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Veröffentlicht am 07.05.2020

Die Liebe stellt keine Fragen, sie passiert einfach

Wie uns die Liebe fand
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In Claire Stihlés Debütroman „Wie uns die Liebe fand“ blickt die 92jährige Madame Nanon auf ihr Leben im fiktiven Ort Bois-de-Val im Elsass zurück. Nach dem frühen Tod ihres geliebten Mannes Bernard hat ...

In Claire Stihlés Debütroman „Wie uns die Liebe fand“ blickt die 92jährige Madame Nanon auf ihr Leben im fiktiven Ort Bois-de-Val im Elsass zurück. Nach dem frühen Tod ihres geliebten Mannes Bernard hat sie ihre vier Töchter allein aufgezogen. Als Ich-Erzählerin berichtet sie schwerpunktmäßig über eine Phase 40 Jahre zuvor, also über das Jahr 1979, als ihre Töchter Coraline, Chloé, Anne und Marie 10-20 Jahre alt waren. Die Älteste hat in dem Algerier Malou ihre große Liebe gefunden, die jüngere Tochter Anne kommt wenig später mit Jérôme zusammen. Dann passieren große Veränderungen im Leben der Familie. Der Nachbar Monsieur Boberschram überlässt ihnen seinen heruntergekommenen Lebensmittelladen, und Malou stellt mit Marie zusammen Liebesbomben her, die zu einem großen Verkaufserfolg werden und das Leben der Dorfbewohner entscheidend verändern. Madame Nan hat sich in ihren Nachbarn verliebt, der sich ihr gegenüber jedoch sehr distanziert zeigt. Als sie es mit den Liebesbomben versucht, passiert eine Panne. Zwischen ihnen stehen jedoch auch Ereignisse aus der Vergangenheit, die Monsieur Boberschram sein Leben lang belastet haben. Erst als er sich ihr offenbart, kann sich etwas ändern.
Die Autorin erzählt eine interessante, berührende Geschichte, in der sie den Leser immer wieder direkt anspricht (…, „das kann ich Ihnen sagen“ oder „Das hätten Sie mal sehen sollen“). Der Roman besticht durch die Darstellung des familiären Zusammenhalts ebenso wie durch das elsässische Ambiente mit Dialektausdrücken und Rezepten aus der regionalen Küche. Die Autorin lässt aber auch die wechselvolle Geschichte des Elsass nicht aus – gehörte dieser Landstrich doch abwechselnd zu Frankreich und zu Deutschland, erlebte die Besatzungszeit und die nachfolgenden gegen Kollaborateure gerichteten Säuberungsaktionen. Ein schönes, einfühlsam erzähltes Buch.

Veröffentlicht am 03.05.2020

Die Gier nach Geld und Besitz

Die Herren der Zeit
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Mit „Die Herren der Zeit“ legt Eva García Sáenz den dritten Band ihrer Trilogie um Inspector Unai López de Ayala, genannt Kraken und seine Kollegin Inspectora Estíbaliz Ruiz de Gauna, genannt Esti sowie ...

Mit „Die Herren der Zeit“ legt Eva García Sáenz den dritten Band ihrer Trilogie um Inspector Unai López de Ayala, genannt Kraken und seine Kollegin Inspectora Estíbaliz Ruiz de Gauna, genannt Esti sowie ihre Chefin Subcomisaria Alba Díaz de Salvatierra, die zugleich Unais Lebensgefährtin und Mutter ihrer Tochter Deba ist. Genau an dem Abend, an dem der Roman eines unbekannten Autors vorgestellt wird, der den Titel des vorliegenden trägt, geschieht am Veranstaltungsort der erste Mord. Eine Serie wird folgen, ohne dass die Polizei dies verhindern kann. Alle Morde passieren nach dem Muster der Romanvorlage, aber was verbindet die Taten und die Opfer? Der Profiler Kraken und die Viktimologin Esti tappen lange im Dunkeln und geraten während der Ermittlung selbst in Gefahr. Der Inspektor klärt am Ende nicht nur die Morde auf, sondern findet auch heraus, dass er als ein López de Ayala ein Nachfahre eines der erwähnten Adelsgeschlechter ist.
Der gut recherchierte, detailreiche Roman, der zugleich Thriller und historischer Roman ist, macht den Leser mit den Geschehnissen im 12. Jahrhundert bekannt. Er zeigt die Kämpfe zwischen verfeindeten Königshäusern, die Rivalität adliger Familien um vom König verliehene Privilegien und die Lebensbedingungen der kleinen Leute, denen unter der Last der Abgaben kaum genug zum Leben bleibt. Im Mittelpunkt der Ereignisse steht die verlustreiche Belagerung Vitorias. Es zeigt sich, dass das verbindende Element zwischen beiden Handlungssträngen die Gier nach Geld und Besitz ist.
Mir hat auch der dritte Roman gut gefallen, obwohl er sich wegen seiner Detailfülle und der Vielzahl von Personen und Schauplätzen nicht ganz leicht lesen lässt. Die Struktur des Buches ist mit dem Roman im Roman ungewöhnlich raffiniert und gelungen. Einen dermaßen anspruchsvollen Thriller habe ich noch nicht gelesen. Sehr empfehlenswert.

Veröffentlicht am 03.05.2020

Wenn Politik und Ökonomie mehr zählen als der Mensch

Ich bleibe hier
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Vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Südtirols, das erst den Faschismus und gleich danach die Naziherrschaft erlebte, erzählt Marco Balzano in seinem Roman „Ich bleibe hier“ von einer Familie ...

Vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Südtirols, das erst den Faschismus und gleich danach die Naziherrschaft erlebte, erzählt Marco Balzano in seinem Roman „Ich bleibe hier“ von einer Familie aus dem Bergdorf Graun im Vinschgau in Südtirol. Trina und Erich leben dort auf ihrem Hof mit ihren Tieren. Trina hatte ursprünglich gehofft, als Lehrerin arbeiten zu können, aber dann siedelt Mussolini eine große Zahl von Italienern in die deutschsprachige, von Italien annektierte Region um, und Deutsch wird zu einer verbotenen Sprache. Trina kann nur noch heimlich in Katakombenschulen unterrichten - ein gefährliches Unterfangen. Dann schließen Hitler und Mussolini den „Große Option“ genannten Vertrag, nach dem die deutschsprachigen Südtiroler entweder ins Deutsche Reich auswandern oder Diskriminierung und Repressalien durch die Faschisten in Kauf nehmen müssen. Auch Trinas und Erichs Familie wird durch die politischen Verhältnisse auseinandergerissen. Trina und Erich bleiben und organisieren in der Folge auch den Widerstand gegen den geplanten Bau eines Staudamms in ihrem Tal. Nur wenige sind bereit zu kämpfen, zumal das Staudammprojekt über einen langen Zeitraum immer wieder ins Gespräch gebracht, aber nie verwirklicht wurde. Ein Energiekonzern, der den Bau mit Schweizer Millionen um jeden Preis durchsetzen will, informiert die Bevölkerung schlecht oder gar nicht und setzt sich durch. Die Bauern verlieren ihre Heimat und Existenzgrundlage und werden mit einem lächerlichen Betrag abgespeist. 163 Häuser werden dem Erdboden gleich gemacht, und 523 Hektar fruchtbares Ackerland für immer vernichtet.
Der Autor hat eine bewegende, gut recherchierte Geschichte über zum Teil wenig bekannte Ereignisse geschrieben, die den Leser angesichts der Zerstörung der Natur und der Unterordnung des Menschen unter politisch-ökonomische Interessen traurig macht. Es ist nicht angemessen, begeistert den aus dem See ragenden Kirchturm von Graun zu fotografieren und den Machtmissbrauch und die Brutalität gegenüber den Menschen - nicht zu vergessen die zahlreichen Opfer der Baumaßnahme selbst - zu ignorieren. Der Roman hat mich sehr beeindruckt.

Veröffentlicht am 02.05.2020

Eine schwere Bürde

Die Bagage
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In „Die Bagage“ begibt sich die Autorin Monika Helfer auf die Spurensuche nach ihrer eigenen Herkunft. Die Geschichte beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts. Josef und Maria Moosbrunner leben am Rande eines ...

In „Die Bagage“ begibt sich die Autorin Monika Helfer auf die Spurensuche nach ihrer eigenen Herkunft. Die Geschichte beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts. Josef und Maria Moosbrunner leben am Rande eines Bergdorfs – räumlich und gesellschaftlich ausgegrenzt, denn sie sind sehr arm. Man nennt sie die „Bagage“, eine Anspielung auf den Beruf des Urgroßvaters, der für die Bauern Heuballen schleppte. Josef ist ein stattlicher Mann, mit dem sich niemand anlegt, Maria eine außergewöhnlich schöne Frau. Alle Männer des Dorfes begehren sie, die Frauen hassen sie. Als Josef zu Beginn des Ersten Weltkriegs eingezogen wird, gibt er Gottlieb Fink, dem Bürgermeister, der auch sein Partner bei etwas dubiosen Geschäften ist, den Auftrag, während seiner Abwesenheit auf seine Frau aufzupassen. Der Bürgermeister übernimmt die Aufgabe, wobei er seinen eigenen Vorteil nicht aus den Augen verliert. Er versorgt die Familie mit Lebensmitteln, wird aber öfter zudringlich. Bei einem Marktbesuch verliebt sich Maria in Georg aus Hannover, der sie zweimal besucht. Nach einem Fronturlaub von Josef wird Maria schwanger, und alle im Ort sind sich sicher, dass das Kind nicht von Josef sein kann. Alle wenden sich von Maria ab, und der Pfarrer und der Lehrer der Kinder beschimpfen sie öffentlich als Hure. Margarete genannt Grete wird als 5. Kind der Moosbrunners geboren. Als Josef 1918 aus dem Krieg zurückkehrt, erfährt er von den Gerüchten und glaubt seiner Frau nicht, dass Grete seine Tochter ist. Josef wird Grete niemals ansehen, ansprechen oder berühren.
Das Besondere an dieser Situation ist, dass Grete die Mutter der Autorin ist. Monika Helfer will ihre Herkunft kennen. Ihre Hauptinformationsquelle ist ihre Tante Katharina, die ihre Geschwister nach dem frühen Tod der Eltern betreute. Auch Grete starb früh, und wieder ist es die Tante, die ihre vier Kinder aufnimmt, als die Autorin 11 Jahre alt ist. Ihre Erinnerungen und Geschichten aus der Familie gibt sie allerdings erst gegen Ende ihres Lebens preis.
Die Autorin berichtet als Ich-Erzählerin, welche Bürde die Mitglieder dieser weitverzweigten Familie über Generationen tragen. Sie erzählt nicht streng chronologisch, sondern mit vielen Zeitsprüngen. Der kurze Roman, der auch die zum Teil von traurigen Ereignissen überschatteten Lebenswege von Gretes Geschwistern und deren Familien umfasst, sowie den tragischen Verlust ihrer eigenen Tochter Paula durch einen Bergunfall im Alter von 21 Jahren, ist sehr beeindruckend, nicht zuletzt durch die von Dialektausdrücken durchsetzte Sprache. Sie musste ihre Geschichte aufschreiben, um Ordnung in das Chaos zu bringen und die Erinnerung an all die Toten zu bewahren. Mir hat dieser zu Recht hochgelobte Roman sehr gefallen.

Veröffentlicht am 24.04.2020

Lügen und Geheimnisse

VERGESSEN - Nur du kennst das Geheimnis
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In Claire Douglas´ neuem Roman „Vergessen“ (Originaltitel „Do Not Disturb“, nicht „Then She Vanishes“) verlässt Ich-Erzählerin Kirsty, 35 mit ihrem Mann Adrian und den Töchtern Amelia, 11 und Evie, 6 London, ...

In Claire Douglas´ neuem Roman „Vergessen“ (Originaltitel „Do Not Disturb“, nicht „Then She Vanishes“) verlässt Ich-Erzählerin Kirsty, 35 mit ihrem Mann Adrian und den Töchtern Amelia, 11 und Evie, 6 London, um in ihrer alten Heimat Wales einen Neuanfang zu wagen, nachdem Adrian ein Jahr zuvor einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Die Familie hat mit Hilfe ihrer Mutter ein heruntergekommenes ehemaliges Pfarrhaus gekauft, um es unter großem Aufwand in ein Gästehaus zu verwandeln. Sie sind als Fremde nicht willkommen im Dorf, und der Anfang ist für alle sehr schwer. In der Eröffnungswoche kommen nicht nur die ersten Gäste, sondern auch Kirstys Kusine Selena, die sie seit ihrem 18. Lebensjahr nicht mehr gesehen hat, seit es unter sehr unerfreulichen Umständen zum Bruch kam. Kirstys Mutter, die all die Jahre Kontakt zu ihrer Nichte hatte, war bereit, Selena und ihrer 7jährigen Tochter Ruby Unterschlupf zu gewähren. Zwischen Kirsty und Selena kommt es zu einer allmählichen Annäherung, und alle kümmern sich liebevoll um die kränkelnde Ruby.
Diese erste Zeit verläuft allerdings nicht harmonisch und problemlos - weder für die Besitzer noch für die Gäste. Es passieren unerklärliche Dinge, und es wird so oft auf die negative Energie dieses Hauses hingewiesen, in dem in der Vergangenheit furchtbare Dinge passiert sind, dass ich schon eine Spukgeschichte befürchtet habe. Zu allem Überfluss gibt es eine Tote, und es sieht nicht nach einem Unfall aus. Die Polizei ermittelt. Nacheinander geraten fast alle Personen im Haus in Verdacht, von denen jeder Motiv und Gelegenheit hatte. Es kommen immer mehr Geheimnisse aus der Vergangenheit und Gegenwart ans Licht. Die Wahrheit kennen am Ende nur wenige Personen und der Leser. Der Plot wird zwar in der zweiten Hälfte des Romans spannender, weil man nach all den falschen Fährten wissen will, was passiert ist und warum, aber die Handlung wirkt dennoch zunehmend wirr und wenig plausibel. Die Autorin packt zu viel in diese Geschichte: Depression und Selbstmord, Erpressung, eine überbehütende Mutter, die zugleich eine pathologische Lügnerin ist, das Münchhausen-Stellvertretersyndrom, Missbrauch und Mord. Der fehlerhafte und irreführende Klappentext ist da auch nicht hilfreich. Nicht „die“ Wahrheit von damals kommt endlich ans Licht, sondern fast alle haben hier etwas zu verbergen, und manche Dinge dürfen auch am Ende nicht bekannt werden.
“Vergessen“ ist für mich kein Meisterwerk. Ich erinnere mich, dass mir „The Sisters“ vor Jahren wesentlich besser gefallen hat.