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Veröffentlicht am 17.03.2020

Eine wunderbare Reise in die amerikanische Philosophie

Das Bücherhaus
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Es ist ein bisschen Sachbuch, ein bisschen Biografie, ein bisschen Philosophiegeschichte – doch ist das beschriebene Geschehen so unglaublich und so wunderbar erzählt, dass es sich fast wie ein Roman liest.

Der ...

Es ist ein bisschen Sachbuch, ein bisschen Biografie, ein bisschen Philosophiegeschichte – doch ist das beschriebene Geschehen so unglaublich und so wunderbar erzählt, dass es sich fast wie ein Roman liest.

Der Autor John Kaag ist Professor für Philosophie an der University of Massachusetts, Lowell, und was er erlebt hat, bietet wahrlich den Stoff für einen Roman. Kaag stößt bei einer Reise ins Hinterland von New Hampshire auf die in Vergessenheit geratene Bibliothek des großen amerikanischen Denkers William Ernest Hockning. In einem Wald auf dem Grundstück des Hockney-Anwesens, am A… der Welt. Dieser Fund erweist sich als wahrer Schatz, wenngleich einer, der jahrzehntelang unter alles andere als konservatorisch sinnvollen Umständen vor sich hin moderte: handgeschriebene Notizen von Walt Whitman. Bücher, die nachweislich Robert Frost und Ralph Waldo Emerson gehörten. Briefwechsel.

Die Erbinnen, drei betagte Schwestern, haben sich zwar redlich bemüht, die Bibliothek zu erhalten, doch aus zeitlichen und gesundheitlichen Gründen sowie aus Mangel an Fachkenntnis gedieh dieser Versuch nicht besonders gut. Sie gestatten Kaag, die Bücher zu sichten, zu restaurieren, zu katalogisieren und sich mit ihnen zu befassen. Und so stürzt sich der junge Philosophieprofessor – der sich zu jenem Zeitpunkt selbst in einer Krise befindet – in ein wahres Abenteuer.

„Das Bücherhaus“ ist ein ganz wunderbares Buch. Kaag nimmt uns nicht nur auf seine philosophische Reise mit, sondern er verquickt seine Erkenntnisse mit eigenen Erlebnissen bzw. eigenen biografischen Details und stellt sie in einen geisteswissenschaftlichen Kontext. Liebhaber*innen der amerikanischen Philosophie werden ihre Freude daran haben, doch auch für Laien wie mich, die allenfalls Interesse, aber keine tieferen Kenntnisse besitzen, bietet dieses Buch eine erkenntnisreiche und zudem charmante Lektüre. Mir persönlich wurde wieder einmal bewusst, auf wie viele Fragen die Philosophie Antworten liefert. Auch in der jetzigen Zeit:

„Die angemessene Reaktion auf unsere existenzielle Situation ist nicht, zumindest nicht für [William] James, absolute Verzweiflung oder Selbstmord, sondern der immer neue brennende, sehnsuchtsvolle Versuch, etwas Gutes aus den gefährlichen Optionen des Lebens zu machen.“ (S. 19)

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Veröffentlicht am 09.03.2020

Eine Zeitreise in ein ebenso faszinierendes wie tragisches Künstlerinnenleben

Die Zeit des Lichts
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„Meine Kunst – sie hat damit zu tun, wann ich auf den Auslöser drücke. Es geht nicht darum, etwas in Szene zu setzen und dann zu fotografieren. Es geht darum, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein ...

„Meine Kunst – sie hat damit zu tun, wann ich auf den Auslöser drücke. Es geht nicht darum, etwas in Szene zu setzen und dann zu fotografieren. Es geht darum, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und sich für etwas zu entscheiden, obwohl niemand sonst irgendetwas darin sieht.“ (Pos. 4554)

Selbst Kunst zu machen, und nicht länger ein (Kunst-)Objekt zu sein – das ist es, was die junge Elizabeth „Lee“ Miller sich wünscht, als sie Ende der 1920er Jahre New York hinter sich lässt. Zu diesem Zeitpunkt ist Lee als Model für die Vogue überaus erfolgreich, wird für ihre Schönheit bewundert. Doch das reicht ihr nicht. Selbst fotografieren, statt fotografiert zu werden, selbst Künstlerin zu sein, statt nur Modell für andere Künstler – dafür schlägt ihr Herz. Und wo könnte sie ihr neues Leben, ihren Durchbruch besser schaffen als in Paris, diesem avantgardistischen Hotspot der amerikanischen Expats? Es ist eine Zeit des künstlerischen Aufbruchs zu neuen Ufern, die Zeit der Surrealisten und Dadaisten – es ist eine „Zeit des Lichts“. Doch die Anfangszeit ist ernüchternd. Lee findet sich nur schwer in Paris zurecht, findet keinen Anschluss, weder zu der Kunstszene noch überhaupt zu anderen Menschen. Sie fühlt sich einsam. Allein. Und das Geld wird auch langsam knapp. Da lernt sie auf einer Party, auf die es sie mehr durch Zufall denn durch Einladung verschlägt, den bereits berühmten Künstler und Fotografen Man Ray kennen. Dank ihrer Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit wird sie zunächst Man Rays Assistentin, dann auch seine Geliebte – ehe es ihr langsam gelingt, sich buchstäblich aus seinem Schatten ins Licht hervor zu kämpfen.

„Die Zeit des Lichts“ ist ein wunderbarer und sehr angenehm zu lesender Roman, der seine Leser*innen auf eine Zeitreise mitnimmt und der ebenso beeindruckenden wie tragischen Fotografin Lee Miller ein literarisches Denkmal setzt. Denn Lee fotografierte nicht nur unter künstlerischen Gesichtspunkten, sondern war überdies Kriegsberichterstatterin. Und gerade diese traumatischen Erlebnisse – Lee Miller war u. a. als Fotografin bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau zugegen – ließen sie den Rest ihres Lebens nicht los. Heute würde man wohl von einer Posttraumatischen Belastungsstörung sprechen, zu ihrer Zeit blieb Lee Miller nur die Flucht in den Alkohol.

Der Roman widmet sich in erster Linie Lee Millers Zeit der künstlerischen Emanzipation in Paris, wird jedoch immer wieder von Einschüben unterbrochen, die von ihrer Zeit als Kriegsfotografin erzählen. Dieses Nebeneinander von dem aufgeregten Aufbruch einer lebenshungrigen jungen Frau einerseits und der erschütterten, schockierten und dennoch ihrer Pflicht nachkommenden Journalistin andererseits bilden einen erzählerisch reizvollen Kontrast und tragen dazu bei, die Frau Lee Miller in ihren verschiedenen Facetten zu erkennen.

Ich habe „Die Zeit des Lichts“ ausgesprochen gern gelesen, einzig die Ausführlichkeit, mit der Lees Beziehung zu Man Ray beschrieben wird, hätte aus meiner Sicht gerne etwas gestraffter wiedergegeben werden können. Doch das tut dem Lesegenuss keinen großen Abbruch. Und so empfehle ich die Lektüre von Herzen gern – vor allem all jenen, die sich für Kunst, für Fotografie, für die Expat-Kultur zwischen den Weltkriegen in Paris und für faszinierende Frauen interessieren.

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Veröffentlicht am 09.03.2020

Eine reizende Grundidee, die in der Ausführung ein wenig hakt

A Thing of Beauty
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Der Ich-Erzähler Charles, ein junger Mann von Mitte zwanzig, hat gerade sein Jura-Studium abgeschlossen und soll bald in die Kanzlei seines Vaters einsteigen. Zuvor gönnt er sich jedoch eine Auszeit, und ...

Der Ich-Erzähler Charles, ein junger Mann von Mitte zwanzig, hat gerade sein Jura-Studium abgeschlossen und soll bald in die Kanzlei seines Vaters einsteigen. Zuvor gönnt er sich jedoch eine Auszeit, und diese führt ihn zu Frances, einer ehemaligen Freundin seiner Eltern. Charles ist sofort fasziniert von dieser unkonventionellen Frau mit der bewegten Vergangenheit. Frances war Musikmanagerin, ein Teil des glamourösen Showbusiness – und stellt damit das genaue Gegenteil von Charles konventionellen, ja spießigen Eltern dar. Doch Frances hat sich aus der Glitzerwelt zurückgezogen und lebt nun auf dem Anwesen Ffrangcon Court inmitten eines überwältigend schönen Gartens. Es ist beinahe eine Parallelwelt, die sich Charles eröffnet, eine Welt voller Licht und Schönheit. Charles besucht Frances immer häufiger, schließt Freundschaft mit ihr, alles könnte wunderbar so weitergehen … bis Frances in einer Dorfkneipe auf die junge, noch unbekannte Sängerin Siobhan aufmerksam wird. Frances will das Ausnahmetalent fördern, managen, einem breiten Publikum bekannt machen, kurz: Frances will in ihr altes Leben zurück. Und dafür ist sie bereit, einen hohen Preis zu zahlen.

Dem Roman "A Thing of Beauty" liegt eine faszinierende Idee zugrunde: Es geht, wie der Titel erahnen lässt, im weitesten Sinne um Schönheit, allerdings nicht um die oberflächliche äußerliche Schönheit eines hübschen Gesichts, sondern um eine Art überirdischer Schönheit, wie sie sich etwa in Frances fantastischem Garten oder der überwältigenden Stimme Siobhans offenbart. Dieser Grundgedanke ist einfach zauberhaft – die Ausführung indes hakt leider, leider an einigen Stellen. Der erste Teil des Romans ist vor allem Frances‘ Garten gewidmet. Die Beschreibung der Anlage, der ‚gezähmten‘ Natur und der vorherrschenden Stimmung ist durchaus gelungen, stellenweise sogar poetisch; gleichzeitig dominieren die Beschreibungen so sehr, dass das eigentliche Geschehen und die Figuren zu meinem Bedauern weit dahinter zurücktreten. Der zweite Teil führt die Leserinnen in die Welt der Musik bzw. des Musikmanagements. Die beschriebenen Mechanismen der Branche zeugen von einer großen Sachkenntnis der Autorin, die Geschehnisse werden jedoch ebenfalls stilistisch recht einseitig, nämlich überwiegend in Form von Dialogen, dargestellt. Ein weiterer Minuspunkt, den ich leider nicht unerwähnt lassen kann, ist das bedauerlicherweise sehr unsorgfältige Lektorat des Romans, das sich in einer Fülle von überwiegend Interpunktions-, aber auch in so manchen orthographischen Fehlern niederschlägt.

Ich denke, "A Thing of Beauty" ist vor allem für Leser
innen interessant, die entweder ein großes Interesse an poetischen Gartenbeschreibungen haben (die sind, wie erwähnt, wirklich bezaubernd) oder aber sich für Musik bzw. das Musikbusiness interessieren. Ich selbst hätte mir ein größeres Augenmerk auf die literarische Ausgestaltung, auf die Figuren, ihre Motive, ihre Entwicklung, ihr Innenleben und ihre Relationen untereinander gewünscht.

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Veröffentlicht am 05.03.2020

Leider immer noch aktuell - und maximal lesenswert

Der ewige Faschismus
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Dieser frisch bei Hanser erschienene Band vereint fünf Schriften von Umberto Eco, die er anlässlich unterschiedlicher Ereignisse ursprünglich als Vorträge bzw. Artikel verfasste. Sie setzen sich mit dem ...

Dieser frisch bei Hanser erschienene Band vereint fünf Schriften von Umberto Eco, die er anlässlich unterschiedlicher Ereignisse ursprünglich als Vorträge bzw. Artikel verfasste. Sie setzen sich mit dem auseinander, "was er als den Ur-Faschismus bezeichnet, das heißt die Gesamtheit jener Handlungen, Verhaltensweisen, Haltungen und Instinkte, die zwar die Dynamik des Faschismus im frühen zwanzigsten Jahrhundert ausmachten, aber seine historische Ausprägung überlebt haben und heute lebendiger sind als je zuvor" (so Roberto Saviano im Vorwort).

Der zentrale Essay, "Der ewige Faschismus", erschien bereits vor einem Vierteljahrhundert. In ihm beschreibt Eco die Merkmale dessen, was er als "ewigen oder Ur-Faschismus" bezeichnet. Dazu gehören beispielsweise ein Kult der Überlieferung, die Ablehnung der Moderne oder die Obsession einer Verschwörung.

Dieses schmale Bändchen von nicht einmal achtzig Seiten ist maximal lesenswert - nicht, weil Eco so brilliant schreibt (das natürlich auch!), sondern in erster Linie, weil seine Beobachtungen und Gedanken - fatalerweise!, möchte ich schreien - noch immer aktuell sind. Und so möchte ich mit den Worten Savianos schließen:

"Umberto Eco fehlt uns. Es fehlt sein Mut, diese Verschwörung von Hohlköpfen, die sich gerne als Populisten bezeichnen lassen, mit der Macht der Intelligenz zu demontieren. Es fehlt sein Mut, sich über das Internet lustig zu machen - nicht mit der Arroganz des weise Alten, der das Neue verlacht, weil er es nicht versteht, sondern mit dem Scharfsinn eines Menschen, der das Fehlen von Regeln ebenso verachtet wie das Unvermögen der Plattformen, in Kultur zu investieren, anstatt immer nur in Zahlen, und der es nicht ertragen kann, wenn weit und breit jede Art von Ethik fehlt." (S. 14)

Besser hätte ich es auch nicht ausdrucken können.

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Unterhaltsam und kurzweilig - prima für "zwischendurch"

Hinter deinem Rücken
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„Reichtum wird oft mit Glück gleichgesetzt, doch nicht immer besteht ein Zusammenhang.“ (Pos. 688)

Angelina sieht das anders. Für sie liegen Glück und Geld sehr nahe beieinander. Sie ist ihrem Glück bereits ...

„Reichtum wird oft mit Glück gleichgesetzt, doch nicht immer besteht ein Zusammenhang.“ (Pos. 688)

Angelina sieht das anders. Für sie liegen Glück und Geld sehr nahe beieinander. Sie ist ihrem Glück bereits sehr nahe, denn einer ihrer größten Träume hat sich kürzlich verwirklicht: Sie hat einen Job als Friseurin in dem luxuriösesten Salon Stockholms erhalten. Hier lassen sich nur die Reichen, Schönen, Glamourösen frisieren, selbst die Freundinnen der Kronprinzessin kommen hierher. Und Angelina selbst passt perfekt in diese Welt: sie ist schön. Schlank. Stylish. Mit einem vermögenden Geschäftsmann verheiratet. Und ihr gutaussehender Chef Stefano hält eindeutig große Stücke auf sie und ihre Fähigkeiten. Das wiederum ist Jenny, die schon lange in dem Salon arbeitet und nebenbei eine Schwäche für Stefano hegt, ein Dorn im Auge. Überhaupt scheint Angelina in jeglicher Hinsicht einfach zu perfekt zu sein. Als einer ihrer Stammkunden mit seiner gesamten Familie dann auch noch zu Angelina wechselt und kurze Zeit später ermordet in seinem Haus aufgefunden wird, ist Jenny sich sicher: Mit Angelina stimmt etwas nicht. Jenny heftet sich an Angelinas Fersen, überzeugt, das Geheimnis um die rätselhafte neue Kollegin lösen und sie bloßstellen zu können. Da geschieht der nächste Mord …

„Hinter deinem Rücken“ ist ein überaus kurzweiliger Thriller, der vor allem von den beiden weiblichen Hauptfiguren getragen wird. Die verwöhnte Jenny, die noch immer von ihrer dominanten Mutter drangsaliert wird und ihre Position im Salon gefährdet sieht, und die etwas undurchsichtige, wunderschöne Angelina, die plötzlich mit einer anderen jungen Frau verwechselt wird, sind bereit, nahezu alle Mittel auszuschöpfen, um das, was sie bisher erreicht haben, zu verteidigen. Zwar sind manche Wendungen vorhersehbar, auch ist das Buch sicherlich kein Thriller, bei dem den Leser*innen der Atem stockt. Doch alles in allem ist „Hinter deinem Rücken“ ein gelungenes, unterhaltsames Lesevergnügen ‚für zwischendurch‘.