschriften, Briefe, Tagebücher barg und verwertete. Während Bücher auf dem Flohmarkt ganz profan zum Lebensunterhalt beitrugen, ermöglichten ihm Briefkonvolute und Tagebücher Einblicke in die menschliche Existenz, wie sie im normalen Umgang völlig unmöglich zu gewinnen sind. Ein unermesslicher Schatz für einen Schriftsteller, der sich für nichts so interessiert wie für Menschen.
Das zumindest behauptet Geiger. Doch es gibt noch etwas, das ihm kompromisslos wichtig ist. Das ist die Verknüpfung von Denken und Sprache. Da ist in unentwegt Ringen um Exaktheit zu spüren, als würde jeder einzelne Gedanke eingehend beäugt, geradezu betastet, ehe ihm Worte zugewiesen werden. Gleichwohl wirkt das Geschriebene keinesfalls kompliziert, schwer verständlich oder angestrengt, sondern „nur“ wahr und tief. Und zwar so wahr und tief, dass es glücklich macht, es lesen zu dürfen.
Er schreibt über sein Versagen und seinen Erfolg, seine Liebe, seine Eltern, sein Innerstes, häufig greift er Dinge auf, die zuvor schon Erwähnung fanden. Das könnte sich als Wiederholung empfinden lassen. Tut es aber nicht. Denn immer wird etwas Neues hinzugefügt. Immer überrascht eine andere Sichtweise, eine Erweiterung, eine Verknüpfung. Weit erhebt sich das Werk über das Ansinnen, bloße Autobiografie zu sein.
Schwierig, nach diesem Buch ein anderes zu lesen. Die Messlatte, was sprachliche Präzision in Einheit mit sensibler Weltwahrnehmung angeht, dürfte kaum erreichbar sein.
Wer also Freude an ebenso kritischer wie poetischer sprachlicher Auseinandersetzung mit dem Leben hat, der darf sich dieses Kleinod nicht entgehen lassen.

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Veröffentlicht am 07.10.2022

Lebensfroh und sehr französisch

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens
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Der lebensfrohe Lucien hat ein großes Problem: Auf dem Sterbebett nimmt ihm sein Vater das Versprechen ab, die Tradition des alten Adelsgeschlechts der von Chacarasse fortzusetzen. Dabei liegt dem jungen ...

Der lebensfrohe Lucien hat ein großes Problem: Auf dem Sterbebett nimmt ihm sein Vater das Versprechen ab, die Tradition des alten Adelsgeschlechts der von Chacarasse fortzusetzen. Dabei liegt dem jungen Comte nichts ferner, als gut bezahlte Auftragsmorde zu begehen, wie seine Vorfahren es seit Jahrhunderten taten. Viel wohler fühlt er sich in seinem Feinschmeckerlokal Le Bouchon oder in charmanter Damengesellschaft.
Pierre Martin liefert hier den Auftakt zu einer neuen Krimireihe, die sich von anderen durchaus unterscheidet. Es gelingt ihm mühelos, ein federleichtes Wohlfühlklima zu erschaffen, in dem blutige Aktionen und spannende Momente nur insoweit zugelassen werden, wie das Genre es erfordert.
Viel mehr Aufmerksamkeit widmet er anderen Aspekten. Die Region um Nizza kennt er offensichtlich wie seine Westentasche und beschreibt Landschaft, Orte und kulturelle und historische Besonderheiten mit Hingabe. Wichtig ist ihm auch die Kulinarik. Oft werden besondere Gerichte erwähnt, zunächst in französischer Sprache, dann auch ins Deutsche übersetzt. So verfährt er übrigens auch mit den Dialogen: Immer wieder werden kurze französische Bemerkungen eingeflochten. Auf diese Weise lassen sich bei der Lektüre ganz nebenher Sprachkenntnisse auffrischen.
Die Hauptfiguren sind unglaublich sympathisch. Allen voran natürlich Lucien, der mit vielen Raffinessen versucht, seinen Auftrag zu töten mit seinem Vorsatz, eben dies nicht zu tun, in Einklang zu bringen. Warmherzig, loyal und ausgestattet mit gesundem Menschenverstand ist die schwerhörige Rosalie. Dann gibt es noch die überaus tüchtige und höchst attraktive Assistentin Francine. Die drei bilden beinahe eine funktionale Familie, in der sich alle respektieren, auch wenn fleißig geneckt wird. Und wenn es doch mal ernst wird, gibt es ja noch den Tresterschnaps.
Am Ende wird deutlich auf das Thema des Folgebands hingewiesen, allerdings völlig ohne Cliffhanger, so dass sich dieser Band wirklich abgeschlossen anfühlt.
Liebhaber französischer Lebensweise und leichter Lektüre werden hier vielleicht einen Suchteinstieg finden.

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Veröffentlicht am 17.05.2022

Raffinierter und unterhaltsamer Lese- und Rätselspaß

Der Tote aus Zimmer 12
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Lektorin Susan Ryeland hat ihrem Beruf den Rücken gekehrt und betreibt mit ihrem Lebenspartner auf Kreta ein Hotel. Dort taucht ein englisches Ehepaar auf und bittet sie, ihre Tochter zu finden, die seit ...

Lektorin Susan Ryeland hat ihrem Beruf den Rücken gekehrt und betreibt mit ihrem Lebenspartner auf Kreta ein Hotel. Dort taucht ein englisches Ehepaar auf und bittet sie, ihre Tochter zu finden, die seit einer Woche vermisst wird. Kurz vor ihrem Verschwinden hatte die behauptet, den wahren Täter eines acht Jahre zurückliegenden Mordes zu kennen.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie leichtfüßig Anthony Horowitz seine ausgefeilten und komplexen Kriminalfälle präsentiert. So viel Spielerei, so viel Freude am Fährtenlegen und In-die Irre-Führen, so viel … vielleicht beinahe etwas zu viel von allem. Aber nein, diese Begeisterung ist ansteckend und motivierend.
Zunächst einmal: Es ist durchaus möglich, diesen zweiten Band um die sympathische Heldin ohne Kenntnis des ersten zu lesen, aber es gibt viele Bezüge und Hinweise, die dann etwas ins Leere laufen. Und die zudem wichtiger Teil der Gesamtkonstruktion sind. Von daher ist die Einhaltung der Reihenfolge zwar nicht notwendig, aber empfehlenswert.
Obgleich die Geschichte an sich jede Menge Möglichkeiten zum Miträtseln bietet, gibt sich der Autor damit keineswegs zufrieden. Er spickt sie mit besonderen Gestaltungselementen wie Briefen, Zeitungsartikeln oder Interviewaufzeichnungen, sogar ein gesamtes Buch des verstorbenen Alan Conway ist enthalten, denn hier soll die verschwundene Cecily den entscheidenden Hinweis auf den Mörder entdeckt haben. Das bewirkt eine weitere Dimension des Lesens und macht richtig Spaß, auch wenn man irgendwann unweigerlich der Verwirrung unterliegt.
Es überzeugen jedoch nicht allein der sprudelnden Ideenreichtum und die genial ausgeklügelte Handlung, sondern auch die treffsicheren Charaktere, die allesamt sehr lebendig und real gezeichnet sind, sowie der lockere, exquisite Schreibstil, der so mühelos zwischen mehreren Ebenen hin und her switcht.
Wer also Krimis in englischer Tradition mag, sollte sich diese zeitgemäß umgesetzte Variante mit extrem hohem Unterhaltungswert auf keinen Fall entgehen lassen.

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Veröffentlicht am 03.05.2022

Magie und Mord

Schwarzlicht
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Eine junge Frau wird Opfer eines Mordes, der so brutal wie außergewöhnlich ist: Man sperrt sie in eine Schwerterkiste, wie sie für Zaubertricks verwendet werden. Doch anstatt dass die Schwerter an ihr ...

Eine junge Frau wird Opfer eines Mordes, der so brutal wie außergewöhnlich ist: Man sperrt sie in eine Schwerterkiste, wie sie für Zaubertricks verwendet werden. Doch anstatt dass die Schwerter an ihr vorbei geführt werden, durchbohren und töten sie sie. Die Stockholmer Kriminalkommissarin Mina Dabiri wendet sich wegen der ungewöhnlichen Umstände an den Mentalisten Vincent Walder und kann ihn zur Zusammenarbeit überreden.
Ein äußerst interessantes Ermittlerduo, das Bestsellerautorin Camilla Läckberg und Co-Autor Henrik Fexeus für die Trilogie ins Leben gerufen haben, deren Auftakt uns hier vorliegt. Sowohl Dabiri als auch Walder tragen neurotische Züge. Erstere hat panische Angst vor Keimen jedweder Art, der leicht autistische Walder wird beherrscht von dem Zwang, ungerade Zahlen zu meiden.
Das klingt zunächst etwas schräg, zeigt aber, anstatt ins Klamaukhafte abzugleiten, eher die Probleme auf, denen die beiden auf Grund ihrer Besonderheiten ausgesetzt sind, verursacht Distanz und Sympathie gleichermaßen.Dass beide ein gewisses, beinahe irritierendes Interesse füreinander feststellen, sorgt für einen Schuss Romantik, von dem man nicht so recht weiß, wie angebracht er wirklich ist.
Als Gegengewicht gibt es einige Szenen, die an Grausamkeit schwer zu übertreffen sind und zarteren Gemütern sicher schwer zusetzen. Besonders intensiv wird dies empfunden, da es eine Taktik der Autoren ist, zunächst eine emotionale Nähe zu den späteren Opfern aufzubauen und diese dann auszuliefern.
Die Konstruktion des Kriminalfalls ist meisterhaft, die Auflösung überraschend und doch nachvollziehbar. Man spürt die Schreibroutine, erzählt wird durchweg spannend, gleichzeitig ist die Handlung angereichert mit bizarren Ideen. Bühnenmagie und mentale Zauberei durchdringen und bereichern die Geschichte und verschaffen diesem Krimi eine besondere Stellung innerhalb des Genres.
Für Liebhaber skandinavischer Kriminalliteratur ist dieser Krimi ein Muss, umso mehr für diejenigen unter ihnen, die sich für Zauberkunst begeistern können.

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Veröffentlicht am 28.03.2022

Frischer, trotz des pikanten Themas eher belangloser Frauenroman

Offen für alles
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Wie schon das Cover suggeriert, handelt es sich hier um einen leichten, frischen Frauenroman, der sich allerdings an ein außergewöhnliches Thema wagt: Nach einer Unterhaltung mit ihrer Freundin Claudia ...

Wie schon das Cover suggeriert, handelt es sich hier um einen leichten, frischen Frauenroman, der sich allerdings an ein außergewöhnliches Thema wagt: Nach einer Unterhaltung mit ihrer Freundin Claudia erkennt Viviane, dass in ihrer langjährigen Ehe der Sex kaum noch eine Rolle spielt. Um daran etwas zu ändern, schlägt sie ihrem Mann vor, ihre Ehe zu öffnen und andere Beziehungen einzugehen.
Neben Viviane und ihrem Mann Karl begegnen wir noch Claudia und Diego sowie der schwangeren Elena. Viviane und Karl gehen sehr offen und zunächst auch gnadenlos ehrlich miteinander um. Ob es ihnen gelingt, mit neuen Plänen mehr Pep in ihren Alltag zu bringen? Claudia und Diego hingegen hüten Geheimnisse voreinander. Aber was, wenn diese ans Tageslicht gelangen? Elena plagt sich mit dem fürsorglichen, aber äußerst übergriffigen Simon herum. Ob sie den wirklich braucht?
Im Großen und Ganzen gelingt es Autorin Lilly Blank recht gut, ihren Figuren Leben einzuhauchen (Diego gerät etwas blass, in manchen Situationen fehlt auch ein Stückchen Glaubwürdigkeit). Was sie ganz zweifelsohne wunderbar hinkriegt, ist ein heikles, erotisches Thema locker und augenzwinkernd zu verpacken und mit viel Situationskomik zu würzen. Das liest sich beinahe von alleine.
Doch so gern man die Personen in ihren Entwicklungen begleitet, so bleibt doch ein erhofftes tieferes Nachdenken über alternative Lebens- und Liebesweisen aus. Auch wenn viele Möglichkeiten angedacht und angetestet werden, so wirkt alles ein wenig seicht und oberflächlich. Wie seicht und oberflächlich es im Roman tatsächlich zugeht, offenbart sich auf den letzten gefühlt hundert Seiten. Da kommt es zu einem Happyend, das länger und glücklicher kaum möglich ist. Heile Welt zu stark dosiert.
Also doch leider nur ein flüssig zu lesender, unterhaltsamer Roman. Mehr nicht.

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