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Veröffentlicht am 26.08.2019

Ein Psychogramm

An Tagen im Juli
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Hinter einem schlichten Titelbild verbirgt sich die unglaubliche Geschichte der Schriftstellerin Sibylle Uhlen.


Nach dem Verschwinden zweier Grundschulmädchen und dem Auftauchen eines unnahbaren Feriengastes ...

Hinter einem schlichten Titelbild verbirgt sich die unglaubliche Geschichte der Schriftstellerin Sibylle Uhlen.


Nach dem Verschwinden zweier Grundschulmädchen und dem Auftauchen eines unnahbaren Feriengastes beginnt sie nach und nach, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit zu befassen, wobei ungeahnte Wahrheiten ans Licht kommen.

Autorin Paula Bersdorf zeichnet in ihrer Beschreibung ein idyllisches Dorf. Die Wolken inspirieren zum Träumen und Fantasieren, nichts scheint das Glück trüben zu können. Über der ganzen Geschichte liegt so eine Trägheit, eine Verborgenheit, Verdrängung. Der Schreibstil im Präsens passt da sehr gut dazu. Der Leser wartet förmlich darauf, wann die reglos auf der Stromleitung sitzenden Vögel aufflattern, die ölglatte Oberfläche des Sees sich zu kräuseln beginnt.

Der Roman ist in einzelne Tage gegliedert anstelle von Kapiteln, Sibylles Notizblock dient als Vorlage. So wird das Geschehen auch direkt aus ihrer Sicht in der Ich-Form erzählt. Während die Natur in aller Ausführlichkeit mit vielen winzigen Details beschrieben wird, nehmen sich manche Dialoge fast wie im Telegrammstil notiert aus.

Ähnlich verhält es sich mit Sibylle: einerseits erleben wir ihre tiefe und innige Beziehung zum Großvater und einigen sehr engen Freunden, andererseits nimmt sie manchem Dorfnachbarn gegenüber eine recht distanzierte, ja beinahe feindselige Haltung ein. Lange spürt der Leser, dass sie irgendwie in sich selbst gefangen ist, sich mit ihrem teils ruppigen Ton vor irgendetwas schützen möchte, aber es braucht etliche Tage im Juli, bis sich alles klar herauskristallisiert, die Vergangenheit an die Oberfläche sickert, (Tag)Träume Vernetzungen schaffen.

Dazwischen eingestreut finden sich Passagen, die ich persönlich als unnötige Länge empfinde: Filmausschnitte, deren Inhalte und Schauspieler ich nicht kenne und wodurch ich auch Sibylles momentane Gefühle nicht besser einordnen kann, Abschweifungen und Einzelheiten, die weit weg führen vom tatsächlichen Geschehen und den Fluss der Handlung immer wieder unterbrechen. Womöglich braucht es aber genau diese Pausen, damit das Erlebte verarbeitet werden kann? Ich bevorzuge die Kürze und Prägnanz, andere Leser mögen das anders sehen und mit diesen Informationen näher in den Lauf der Dinge eintauchen können.

Je weiter der Juli voranschreitet, umso unglaubwürdiger finde ich so manches Ereignis, die Handlung wirkt auf mich immer wieder dubios und konstruiert. Zuletzt gipfelt die Geschichte in einem unerwarteten, jedoch passenden Ende.

Zweifelsohne handelt es sich bei diesem Kriminalroman um eine sehr ungewöhnliche, aber besondere Geschichte, die durchaus in etlichen Abschnitten durch ihren Sprachstil besticht. Die Art, wie aktuelle Handlung, Vergangenheit und Bilder aus Sibylles Gedankenwelt ineinander fließen, ist wirklich interessant gelöst. Den Inhalt und die Entwicklungen rund um die Hauptfigur Sibylle jedoch finde ich eher eigenwillig. Aber genau das ist ja auch das Schöne an einem Buch – jeder Leser entwickelt wohl einen ganz persönlichen Blickwinkel und so wird bestimmt der eine oder andere Leser neugierig geworden sein…

Veröffentlicht am 02.08.2019

Charmant und zurückhaltend - ganz das 19. Jahrhundert

Effi liest
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Zuallererst möchte ich hier das Titelbild erwähnen, das einem sofort ins Auge sticht, wunderschön und perfekt zur Geschichte und der damaligen Zeit passend. Dann der Titel – Effi liest, ganz nah dran an ...

Zuallererst möchte ich hier das Titelbild erwähnen, das einem sofort ins Auge sticht, wunderschön und perfekt zur Geschichte und der damaligen Zeit passend. Dann der Titel – Effi liest, ganz nah dran an Effi Briest und schon hält man das Buch in der Hand und studiert den Klappentext:

Berlin, 1894.
Alles beginnt mit einem Buch, das die achtzehnjährige Elena Sophie von Burow, genannt Effi, zufällig entdeckt. Der Inhalt ist so skandalös, dass Effi aus ihrem vornehmen Pensionat fliegt, noch bevor sie die erste Seite gelesen hat. Sofort reist ihre Tante an, denn es ist wohl höchste Zeit, Effi in die Gesellschaft einzuführen und einen Ehekandidaten zu finden. Effi hingegen sucht Antworten auf ihre Fragen. Ob der junge und sehr sympathische Arzt Maximilian von Waldau Effi weiterhelfen kann?
Eine romantische Komödie aus der prüdesten Epoche der deutschen Geschichte.
Ein wunderbares Lesevergnügen für alle Fans von Jane Austen und "Der Trotzkopf".

Die Autorin hat nach ausgezeichneter Recherche ein ganz treffendes Bild der Frauen im ausklingenden 19. Jahrhundert geschaffen. „Hausfrau und Mutter zu sein, das ist der natürliche Beruf jeder Frau.“ (Zitat Pos. 1099)

Zum Glück sieht die junge Elenea Sophie von Burow, genannt Effi, das nicht ebenso und hat nach ihrem Rauswurf aus dem Mädchenpensionat vor, die Welt der Universität zu erobern und ein erfülltes, interessantes Leben zu führen.

Anna Morettis Schreibstil ist geprägt von Wortwitz und Charme, lustige Episoden und sachliche Hintergrundinformation greifen schön ineinander und verbinden historische Gegebenheiten mit Romanelementen, sodass viel Information in unterhaltsamer Weise transportiert wird.

Wenngleich auch nicht ständig hochspannende Szenen aneinandergereiht werden, so ist das Buch dennoch immer interessant zu lesen und spiegelt dadurch wohl auch die Zeit wider: angepasst, sittsam und brav hatte ein junges Mädchen zu sein, stricken, sticken und taktvolle Konversation mussten den Tagesablauf bestimmen.

Die einzelnen Personen sind wunderbar bildhaft charakterisiert und zaubern dem Leser mitunter ein Schmunzeln ins Gesicht. (z.B. Frl. Grimaud: den faltigen, putenähnlichen Hals weit vorgereckt...Pos. 271) Klar herausgearbeitet wird auch die Entwicklung, die einige Protagonisten im Laufe der Geschichte durchleben.

Wunderbar abwechslungsreich wird die Erzählung durch die unterschiedliche Sichtweise, die der Leser auf die Ereignisse bekommt: Effi erzählt selbst aus der „Ich-Perspektive“, während Max‘ Eindrücke in Form von Briefen an seinen jüngeren Bruder geschildert werden.

Abgerundet wird das Buch dann noch durch eine informative Aufstellung über medizinische Fortschritte im 19. Jahrhundert und ein sehr ausführliches Nachwort.

Wer einen gelungenen Mix aus sehr gut recherchierten realen Elementen und einer liebevollen Romanhandlung ohne dramatische Aufregung sucht, ist hier bestimmt gut aufgehoben.

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  • Figuren
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Veröffentlicht am 21.07.2019

Dramatische Reise

Die Melodie der Schatten
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Nach dem Tod ihrer Mutter schickt Earl Hemington seine Tochter Fiona als Gesellschafterin zu deren Tante Maud. Doch soll die Kutsche nie dort ankommen. Während eines schrecklichen Überfalls kann sich Fiona ...

Nach dem Tod ihrer Mutter schickt Earl Hemington seine Tochter Fiona als Gesellschafterin zu deren Tante Maud. Doch soll die Kutsche nie dort ankommen. Während eines schrecklichen Überfalls kann sich Fiona als einzige retten und sucht Zuflucht in einem abgelegenen Herrenhaus. Bereits ab ihrer Ankunft ist ihr dort nicht alles ganz geheuer, finstere Schatten schleichen durch die Nacht, der Besitzer ist kalt und abweisend, das wenige Personal wortkarg. Die alten Gemäuer selbst scheinen Schritte, Stimmen und alte Melodien gefangen zu halten, die Fiona nachts quälen. Träumt sie oder verliert sie den Verstand?


Die schottischen Highlands im Jahre 1837 bilden den mystischen und legendenreichen Hintergrund für diesen faszinierenden Roman.

Bereits während der ersten Seiten wird man in den Bann gezogen von Maria W. Peters klarem und feinen Schreibstil. Bald darauf kommen die wundervolle Beschreibung der schroffen, mystischen Landschaft im schottischen Norden dazu sowie die ausgezeichnete Charakterisierung der einzelnen Personen. Deren Zahl hält sich in angenehm überschaubaren Grenzen, sodass man diese umso besser kennen lernt und deren Entwicklung deutlich mitverfolgen kann.

Nach und nach werden einzelne Szenen beleuchtet, die sich erst langsam, dafür aber gekonnt, zu einem Ganzen fügen; Worte entwickeln sich zu schaurigen Bildern und Melodien und lassen den Leser lange darüber im Unklaren, wohin sich alles entwickeln wird. Dadurch erzeugt die Autorin eine stetige Spannung, die sich perfekt in der düsteren Herbstlandschaft widerspiegelt. Viele Details sind liebevoll in das Geschehen eingearbeitet, bemerkenswerte Recherche und wortgewandte Darstellung bilden – wie auch in anderen Büchern von Maria W. Peter – das Fundament für eine dramatische Geschichte.

Trotz des Umfangs bleibt dieses Buch, das sich in zwei große Teile gliedert, stets kurzweilig und unterhaltsam. Bisweilen hält man auch den Atem an, was sich hinter Menschen, die man zu kennen glaubt, alles verbergen kann.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen die ausführlichen Informationen am Schluss: Glossar, schottisch-gälische Redewendungen, Wissenswertes über Geschichte und historische Persönlichkeiten sowie weiterführende Literatur und Stöbertipps runden den Roman ab, der dadurch weit mehr ist als ein einfaches Buch, nämlich ein wahres Leseabenteuer.

Dieses ist nun für mich zu Ende; ich möchte aber hier die wirklich schöne, interessante, aufregende – und vor allem in weiten Teilen nicht vorhersehbare – Reise in die Zeit des alten Schottlands und in die geheimnisvolle Welt der Highlands gerne weiterempfehlen!

Veröffentlicht am 07.07.2019

Wechselbälger - Ein Wechselbad der Gefühle

Kalte Wasser
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Alles beginnt im Krankenhaus, nach einer schweren Geburt von Zwillingsbuben und traumatisierenden Eingriffen: Lauren ist erschöpft und will sich dennoch aufopfernd um ihre beiden Kinder kümmern, als zwischen ...

Alles beginnt im Krankenhaus, nach einer schweren Geburt von Zwillingsbuben und traumatisierenden Eingriffen: Lauren ist erschöpft und will sich dennoch aufopfernd um ihre beiden Kinder kümmern, als zwischen Stillen und Träumen eine finstere Frau vor ihrem Bett steht und sie auffordert, einen Zwilling gegen eines ihrer Kinder zu tauschen – andernfalls würde sie alsbald beide Jungen rauben…


Die junge Mutter kann sich mit den Kindern in Sicherheit bringen und die Polizei verständigen, jedoch nimmt man sie dort vorerst nicht ernst. Nur Jo Harper hat ein komisches Gefühl bei der Sache und forscht tiefer, während Lauren seltsame Erlebnisse widerfahren. Warum erkennt niemand außer ihr die drohende Gefahr? Und wird Harper ihr helfen können?

Melanie Golding entwirft mit diesem Roman ein geschicktes Bild zwischen Alptraum und Realität, zwischen weisem Rat aus früheren Tagen und abgeklärter Wissenschaft. Ebenso wie Lauren weiß der Leser nicht, wem er Glauben schenken soll, wer vertrauenswürdig ist und wer sich hinter einer grausamen Tat verbergen könnte.

Die einzelnen Personen sind klar und deutlich charakterisiert; vor allem Lauren wird schnell eine lebensnahe und lebendige Figur mit all ihren Ängsten und aufgestauten Gefühlen, ihrer Ohnmacht gegenüber dem medizinischem Personal, ihrer mangelnden Durchsetzungskraft gegenüber ihrem Mann und dessen rasch zutage tretendem klassischen Rollendenken und schließlich ihrer herausfordernden Aufgabe als frischgebackene Mutter von Zwillingen. Unglaublich real werde die Probleme im Haushalt geschildert, die recht bald auch die Beziehung zwischen Lauren und Patrick überschatten, die Defizite des Partners, die man bislang nicht gesehen hat oder nicht hat sehen wollen, die unterschiedliche Auffassung über Elternschaft und den Umgang mit den Säuglingen.

Genauso treffend beschrieben ist Joanne Harper, die einzige Polizistin, die aus einem Bauchgefühl heraus Laurens Geschichte respektiert und – trotz Verbots ihres Vorgesetzten – weitere Nachforschungen anstellt.

Spannend bleiben die Ereignisse rund um Lauren bis zum Schluss, nicht zuletzt, weil regelmäßig eingestreute Ausschnitte aus alten Sagen und Legenden über Zwillinge auf die Gefühlswelt der jungen Mutter projiziert werden.

Wer Romane mit Mysteryelementen mag, wird Gefallen an diesem Buch finden.

Veröffentlicht am 05.07.2019

Lange Jahre im Hause Meyer

Jahre aus Seide
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"Jahre aus Seide“ spielt im deutschen Krefeld in der Zeit von 1926 bis 1938. Familie Meyer lebt in wohlverdienten guten Verhältnissen, Mutter Martha kümmert sich mit Kindermädchen und Köchin um ihre beiden ...

"Jahre aus Seide“ spielt im deutschen Krefeld in der Zeit von 1926 bis 1938. Familie Meyer lebt in wohlverdienten guten Verhältnissen, Mutter Martha kümmert sich mit Kindermädchen und Köchin um ihre beiden Töchter Ruth und Ilse, während Vater Karl als Handelsreisender erfolgreich ist.
Doch die Idylle muss nach und nach weichen, das Leben für Juden in Nazizeiten wird immer schwieriger.


Die Erzählung beruht auf einer wahren Begebenheit, Ulrike Renk hat Ruth Meyers Tagebücher aufgearbeitet und sorgfältig recherchiert. So erfährt der Leser viele Details aus dem Alltagsleben der sympathischen Familie, jüdische Gewohnheiten werden erläutert, Familienfeste zelebriert. Die Meyers sehen sich in erster Linie als Deutsche und stufen ihr Judentum eher als Tradition ein, die Familie ist gerne gesehen und auch Christen zählen zum Freundeskreis. Leider wird dieser Darstellung ausschweifend und langatmig Raum geboten, wohl um die „heile Welt“ der jüdischen Gemeinde aufzuzeigen, bevor die „Braunen“ an die Macht kommen. Dabei bleiben die Figuren trotz vielfacher Wiederholung der Alltagsszenen farblos und distanziert, alles scheint zu perfekt. Erst im letzten Drittel kommt mehr Spannung auf, Ruth wird (zu) schnell erwachsen und muss Selbständigkeit und Verantwortung ihrer Familie gegenüber unter Beweis stellen.

Neben einem recht einfachen Schreibstil mit vielen immer wiederkehrenden Sequenzen (selbst im Nachwort, das inhaltlich durchaus interessant ist) führen auch etliche Fehler zu einem stockenden Lesefluss.

Insgesamt ist die Geschichte der Familie Meyer durchaus bewegend und lesenswert, allerdings viel zu langatmig und ausschweifend geschildert. Eine deutliche Straffung könnte hier Abhilfe schaffen. Dennoch bin ich neugierig, wie es Ruth in den folgenden Jahren ergehen wird – ich kann mir trotz aller störenden Mängel vorstellen, irgendwann den zweiten Band zu lesen.