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Veröffentlicht am 08.11.2020

Entwurzeltes Leben

Ada
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Der Sprung in die Geschichte gelingt mit Ada‘s Entscheidung für psychologische Hilfe. Zunächst war mir die Notwendigkeit eines Psychiaters ein Rätsel. Mit dem Lesen wurde dieses anfänglich fehlende Verständnis ...

Der Sprung in die Geschichte gelingt mit Ada‘s Entscheidung für psychologische Hilfe. Zunächst war mir die Notwendigkeit eines Psychiaters ein Rätsel. Mit dem Lesen wurde dieses anfänglich fehlende Verständnis dann sukzessive aufgelöst. Wir folgen Ada in ihre Vergangenheit und lernen eine innerlich zerrissene Frau kennen. Bereits aus „Der Apfelbaum“ waren mir die Flucht nach Argentinien und die Lebensumstände für Ada und ihre Mutter dort bekannt. Schön war hier der Perspektivwechsel, da wir nun Ada als Ich-Erzählerin haben und ihre Sicht aufs Geschehen lesen können.

Mit diesem Wechsel der erzählenden Figur ändert sich auch der Sprachgebrauch. Während im Apfelbaum doch eher die gehobene Sprache der aus einer intellektuellen jüdischen Familie stammenden Sala zum tragen kommt, ist es nun Ada‘s lockere von Berliner Schnodderigkeit beeinflusste Ausdrucksweise, die uns entgegen schlägt. Dadurch wird für mein Empfinden Ada‘s rebellierender Charakter perfekt herausgearbeitet.

Ada hat es nicht leicht in ihrem Leben. Die ersten Jahre wächst sie in Argentinien ohne Vaterfigur auf, bei einer Mutter, die sie eigentlich nicht haben wollte. Viel Aufmerksamkeit bekommt Ada nicht, ist doch die Mutter voll damit beschäftigt, für den Lebensunterhalt zu sorgen. So beschränkt sich ihr Kümmern um Ada auf Kritik. Nach der Rückkehr nach Berlin und dem Wiedereintritt von Otto als Vater in die Familie tritt für Ada auch keine emotionale Verbesserung ein. Schnell wird ein neues Kind „Sputnik“ geboren, das nun im Mittelpunkt steht. Zudem ist das Leben vom großen Schweigen gekennzeichnet. Über die Vergangenheit wird nicht gesprochen, an/in den Erinnerungen der Erwachsenen wird nicht (herum)gerührt, erklärt wird der nachfolgenden Generation nichts. Ada‘s Gefühl, ein Unfall und damit unerwünscht zu sein, bleibt, nimmt sogar noch zu.

So begleiten wir Ada im West-Berlin der Zeit des Wirtschaftswunders, Mauerbaus und durch die 68er-Bewegung. Als weiteres historisches Ereignis wird der Mauerfall 1989 thematisiert. Die Lücke dazwischen ist recht groß, lässt Fragen in Ada‘s Leben offen. So hoffe ich auf einen dritten Roman, der genau diese Lücke schließt.

Mir hat Ada sehr gut gefallen. Wie auch schon beim Vorgänger kann ich das Lesen nur empfehlen.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Herzzerreißender Zeitzeugenbericht

Bis wir uns wiedersehen
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Catherine Bailey gewährt uns einen Einblick in die grauenhaften Machenschaften des Nationalsozialismus. Der thematisierte überbordende Massenmord an Häftlingen in den Konzentrationslagern sowie die sadistisch ...

Catherine Bailey gewährt uns einen Einblick in die grauenhaften Machenschaften des Nationalsozialismus. Der thematisierte überbordende Massenmord an Häftlingen in den Konzentrationslagern sowie die sadistisch motivierte körperliche und psychische Quälerei ebendieser sind nur zwei Oberbegriffe für einen Facettenreichtum an brutalen Handlungen, die nicht annähernd wahrnehmbar machen, was im Zweiten Weltkrieg an Missetaten begangen worden ist.

Lesend begleiten wir Fey von Hassell, die nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 aufgrund der Beteiligung ihres Vaters in Sippenhaft gerät. Nachdem man ihr die beiden Kinder entzogen und sie mehrere Wochen in einer Gefängniszelle eingepfercht hatte, beginnt ihre Odyssee durch das gesamte Reich. Gemeinsam mit Angehörigen der Familien Stauffenberg, Goerdeler und weiteren wird sie von einem Konzentrationslager ins nächste überstellt. Nie ist bekannt, wohin es geht, wie lange man dort verweilen wird, ob eine Hinrichtung droht.

Die Autorin trägt die verstörenden Erlebnisse der Sippenhäftlinge so nah an den Leser heran, dass er nicht anders kann, als körperliche Reaktionen zu zeigen. Zeitweise bestimmten schlimmes Herzklopfen und ein starkes Beklemmungsgefühl mein Lesen, so intensiv war die beängstigende Aufruhr in mir. Darüberhinaus bebt Catherine Bailey das Besser-gestellt-Sein der Sippenhäftlinge gegenüber den gewöhnlichen Häftlingen hervor. Die Bedeutung dessen entbehrt jeglicher menschlichen Vorstellungskraft.

Nicht ganz genrerein kann man „Bis wir uns wiedersehen“ zwischen Sachbuch und historischen Roman verorten, wobei hier das Historische den Roman ausmacht, und nicht das schnulzig Romantische. Trotzdem gibt es unglaublich rührende Momente im Buch, die mir die Tränen in die Augen trieben. Zusätzlich war zeitweise dermaßen viel Spannung im Spiel, das mancher Thriller hier in den Schatten gestellt wird.
Der Sachbuchcharakter spiegelt sich in der intensiven Recherche wider, die man der Autorin aufgrund der außerordentlichen Feingliedrigkeit der Quellen gern zugesteht. Technisch überaus clever empfand ich das Sprechen lassen der Zeitzeugen über ihre eigenen Zitate. Die dadurch vermittelte Glaubwürdigkeit ist unvergleichlich. Der Romancharakter entsteht für mich durch das Hineinversetzen in die Charaktere mit Hilfe der Rekonstruktion von deren Gefühlswelt.

Wenn man über diesen Teil unserer Geschichte liest, fühlt es sich falsch an, von Lesevergnügen zu sprechen. Trotzdem habe ich das Buch gern gelesen, weil es die Geschehnisse sehr plastisch aufarbeitet. Es ist eine interessante, gleichzeitig fesselnde Informationsquelle. Ein Buch, das man gelesen haben sollte.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Anspruchsvolle Auseinandersetzung zweier Markttheorien

Die Erfindung des Marktes
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„Die Erfindung des Marktes“ ist die erste umfangreichere philosophische Auseinandersetzung, an die ich mich herangetraut habe. Aktuell reizen mich Arbeiten, die historische Erkenntnisse und Feststellungen ...

„Die Erfindung des Marktes“ ist die erste umfangreichere philosophische Auseinandersetzung, an die ich mich herangetraut habe. Aktuell reizen mich Arbeiten, die historische Erkenntnisse und Feststellungen eher im Kontext ihrer Zeit betrachten, als solche, die eine fertige, nicht hergeleitete Schlussfolgerung auf das Hier und Heute präsentieren. Da mein wirtschaftswissenschaftliches Studium schon etwas länger zurückliegt, habe ich mich gern den beiden Protagonisten Smith und Hegel sowie ihren Theorien zugewandt.

Als Freizeitleser muss ich zugeben, dass mich die durchgehend gehobene Sprache und auch der Stil von Lisa Herzog ganz schön gefordert haben. In ihrer philosophischen Betrachtung des Marktes folgt die Autorin überaus diszipliniert strengsten wissenschaftlichen Regeln. Nach Veranschaulichung ihrer Zielsetzung und grundsätzlichen Festlegungen zu Beginn ihrer Arbeit, erklärt sie dem Leser einleitend zu jedem ihrer folgenden sechs Kapitel die weitere Vorgehensweise und legt somit den sich jeweils anschließenden gedanklichen Weg ihrer Analyse offen. Die Autorin schließt jedes Kapitel zusammenfassend und/oder schlussfolgernd ab. Das gibt ihrer Arbeit nicht nur Struktur, sondern bietet dem Leser Orientierung.

Lisa Herzog beginnt mit einer Analyse der beiden Marktverständnisse, von Adam Smith und von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Danach ordnet sie die Rollen auf dem Markt in die Betrachtungsweise sowohl Smith‘ und Hegels ein. Im zweiten Teil ihrer Arbeit widmet sich die Autorin intensiv den gesellschaftlichen Werten auf dem Markt. Dieser Teil der Auseinandersetzung war am interessantesten für mich. Dabei standen weniger ganz neue Erkenntnisse im Vordergrund meines Interesses, sondern vielmehr die verschiedenen möglichen Betrachtungsperspektiven auf bestimmte Marktsituationen. Insgesamt bin ich begeistert von ihrem für mich anspruchsvollen, gleichzeitig aufschlussreichen Werk. Sie hat es mittels geschickter logischer Herangehensweise geschafft, meiner doch eher mathematisch orientierten Denke zum Markt, weitere Denkansätze hinzu zu fügen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Mit großem Respekt gegenüber der wissenschaftlichen Leistung empfehle ich diese Arbeit gern weiter.

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Veröffentlicht am 15.10.2020

Technischer Fortschritt um fast jeden Preis

Die Erfindung des Countdowns
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Daniel Mellem erzählt uns die Geschichte des Hermann Oberth, des aus Siebenbürgen stammenden Physikers, der eigentlich Medizin studieren sollte, dann aber als Lehrer des Wernher von Braun Vater der Mondrakete ...

Daniel Mellem erzählt uns die Geschichte des Hermann Oberth, des aus Siebenbürgen stammenden Physikers, der eigentlich Medizin studieren sollte, dann aber als Lehrer des Wernher von Braun Vater der Mondrakete wurde. Beginnend mit der Kindheit des Protagonisten begleitet der Autor dessen recht unstetes Leben bis zum maßgeblichen Erfolg. 

Im Vordergrund des Romans steht der steinige Weg von der Utopie einer Reise in den Weltraum, angetriggert durch die Lektüre von Jules Vernes Klassiker „Von der Erde zum Mond“, bis zum tatsächlichen Start der Mondrakete. Hermann Oberth wurde ständig ausgebremst. Seine Hemmnisse reichten von familiären Konfliktsituationen, über finanzielle Sorgen bis hin zu multipler Ablehnung durch die etablierten Wissenschaften. Dabei hat sein wenig kommunikativer Charakter zu Verschärfung der Situation beigetragen. Erst als Hermann Oberth mit seinem Assistenten Wernher von Braun einen Flügelmann bekommt, kann sein Projekt genug Interesse wecken, um schließlich Realität zu werden.

So unstet wie sich das Leben von Hermann Oberth darstellt, so fühlt sich auch das Lesen an. Der Autor arbeitet mit recht großen Zeitsprüngen und überwindet von einer zur nächsten Szene große geographische Distanzen. Dadurch entstehen jeweils nach den Bildwechseln analog zu den vielen Umzügen des Protagonisten immer wieder Gewöhnungsphasen. Sprachlich wird mit präzisen Beschreibungen agiert, weniger mit malerischen Bildern und Metaphern. Damit entspricht der von einem Physiker verfasste Roman genau meiner Erwartungshaltung. Sehr gelungen fand ich die passende Kapitelnummerierung, ein kleines Detail mit ausgesprochen sympathischer Wirkung.

Etwas schwieriger war für mich die Gefühlslage gegenüber dem Charakter Hermann Oberth. Aus heutiger Sicht ist zwar nicht sein Wunsch, zum Mond zu fliegen, zu verurteilen; welchen Preis er dafür bereit ist, zu zahlen, darf allerdings schon deutlich kritisiert werden. So war ich dem kindlichen und auch dem jugendlichen Hermann durchaus zugetan. Den erwachsenen Menschen mochte ich im Verlauf der Zeit immer weniger. Erst im letzten Drittel tritt Hermanns Unrechtsbewusstsein wieder an die Oberfläche, was mir in der Folge wieder einen positiveren Blickwinkel beschert hat. Dennoch bin ich weiterhin hin- und hergerissen und kann mich bezüglich Sympathie oder Antipathie nicht festlegen.

Insgesamt empfinde ich diese Auseinandersetzung zum technischen Fortschritt gelungen. Der Roman erscheint gut recherchiert. Wer allerdings auf der Jagd nach sprachgewaltigen Zitaten ist, wird in Daniel Mellems Debüt Schwächen sehen. Mich persönlich hat das hier aufgrund der Thematik nicht gestört.

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Veröffentlicht am 06.10.2020

Kein Planet B

Groß genug, die Welt zu retten
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Das Kindersachbuch von Loll Kirby stellt uns zwölf Kinder und Jugendliche vor, die sich als Aktivisten gegen Verschwendung von Ressourcen und gegen die Verschmutzung der Umwelt engagieren. Ihr Ziel ist ...

Das Kindersachbuch von Loll Kirby stellt uns zwölf Kinder und Jugendliche vor, die sich als Aktivisten gegen Verschwendung von Ressourcen und gegen die Verschmutzung der Umwelt engagieren. Ihr Ziel ist das Ausbremsen, besser noch das Stoppen des Klimawandels. Sie stammen aus vielen verschiedenen Ländern und kümmern sich um die jeweilig gravierendsten Probleme. Interessant ist, dass es sich dabei nicht um erfundene Figuren handelt, sondern dass dem Leser reale Charaktere präsentiert werden. Im Rahmen der Lektüre kann man immer wieder weitere Nachforschungen anstellen und wenn man möchte, direkt die einzelnen Initiativen unterstützen.

Die Illustration des Buches ist angenehm natürlich. Ähnlichkeiten zwischen den realen Personen und den Gezeichneten lassen sich nicht abstreiten. Das gefällt mir sehr. Die Texte sind fachgerecht, aber nicht immer wirklich kindgerecht. Das liegt in der Anlage des Buches begründet. Wenn Biodiversität erklärt wird, macht dies nur Sinn mit ebendiesem Fachbegriff. Der Altersempfehlung ab 4 Jahren würde ich nicht unbedingt folgen. Hier sollten Eltern ergänzend erklären. Verständlich ist es bestimmt für Kinder, die bereits lesen können.

Am Ende werden den Kindern (im Vorlesemodus auch den Eltern) Tipps gegeben, wie man sich selbst im Sinne unseres Planeten verhalten sollte. Zudem wird aufgezeigt, an wen man sich wenden kann, um für ein eigenes Engagement Unterstützer zu finden.

Dieses interessante Konzept empfehle ich gern weiter, eingeschränkt auf ca. 6 bis 12-Jährige und deren Eltern.

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