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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.01.2019

Durch Charakterstudie gehemmt

Kleine Feuer überall
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Shaker Heights ist als Vorort von Cleveland, Ohio, eine Reißbrett-Idylle für wohlhabende Leute. Das Leben dort unterliegt gesellschaftlichen Zwängen, es wirkt vorbestimmt, ist geprägt von einer gewissen ...

Shaker Heights ist als Vorort von Cleveland, Ohio, eine Reißbrett-Idylle für wohlhabende Leute. Das Leben dort unterliegt gesellschaftlichen Zwängen, es wirkt vorbestimmt, ist geprägt von einer gewissen Gleichmacherei, alles ist darauf ausgerichtet, dass die nächste Generation ebenfalls eine Karriere hat. Also, Highschool, Elite-College und Elite-Uni. Auf diesem Weg wird man maximal unterstützt. Aber wehe, man passt nicht ganz ins Schema. Als Blitzableiter erntet man dann sämtlichen Groll, den alle unterschwelligen Probleme verursachen.

Mich hat die Konstellation der vielen Hauptcharaktere sehr stark die 90er Jahre Serie „Beverly Hills 90210“ erinnert. Es gab jeweils einen männlichen und einen weiblichen Schönling, einen Nerd und und eine Rebellin. Allesamt sind sie Kinder der Familie Richardson. Um das 90210-Bild zu vervollständigen gibt es noch Pearl, die in einer Mietwohnung lebt. Sie vervollständigt die Gruppe als finanziell gesehen „Arme“, aber intellektuelle Persönlichkeit. Lange Zeit schien es, als würde sich Celeste Ng in der Beschreibung dieser Charaktere und ihrer täglichen Handlungen verlieren. Deshalb habe ich mich auch eine ganze Weile mit der Geschichte schwer getan.

Nach meinem Empfinden nimmt die eigentliche Handlung erst in der zweiten Hälfte des Buches Fahrt auf, die mir dann auch ziemlich gut gefallen hat. Celeste Ng spricht gesellschaftspolitische Probleme wie Rassismus und Ungleichverteilung von arm und reich an. Sie zeigt auf, wie Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten mit einer Notlage umgehen, was sie als Notlage empfinden und was sie zu tun bereit sind, um ihr Problem zu lösen. Sie beleuchtet dabei sehr intensiv die jeweiligen Gefühlslagen der Charaktere.

Am nächsten bin ich Mia gekommen. Als Künstlerin ist sie ständig auf der Suche nach neuen Inspirationen. Mit ihrer Tochter Pearl zieht sie quer durchs Land von Ort zu Ort. Sie lebt so viel wie möglich ihren Traum, mit künstlerischer Fotografie Statements zu setzen. Dafür ist sie bereit, mehreren schlecht bezahlten Nebenjobs nachzugehen. Durch ihr Geheimnis ist sie allerdings auch immer ein bisschen auf der Flucht.

Die Charaktere der Familie Richardson haben mich bis auf die rebellische Izzy überhaupt nicht berührt. Izzy mit ihren „Macken“ ist für mich das Ergebnis von zu viel Liebe und Zuneigung. Ihre Eltern sind kurz davor, ihr eigenes Kind damit zu erdrücken. Das alles nur aus Angst, Izzy könnte etwas zustoßen.

Insgesamt war „Kleine Feuer überall“ okay, aber auch nicht mehr. Die Charakterstudie war mir einfach zu umfangreich. Die Parallelen zu Beverly Hills 90210 waren mir persönlich zu stark.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Spricht mir aus der Seele

Die Schönheit der Nacht
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Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe meinen Ehemann und meine beiden reizenden Kinder über Alles. Für nichts auf der Welt würde die Drei eintauschen. Unser Zusammenleben ist mit all den kleinen, ...

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe meinen Ehemann und meine beiden reizenden Kinder über Alles. Für nichts auf der Welt würde die Drei eintauschen. Unser Zusammenleben ist mit all den kleinen, täglichen Unwegbarkeiten, die das Leben so mit sich bringt, nahezu perfekt. Ich bin jedoch eine Meisterin im Hinterfragen, mich selbst, meine sogenannte Karriere, Ansätze von Kindererziehung und vieles mehr. Manchmal beneide ich Menschen, die ein anderes Leben führen, weil sie es scheinbar einfacher haben oder weil sie für dies oder jenes Zeit haben.

Da geht es mir ähnlich wie Claire, der Verhaltensforscherin, mit deren Charakter ich mich am meisten identifizieren kann. Claire musste sehr früh in ihrem Leben einen Teil ihres Frau-Seins aufgegeben, um Mutter zu sein, ihre Konzentration von sich auf ihren Sohn, Nicolas, lenken. Unbeschwertheit im Leben wich Vernunft, Verantwortung und Sorge. Das geht wohl jeder Frau, die zur Mutter wird, so. Durch ihr Kind war sie dann auch an dessen Vater Gilles gebunden. Claire zweifelt, ob alle ihre Entscheidungen gut für sie waren. Sie glaubt, in ihrem Leben festgefahren zu sein, wie „versteinert“ zu sein. Als Verhaltensforscherin ist sie aus meiner Sicht doppelt bestraft, da sie fachlich in der Lage ist, jede ihrer Gefühlslagen zu deuten und dies dann zwangsläufig auch allzuoft tut.

Julie, die neunzehnjährige Freundin des erwachsenen Nicolas, verkörpert die schüchterne, unentschlossene Jugend, der noch alle Türen offen stehen, die nur den ersten Schritt ins selbstverantwortliche Leben wagen muss. Sie ist der vorgehaltene Spiegel, der Claire einen bewussten Rückblick in ihre eigene Vergangenheit gestattet. Julie bringt fast vergessene Erinnerungen wieder zum Vorschein.

Claire und Julie, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten, sich doch aber auch so ähnlich sind, beäugen sich zunächst distanziert, tauschen Nicolas zu Liebe gehemmt Höflichkeiten aus, bis sie akzeptieren können, was sie unterbewusst schon längst wissen.

Die sprachliche Gewalt dieses wundervollen Romans rollt in Wellen auf den Leser zu, spült ihn mit sich fort in die Gedanken- und Gefühlswelt der beiden Protagonistinnen und spuckt einen mitten im eigenen Leben wieder aus. Nina George hat mich als Leser so gekonnt mitgenommen, dass ich schon nach kurzer Zeit die Rolle der Claire gedanklich angenommen habe. Nach dem Lesen bleibe ich nachdenklich zurück, fühle mich allerdings nicht mehr so allein mit meinem Drang zum Hinterfragen.

Leseempfehlung: Ich möchte die „Schönheit der Nacht“ Frauen, aber insbesondere Müttern, als Lektüre an Herz legen.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Hommage an das Lesen

Das Mädchen, das in der Metro las
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In jeder Zeile dieses Romans schwingt die Liebe zu Büchern, zu Geschichten, zu gedanklichen Ausflügen in eine Phantasiewelt mit.

Das Bild, das im Roman von Buchliebhabern gezeichnet wird, ist schon von ...

In jeder Zeile dieses Romans schwingt die Liebe zu Büchern, zu Geschichten, zu gedanklichen Ausflügen in eine Phantasiewelt mit.

Das Bild, das im Roman von Buchliebhabern gezeichnet wird, ist schon von außen auf dem künstlerisch gestalteten Cover zu sehen. Überall sind chaotisch wirkende Stapel von Büchern positioniert. Die so entstandenen Gebilde drohen bei der geringsten Erschütterung einzustürzen. So ähnlich sieht es wohl bei vielen von uns aus, zumindest überquellende Regale dürfte der ein oder andere kennen. Wichtige Gegenstände der Geschichte wie Kaffeetasse, Schal und Stifte sind ebenfalls präsent.

Juliette wirkt zu Beginn der Geschichte irgendwie ausgebremst vom Leben, langweiliger Job in einer Immobilienagentur, trostlose kleine Wohnung in der Nähe. Dabei hätte sie eigentlich Potential gehabt, aber eine zu ängstliche Mutter und demotivierende Lehrer haben das wohl verhindert. Das einzig Positive in Juliettes Dasein ist das allumfassende Leseerlebnis. Dazu gehört neben dem Lesen an sich die Wahrnehmung, was das Lesen in Gleichgesinnten auslöst. Irgendwie scheinen ihre Bücher Juliette zu dem schrulligen Soliman zu führen, der ihr die Augen für Ihre eigentliche Berufung öffnet.

Ich hatte den Eindruck, dass Christine Féret-Fleury unbedingt all ihre Lieblingsbücher hier wenigstens einmal nennen wollte. Das war für mein Empfinden etwas zu viel. Abgesehen von diesem Schönheitsfehler war ich ziemlich begeistert von ihrem Roman. Es war die schönste denkbare Reise mit der Pariser Metro, die ich mir vorstellen kann, sehr poetisch mit malerisch formulierten Bildern.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Grandios, doch Nichts für schwache Mutterherzen

NACHTWILD
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Gefährlich, von innerer Zerrissenheit geprägt, ein Thriller wie ein Pferderennen, ein Thriller der den Namen wirklich verdient. Das ist Nachtwild. Er spielt mit den Urängsten einer jeden Mutter.

Das ...

Gefährlich, von innerer Zerrissenheit geprägt, ein Thriller wie ein Pferderennen, ein Thriller der den Namen wirklich verdient. Das ist Nachtwild. Er spielt mit den Urängsten einer jeden Mutter.

Das schönste und wertvollste Geschenk, das eine Frau je bekommen kann, ist ein eigenes Kind. Jedoch weckt ein Kind Instinkte in einer Frau, die sie zur Mutter transformieren. Ein Zurück gibt es nicht. Eine Mutter kann nie wieder nur Frau sein.
Dazu gehört die unheimlich starke Angst, das eigene Kind zu verlieren oder dass ihm etwas zustoßen könnte. Für ein Kind stellt man ohne Reue eigene Bedürfnisse zurück. Ein Großteil der Energie wird darauf verwand, dem Kind den Weg ins Leben zu ebnen. Keinesfalls möchte ich hier die Väter ausschließen, ihnen wird es ähnlich gehen, aber durch die Schwangerschaft bleibt ein Kind meiner Ansicht nach auch immer ein körperlicher Teil der Mutter.

Genau so liebt Joan ihren Sohn Lincoln. Sie geht mit ihm so oft wie möglich in den Zoo, gibt ihm damit Gelegenheit an der frischen Luft zu spielen. Sie beschäftigt sich mit ihm, unterstützt ihn in jeder seiner Spielphasen, egal, ob er nun gerade Dinosaurier oder Superhelden mag.
An einem nahezu perfekten Zootag fallen, kurz bevor Joan und Lincoln nach Hause müssen, Schüsse. Als Joan begreift, was gerade passiert ist, mutiert sie zur Bärenmutter. Ihr Körper versetzt sich in Alarmbereitschaft, Joan ergreift jede erdenkliche Maßnahme zum Schutz ihres Kindes. Nur die Unversehrtheit ihres Sohnes zählt. Alles andere ordnet Joan diesem Ziel unter, andere potentielle Opfer, eigenen Schmerz und noch viel mehr.

Als Mutter wurde ich schon nach den ersten Seiten mitten ins Geschehen gerissen. Ich konnte mich mit jeder von Joans Gefühlslagen identifizieren. Ihre Entscheidungen waren für mich 1:1 nachvollziehbar, ihre innere Zerrissenheit und das Abwägen der Alternativen ebenfalls. Joan hat genau so reagiert wie ich es von mir in meiner Vorstellung bei einem solchen Szenario glaube.

Für mich war Nachtwild ein grandioser Thriller, den ich am liebsten gar nicht aus der Hand gelegt hätte. Er hat mich gefesselt, hat mir Aufregung und Herzklopfen bereitet.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Nirgends richtig zu Hause

Häuser aus Sand
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„Häuser aus Sand“ ist eine politische Geschichte, die die wohlhabende Palästinensische Familie Yacoub bei ihrer Flucht vor dem Krieg über Generationen hinweg begleitet. Ausgehend von ihrer Heimat Jaffa ...

„Häuser aus Sand“ ist eine politische Geschichte, die die wohlhabende Palästinensische Familie Yacoub bei ihrer Flucht vor dem Krieg über Generationen hinweg begleitet. Ausgehend von ihrer Heimat Jaffa müssen die Yacoubs zunächst nach Nablus, dann nach Kuwait und nach Amman in Jordanien fliehen. Ab der 3. Generation leben Teile der Familie sogar in Paris und Boston. Da die Familie finanziell gut betucht ist, ist die Flucht jedoch eher mit einem Umzug oder mit einem Weiterziehen vergleichbar. Ein neues Haus, neue Einrichtungsgegenstände werden angeschafft. Neue Hausmädchen werden eingestellt. Das Leben geht weiter.

Obwohl arabisch gesprochen wird, werden die Yacoubs auch an ihren Wohnorten im Nahen Osten aufgrund ihres „Dialekts“ als Fremde identifiziert und entsprechend behandelt. Deshalb fällt es ihnen schwer, richtig Fuß zu fassen. Durch ihr dauerhaftes Leben im Ausland nehmen sich die Yacoubs auch den jeweiligen Lebensstil im Land an. Schleichend und unbemerkt verändern sich die Yacoubs in ihrem Habitus. Somit weichen die späteren Generationen so stark von ihren Landsleuten ab, dass sie auch in Palästina als Fremde empfunden werden.

Als gesellschaftskritische Betrachtung setzt sich „Häuser aus Sand“ über die Flucht hinaus mit der Veränderung der Haltung der Muslime im Glauben und dem Einfluss der westlichen Welt auf den „Erziehungserfolg“ bei den Kindern auseinander. Auch fernab von der europäischen Kultur findet dem entsprechend eine Verrohung der Gesellschaft statt, wenn auch das Ausmaß ein anderes ist.

Alia ist als die Jüngste der 2. Generation das Familienmitglied, das die gesamte Geschichte miterlebt. Während ihrer aufmüpfigen Kindheit als Nesthäkchen hat sie ihrer Familie einigen Kummer bereitet. Deshalb mochte ich sie als Kind nicht so gern. Nach ihrer Hochzeit mit Atef ist ihr Leben von heftigen Turbulenzen gekennzeichnet. Dennoch hält Alia immer die Familie zusammen. Sie erträgt ihr schwieriges Schicksal ohne sich zu beklagen, versucht das Beste daraus zu machen. Dafür habe ich Alia dann bewundert.

An dem Roman hat mir der Blick hinter die Kulissen der Palästinensischen Familie besonders gut gefallen. Man erkennt, was man eigentlich weiß, was allerdings die mediale Berichterstattung vollständig ausblendet, nämlich dass auch Palästinenser oder dass auch Muslime neben dem politischen Konflikt ganz normale Problemchen wie eine krumme Nase oder Übergewicht haben. Als weiterer Pluspunkt verleihen die eingestreuten arabischen Worte dem Roman zusätzlich Authentizität.
Durch das Beschränken der Geschichte auf die wichtigsten Stationen der Familie mit mehrjährigen Lücken dazwischen und durch spontane Gedankensprünge und Rückblicke wird die Aufmerksamkeit des Lesers stark beansprucht. Auch wenn mir dieser Erzählstil gefallen hat, könnte ich mir vorstellen, dass er nicht jedermanns Sache ist.

Fazit: Empfehlung an alle, die auch beim Lesen gern eine Herausforderung annehmen.