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Veröffentlicht am 22.02.2024

Vater

Yoga Town
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Lucy ist Yogalehrerin und hält gerade einen Kurs ab, als ihr Vater Lou ins Studio platzt und vermeldet, dass Corinna, ihre Mutter und gleichzeitig seine Ex-Frau, verschwunden ist. Kurzerhand beschließen ...

Lucy ist Yogalehrerin und hält gerade einen Kurs ab, als ihr Vater Lou ins Studio platzt und vermeldet, dass Corinna, ihre Mutter und gleichzeitig seine Ex-Frau, verschwunden ist. Kurzerhand beschließen Lucy und Lou, gemeinsam nach Indien aufzubrechen, auf den Spuren einer Reise, welche der Vater bereits im Jahre 1968 mit seinem Bruder und zwei jungen Frauen unternommen hat. Daniel Speck erzählt zwei Geschichten, welche immer mehr zu einer verschmelzen, Hippiezeit, Beatles, Yoga und Selbstfindung sind die abenteuerlichen Zutaten dafür.

Detailreich und lebendig sind die Szenen, realistisch die teils übergriffigen Dialoge insbesondere während der Phasen, in welchen Gras geraucht und LSD konsumiert wird, rasch wechseln die Zeitebenen zwischen Lou in der alten und Lou in der neuen Indienerzählung, wodurch sich manche Verwirrung ergibt. Ein verbeulter VW-Bully, Lieder von den Beatles, Jimy Hendrix oder Cat Stevens (am Ende des Buches gibt es eine übersichtliche Playlist), spiegeln das Streben nach Liebe, Frieden und Freiheit perfekt wider. Allerdings schleicht sich manche Langatmigkeit ins Geschehen, so, als ob man selbst benebelt ist vom Drogenrausch und die zunehmend englischsprachigen Textsplitter stören den ansonsten angenehmen Lesefluss. Die Figuren sind zwar plastisch, aber dennoch kaum greifbar, es ist, als wäre der Leser ein ferner Beobachter der Szenen, Nähe oder gar Mitgefühl kommen kaum auf. Zum Ende hin nimmt die Geschichte aber eine überraschende Wendung, und hier entstehen tatsächlich auch berührende Bilder, welche dieses Buch letztendlich wieder zu einem lesenswerten Erlebnis werden lassen.

Viel Hippie-Rausch, mitreißende Popsongs und energetisierende Shantigesänge umrahmen diese Familiengeschichte, welche trotz einiger Kritikpunkte einen interessanten Blick in den indischen Ashram gewährt.

Veröffentlicht am 20.02.2024

Neufundland trifft Mexiko

Two for the Tablelands
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Sebastian Synard hat sein Leben wieder im Griff – zumindest mit einem Gläschen Whisky und klassischer Literatur. Nach seinem Lehrerdasein hat er nun die Ausbildung zum Privatdetektiv abgeschlossen und ...

Sebastian Synard hat sein Leben wieder im Griff – zumindest mit einem Gläschen Whisky und klassischer Literatur. Nach seinem Lehrerdasein hat er nun die Ausbildung zum Privatdetektiv abgeschlossen und schlittert prompt auf einer Wanderung mit seinem Sohn Nick in seinen ersten richtigen Fall, denn Nick entdeckt eine übel zugerichtete Leiche in der malerischen Natur der Tablelands. Bald stellt sich heraus, dass der Tote ein Geologiestudent ist und Sebastian hört sich um in dessen Universität. Aber auch die Tante des Mordopfers, eine elegante Mexikanerin, hält plausible Theorien parat und lockt Sebastian prompt in den warmen Süden.

Während der Leser im ersten Band dieser skurrilen Krimireihe Sebastian näher kennenlernt, geht es in Teil Zwei gleich nahtlos weiter, man kann aber gewiss auch ganz gut ohne Vorkenntnisse einsteigen. Dass der Privatdetektiv sein Lehrerdasein an den Nagel gehängt hat, geschieden ist und sein Leben mit Sohn Nick und Hund Gaffer teilt, wird jedenfalls erwähnt. Privates wird wohldosiert mit dem Kriminalfall verquickt, in den sich Synard wie selbstverständlich einmischt, sehr zum Missfallen der örtlichen Polizei, denn auch diesmal bringt sich der Alleinermittler in größte Gefahr.

Raue Berge in Neufundland, mexikanisches Flair, ein melancholischer Genießer, der sich aber bestens um seinen halbwüchsigen Sohn kümmert und ein Mordfall in Kreisen der Universität – hochwertige Zutaten für einen kurzweiligen Krimi, der über diverse Umwege letztendlich zum Ziel führt, auch wenn nicht jedes Detail realistisch erscheint. Eine Prise Humor und Selbstironie trösten über sonderbar anmutende Szenen hinweg, gute Unterhaltung ist auch dieser Band allemal, obwohl mir der Vorgänger noch ein wenig besser gefallen hat.

Veröffentlicht am 19.02.2024

Schweres Erbe

Vom Krähenjungen
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Moosbruck ist ein kleines Dorf, jeder kennt jeden, und jeder kennt den See, der nie zufriert, auch im tiefen Winter nicht. Geschichten ranken sich um das Stück Wald mit schwarzer Erde, fernhalten solle ...

Moosbruck ist ein kleines Dorf, jeder kennt jeden, und jeder kennt den See, der nie zufriert, auch im tiefen Winter nicht. Geschichten ranken sich um das Stück Wald mit schwarzer Erde, fernhalten solle man sich von dort, besonders von der kleinen Hütte – und vom Krähenjungen, dem Enkel des Städters, der dazumal die Anna aus dem Dorf geholt hat.

Mystisch mutet dieses moderne Märchen an, die Sprache, derer sich Kettenring bedient ist malerisch, ja fast poetisch, wie sie die weißen Schneedecken der Wiesen beschreibt, welche mit dem schmutzigen Grau des Himmels verschwimmen (kindle, Pos. 64). Sofort bin ich gefesselt von der Geschichte, welche ganz klassisch mit „Es war einmal“ beginnt und eine Familientragödie zum Inhalt hat. Die Erbfolge reicht vom Urgroßvater bis hin zum kleinen Johannes, dem eine schwere Last aufgebürdet wird. Allerdings geht die Autorin knapp und sparsam um mit ihren Worten, nicht alles wird ans Licht gezerrt, sondern bleibt Mutmaßungen überlassen. So bin ich am Ende des Buches nicht sicher, ob ich tatsächlich die Botschaft Kettenrings ganz verstanden habe, ob ich meine Fantasie spielen lassen soll oder ob ich schlicht etwas überlesen habe im Text, denn dem Sog, welcher immer wieder entsteht, sollte man sich nicht bedingungslos hingeben, vielmehr muss man sich konzentriert auf nichts als auf diese Geschichte einlassen.

Fazit: ein bemerkenswertes Buch mit einem beeindruckenden, faszinierenden Schreibstil, welches mich völlig in seinen Bann gezogen hat, auch wenn – für mich – wohl durch die stark verdichtete Handlung noch ein paar Fragen offen geblieben sind.

Veröffentlicht am 18.02.2024

Hoffnungslose Fälle

Stille Falle
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Kriminalinspektorin Leonore Asker, kurz Leo genannt, ermittelt in einem brisanten Vermisstenfall, als sie ganz plötzlich von diesem abgezogen wird und auf Ebene Minus Eins „befördert“ wird als Leiterin ...

Kriminalinspektorin Leonore Asker, kurz Leo genannt, ermittelt in einem brisanten Vermisstenfall, als sie ganz plötzlich von diesem abgezogen wird und auf Ebene Minus Eins „befördert“ wird als Leiterin der „Abteilung für hoffnungslose Fälle und verlorene Seelen“. Wem ist sie auf die Füße getreten, dass sie nun mit einem eigennützigen Schlüsselmeister, einer geschwätzigen Sekretärin, einem tauben Techniker und einem gerüchteweise gewaltbereiten Polizisten zusammenarbeiten muss? Als Leo sich gerade mit der neuen Situation arrangiert, erhält sie Informationen von einem Modelleisenbahnclub, der sie wieder zu ihrer ursprünglichen Ermittlung mit den beiden Verschollenen führt und wo sie nun – unerlaubterweise – wieder aktiv wird.

Vom ersten Moment an fällt einem die fesselnde Schreibweise des Autors auf, sofort wird man in den Bann der Geschichte gezogen, welche einen nicht mehr loslässt, bis man die letzte Seite erreicht hat. Ganz unterschiedliche Figuren treffen hier aufeinander, alle mit Ecken und Kanten, manche mehr, manche weniger skurril, jedenfalls aber in einem gelungenen Mix, der Abwechslung und Spannung verspricht. Daneben entspinnt sich eine überaus interessante Handlung rund um Urban Exploration und verfallende Architektur. Die Atmosphäre von sogenannten Lost Places und Räumlichkeiten im düsteren Untergeschoss mit Ausblick auf einen noch düstereren, nicht begehbaren Innenhof untermalt perfekt die Suche nach Smilla und MM. Falsche Fährten und Trugschlüsse locken nicht nur den neuen Ermittlungschef und Leo, sondern auch den Leser in Sackgassen, langsam spitzt sich die Lage zu und gipfelt in einer fulminanten Auflösung, welche durch logisches Zusammenführen aller Fäden vollends überzeugt. Insbesondere Leos Entscheidung am Ende und ein Anruf in ihrem Büro wecken die Neugierde des begeisterten Lesers, denn nun will man natürlich wissen, was die wackere Kriminalistin beim nächsten Mal erwartet.

Ein hervorragendes Lesewochenende mit Leo Asker, einem auf den ersten Blick chaotischen Team und einem überaus spannenden Fall – das hat mir Anders de la Motte mit Stille Falle jedenfalls beschert. Ich freue mich, dass dieses Buch zu mir gefunden hat und empfehle es sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 17.02.2024

Schweigen

Leuchtfeuer
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Die Geschwister Sarah und Theo sitzen gemeinsam im Buick ihrer Mutter, mit von der Partie ist ihre Freundin Misty. Was als Spaß unter betrunkenen Jugendlichen beginnt, endet in einer Tragödie, ein Mantel ...

Die Geschwister Sarah und Theo sitzen gemeinsam im Buick ihrer Mutter, mit von der Partie ist ihre Freundin Misty. Was als Spaß unter betrunkenen Jugendlichen beginnt, endet in einer Tragödie, ein Mantel des Schweigens wird seitdem über diese denkwürdige Nacht gebreitet. Wie dieses Geheimnis selbst zwanzig Jahre später noch das Leben von Sarah und Theo bestimmt, erzählt Dani Shapiro in diesem Buch.

Alles beginnt mit der Nacht der Autofahrt im Jahre 1985, spannende Szenen wecken die Neugierde des Lesers. Dann wechselt die Autorin abrupt zum Dezember 2010, wo verschiedene Figuren begleitet werden und jeweils einen kurzen Ausschnitt aus ihrem Leben präsentieren. Weiter geht es in flottem Wechsel quer durch unterschiedlichste Zeitabschnitte, insgesamt darf man Szenen von 1970 bis 2020 betrachten, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern vielmehr wie zufällig hingeworfene Schnipsel, die erst ihren Platz im gesamten Puzzle finden müssen. Dies passt gut zu Waldos Theorie, dass alles im Universum zusammengehört, dass jedes Ereignis selbst wieder zahllose andere Ereignisse beeinflusst. So weit, so gut. Die vorgestellten Figuren sind interessant, auch wenn sie immer wieder nur für einen kurzen Abschnitt ins Bild kommen, die grobe Handlung ist ansprechend, obwohl sie eher aus Blitzlichtern als aus zusammenhängenden Szenen besteht. Und hier setzt auch schon meine Kritik an, denn es fehlen etliche Jahre nach 1985, die mich sehr interessiert hätten. Was ist mit Sarah und Theo direkt danach passiert, was mit ihren Eltern? Vergessen und Schweigen unter den Protagonisten finden sich sinnbildlich im Buch als Lücke wieder. Zusammenhalt bietet nur der „galaktische Superhaufen“, mit dem sich der Nachbarbursche Waldo etliche Jahre später schon in seinen Kindheitstagen beschäftigt und damit zum Außenseiter abgestempelt wird.

Spannende Grundgedanken, chaotische Zeitsprünge, viele offene Fragen, durchaus aber auch einige sympathische Figuren in einem recht ungewöhnlichen Rahmen – das bleibt mir von „Leuchtfeuer“ im Gedächtnis.